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Grace - Vom Preisträger des Booker Prize 2023 ('Prophet Song')

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
550 Seiten
Deutsch
Verlag Freies Geisteslebenerschienen am13.10.20211. Auflage
Es begann damals 1845. Aber Grace, die einzigartige Heldin des Iren Paul Lynch, ist vollkommene Gegenwart in diesem bildreich-poetischen Roman, der mit ihren Sinnen und Gefühlen die grausame Wirklichkeit der großen Hungersnot erleben lässt. Grace, vierzehn, wird in Männerkleidern von zu Hause fortgeschickt, um irgendwo Arbeit, irgendwie Nahrung zu finden in einem Land, wo jeder danach sucht. Ihr zur Seite: der jüngere Bruder Colly. Seine muntere Stimme in ihrem Kopf. Und verschiedene andere merkwürdige Begleiter. Wer wird sie sein, wenn sie diese Wanderschaft durchsteht? Für seinen Roman ?Prophet Song? wurde Paul Lynch mit dem Booker Prize 2023 ausgezeichnet.

Paul Lynch, 1977 in Limerick geboren und im County Donegal aufgewachsen, findet seit seinem Romandebüt ?Red Sky in Morning? (2013) vielfache Beachtung und hohe Anerkennung in der Presse. ?The Black Snow? (2014) gewann in Frankreich den Buchhändlerpreis für den besten ausländischen Roman des Jahres und war für den Prix Fémina nominiert. Nach dem Glanzlicht und großen Erfolg ?Grace? (2017) hat auch ?Beyond the Sea? (2019) begeistertes Echo hervorgerufen. Für seinen jüngsten, dystopischen Roman ?Prophet Song? (2023) wurde Paul Lynch mit dem Booker Prize 2023 ausgezeichnet. Paul Lynch lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Dublin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR29,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR26,99

Produkt

KlappentextEs begann damals 1845. Aber Grace, die einzigartige Heldin des Iren Paul Lynch, ist vollkommene Gegenwart in diesem bildreich-poetischen Roman, der mit ihren Sinnen und Gefühlen die grausame Wirklichkeit der großen Hungersnot erleben lässt. Grace, vierzehn, wird in Männerkleidern von zu Hause fortgeschickt, um irgendwo Arbeit, irgendwie Nahrung zu finden in einem Land, wo jeder danach sucht. Ihr zur Seite: der jüngere Bruder Colly. Seine muntere Stimme in ihrem Kopf. Und verschiedene andere merkwürdige Begleiter. Wer wird sie sein, wenn sie diese Wanderschaft durchsteht? Für seinen Roman ?Prophet Song? wurde Paul Lynch mit dem Booker Prize 2023 ausgezeichnet.

Paul Lynch, 1977 in Limerick geboren und im County Donegal aufgewachsen, findet seit seinem Romandebüt ?Red Sky in Morning? (2013) vielfache Beachtung und hohe Anerkennung in der Presse. ?The Black Snow? (2014) gewann in Frankreich den Buchhändlerpreis für den besten ausländischen Roman des Jahres und war für den Prix Fémina nominiert. Nach dem Glanzlicht und großen Erfolg ?Grace? (2017) hat auch ?Beyond the Sea? (2019) begeistertes Echo hervorgerufen. Für seinen jüngsten, dystopischen Roman ?Prophet Song? (2023) wurde Paul Lynch mit dem Booker Prize 2023 ausgezeichnet. Paul Lynch lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Dublin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783772544224
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum13.10.2021
Auflage1. Auflage
Seiten550 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1443 Kbytes
Artikel-Nr.8165019
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
I Samhain II Der Junge namens Tim III Das Wunder der Tage IV Im Rachen des Wolfes V Winter VI Krähe VII Licht VIII Blackmountain Anmerkungenmehr
Leseprobe


