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Einband grossIsabel, ein Straßenkind in Rio
ISBN/GTIN

Isabel, ein Straßenkind in Rio

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
SAGA Egmonterschienen am11.10.2021
Ein ergreifendes Buch über ein Kinderschicksal auf den Straßen Rios! Die achtjährige Isabel lebt mit ihrer Familie in Brasilien; Armut bestimmt ihren Alltag. Nach dem Tod ihres Vaters beschließen Isabel und ihre ältere Schwester Sandra, auf der Suche nach einem besseren Leben nach Rio de Janeiro zu gehen. Doch kaum dort angekommen, werden die beiden mit der unbarmherzigen Realität des Straßenkind-Daseins konfrontiert: Sandra ist gezwungen, für Geld ihren Körper zu verkaufen, während Isabel sich einer Jugendbande anschließt. Gibt es für das junge Mädchen einen Ausweg aus dem Leben voller Gewalt und Entbehrung? -

Mecka Lind wurde 1942 in der südschwedischen Stadt Lund geboren. Sie arbeitete zunächst in der Journalistik-, Reise- und Werbebranche, bevor sie in den 1980er Jahren mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern begann. Linds Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit Literaturpreisen, unter anderem dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher, ausgezeichnet.
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Produkt

KlappentextEin ergreifendes Buch über ein Kinderschicksal auf den Straßen Rios! Die achtjährige Isabel lebt mit ihrer Familie in Brasilien; Armut bestimmt ihren Alltag. Nach dem Tod ihres Vaters beschließen Isabel und ihre ältere Schwester Sandra, auf der Suche nach einem besseren Leben nach Rio de Janeiro zu gehen. Doch kaum dort angekommen, werden die beiden mit der unbarmherzigen Realität des Straßenkind-Daseins konfrontiert: Sandra ist gezwungen, für Geld ihren Körper zu verkaufen, während Isabel sich einer Jugendbande anschließt. Gibt es für das junge Mädchen einen Ausweg aus dem Leben voller Gewalt und Entbehrung? -

Mecka Lind wurde 1942 in der südschwedischen Stadt Lund geboren. Sie arbeitete zunächst in der Journalistik-, Reise- und Werbebranche, bevor sie in den 1980er Jahren mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern begann. Linds Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit Literaturpreisen, unter anderem dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher, ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9788711466087
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum11.10.2021
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8157383
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1


Rio de Janeiro. Die große, schöne Stadt. Die weiße und grüne Stadt. Das Paradies. Genau so beschreibt Sandra, Isabels ältere Schwester, Rio. Genau mit diesen Worten erzählt sie ihr davon, als sie zu Hause unter der Palme vor der Hütte sitzen.

Sandra lehnt mit dem Rücken am Baumstamm, Isabel liegt ausgestreckt am Boden, den Kopf auf dem Schoß ihrer Schwester. Sie hört aufmerksam zu, wenn Sandra von all den wunderbaren Dingen erzählt, die sie erleben wird. Sandra wird einen weißen Mann kennenlernen. Einen reichen weißen Mann. Nicht so einen fetten, aufgedunsenen wie den Besitzer der Fazenda 1 und dessen Freunde. Nein, er ist groß und schlank, hat blonde Haare und blaue Augen und kommt aus Amerika. Er ist Tourist, und sie werden sich in Rio de Janeiro begegnen. Er verliebt sich in sie und bittet sie, ihn zu heiraten und mit ihr nach Hause zu kommen. Ohne sie fährt er nicht zurück.

»Und was wird aus mir?« fragt Isabel wie immer an dieser Stelle.

»Wenn ich neue Kleider habe und so elegant bin, daß niemand mich erkennt, nicht einmal die alten Männer von der Fazenda, dann komme ich und hole euch alle. Dann bekommen Mutter und Vater Geld, damit sie sich ein kleines Haus in Amerika kaufen können, und keiner muß mehr arbeiten. Und ihr, ihr bekommt schöne Kleider und besucht alle die Schule, und dann gehen wir jeden Tag ins Restaurant und essen, was und wieviel wir wollen.«

So sitzen sie und träumen abends vor der Wellblechhütte, in der sie zu acht wohnen. Mutter, Vater und die sechs Geschwister. Sandra ist die älteste, und sie ist sehr schön. Sie ist neunzehn Jahre alt, als es passiert. Norman ist sechzehn. Roberto vierzehn. Lili zwölf. Eric zehn, und Isabel ist gerade acht geworden.

