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Märchenhaft

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
119 Seiten
Deutsch
epublierschienen am03.03.20221. Auflage
Die Jägerstochter rettet die Prinzessin und gewinnt das halbe Königreich, der Kalif von Bagdad verliebt sich in einen verzauberten Jüngling, und Feen mit Bodypainting huschen durchs Wiesengras. Die Geschichten der preisgekrönten Autorin spielen fantasievoll mit den Gebrüdern Grimm, Hans Christian Andersen, der griechischen Sagenwelt und 1001 Nacht. Euch erwartet eine kunterbunte Mischung aus Märchenmagie und prickelnder Romantik.

Ulrike Raimer-Nolte ist eine preisgekrönte Übersetzerin für Englisch und Skandinavisch. Mit 'FünfSeelen' (Originaltitel: 'Die fünf Seelen des Ahnen') hat sie den Deutschen Science Fiction-Preis gewonnen - als einzige Frau in 30 Jahren! Weitere Bücher sind 'Märchenhaft' und 'Die vertrixte Adventsmaschine'. Sie lebt mit ihrer Ehefrau und einem Sohn in Hamburg.
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Produkt

KlappentextDie Jägerstochter rettet die Prinzessin und gewinnt das halbe Königreich, der Kalif von Bagdad verliebt sich in einen verzauberten Jüngling, und Feen mit Bodypainting huschen durchs Wiesengras. Die Geschichten der preisgekrönten Autorin spielen fantasievoll mit den Gebrüdern Grimm, Hans Christian Andersen, der griechischen Sagenwelt und 1001 Nacht. Euch erwartet eine kunterbunte Mischung aus Märchenmagie und prickelnder Romantik.

Ulrike Raimer-Nolte ist eine preisgekrönte Übersetzerin für Englisch und Skandinavisch. Mit 'FünfSeelen' (Originaltitel: 'Die fünf Seelen des Ahnen') hat sie den Deutschen Science Fiction-Preis gewonnen - als einzige Frau in 30 Jahren! Weitere Bücher sind 'Märchenhaft' und 'Die vertrixte Adventsmaschine'. Sie lebt mit ihrer Ehefrau und einem Sohn in Hamburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783754956045
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum03.03.2022
Auflage1. Auflage
Seiten119 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2579 Kbytes
Artikel-Nr.8979943
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Der Meerprinz

 

Manchmal, wenn man mit einem Schiff über den tiefen, dunklen Ozean fährt, sieht man es dort unten geheimnisvoll glitzern und leuchten. Das mag nur ein Funkeln der Sonne auf den Wellen sein, doch vielleicht ist es auch der wandernde Palast des Meerprinzen â¦

   Seht ihr, wie aus der Tiefe ein gläsernes, leuchtendes Gebilde heraufsteigt? Ein rundes Kuppeldach wölbt sich hauchzart darüber, wächst und schrumpft in einem pulsierenden Rhythmus, der das Schloss vorantreibt. Viele schimmernde Kammern befinden sich darin, in denen der Hofstaat des Nixenvolkes lebt. Und in einem dieser durchsichtigen Gemächer wuchs der Meerprinz auf. Kaum war er aus seinem perlmutternen Ei geschlüpft, steckte er schon voller Neugier und Tatendrang, so dass seine Amme ihm kreuz und quer durch den Palast nachschwimmen musste, während er jeden Winkel erkundete: die Garderoben der Hofdamen, die Wohnkörbe für dressierte Kraken und die Rüstkammer der Dreizackträger, die draußen auf die Jagd gingen und Fische für die Speisetafel hereinbrachten. Die Amme ließ ihn gewähren, doch warnte sie stets: Versuche nie, das Schloss zu verlassen, denn die Welt draußen steckt voller Gefahren. Nur hier hinter den gläsernen Wänden sind wir sicher.

   Tatsächlich wagte sich kein noch so hungriges Raubgetier in die Nähe des Palastes. Einmal hatte der Prinz gesehen, wie ein Hai versuchte, ein unvorsichtiges Nixenfräulein zu erwischen, das auf den Meeresgrund getaucht war, um Korallenschmuck zu ernten. Sie hatte sich noch rechtzeitig hinauf gerettet, so dass der Hai im Blutrausch gegen eine der trügerisch zarten Wandhäute geprallt war. Sofort hatte das Nesselgift ihn betäubt, das Schloss hatte ein Dutzend Fangarme ausgestreckt und ihn verspeist.

