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Spyderling

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am17.02.20221. Auflage
Daytona Sepulveda ist Entwicklerin von Brettspielen und einigermaßen erfolgreich in ihrem Metier. In Fachkreisen wird sie ehrfürchtig »Die Verschwundene« genannt; ein Beiname, der auf tatsächlichen Ereignissen basiert: Daytona war wirklich eine Zeit lang verschollen und hat Schlimmes erlebt. Nun ist sie, genau wie sieben weitere Brettspielentwickler aus aller Welt, auf ein Weingut in der Republik Moldau eingeladen - von Spyderling, dem Guru der Spieleautoren, den allerdings noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Die Tage vergehen, und die kreativen Geister sind derweil auf sich allein gestellt, denn Spyderling lässt sich einfach nicht blicken - man schmaust, säuft, liegt am Pool herum, fällt übereinander her. Doch als ein furchterregendes Brettspiel namens Maunstein auftaucht, beginnt die Wirklichkeit auf dem Weingut durchlässig zu werden: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschieben sich ineinander, wundersame Grausamkeiten geschehen, eine extremistische Rockband macht sich auf dem Anwesen breit - und plötzlich geht es für Daytona um alles. Was genau reizt Menschen daran, sich um ein Brett zu versammeln, nach besonderen Regeln zu interagieren und miteinander im Spiel neue Welten zu erschaffen? Auf einzigartige Weise entfesselt Sascha Macht diese Frage in seinem neuen Roman und er-zeugt eine faszinierende Verbindung zwischen den Kunstformen der Literatur und des Spiels. Voller Fantasie und klug komponiert jagt >SpyderlingDer Krieg im Garten des Königs der Toten< (DuMont 2016) wurde Sascha Macht mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet. Ebenfalls 2016 wurde er zum Wettbewerb um den Ingmehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextDaytona Sepulveda ist Entwicklerin von Brettspielen und einigermaßen erfolgreich in ihrem Metier. In Fachkreisen wird sie ehrfürchtig »Die Verschwundene« genannt; ein Beiname, der auf tatsächlichen Ereignissen basiert: Daytona war wirklich eine Zeit lang verschollen und hat Schlimmes erlebt. Nun ist sie, genau wie sieben weitere Brettspielentwickler aus aller Welt, auf ein Weingut in der Republik Moldau eingeladen - von Spyderling, dem Guru der Spieleautoren, den allerdings noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Die Tage vergehen, und die kreativen Geister sind derweil auf sich allein gestellt, denn Spyderling lässt sich einfach nicht blicken - man schmaust, säuft, liegt am Pool herum, fällt übereinander her. Doch als ein furchterregendes Brettspiel namens Maunstein auftaucht, beginnt die Wirklichkeit auf dem Weingut durchlässig zu werden: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschieben sich ineinander, wundersame Grausamkeiten geschehen, eine extremistische Rockband macht sich auf dem Anwesen breit - und plötzlich geht es für Daytona um alles. Was genau reizt Menschen daran, sich um ein Brett zu versammeln, nach besonderen Regeln zu interagieren und miteinander im Spiel neue Welten zu erschaffen? Auf einzigartige Weise entfesselt Sascha Macht diese Frage in seinem neuen Roman und er-zeugt eine faszinierende Verbindung zwischen den Kunstformen der Literatur und des Spiels. Voller Fantasie und klug komponiert jagt >SpyderlingDer Krieg im Garten des Königs der Toten< (DuMont 2016) wurde Sascha Macht mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet. Ebenfalls 2016 wurde er zum Wettbewerb um den Ing
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832182328
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum17.02.2022
Auflage1. Auflage
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2507 Kbytes
Artikel-Nr.8450384
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


