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Der letzte weiße Mann

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am16.08.20221. Auflage
Als Anders eines Morgens erwacht, stellt er fest, dass er sich verwandelt hat: Er ist nicht mehr weiß. Vollkommen erschüttert schließt er sich in seiner Wohnung ein, meldet sich krank. Nur Oona erzählt er von seiner Verwandlung, einer guten Freundin und gelegentlichen Geliebten. Irgendwann wagt er sich wieder hinaus in die Welt und zur Arbeit. »Wenn mir das passiert wäre, ich hätte mich umgebracht«, sagt sein Chef. Immer mehr Berichte über ähnliche Verwandlungen tauchen auf: Die weiße Mehrheit im Land scheint zur Minderheit zu werden. Und sie fühlt sich bedroht. Steht ein Umsturz der bestehenden Ordnung bevor? Bald herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände in der Stadt. Oona, mittlerweile selbst verwandelt, steht Anders zur Seite, in den Wirren dieser Zeit werden sie zu einem Liebespaar. Schließlich gibt es kaum mehr weiße Menschen in der Stadt, Anders' Vater stirbt schwerkrank als der letzte weiße Mann. Die Unruhen klingen ab - aber gelingt es den Menschen nun, einander wirklich zu sehen?

MOHSIN HAMID, geboren in Lahore, Pakistan, studierte Jura in Harvard und Literatur in Princeton. Heute lebt er mit seiner Familie in Lahore und London. Seine Romane wurden in über 30 Sprachen übersetzt. >Der Fundamentalist, der keiner sein wollteExit WestSo wirst du stinkreich im boomenden AsienEs war einmal in einem anderen LebenDer Fundamentalist, der keiner sein
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextAls Anders eines Morgens erwacht, stellt er fest, dass er sich verwandelt hat: Er ist nicht mehr weiß. Vollkommen erschüttert schließt er sich in seiner Wohnung ein, meldet sich krank. Nur Oona erzählt er von seiner Verwandlung, einer guten Freundin und gelegentlichen Geliebten. Irgendwann wagt er sich wieder hinaus in die Welt und zur Arbeit. »Wenn mir das passiert wäre, ich hätte mich umgebracht«, sagt sein Chef. Immer mehr Berichte über ähnliche Verwandlungen tauchen auf: Die weiße Mehrheit im Land scheint zur Minderheit zu werden. Und sie fühlt sich bedroht. Steht ein Umsturz der bestehenden Ordnung bevor? Bald herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände in der Stadt. Oona, mittlerweile selbst verwandelt, steht Anders zur Seite, in den Wirren dieser Zeit werden sie zu einem Liebespaar. Schließlich gibt es kaum mehr weiße Menschen in der Stadt, Anders' Vater stirbt schwerkrank als der letzte weiße Mann. Die Unruhen klingen ab - aber gelingt es den Menschen nun, einander wirklich zu sehen?

MOHSIN HAMID, geboren in Lahore, Pakistan, studierte Jura in Harvard und Literatur in Princeton. Heute lebt er mit seiner Familie in Lahore und London. Seine Romane wurden in über 30 Sprachen übersetzt. >Der Fundamentalist, der keiner sein wollteExit WestSo wirst du stinkreich im boomenden AsienEs war einmal in einem anderen LebenDer Fundamentalist, der keiner sein
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832182526
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum16.08.2022
Auflage1. Auflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1560 Kbytes
Artikel-Nr.8951203
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

EINES MORGENS WACHTE ANDERS, ein weißer Mann, auf und stellte fest, dass seine Haut sich unleugbar tiefbraun gefärbt hatte. Dies dämmerte ihm erst allmählich und dann ganz plötzlich, anfangs, als er nach seinem Handy griff, war es das Gefühl, dass das Morgenlicht seinen Unterarm in eine seltsame Farbe tauchte, dann, zu seinem Schrecken, kurz der Glaube, es läge jemand neben ihm im Bett, männlich, dunkelhäutig, wobei das zwar erschreckend schien, aber natürlich unmöglich war, und als er sah, dass, wenn er sich bewegte, der andere sich auch bewegte, wurde ihm klar, dass es in Wirklichkeit kein Mensch war, jedenfalls kein anderer Mensch, sondern nur er selbst, Anders, was er mit großer Erleichterung zur Kenntnis nahm, denn wenn er es sich nur eingebildet hatte, dass da noch jemand war, dann war natürlich der Eindruck, seine Hautfarbe habe sich verändert, genauso ein Trugbild, eine optische Täuschung, eine mentale Verzerrung, dem flüchtigen Zustand zwischen Traum und Wachsein geschuldet, nur dass er jetzt sein Handy in der Hand hielt und die Kamera auf Selfie-Modus gestellt hatte, und das Gesicht, das ihn daraus ansah, definitiv nicht seins war.

Anders krabbelte aus dem Bett und eilte in Richtung Badezimmer, zwang sich dann aber, ruhig zu bleiben, langsamer zu gehen, bedächtiger, ob er das jedoch tat, um Kontrolle über die Situation zu demonstrieren, durch schiere Willenskraft die Normalität wiederherzustellen, oder weil die Rennerei ihn nur noch panischer machen und er sich dadurch erst als Opfer fühlen würde, das wusste er nicht.