Dieser Flutoktober. Und früh im Morgengrauen kommt ihre Mutter an und holt sie aus dem Schlaf, reißt sie aus einem Traum von der Welt. Am Arm wird sie durchs Zimmer geschleift, die Panik schießt ihr ins Blut. Bloß nicht schreien, denkt sie, nicht die andern wecken, so sollen die ihre Mam nicht sehen. Gehör verschaffen kann sie sich ja nicht, kriegt ja den Mund nicht auf, hat noch zu kauen an dem Schock, und darum redet ihre Schulter. Die protestiert laut knackend, hört sich an, als wär ihr Arm hinüber, ein Ast von einem Baum, glatt abgeknickt. Von einem Ort, der sprachlos ist, kommt die Erkenntnis: Ihre Welt muss aus dem Leim sein.

Als wär sie angeschirrt, schleift ihre Mutter sie zur Tür, ihr Körper krumm und schief wie ein verklemmtes Ackerwerkzeug, die Füße stumpfe Klingen. Vorn an der Türe Licht, dünn wie Messers Schneide. Ihre Augen kämpfen gegen die Finsternis, strengen sich an, die Mutter zu fixieren, doch sehen nur die knochenbleichen Finger, die ihr Handgelenk umklammern. Sie holt aus mit der freien Faust und trifft daneben, holt wieder aus, zielt in die Dunkelheit und trifft die Luft dazwischen, stemmt die Hacken in den Boden. Wille gegen Wille, sie gräbt sich fest, obwohl sich Sarahs Wille jetzt verwandelt hat in eine tierartige Kraft, eine Geheimkraft, denkt sie, wie bei dem Ochsen von Nealy Ford, eh er ihn totgemacht hat und ist weg, und nun brennt ihr Handgelenk im Klammergriff der Mutter. Von den Hacken auf die Zehen rollend, wird sie aus der Tür gezerrt.

Was draußen auf die beiden wartet, ist klirrende Kälte, als hätt sie ihnen extra aufgelauert, wie ein Tier, ein gieriges, im Dämmerschein des Morgens, der tief und grob und grau dort hockt. Noch nicht die richtige Winterkälte, obwohl die Bäume sich dicht aneinanderdrängen, alten Männern gleich, die sich zur Strafe nackt ausziehen mussten, und das abgehärmte Land liegt da und wartet. Die Bäume hier sind karge Ebereschen, doch ohne Beerenschmuck an den grazilen Gliedern. Kleinwüchsig und verdreht stehen sie, anscheinend reicht die seichte Erde ihnen nicht, um Fuß zu fassen, verkümmert sind sie und verkrümmt unter dem immertiefen Himmel. Und unter ihnen Sarah mit ihrer Tochter, dem fahlhäutigen Mädchen, vierzehn und noch immer knabenbrüstig, ins Gesicht hängt ihr das lange, offene Haar, sodass die Mutter nichts von ihr zu sehen kriegt als die entblößten Zähne im fratzenhaft verzerrten Mund.

Ihre Mutter drückt sie runter auf den Hackklotz. Da setz dich hin, sagt sie.

Einen Moment lang scheint´s, als habe eine weite Stille sich geöffnet, der Wind, in dieser Höhe sonst ein ruheloser Wanderer, regt sich nicht. Die Felsbrocken am Hang sind große Zähne, fest zusammengebissen, lauschend. In den verschlammten Pfützen ist das Mädchen ihre eigene Zeugin, sieht sie die Frau verzerrt, grau und grotesk über sich stehen. Der Augenblick der Stille ist zerstoben, ein Flügelschlagen, und schon huscht hügelwärts ein dunkler Vogel über ihren Kopf. Was ist denn bloß mit Mam passiert, wie ich geschlafen hab? denkt sie. Wer ist das bloß, der ihre Stelle eingenommen hat? Und plötzlich sieht sie, was das Herz am meisten fürchtet - aus Mutters Rock fährt dieses stumpfe alte Messer. Und dann, aus ihrer eigenen Finsternis, kommt die Geschichte ihres Bruders Colly, tief ernst die großen runden Augen, erzählt er die Geschichte einer Familie, deren Not so groß ist, dass sie das Messer an ihr Jüngstes legt. Oder war´s das Älteste? denkt Grace. Colly, immer ´ne Geschichte auf Lager, immer am Nörgeln, schwört bei seinem Leben, dass die Geschichte wahr ist. Lass doch mal den Blödsinn, hat sie damals zu ihm gesagt. Aber heute weiß sie, dass eins zum andern führt, und irgendwas hat auch zu diesem hier geführt.