DIE INSEL, AUF DER ICH GEBOREN WURDE,

erhob sich während der 1940er Jahre aus den kalten, finsteren Tiefen des Ozeans. Vulkanische Aktivitäten und tektonische Erschütterungen, ausgelöst durch die Atomwaffentests des US-amerikanischen Militärs, brachten innerhalb kurzer Zeit an einem vergessenen Ende der Welt neues Land hervor, leuchtende Berge, öde Ebenen, flüsternde Steilküsten und bunte Sümpfe. Gras begann zu wuchern, Bäumchen kringelten sich in den Himmel, Sträucher breiteten sich aus. Weiße Bienen, fleischfressende Laufvögel und schwimmfähige Säugetiere bewohnten diese Insel bereits, als der erste Mensch seinen Fuß auf sie setzte, ein moderner Pirat vielleicht, ein verrückt gewordener Ornithologe, ein desertierter Soldat oder ein europäischer Oligarchenspross auf Irrfahrt mit seiner Jacht. Ein altes, seltsames Stück Erde war aus den Wassern getaucht, die es vor Millionen von Jahren verschluckt hatten, eine fadenscheinige Republik wurde errichtet und wieder zerstört, der Wind wehte über den Strand, ein Flughund schrie, jemand griff nach der Hand eines anderen.

Zu jener Zeit, als meiner Insel erneut der Untergang bevorstand, war ich gerade siebzehn geworden und hatte entschieden, mein bisschen Zukunft einzig und allein den Horrorfilmen zu widmen, die mir den Atem, den Schlaf und unaufhaltsam auch den Verstand raubten. Ich war ein großer Bewunderer des schmalen Werkes von Marcel Kürten, das eine Reihe furchterregender Episodenfilme bildete, in denen Tiere, Pflanzen und Gegenstände durch kosmische Einflüsse menschliche Form annehmen und ihre Umwelt zugrunde richten. Auch nach den Arbeiten der israelischen Regisseurin Jael Guldenburg war ich verrückt, die allesamt in ziemlich unwirtlichen Gegenden spielen, am Grunde des Toten Meeres, auf einem fernen, finsteren Planeten aus blank poliertem Metall, im verzweigten Kellersystem eines Hochhauses mitten in der Wüste, auf einem Kreuzfahrtschiff, das in der Unendlichkeit des Pazifischen Ozeans verschollen ist, am Rande einer Eislandschaft, bewohnt von pelzigen Riesen mit roten Augen, oder in der entzündeten Bauchhöhle eines Sterbenden. Regelrecht schwindlig machten mich auch die kurzen Streifen Roberto Madrigals, Neuinterpretationen japanischer Gespenstergeschichten, in denen Gruppen einfacher Leute zufällig aufeinandertreffen und sich unheimlicher Gestalten erwehren müssen, die sich aus einer uralten Natur geschält haben, aus singenden Bächen, dichten Waldstücken, dem hohlen Inneren grüner Hügel oder feuchten Erdmulden.

All diese Filme besaß ich und noch viele mehr, hatte die VHS-Kassetten in einem Regal geordnet und sah sie mir immer und immer wieder an, am Morgen nach dem Aufstehen, beim Mittagessen, an heißen Nachmittagen oder tief in der Nacht, wenn ich nicht einschlafen konnte. Hin und wieder schaute ich beim Schönen Hans vorbei, Inhaber einer winzigen Filiale der Ladenkette Schönheit & Hoffnung, der neben Körperpflegeprodukten aus sowjetischen Beständen, Staubmänteln, bulgarischen Zigaretten, Konservendosen, alten Fernsehzeitschriften und Haarteilen eben auch Videokassetten verkaufte, Hollywoodklassiker, Pornos, lateinamerikanische TV-Serien, Animes und Horrorfilme. Lastwagen westlicher Hilfsorganisationen brachten die Waren auf die Insel, bewaffnete Banditen aus den umliegenden Hügeln und Wäldern überfielen die Konvois und verscherbelten das Zeug weiter an Leute wie den Schönen Hans, der es in seinem Laden lagerte. Meistens schenkte er mir die Filme, die ich gerne haben wollte, war ich doch sowieso der Einzige, der sich dafür interessierte.