 

Es ist ein drückendheißer Nachmittag. Da kommt völlig unerwartet ein Auto von der Fazenda zur Hütte gefahren. Zwei weiße Männer steigen aus und werfen ihnen den toten Körper des Vaters vor die Füße.

»Es war die Hitze«, sagen sie und fahren wieder weg.

Aber die Familie weiß, wie kraftlos und schwach der Vater war. Es gab lange Zeit nicht genug zu essen. Außerdem sehen sie die Peitschenhiebe auf seinem Rücken.

Keiner von ihnen weint. Nicht einmal die Mutter. Sie faßt sich nur instinktiv an den Bauch, in dem schon wieder ein Kind ist.

Norman und Roberto heben das Grab aus. Mama, Sandra, Lili, Eric und Isabel suchen ein paar Lumpen zusammen, in die sie den Körper einwickeln können. Sie legen ihn vorsichtig in das Loch und schaufeln Erde darüber. Mama spricht ein kurzes Gebet. Dann gibt es keinen Vater mehr. Jetzt haben sie nicht einmal mehr sein kleines Einkommen.

 

Am nächsten Morgen sind Norman und Roberto verschwunden. Niemand stellt Fragen. Alle wissen, daß die beiden nach São Paulo oder Rio abgehauen sind. Wahrscheinlich werden sie sie nie wiedersehen.

Als die weißen Männer kommen und sich beschweren, daß die Jungen nicht bei der Arbeit sind, zuckt die Mutter nur mit den Schultern. Die Männer schauen sie kritisch an, und dann sagen sie frei heraus, daß sie sie und die Kinder nicht mehr gebrauchen können. Es hilft nichts, als die Mutter beteuert, wie sehr sie arbeiten würden. Sie sollen die Hütte in einer Woche räumen. Und das sei, betont einer der Männer, noch sehr entgegenkommend vom Besitzer der Fazenda. Viele Familien mit großen starken Männern würden schon darauf warten, die Hütte zu übernehmen. Aber da Sandra sich inzwischen im Haushalt des Besitzers nützlich machen könne, würde dieser Gnade vor Recht ergehen lassen.

Sandra weiß genau, was das bedeutet. Sie bekommt die große »Ehre«, abends bei den Saufgelagen auf der Fazenda zu bedienen und sich nachts vergewaltigen zu lassen. Isabel weiß es auch. Sandra hat ihr schon erzählt, wie es dort zugeht.

»Am besten kommst du gleich mit uns«, sagt der Fahrer. Sandras Augen sind schwarz vor Haß, als sie das Umschlagtuch nimmt und sich in den Lastwagen setzt.

»Wenn du zurückkommst, ziehen wir zu Onkel Alberto«, ruft die Mutter ihr nach.

Als ob das ein Trost wäre. Onkel Alberto wohnt und arbeitet mit seiner Familie auf einer anderen Fazenda, hundert Kilometer weiter im Landesinneren. Isabel ist vor zwei Jahren mit ihrer Mutter dort gewesen. Deshalb weiß sie, daß die Verwandten mindestens genauso arm sind wie sie selbst. Außerdem erinnert sie sich, daß Onkel Alberto alle geschlagen hat, die ihm in die Quere kamen. Er schlug seine Frau und seine Kinder, er schlug Isabel und ihre Mutter. Er trank jeden Abend Cachaça 2 , den er von seinem kärglichen Lohn kaufte, und wenn er betrunken war, drehte er durch. Meint die Mutter es wirklich ernst, daß sie dorthin ziehen will? Aber wo sollen sie denn sonst hin?

Isabel glaubt, daß es eine ganze Woche dauern wird, bis sie Sandra wieder zu sehen bekommt. Aber schon in derselben Nacht wacht sie von aufgeregtem Flüstern vor der Hütte auf. Sandra und die Mutter reden miteinander. Isabel spürt sofort, daß etwas nicht stimmt, und die Unruhe treibt sie ins Dunkel hinaus.