Hinter sich hört sie Sarah keuchen. Hört, wie die Kleinen verstohlen die Tür aufmachen und zugucken wollen. Sie denkt an das letzte Lebendige, das sie haben bluten lassen, die Gans, wie sie ihr nachgerannt sind und sie sich entfaltet hat zu einem weißen Bogen, und wie ihr Schrillen da die Luft zerfetzte. Die unheimliche Erstarrung dieses Vogels, sein langer Hals hier auf dem Hackklotz, und ihre große Schwester nun, genauso starr wie das Tier, und dieses selbe stumpfe Messer, wegen dem das alles hier so lange dauerte. Und wie Boggs dort stand und hat gewartet. Der hat Mam ausgenommen wie ´ne Weihnachtsgans, denkt sie, und uns gleich mit. Grace sieht die Klinge und wird selbst zum Tier, sie bockt und stemmt sich gegen ihre Mutter.

Und dann der Colly, wie der angerast kommt, dieser bullige kleine Bengel von zwölf Jahren, wie ihm die Mütze runterfällt, wie er den Namen seiner Schwester schreit. Grace! Als tät´ er Gnade schreien. Sie hört in seiner Stimme eine schreckliche Verzweiflung, als könnte er, indem er ihren Namen ausspricht, sie retten, ihren Namen davor retten, dass er seinen Sinn verliert, als könnte ihr so lange keiner was zuleide tun, wie er noch ihren Namen hallen lässt. Sie spürt den Schwenk nach etwas Dunklem hin, das auf sie zukommt, wie Colly zerrt an seiner Mutter, wie er sich festklammert an Sarahs Taille mit den Armen, bis sie kurzen Prozess macht und ihn abschüttelt. Dann redet sie, und ihre Stimme zittert. Colly, mach hin, zurück ins Haus mit dir. Grace dreht sich um, sieht ihren Bruder, der mit roten Backen auf dem Podex sitzt, und sieht das Messer in der Hand der Mutter, halb versteckt, als würde sie sich seiner schämen. Auge in Auge, so begegnen sie einander, und Grace ist überrascht, dass sie nichts sieht bei ihrer Mutter - nichts, was für Wahnsinn spricht oder für Bosheit. Hört, als die Frau dann redet, wie in ihrer Kehle die Bänder sich zum Knoten schürzen. Genug jetzt, bitte, willst du wohl.

Dann fasst Sarah rasch dem Mädchen in die Haare, packt eine Faustvoll, legt ihn frei, den Hals wie Porzellan, und hebt das Messer.

Alles, was man sehen kann in einem Augenblick. Dann ist Collys Geschichte doch die Wahrheit, denkt sie. Das Letzte, was du wirst von Mam gesehen haben, denkt sie, das wird ihr Schatten sein. Du musst all das hier in Erinnerung behalten, denkt sie. Ein Schluchzen steigt aus ihrem tiefsten Innern auf und macht sich singend Luft.

