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Das gekaufte Leben

Roman | »Großartiger Psychothriller!« Brigitte
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2022
Günstig abzugeben: Haus, Job, Freunde, Leben Stell dir vor, du bekommst die einmalige Chance, das Leben eines anderen zu leben. Würdest du sie ergreifen? Clemens Freitag zögert nicht und tut genau das: Über das Internet ersteigert er sich ein neues Leben und übernimmt Haus, Job, Freunde und Hobbys eines anderen Mannes und zieht in die ostdeutsche Provinz. Freitag lebt sich schnell in sein neues Umfeld ein und ist zufrieden mit seiner Entscheidung. Doch nach und nach bröckelt die Fassade der scheinbaren Idylle und es geschehen mysteriöse Dinge - bis Freitag auch noch erfährt, dass vor einiger Zeit ein menschlicher Finger aus dem Dorfsee gefischt wurde. Denn du kannst vielleicht ein neues Leben kaufen, doch die Taten deines Vorgängers finden immer einen Weg zu dir zurück ...

Tobias Sommer, 1978 in Schleswig-Holstein geboren, lebt mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Bad Segeberg. Er hat bisher Lyrik und Prosa veröffentlicht, den Hamburger Literaturförderpreis erhalten und war 2014 für den Bachmann-Preis nominiert.
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Produkt

KlappentextGünstig abzugeben: Haus, Job, Freunde, Leben Stell dir vor, du bekommst die einmalige Chance, das Leben eines anderen zu leben. Würdest du sie ergreifen? Clemens Freitag zögert nicht und tut genau das: Über das Internet ersteigert er sich ein neues Leben und übernimmt Haus, Job, Freunde und Hobbys eines anderen Mannes und zieht in die ostdeutsche Provinz. Freitag lebt sich schnell in sein neues Umfeld ein und ist zufrieden mit seiner Entscheidung. Doch nach und nach bröckelt die Fassade der scheinbaren Idylle und es geschehen mysteriöse Dinge - bis Freitag auch noch erfährt, dass vor einiger Zeit ein menschlicher Finger aus dem Dorfsee gefischt wurde. Denn du kannst vielleicht ein neues Leben kaufen, doch die Taten deines Vorgängers finden immer einen Weg zu dir zurück ...

Tobias Sommer, 1978 in Schleswig-Holstein geboren, lebt mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Bad Segeberg. Er hat bisher Lyrik und Prosa veröffentlicht, den Hamburger Literaturförderpreis erhalten und war 2014 für den Bachmann-Preis nominiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423440059
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.07.2022
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1571
Artikel-Nr.8199756
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Neujahr

Freitag fuhr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, auch wenn sein Zielort keinen Bahnhof hatte, nicht einmal eine Bushaltestelle, was bei einer Einwohnerzahl von knapp einhundertfünfzig Bewohnern nicht verwunderlich war. Vor seiner Abreise hatte Freitag einen Großteil seines Hausstands eingelagert, viel war es nicht, eine angemietete Garage reichte aus. Seine Wohnung kündigte sich mit Ablauf der nächsten Woche automatisch, und sein Arbeitgeber war über Freitags Kündigung und die »unkomplizierte Lösung« dankbar. Freitag hatte überlegt, von welchen Bekannten er sich verabschieden sollte, und sich für eine Rundmail an alle entschieden. Eine Antwort hatte er bisher nicht bekommen.

Jetzt sah er aus dem Busfenster auf die Überbleibsel der Silvesternacht. Am Wegesrand lagen Raketenköpfe und leere Feuerwerksbatterien, doch je näher er seinem Ziel kam, desto weniger wurde der Müll auf den Wegen, als wäre das neue Jahr in dieser Gegend überhaupt nicht gefeiert worden, als hätte niemand versucht, die bösen Geister aus dem alten Jahr mit einem Feuerwerk zu verjagen.

Freitag stieg zwei Kilometer vor seinem Ziel an einer Landstraßenkreuzung aus. Hier standen nur ein Bushäuschen und ein Schild, auf dem er lesen konnte, dass der Ort Geistling zwölf und der Ort Zaun noch zwei Kilometer entfernt war. Freitag war von mehreren Feldern umgeben. Obwohl die Flächen vom Winter steinhart und noch nicht bepflanzt waren, ratterte ein Traktor über eines der Felder. Freitag konnte die ersten Häuser in zwei Kilometer Entfernung sehen. Das muss Zaun sein, ein kleines Kaff am Ende der Welt, kein Wunder, dass es selbst Wikipedia übersehen hat, dachte er und faltete eine Landkarte, die er sich vor seiner Reise ausgedruckt hatte, zusammen. Er schulterte seinen Rucksack. Zu Fuß wollte er sich an seinen neuen Lebensmittelpunkt herantasten und folgte der Landstraße. Er ließ seinen Blick weiter über die Felder und Wiesen schweifen, durch die er hindurchschritt. Auch hier schien niemand eine größere Silvesterrakete gezündet zu haben, denn auf den Feldern lag nicht ein Raketenkopf.

