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Ice Song

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
246 Seiten
Deutsch
Dressler Verlagerschienen am05.02.2022
Als die 15-jährige Emmylou in Churchill, der Welthauptstadt der Eisbären, ankommt, will sie nur eines: wieder weg. Hier in der kanadischen Arktis ist es viel zu kalt, zu karg, zu weit ab von allem. Doch dann trifft sie Barnabas, einen jungen Inuk, der seine Schlittenhunde für den nervenaufreibenden Arctic Quest trainiert, ein Rennen, das Hund und Mensch alles abverlangt. Sie verliebt sich Hals über Kopf in den kleinen Welpen des Rudels. Und nicht nur der lässt ihr Herz schneller schlagen.

Miriam Körner wanderte 2003 von Deutschland nach Kanada, in die Heimat ihres Herzens, aus. Sie lebt mit Mann und Schlittenhunden in der Provinz Saskatchewan und versucht, die fast vergessene Schlittenhundkultur der indigenen Bevölkerung im Norden Kanadas durch ihre Bücher zu bewahren.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextAls die 15-jährige Emmylou in Churchill, der Welthauptstadt der Eisbären, ankommt, will sie nur eines: wieder weg. Hier in der kanadischen Arktis ist es viel zu kalt, zu karg, zu weit ab von allem. Doch dann trifft sie Barnabas, einen jungen Inuk, der seine Schlittenhunde für den nervenaufreibenden Arctic Quest trainiert, ein Rennen, das Hund und Mensch alles abverlangt. Sie verliebt sich Hals über Kopf in den kleinen Welpen des Rudels. Und nicht nur der lässt ihr Herz schneller schlagen.

Miriam Körner wanderte 2003 von Deutschland nach Kanada, in die Heimat ihres Herzens, aus. Sie lebt mit Mann und Schlittenhunden in der Provinz Saskatchewan und versucht, die fast vergessene Schlittenhundkultur der indigenen Bevölkerung im Norden Kanadas durch ihre Bücher zu bewahren.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783862729937
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum05.02.2022
Seiten246 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8236941
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 1

Der Zug ruckelt durch eine endlose Einöde. Weit und breit sind weder Häuser noch Straßen, noch sonst irgendwelche Zeichen menschlichen Lebens zu sehen - abgesehen von Telefonmasten aus Holz, die dem Verfall bedenklich nahe sind. Kärgliche Fichten, matschiger Schnee, Zuggleise. Kilometer um Kilometer, Stunde um Stunde gleitet die ungastliche Landschaft an mir vorbei.

Ein tiefer Seufzer entfährt mir. Kitty schaut von ihrem Zugmagazin auf, als wäre mein Seufzen eine Einladung zum Reden. Ist es aber nicht. Kitty ist übrigens die Person, die allein durch die unwiderrufliche Tatsache, dass sie mich zur Welt gebracht hat, dazu berechtigt ist, meine Mutter zu sein. Und sag mir nicht, dass keine halbwegs normale Erwachsene mit dreiunddreißig Jahren noch immer den Namen Kitty benutzt. Mir ist das klar.

»Emmylou â¦« Kitty lehnt sich zu mir, versucht, Blickkontakt aufzunehmen. Ich drehe mich zum Fenster.

Was denn, will ich fragen, aber ich habe, seit wir in Calgary in den Zug gestiegen sind, nicht mehr mit ihr gesprochen, und das war vor sechsundvierzig Stunden und fünfzehn Minuten - ohne Zeitverschiebung. Je länger wir nicht miteinander reden, desto schwieriger wird es, das Schweigen durchzuhalten.

»Willst du was essen?«, fragt Kitty.

Eindeutig eine Fangfrage. Wenn ich Ja sage, können wir einfach in den Speisewagen gehen und uns vormachen, dass alles in Ordnung ist. Will ich aber nicht. Ich habe genug von der Heuchelei.

»Na, komm schon, Emmylou. Irgendwann musst du doch eh wieder mit mir reden.« Sie beugt sich zu mir, um mir durch die Haare zu wuscheln. Ich ducke mich weg.

»Wenn du so sein willst, bitte. Ich bin im Speisewagen, falls du es dir doch noch anders überlegst.« Kitty wirft ihre Zeitschrift auf den Sitz, schlüpft in ihre Schuhe und stolziert den Gang hinunter. Mir fällt auf, dass sie abgenommen hat. Sie wirkt irgendwie zerbrechlicher. Das hat sie allerdings nicht davon abgehalten, unsere Sachen zu packen, unsere Koffer die Treppe aus unserer Einzimmerwohnung hinunterzuschleifen und uns in ein neues Leben zu katapultieren.