Bruno, sagte er dann, nimm den Scheiß und geh, ich will ihn nicht länger in meinen Regalen haben.

Das Dorf, in dem ich aufwuchs, trug den Namen Kajagoogoo und war 1989, als im Rest der Welt das fahle Kerzenlicht des Kommunismus zu erlöschen begann, von meinen Eltern und einer Handvoll ihrer Freunde gegründet worden als eine Art New-Age-Zuflucht am Ende der Geschichte. Dies war die Zeit, als auch auf meiner Insel die Regierungen halbjährlich wechselten, die Nationalisten von den Sozialisten, die Sozialisten von den Liberalen, die Liberalen von den letzten Kommunisten und die letzten Kommunisten wiederum von den Nationalisten abgelöst wurden. Niemand in der nahen Provinzhauptstadt Savannah oder in der fernen Hauptstadt unserer Republik scherte sich darum, dass irgendwo in der Einöde ein Dorf gegründet worden war, und genau deshalb gelang es meinen Eltern, weitgehend unbehelligt am Rande der Großen Savanne zu überleben, dem toten Auge eines Orkans, den die Politiker unserer Insel in den folgenden Jahren gehörig wirbeln ließen.

Als ich vierzehn war, bekam ich von meinem Vater einen Camcorder geschenkt, den er einem norwegischen Rucksacktouristen gestohlen hatte, der durch unser Dorf gekommen war. Es war ein einfaches Ding mit flachem, aufklappbarem Bildschirm und Minikassetten, die ich erst auf unserem Fernseher abspielen konnte, als in Hans Laden ein spezieller Videorekorder aufgetaucht war, den er mir überließ, nachdem ich ein Jahr lang für ihn geschuftet hatte. Filme schneiden konnte ich dann, nachdem ein weiterer Tourist, ein Spanier, Chilene oder Argentinier (so genau wusste das niemand), eine einsame Nacht in unserem Dorf verbracht hatte und ohne seinen Laptop weiterziehen musste. Von da an war ich nicht mehr zu halten: Ich filmte die Landschaft rund um das Dorf, die Sonnenauf-, die Sonnenuntergänge, den Wind, der die Sträucher schüttelte, das Vieh auf den Weiden, die Hasen und Rehe im Wald, die Fische im Fluss und die Schwalben am Himmel, nahm die Dorfbewohner bei ihrer Arbeit auf, die Autos, die in der Ferne die Nationalstraße entlangfuhren, die Müllhaufen, die überall aufgetürmt waren und in denen die Ratten wühlten. Abends dann unterlegte ich am Laptop die Bilder mit meiner Stimme, die von dem erzählte, was mir in der letzten Zeit passiert war, ohne dass es etwas mit dem Gefilmten zu tun gehabt hätte. Später ließ ich den Ton ganz weg, denn die Bilder erschienen mir zunehmend fremd und undeutlich, und ich war mir unsicher, ob sie wirklich das abbildeten, was ich gesehen hatte, obwohl es ja das alltägliche Leben in unserem Dorf zu sein schien, was sie zeigten. So führte ich mehr ein filmisches Tagebuch, als mich wirklich mit dem Filmemachen zu beschäftigen. Meine Faszination für den Horror entwickelte ich erst, nachdem meine Eltern verschwunden waren.