Bereits nach einem Kilometer musste er stehen bleiben und verschnaufen. Der Fußmarsch war anstrengender, als er vermutet hatte. Aber er konnte nun deutlicher die ersten Häuser erkennen. Und ein größeres Waldstück. Wann war ich zuletzt in einem Wald spazieren gewesen? Vor etlichen Jahren mit der Schule oder damals, als ich mit meiner Mutter Steinpilze sammeln wollte?, überlegte er, und zu der Neugierde und Aufregung gesellte sich in ihm ein Gefühl, als würde sein neues Leben mit einem Familienausflug beginnen. Außer Atem blieb er einige Meter vor der ersten Häuserreihe stehen. Er brauchte einige Sekunden, als müsste er sich Mut zusprechen, bevor er die Ortschaft betrat. Die Häuser, die er schließlich vor sich auftauchen sah, würde er allesamt als Bruchbuden bezeichnen, nur wenige hatten den Charme von alten Bauernkaten. Dennoch hatte er den Eindruck, die Bewohner wären glücklich und zufrieden in ihren Unterkünften, denn vereinzelt tauchten, als Versuch, aus den Häusern etwas Schönes zu machen, bunt verzierte Balkone oder Fensterläden auf. Aber in kein einziges Haus würde er einziehen wollen, geschweige denn es für eine Viertelmillion ersteigern. Er bezweifelte, dass er in einer dieser Baracken glücklich und zufrieden sein könnte. Plötzlich bekam er Angst, dass er für sein Vermögen ein Haus ersteigert hatte, das er auch noch ständig renovieren und reparieren müsse.

Bin ich überhaupt schon in Zaun?, fragte er sich, denn er hatte kein Ortsschild gesehen. Erst als Freitag an einer Kneipe mit dem Namen Zum Zaungast vorbeiging, ahnte er, dass er sein Ziel bereits erreicht hatte. Er betrat seine neue Heimat wie ein Tourist, sein Gepäck bestand aus einem rollbaren Koffer, in dem sich seine Winterklamotten befanden und das, was er aus seinem Badezimmer für nötig hielt, außerdem trug er in einem Rucksack leere Pfandflaschen und eine Teleskopangel.

Nur die Hauptstraße war asphaltiert. Von ihr gingen links zwei Sandwege und rechts die kleine Straße Am Waldsee ab. Freitag bog in sie ein und war froh, dass der Weg, der zum Haus von Götz Dammwald führte, immerhin festgefahren war. Freitag betrachtete die Reifenspuren, die zu den Häusern und zum Waldsee führten. Seinen Daihatsu hatte er gestern an einen Autohändler in seiner Straße für eine lächerliche Summe von zweihundertfünfzig Euro verkauft.

»Ein Wunder, dass Sie damit noch auf den Hof fahren konnten«, hatte der Autohändler gemeint und sich über ein gutes Geschäft gefreut.

Freitag entdeckte auch auf dem Weg zum See nicht ein Haus, das keine Renovierung nötig hätte. Er versuchte, sich an die Fotos in der Verkaufsanzeige zu erinnern. In Gedanken sah er die idyllischen Haus- und Landschaftsaufnahmen wieder vor sich und dachte daran, dass er alles hingeschmissen hatte, um ausgerechnet hier bei null zu beginnen. Er hatte oft diesen Wunsch nach einem Neubeginn gehabt, war aber nie konsequent in seinem Leben gewesen. Das Angebot von Götz Dammwald hingegen hatte endgültig und konsequent geklungen. Der Verkäufer hatte nicht nur sein Haus, sondern alles, was er besaß, angeboten, und das war nicht wenig, neben einem Seegrundstück auch ein Boot und sogar ein Ferienhaus. Nur die Kleidung, die er am Tag des Verkaufs getragen hatte, wollte der Anbieter behalten, alles andere hatte nun den Besitzer gewechselt.

Es waren nur noch wenige Meter, denn zwischen den Häusern konnte Freitag die Westseite des Waldsees erkennen und erahnen, wie groß und fischreich sein zukünftiges Angelrevier wäre. Er schätzte, dass er bestimmt eine halbe Stunde kräftig rudern müsste, um das gegenüberliegende Ufer zu erreichen.