Das Badezimmer war etwas abgeranzt, aber wohlig vertraut, die Risse in den Fliesen, der Dreck in den Fugen, und am Waschbecken klebte ein Streifen getrocknete Zahnpasta. Das Medizinschränkchen stand offen, sodass er erst die Tür schließen musste, um sein Spiegelbild zu sehen. Was er sah, war nicht der Anders, den er kannte.

Es war nicht mal so sehr der Schock oder das Entsetzen, das natürlich auch, vor allem aber erfüllte ihn sein neues Gesicht mit Wut, um nicht zu sagen Mordgedanken. Am liebsten hätte er ihn umgebracht, diesen dunkelhäutigen Mann, der ihm hier in seinem eigenen Zuhause gegenüberstand, alles Leben in diesem anderen Körper ausgelöscht, bis nur noch er selbst übrig war, und zwar so wie vorher, also rammte er ihm die Faust ins Gesicht, sodass es einen Riss bekam und die ganze Konstruktion, Schrank, Spiegel und alles, schief hing wie ein Gemälde nach einem Erdbeben.

Anders spürte kaum die Schmerzen in der Hand, so aufgewühlt war er, er zitterte, erst kaum merklich, dann stärker, als stünde er vollkommen ungeschützt draußen in der Winterkälte, und so zog es ihn zurück ins Bett, unter die Decke, wo er lange liegen blieb und sich versteckte, damit dieser Tag, der gerade erst begonnen hatte, bitte, bitte doch nicht begann.

*

Anders wartete darauf, dass der Spuk ein Ende nahm, dass alles wieder war wie vorher, jedoch vergeblich, die Stunden vergingen, und irgendwann wurde ihm klar, dass man ihn bestohlen hatte, dass er Opfer eines Verbrechens geworden war, das ihm immer schrecklicher erschien, weil es ihm alles genommen hatte, sogar ihn selbst, denn wie konnte er jetzt noch behaupten, Anders zu sein, wie konnte er Anders sein, wo ihm dieser andere Mann entgegenstarrte, aus dem Handy und im Spiegel, dabei versuchte er ja schon, nicht ständig nachzusehen, tat es dann aber doch, nur um erneut mit seinem Elend konfrontiert zu werden, und selbst wenn er es nicht tat, entkam er doch dem Anblick seiner dunklen Arme und Hände nicht, was ihn umso mehr erschreckte, als er sie zwar jetzt unter Kontrolle hatte, es aber keine Garantie gab, dass dies so bleiben würde, und er war nicht sicher, ob die Vorstellung, erwürgt zu werden, die ihm wie eine böse Ahnung immer wieder durch den Kopf schoss, ihm Angst machte oder ob es genau das war, was er wollte.

Ohne jeden Appetit versuchte er, ein Sandwich zu essen und möglichst ruhig und gelassen zu bleiben, bestimmt würde alles gut werden, sagte er sich, allerdings nicht sehr überzeugt. Er hätte gern geglaubt, sich irgendwie zurückverwandeln oder geheilt werden zu können, bezweifelte es aber jetzt schon, und als er sich fragte, ob er sich das alles vielleicht nur einbildete, und es testete, indem er ein Foto von sich machte und in ein digitales Album packte, konnte der Algorithmus, der bisher immer so sicher und zuverlässig seinen Namen vorgeschlagen hatte, ihn nicht identifizieren.

Normalerweise machte es Anders nichts aus, allein zu sein, aber in seinem Zustand kam es ihm vor, als wäre er nicht allein, sondern in feindseliger Gesellschaft, zu Hause eingesperrt, er traute sich nicht rauszugehen, also lief er vom Computer zum Kühlschrank zum Bett und zum Sofa, quer durch die kleine Wohnung, weil er es einfach nicht aushielt, auch nur eine Minute an einer Stelle zu bleiben, aber sich selbst, Anders, konnte Anders nicht entkommen. Das ungute Gefühl folgte ihm auf Schritt und Tritt.

Und so fing er irgendwann an, sich selbst zu untersuchen, die Struktur der Haare auf der Kopfhaut, die Stoppeln im Gesicht, das Muster der Linien an den trockenen Händen, die kaum noch sichtbaren Adern, die Farbe der Zehennägel, die Muskeln an den Waden und, nachdem er sich hektisch die Hose runtergezogen hatte, seinen Penis, der ihm in Größe und Gewicht unauffällig vorkam, außer eben dass es nicht seiner war, was natürlich grotesk war und vollkommen unakzeptabel, wie ein Meerestier, das es nicht hätte geben dürfen.

*

Am ersten Tag meldete Anders sich krank. Am zweiten Tag schrieb er, er sei kränker als angenommen und fiele wahrscheinlich die ganze Woche aus, woraufhin sein Chef anrief, und als Anders nicht ranging, schickte er ihm eine Nachricht, er hoffe für ihn, dass er im Sterben liege, danach ließ er ihn dann in Ruhe, schrieb allerdings eine Stunde später noch: Wer nicht arbeitet, kriegt auch kein Geld.