Die Nacht, in der meine Eltern nicht mehr nach Kajagoogoo zurückkehrten, war die Nacht vor meinem sechzehnten Geburtstag. Ab und zu fuhren die beiden morgens mit dem Bus in die Provinzhauptstadt, um irgendwelche Dinge zu erledigen, den Kopf freizubekommen, Zeit miteinander zu verbringen, doch immer waren sie am frühen Abend wieder da, mit einem kleinen Geschenk für mich. Nichts deutete an diesem Tag darauf hin, dass sie nicht wieder zurückkommen würden: Meine Mutter bereitete den Reiseproviant vor, während mein Vater mir erklärte, dass ich die Hühner einfangen solle, wenn es dunkel wurde, aber wahrscheinlich seien sie beide bis dahin eh längst zurück. Ich filmte sie, als sie unser Haus verließen und sich auf den Weg zur Bushaltestelle machten, meine Mutter in ihrem langen, grauen Kleid, mein Vater mit Strohhut auf dem Kopf und einem Einkaufsbeutel in der Hand, wie sie die staubige, von der Sonne beschienene Straße hinuntergingen, am Brunnen, am Laden des Schönen Hans und am Bauwagenplatz vorbei. Als ich sie nicht mehr sah, ging ich ins Haus zurück, legte mich in mein Bett und nahm mich zum ersten Mal beim Masturbieren auf, ein merkwürdiges, nervöses Gefühl, gemischt aus Neugier, Übermut und Scham. Den Rest des Tages brachte ich damit zu, im Haus zu filmen, und abends saß ich vor dem Laptop und erkannte nichts auf den Bildern wieder, die über das Display flimmerten. Gegen zwei Uhr ging ich ins Bett, freute mich auf meinen Geburtstag und wunderte mich, dass meine Eltern noch nicht zurück waren. Auch am Morgen fand ich keine Spur von ihnen im Haus. Die Hühner waren ebenfalls nicht mehr da, weil ich vergessen hatte, sie in ihr Gatter zu sperren. Ich aß zum Frühstück eine Banane, trank Kaffee und blickte zum Fenster hinaus. Ein paar Dorfbewohner waren unterwegs, verräumten Gerümpel, fegten vor ihren Haustüren oder standen starr am Straßenrand und blickten zu Boden. Ich filmte sie durch die schmutzige Fensterscheibe, dann ging ich hinunter ins Dorf, um nach dem Verbleib des letzten Busses zu fragen.

Der ist gestern vorgefahren, sagte der Schöne Hans, zur Abwechslung sogar mal pünktlich.

Ich erklärte ihm, dass meine Eltern nicht nach Hause gekommen seien.

Der Schöne Hans zuckte mit den Schultern und meinte, ich solle mich entspannen, meine Eltern seien im Grunde ihrer Herzen unerschrockene Hippies, die sicher noch irgendwo Arm in Arm mit ein paar anderen nackten Leuten in einem großen Bett lägen und ihren Rausch ausschliefen.

Ich fragte Hans, ob er das noch einmal wiederholen könne und ich ihn dabei filmen dürfe, doch er jagte mich davon.

Die folgenden Monate vergingen wie im Flug: Menschen verließen das Dorf, um anderswo ihr Glück zu suchen, ein paar Alte starben, ein paar Kinder wurden geboren, es gab manchmal sehr schlechtes Wetter, oft jedoch schien einfach nur die Sonne und nichts geschah. Kurz nach dem Verschwinden meiner Eltern beschäftigte ich mich einige Wochen lang mit den Nachrichten aus anderen Teilen der Insel, hörte Radio oder las die anarchistische Tageszeitung Lampion. So erfuhr ich vom Sturz des zwölfjährigen Staatsoberhauptes Immanuel Sullus durch seine Vizepräsidentin Emmy Jaeger, der es gelungen war, das Militär auf ihre Seite zu ziehen, von der überraschenden Unabhängigkeitserklärung der nordwestlichen Bergprovinz, die von der Zentralregierung nicht anerkannt...
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Autor

Sascha Macht, 1986 in Frankfurt (Oder) geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er veröffentlichte in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften und war u. a. Stipendiat des Deutschen Literaturfonds, der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und des Literarischen Colloquiums Berlin. Für seinen Roman >Der Krieg im Garten des Königs der Toten