Und dann stand er mit einem Mal vor der Hausnummer sieben und atmete tief aus: Es war ein frei stehendes Haus und nicht so heruntergekommen wie die anderen Häuser, im Gegenteil. Es war ein hochwertiges Gebäude, so modern und geradlinig, als wäre es erst vor Kurzem gebaut worden. Freitag blieb vor dem Gartenzaun stehen, der das Grundstück vom Weg trennte. Zum Nachbarhaus und zum See war alles offen. Die breite Auffahrt und die zwei rechteckigen Rasenflächen daneben wirkten ebenso gepflegt wie der Weg aus Gehwegplatten, der zur Haustür führte. Auch das Haus schien in einem tadellosen Zustand zu sein, auf den Fensterscheiben waren keine Schlieren zu sehen, und der Dachvorstand war strahlend weiß. Selbst die Dachziegel glänzten. Was für ein Aufwand, dachte Freitag. Er öffnete das Gartentor und betrat sein Grundstück. Es war sein Grund und Boden. Noch glaubte Freitag, dass es irgendwo einen Haken an dieser Geschichte gäbe. Aber der Briefkastenschlüssel lag tatsächlich in der Lampe neben der Haustür. Im Briefkasten befand sich zwischen Wurfsendungen und einer Einladung zum Jahresfest der Feuerwehr auch ein Schlüsselbund. Freitag zählte und war erstaunt darüber, dass ein Mensch fünfzehn Schlüssel brauchen konnte. Haustürschlüssel, Kellerschlüssel, Autoschlüssel, Schlüssel für Vorhänge- und Fahrradschlösser und Schlüssel für das Ferienhaus. Vielleicht sogar für ein Bootshaus, überlegte Freitag und musterte den kleinsten Schlüssel, der nach seiner Einschätzung in das Schloss für ein Schließfach oder für eine Geldkassette passen könnte. Freitag entschied sich beim ersten Versuch für den richtigen Schlüssel und öffnete die Haustür. Der Flur war hell und geräumig und der weiße Fliesenboden so sauber, dass Freitag seine Schuhe auszog und auf durchgeschwitzten Socken sein neues Reich betrat. An der Garderobe hingen die Jacken seines Vorgängers, eine Regenjacke, darunter eine Sportjacke und über zwei Garderobenhaken eine olivgrüne Outdoorjacke.

Selbst die Schuhe, die in Reih und Glied auf dem Boden standen, waren geputzt. Nur an den Gummistiefeln klebte ein verkrusteter Schmutzbelag. Freitag öffnete die anderen Türen und versuchte, den Geruch, der ihm aus den Räumen entgegenkam, zu deuten. War es der Geruch wie in einem Neuwagen, oder doch wie in einem Ferienhaus, in dem Reinigungsmittel die jahrelange Anwesenheit von vielen unterschiedlichen Bewohnern zu einem eigenen, im Haus festsitzenden Duft vereinten?

Freitag ging ins Wohnzimmer. Ein Raum, der vermutlich sechzig Prozent der Gesamtwohnfläche im Erdgeschoss beanspruchte. Sonnenlicht schien durch bodentiefe Fenster auf die weißen Wände und den hellen Parkettboden. Der Blick aus der Fensterfront, die über die komplette Rückwand des Hauses ging, war Freitag vertraut - er erkannte die Landschaft mit dem See und dem Bootssteg wieder. Er konnte es nicht fassen, hatte er wirklich das große Los gezogen? Ein für ihn irritierendes, aber schönes Glücksgefühl breitete sich in seinem Magen aus.

Das Wohnzimmer hatte Stil, da war sich Freitag sicher, ohne dass er sich je für Design oder Trends interessiert hatte. Es gab drei Bereiche, eine Essecke mit einem Tisch im Kolonialstil, einen Wohnbereich mit einer Ledersitzecke vor einem gusseisernen Kamin und im hinteren Bereich die Küche mit einer Kochinsel und vielen technischen Geräten. Freitag sah sich um und vermisste Bilder und Dekoration. Die Wände waren makellos weiß, ein einziges kurzes Regal zierte die Wand hinter dem Esstisch. Auf dem Brett standen drei Metallhalter für Fotos, aber statt Bildern klemmten künstliche Fliegen, die Freitag vom Angeln kannte, in den Haltern. Er suchte vergeblich einen Fernseher, aber er würde sich nicht wundern, wenn mit nur einem Knopfdruck ein Bildschirm zum Vorschein käme.

Freitag freute sich über die Espressomaschine in der Küche und über Haushaltsgeräte, für die er...
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