Sie versteckt sich in der Nähe, bis zum äußersten angespannt, um alles zu verstehen, was sie sagen.

Sandras Gesicht sieht im Mondschein erschreckend hart aus. Die Mutter sitzt neben ihr, zusammengekauert, als ob sie so klein wie möglich werden wolle, vor etwas viel zu Großem und Schrecklichem.

»Bist du ganz sicher, daß du ihn getötet hast?« fragt sie mit dünner Stimme.

»Ich habe ihm das Messer in den Bauch gestoßen, und er ist zusammengefallen wie ein leerer Sack«, sagt Sandra.

»Hättest du nicht noch ein paar Tage aushalten können. . . uns zuliebe?«

»Ich habe es lange genug ausgehalten, Mama. Und jetzt hau ich ab. Euch rate ich, schon heute nacht zu Onkel Alberto aufzubrechen. Ich weiß nicht, was sonst passiert.« Es ist eine Weile still. Dann küßt Sandra die Mutter auf beide Wangen und hebt ein Bündel auf, das neben ihr liegt. Und im nächsten Augenblick ist sie auch schon bei den Zuckerrohrfeldern, die sich bis zur großen Landstraße erstrecken.

Isabel zögert nicht. Sie hat keine Zeit zu verlieren. Aber sie hält Abstand, denn sie ahnt, daß Sandra sie nicht dabeihaben will.

Oben an der Straße duckt sie sich in den Graben. Sandra hat sich auch versteckt, allerdings auf der anderen Seite. Vermutlich wartet sie dort, bereit herauszuspringen, sobald sie ein Auto sieht, das nicht zur Fazenda gehört. Glücklicherweise kennt sie die meisten Autos von da oben.

Es dauert lange, bis überhaupt ein Auto kommt, und als es endlich so weit ist, läßt sie es vorbeifahren.

Kurz nachdem das erste Auto im Dunkel verschwunden ist, hört Isabel in der Ferne Hundegebell. Sie suchen jemanden, und wenn ihre Schwester einem der Männer ein Messer in den Bauch gerammt hat, ist es nicht schwer, sich auszurechnen, wen sie suchen.

Jetzt nähert sich ein kleinerer Lastwagen. Isabel glaubt schon, daß Sandra auch den vorbeifahren läßt, da steht ihre Schwester plötzlich auf der Straße und winkt wild mit den Armen. Die Reifen quietschen beim Bremsen, und während Sandra mit dem Fahrer redet, läuft Isabel schnell auf die Straße. Als Sandra schließlich ins Fahrerhäuschen klettert, ist Isabel schon auf der Ladefläche und versteckt sich zwischen einigen Säcken.

Das Geräusch des Motors und das Rütteln des klapprigen Lastwagens schläfern sie ein. Sie wacht von einem Schrei auf und weiß erst nicht, wo sie ist. Warum spürt sie nicht Lilis oder Mamas warmen Körper neben sich? Sie starrt in den Himmel hinauf, sieht den Vollmond hinter einer Wolke verschwinden und erinnert sich. Sie ist mit Sandra irgendwohin unterwegs. Jetzt weiß sie auch, woher der Schrei kam, und sie merkt, daß das Auto gar nicht mehr fährt.

Hinten im Fahrerhäuschen ist ein kleines Fenster. Dort kriecht Isabel hin. Sie sieht, wie Sandra mit dem Mann da drinnen kämpft. Aber nach einer Weile ist es genauso wie nachts bei Mama und Papa. Sie erinnert sich an Papas Stöhnen und an seinen schweren Atem, an Mamas Jammern und die immer heftiger werdenden Bewegungen, bis es plötzlich wieder ganz still war.

Einmal haben Mama und Papa Isabel hinterher angeschaut, und weil sie merkten, daß sie wach war, hat Mama geflüstert: »So macht man Kinder.«

Isabel hat an der Stimme gehört, daß Mama dabei lächelte. »So bist auch du gemacht worden.«

Als sie es Sandra unter der Palme erzählte, sagte diese kurz und kalt: »Mama und Papa sind verheiratet, und sie mögen sich. Aber wenn die Männer oben im Haus es mit mir machen, dann macht es nur ihnen Spaß, und es ist furchtbar für mich. Das nennt man Vergewaltigung.«
...
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