   So hielt sich der Prinz an die Warnung seiner Amme, selbst als er schon ein junger Mann geworden war, und verließ den Palast nie. Doch konnte er stundenlang voller Sehnsucht auf die bunte Welt starren, die draußen vorüber zog. Da gab es Leuchtfische in der pechschwarzen Tiefe, Felslandschaften voller Seeanemonen, Tangwälder mit spielenden Robben, geheimnisvolle Lavahöhlen und singende Wale. Kurz nach seinem mit großem Pomp gefeierten dreißigsten Geburtstag (an dem die Meerleute volljährig werden, denn sie leben doppelt so lange wie wir Menschen und reifen daher auch langsamer heran) geschah es jedoch, dass seine Sehnsucht übermächtig wurde. An diesem Tag nämlich schwebte der lebende Palast über ein hölzernes Wrack hinweg, das halb verschüttet auf dem Sandboden lag. Deutlich sah man die Überreste der vier Masten, das gespenstisch in der Strömung wehende Segeltuch und die geschnitzte Gallionsfigur in Gestalt einer Seejungfrau.

   Da konnte der Meerprinz nicht länger widerstehen, denn etwas Ähnliches hatte er noch nie zuvor gesehen. Er schwamm aus dem schützenden Schloss heraus und tauchte hinunter zum Meeresgrund, um das seltsame Gebilde zu erforschen. Staunend betrachtete er jedes fremdartige Detail, die rostigen Nägel, die geflochtenen Taue und den Anker an seiner Kette. Dann wagte er sich in das Innere des Seglers, wo ihn Kanonendecks und ein Laderaum voller vermoderter Teekisten erwarteten. Muränen hausten in durchlöcherten Rumfässern, und die Hängematten in den Schlafkajüten waren von Seesternen bedeckt.

   Erst als der Prinz alle Räume des Schiffes von oben bis unten erkundet hatte, kehrte er zum Schloss zurück und bestürmte fortan die Bewohner mit Fragen über das Menschenvolk. Viel Auskunft erhielt er nicht, denn von der Hofgesellschaft teilte niemand seine Wissbegier, und man hatte die seltsamsten Vorstellungen von den Sitten und Gebräuchen der Landbewohner. Als der Prinz seiner Amme eine Tabakpfeife zeigte, die er zum Andenken mitgenommen hatte, beteuerte sie, solcherlei benutzten die Menschen als Musikinstrument. (Tatsächlich gab das Stück beim Hineinblasen gurgelnde Töne von sich.) Einen löcherigen Schuh hielt sie für eine Kopfbedeckung, die sich unter dem Kinn festschnüren ließ.

   Den Prinzen lockte fortan seine Neugier immer wieder aus dem Schloss. Jedes Mal, wenn es einer Küste nahe kam, schwamm er davon und betrachtete aus der Entfernung das Treiben an Land. Er sah die Goldsucherhütten von San Francisco, die weißen Türme von Lissabon und die schwimmenden Märkte der Halong-Bucht. Die Menschen bemerkten ihn nie, und so wurde er von Mal zu Mal wagemutiger. Als das Schloss am Delta des Flusses Mahandi entlang trieb, der in das geheimnisvolle Reich Indien führt, schwamm der Prinz zum ersten Mal in das Brackwasser eines Festlandstroms hinein. Umgeben von den Bäumen eines Mangrovenwalds, dessen Pfahlwurzeldickicht wie eine Verbindung von Land und Ozean erschien, fühlte er sich fast heimisch. Von seiner Neugier angespornt, bewegte er sich weiter den Fluss hinauf, zwischen Reisfeldern hindurch, auf denen Bauern ihrer Arbeit nachgingen, bis zur tausendjährigen Stadt Cuttack. Welch eine Pracht empfing ihn dort, als er den Kopf aus dem Wasser steckte! Da gab es Maharadschapaläste aus reinstem Marmor, goldene Tempel, ehrwürdige Moscheen und ein Markttreiben am Ufer, auf dem es vor bunt gekleideten Menschen nur so wimmelte.