Seit seiner Verwandlung hatte Anders niemanden gesehen und war auch nicht scharf darauf, leider waren jedoch Milch, Hähnchenbrust und Thunfisch alle, und ein vernünftiger Mensch konnte eben nur eine bestimmte Menge an Proteinpulver zu sich nehmen, was bedeutete, dass er die Wohnung verlassen und sich der Welt stellen musste oder zumindest dem Verkäufer im Supermarkt. Er setzte sich eine Cap auf und zog sie tief in die Stirn.

Sein Auto, das früher mal seiner Mutter gehört hatte, war ungefähr halb so alt wie er, die Arbeiter, die es montiert hatten, längst im Ruhestand, entlassen oder durch Roboter ersetzt, und wenn man beschleunigte, schaukelte es ein bisschen, und noch mehr, wenn man die Fahrtrichtung änderte, wie ein Tänzer mit biegsamer Taille oder ein Betrunkener, aber der Austauschmotor reagierte erfreulich schnell, er schien einen guten Eindruck machen zu wollen, außerdem hatte Anders´ Mutter gern klassische Musik gehört, also hatte sein Vater dafür gesorgt, dass die Anlage gut klang, klare Höhen, saubere Mitten und, wie es Anders vorkam, ein für heutige Verhältnisse dezenter, bewusster Mangel an Wumms in den Bässen.

Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt merkte er, wie ihn jemand ansah und dann wegsah, dasselbe passierte ihm im Gang mit den Milchprodukten. Er wusste nicht, was die Leute dachten, ob sie überhaupt irgendetwas dachten, und wahrscheinlich bildete er sich die Feindseligkeit und Ablehnung in ihren Blicken nur ein. Er erkannte den Kassierer, der seine Einkäufe abscannte, der Kassierer ihn allerdings nicht, und als Anders ihm seine Kreditkarte reichte, bekam er kurz Panik, aber der Mann warf nicht mal einen Blick darauf, weder auf den Namen noch auf die Unterschrift, und reagierte auch nicht auf sein gemurmeltes Danke und Wiedersehen, er zuckte nicht mal mit der Wimper, als hätte Anders gar nichts gesagt.

Als Anders ins Auto stieg, kam ihm der Gedanke, dass die Leute, die er gesehen hatte, alle weiß waren und er vielleicht paranoid war und in manchen Gesten eine Bedeutung las, die sie gar nicht hatten, und an der nächsten Ampel schaute er in den Rückspiegel und suchte in seinem Blick nach etwas Weißem, irgendwo musste es doch sein, vielleicht in seinem Gesichtsausdruck, aber da war nichts, und je länger er hinsah, desto weniger weiß kam er sich vor, als wäre das Suchen danach das genaue Gegenteil von Weißsein, als rückte es dadurch nur noch weiter weg, es ließ ihn verzweifelt wirken, unsicher, so als gehörte er nicht hierher, wo er doch hier geboren war, verdammt, dann hörte er hinter sich ein lautes, anhaltendes Hupen und fuhr über die Ampel, die schon eine Weile grün war, und die Frau im Wagen hinter ihm scherte aus, um ihn zu überholen, ließ wütend das Fenster runter, fluchte wie eine Irre und schoss davon, und er tat nichts, gar nichts, brüllte nicht zurück, lächelte nicht entwaffnend, nichts, als wäre er geistig zurückgeblieben, dabei war sie hübsch, ziemlich hübsch sogar, jedenfalls bevor sie ihn anbrüllte, und als er nach Hause kam, fragte er sich, wie er wohl reagiert hätte, wie er hätte reagieren können, wenn sie gewusst hätte, dass er weiß war, oder wenn er selbst es gewusst hätte, denn plötzlich, und das war wirklich eine schwerwiegende Erkenntnis, war er sich nicht mehr sicher.

Anders nahm einen Zug von seinem Joint und inhalierte tief und lange, aber vielleicht war das ein Fehler, denn als das Mittagessen fertig war, hatte er keinen Hunger mehr, stattdessen packte ihn eine nervöse Unruhe, die er, wie er aus Erfahrung wusste, am besten durch Weiterrauchen bekämpfte, also rauchte er weiter, starrte auf sein Handy und surfte durchs Internet, und am Ende gab es das Mittagessen zum Abendessen.

Anders hätte gern mit seiner Mutter gesprochen, gäbe es einen Menschen, mit dem er jetzt hätte reden können, dann sie, aber sie war vor ein paar Jahren gestorben,...
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Autor

MOHSIN HAMID, geboren in Lahore, Pakistan, studierte Jura in Harvard und Literatur in Princeton. Heute lebt er mit seiner Familie in Lahore und London. Seine Romane wurden in über 30 Sprachen übersetzt. >Der Fundamentalist, der keiner sein wollteExit WestSo wirst du stinkreich im boomenden AsienEs war einmal in einem anderen LebenDer Fundamentalist, der keiner sein