Ich strecke meine Beine auf Kittys Sitz aus und blättere durch ihre Zeitschrift, und dann - weil es einfach nichts Besseres zu tun gibt - zähle ich die Telefonmasten. Es hat denselben Effekt, wie Schafe vor dem Einschlafen zu zählen.

Als ich aufwache, frage ich mich, ob der Lokführer den Zug heimlich zurückgefahren hat. Die gleiche Sumpflandschaft mit vereinzelten Bäumen, der gleiche Schneematsch, die gleichen Telefonmasten.

Sumpf-Express. So nennen die Leute hier ihren Zug. Wirklich. Express, ha! Ich könnte schneller mit dem Fahrrad fahren, wenn es eine Straße gäbe, auf der man fahren könnte. Gibt es aber eindeutig nicht. Keine Straße führt nach Churchill hinein oder aus Churchill heraus. Nur ein einsames, ewig langes Bahngleis.

Nicht mal ein Vogel sitzt in den kahlen Büschen neben den zugefrorenen Tümpeln. Verkümmerte Fichten stehen in Gruppen zusammen wie kleine Inseln in einem Meer aus Schnee. Dunkle Wolken hängen so niedrig, dass sie fast den Boden berühren.

Ich stelle mir vor, wie ich durch den Sumpf laufe. Was, wenn plötzlich ein Eisbär ganz lässig auf mich zukommt, während ich verzweifelt versuche, mich aus dem Matsch zu befreien?

Ich wende mich von der trostlosen Landschaft ab. Ein paar Reihen vor mir spiegelt sich das Gesicht eines Jungen im Fenster. Ich schätze ihn auf fünfzehn oder sechzehn. Vielleicht ein bisschen älter als ich. Ob er auch gerade an einen Ort geschleift wird, an dem er nicht sein will?

Sein Haar ist dunkel, fast schwarz, sein Gesicht rundlich, und seine Augen sind schmal, als würde er in die Sonne blinzeln. Er sieht aus, als ob er aus einem anderen Land käme. Vielleicht â¦ oh! Ich bin ja blöd. Ich wette, er ist Eskimo. Nein, das sagt man ja nicht mehr. Inuit? Oder wie heißt es, wenn es nur einer ist?

Schlagartig wird mir klar, dass wir gerade unterwegs in die Arktis sind, was die immer weniger und kleiner werdenden Bäume erklärt. Und die Anwesenheit von Eisbären und Inuit in Churchill.

Ich rücke ein wenig nach vorne und versuche, die Reflexion des Jungen im Fenster besser zu erkennen. Was sieht er wohl, wenn er aus dem Fenster schaut? Sieht die Welt anders aus, wenn man hier oben im hohen Norden aufwächst? Sieht er Dinge, die ich gar nicht wahrnehme?

Der Junge dreht den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde treffen sich unsere Blicke. Ich gucke schnell weg. Besser keine Freundschaften schließen. Wir werden eh nicht lange bleiben.

 

Es ist gerade mal drei Tage her, dass ich mich von Maya verabschiedet habe.

»Weißt du, was ihr seid, deine Mutter und du? Ihr seid Drifter«, sagte sie, während ich versuchte, meine ganzen Habseligkeiten in die zwei verschlissenen, übergroßen Koffer zu quetschen.

Drifter. Mir gefällt, wie sich das Wort anhört. Besser als Herumtreiber.

Ich ließ das Packen sein und warf mich auf die Matratze, stellte mir vor, dass ich inmitten eines blauen Meeres triebe. Mein Bett war ein Floß, das mich zu neuen Horizonten in der Ferne trug â¦

»Erde an Emmylou! Hörst du mir überhaupt zu?« Maya ließ sich neben mich plumpsen. Als ich die Augen öffnete, war da keine Sonne, nur das grelle Licht der nackten Glühbirne, die mein Zimmer für achtzehn Monate, zwei Wochen und fünf Tage erleuchtet hatte. Ein neuer Rekord.

»Wir bleiben doch in Kontakt?« Maya lehnte sich zu mir rüber.

»Na klar«, sagte ich und rückte von ihr weg. Ich wusste schon, dass ich es nicht tun würde. In Kontakt bleiben, meine ich. In Wahrheit lassen wir uns nicht einfach treiben. Wir rennen davon. Nee, nicht wir. Kitty. Kitty rennt davon. Ich weiß nur nicht, wovor.

 

»Hier. Du musst ja hungrig sein wie ein Bär.« Kitty reicht mir ein Sandwich mit Eiersalat und einen Apfelsaft im Tetra Pak, komplett mit Strohhalm wie für Kindergartenkinder.