Was ihr hier zustößt, ist der Herbst von ihrem langen Haar. Es fällt besinnungslos, fällt als ein Abendfarbenschimmern, ihr Haar, von Sonnenlicht durchwirkt, wird immer fahler. Sie schluchzt, weil ihr die Kopfhaut wehtut, wie ihre Mutter zerrt und säbelt. Schluchzt, als ihr Haar in Bändern fällt. Sie kneift die Augen zu, ganz fest, so lange, bis sie Sterne sieht. Als sie sie wieder aufmacht, hat die Mutter sie umrundet. Colly auf Knien, die Fäuste voller Haare. Der bitterkalte Wind leckt Grace den nackten Nacken. Sie hebt die Hände hoch, fasst sich benommen an den Kopf oder was davon übrig ist, die Mutter baut sich vor ihr auf, das Messer ist in ihrem Kleid verschwunden. Enttäuscht sieht Sarah aus, atemlos, bleich, erschöpft, am Hals wird ihre Haut schon schlaff, als ob sie wieder straff zu tragen einer Anstrengung bedürfte, für die sie nicht die Kraft im Leibe hat. Ihr Schlüsselbein ist eine Spange von verstoßner Schönheit. Auf ihrem Siebenmonatsleib lässt sie die Hände ruhen und wappnet sich mit ihrer Stimme gegen ihre Tochter. Was sagt sie?

Jetzt bist du die Starke.

Die Spiegelscherbe gibt die Welt gesprungen wieder. Grace fängt damit die Sonne ein in ihrem Wolkenfilz und biegt sie hin zu ihren Füßen. Lange, schmale Füße sind das, und, wenn auch unbeschuht, ganz unverkennbar ihre - so zart, typische Mädchenfüße, denkt sie, die Form so elegant, und würde man den Schmutz abwaschen, könnt´ man die Haut unter den Nägeln rosig schimmern sehen. Auf ihre schmalen Fesseln ist sie stolz, nicht so geschwollen wie bei Mam. Das vorspringende Knubbelknie mit der mondsichelförmigen Narbe. Sie dreht sich um und lenkt die Sonne mit dem Spiegel auf Collys Hinterkopf, der Junge schmollt, schnaubt Qualmwolken aus seiner Tonpfeife. Von drinnen hört sie rasche Füße trappeln, ein Kind fällt hin, an dem Geschrei erkennt sie, es ist Bran, der Jüngste. Colly murmelt einen Fluch, springt auf, als das Geschrei nicht enden will. Grace kann den Anblick ihres Kopfes nicht ertragen. Sie schwenkt den Spiegel nach der anderen Seite, sodass sie den Altweibersommer sieht, der zwischen zwei Felsbrocken sich spannt - ein Spinnennetz, das wie ein zarter Bogen schaukelt in der Brise, und wie es leis´ pulsiert, sodass es wie lebendig aussieht in der Sonne. Sie sticht mit ihrem Finger rein, zerreißt es, wischt, was hängen bleibt, sich ab an dem zerlumpten Rock. Wäre ihr Finger eine Klinge, er wäre wie ihr Hass, genauso scharf und spitz. Was würde ich damit nicht alles machen, denkt sie.

Bewegung an der Tür. Sie richtet ihren Spiegel dahin aus und sieht, wie ihre Mutter mit dem roten Umschlagtuch das Haus verlässt, sich´s um die Schultern wirft, so wie ein Fischer, der sein Netz auswirft nach einem Schwarm von Tageslicht. Sarah zieht sich einen Stuhl nach draußen, mitten auf die Straße, seufzt, setzt sich hin mit rotem Kopf, als würde sie auf jemand warten - Grace denkt, auf Boggs natürlich. Sarah ringt die Hände im Schoß. Sie seufzt wieder, steht dann auf und geht wortlos ins Haus, kommt zurück mit der Eschennadel, steckt damit ihr Tuch zusammen und setzt sich auf den Stuhl. Wenn Sarah in so einer Stimmung ist, traut keiner sich, sie anzusprechen, Colly und Grace jedoch behalten sie im Auge. Grace weiß, dass Colly seine Mutter gerade in eine Hexe sich verwandeln sieht und sie am liebsten mit der Faust kaltmachen möchte. Grace schaut die Mutter an, wie sie dort auf der Straße sitzt und hoch zum Berg starrt, und ihre Blicke bohren in die Löcher sich im schmutzig weißen Rock, den...
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