Ich seufze laut und vernehmlich. Nur noch zwei Jahre. Zwei Jahre, einen Monat und acht Tage, um genau zu sein. Dann bin ich achtzehn. Das Dumme ist, dass ich wirklich hungrig bin. Und Apfelsaft war schon immer mein Lieblingsgetränk.

Der Zuglautsprecher knackt, und die Stimme des Zugführers füllt das Abteil.

»Meine Damen und Herren, in Kürze erreichen wir unseren Ziel- und Endbahnhof. Herzlich willkommen in Churchill, Manitoba. Die lokale Temperatur beträgt minus neun Grad. Ich wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt und bedanke mich â¦« Der Lautsprecher knackt wieder, und die Stimme des Zugführers geht im Kreischen der Bremsen unter.

Meine Handflächen werden auf einmal ganz feucht. Plötzlich will ich nicht, dass die Zugfahrt schon zu Ende ist. Will nicht wieder an einem Bahnhof aussteigen und nicht wissen, wohin wir von hier aus gehen. Will nicht morgens verwirrt aufwachen: Wo bin ich? Warum bin ich hier? Die Frage nach dem Warum ist die einfachere: Wohin auch immer Kitty geht, folge ich. Fragen nicht erlaubt. Ziel- und Endbahnhof? Definitiv nicht in ihrem Vokabular.

»Emmylou! Sieh doch! Ein Eisbär!« Kitty drückt ihre Hand gegen das Zugfenster.

»Wo?«, frage ich und breche damit meinen Schweigeschwur.

Ein weißes Etwas läuft die Schotterpiste neben den Schienen entlang. Mein Herz fängt wie wild an zu klopfen, bis ich bemerke, dass es gar kein Bär ist.

»Das ist doch bloß ein Hund, Kitty.« Ein großer weißer Hund, der in einem Film über Polarexpeditionen mitspielen könnte. Dickes Fell und hochstehende Ohren.

»Na gut.« Kitty lacht. »Hätte aber durchaus einer sein können. Churchill, Manitoba, Eisbären-Hauptstadt der Welt. Mensch, Emmylou, das wird bestimmt ein echtes Abenteuer.«

»Was? Von einem Bären gefressen zu werden? Wenn du mich unbedingt loswerden willst, gibt es einen einfacheren Weg.« Ich warte auf ihre Reaktion, aber es dauert eine Weile, bevor sie versteht, was ich meine.

Ihr Grinsen verschwindet schlagartig. »Das meintest du doch gar nicht. Da steckte doch dieses Mädchen dahinter.«

»Maya.«

»Was?«

»Meine Freundin. Maya.«

»Ja, ja. Maya.« So wie sie ihren Namen sagt, hört es sich an, als hätte Maya ihr irgendwas Schlimmes angetan. Dabei hat sie doch nur rechtliche Emanzipation im Internet recherchiert und geguckt, was wir machen müssten, damit ich alleine leben kann.

»Das kann ich dir gleich sagen, Emmylou. Die Chance, von einem Eisbären gefressen zu werden, ist auf jeden Fall größer als die Chance, dass ich dieses Formular unterschreibe. Liegt an dir, was du daraus machst. Wenn du mir unbedingt die Ohren volljammern musst, gut, dann mach das halt.«

»Ich dir? Wer jammert denn hier? Lief doch alles gut, bis â¦« Ja, bis wann denn eigentlich? Ich versuche, an die Wochen und Tage vor dem Umzug zurückzudenken, aber da ist nichts. An einem Tag war alles in bester Ordnung und am nächsten eben nicht. Auf einmal waren wir auf einer Rutschpartie ins Abwärts, und da war nichts, was uns aufhalten konnte.

»Diesmal wird alles anders, Emmylou, das verspreche ich dir. Wir machen einen Neustart. Hier kennt uns kein Mensch - keine Vorurteile, keine falschen Annahmen über uns, einfach nur ein sauberer, neuer Start. Das ist doch super, oder? Wirst schon sehen.«

Der Zug hält neben einem alten Fachwerkhaus. Ein hölzernes Schild hängt am Balken des Vordachs. Churchill steht da drauf. Sonst nichts. Ich guck aus dem gegenüberliegenden Zugfenster. Durch den fallenden Schnee sehe ich, wie der Fluss graues, matschiges Eis an einem riesigen grauen Hafengebäude vorbei Richtung Meer schiebt.

Als wir aus dem Zug steigen, kommt eine Frau in einem übergroßen roten...
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