   So fasziniert war der Prinz von den tausend verschiedenen Gesichtern dieser Stadt, dass er viel zu spät bemerkte, wie ihn nach und nach die Kräfte verließen. Als Geschöpf des Meeres wirkte das Süßwasser auf ihn wie ein schleichendes Gift, doch woher hätte er das wissen sollen? Ermattet und von Schwindel befallen versuchte er seinen Weg zurück zu finden. Er tauchte das Flussbett entlang, während über ihm allerlei Boote dahin trieben, und hätte sich mehr als einmal fast in einem ausgespannten Fischernetz verfangen. Mit jeder Minute fiel ihm das Schwimmen schwerer, und so war er vom rettenden Ozean noch weit entfernt, als ihm die Sinne schwanden. Der Fluss schwemmte ihn stromabwärts und warf ihn an einer seichten Biegung ans Ufer, die zum Landsitz eines Fürsten gehörte. Der glatt polierte Stein, auf dem er strandete, diente dem Gesinde des Hauses als Waschstelle. Hier fand ihn ein junger Küchengehilfe aus der niederen Kaste der Shudras. Sein Name war Ganesh, so wie der Gott des Glücks.

   Nun ist zu erwähnen, dass die Meerleute für unser menschliches Auge von fast überirdischer Schönheit sind. Der Prinz hatte perlmutterne Haut, die vom Licht berührt in wechselnden Farbmustern schillerte. Sein Haar reichte ihm bis zu den Hüften und war blaugrün wie der Ozean. Der Unterleib besaß die Form eines kräftigen, biegsamen Seepferdschwanzes mit schaumweißen Schuppen. Er sah aus wie ein fremdartiger Gott, der den Wellen entstiegen war.

   Ganesh kannte viele Geschichten, die sich um die Matsya-kanya, die Fischmenschen rankten. Aber er hatte sie stets für Fabelgeschöpfe gehalten wie die geflügelten Garudas, die man aus Stein gehauen an Tempelsäulen sah. Nun jedoch lag dieses Halbwesen in Fleisch und Blut vor ihm, und der Küchengehilfe hatte nie etwas Schöneres gesehen. Bezaubert kniete er auf dem glatten Fels nieder, beugte sich herab und küsste dem Gestrandeten den Hals, um seine Kiemen zu beatmen. Da schlug der Prinz für einen Moment die Augen auf und sah ihn an. Aus seinem Mund drang ein Geräusch wie das Rauschen von Meereswogen, und Ganesh wusste in seinem Herzen, was er zu tun hatte. Ohne Zögern band er eines der prächtigen Boote los, die seinem Herrn gehörten und mit einem Baldachin gegen die brennende Sonne abgeschirmt waren. Er trug den Prinzen an Bord und stakte das gestohlene Boot flussabwärts in Richtung des offenen Meeres.

   Ganesh legte seine ganze Kraft in die Arbeit, und schon bald befanden sie sich im Labyrinth des Mangrovenwalds, wo die Gavialkrokodile im Blätterschatten trieben und ihren Weg mit gelben Schlitzaugen verfolgten. Wann immer Ganesh seine Lippen auf die Kiemen des Prinzen presste, erwachte dieser aus der Betäubung und betrachtete ihn mit grünen Jadeaugen. Am Meeresufer angelangt, küsste Ganesh den Prinzen ein letztes Mal. Er hob ihn in seine Arme und fühlte die kühle Geschmeidigkeit der Schuppenhaut, atmete den Duft von Seelilien ein, der dem Meergeschöpf anhaftete. Dann ließ er ihn über Bord ins klare Wasser gleiten. Das Letzte, was er von dem Prinzen sah, waren grüne Edelsteinaugen und ein schneller Schwanzschlag, der den Nixenkörper in die dunkle Tiefe beförderte. Auf den Bootsplanken aber lag eine einzige schimmernde Schuppe, so groß wie ein Granatapfelblatt, die Ganesh aufhob und als Erinnerung an seinem Herzen bewahrte.

 

Der Küchengehilfe kehrte nicht zu seinem Herrn zurück. Dort hätte ihn nur die Peitsche oder Schlimmeres erwartet. Er ließ das gestohlene Boot an der Meeresküste liegen und wanderte ziellos ins Land hinein, verdingte sich für eine Reismahlzeit hier und dort als Tagelöhner, bis er endlich die Hauptstadt erreichte, zu der alle Wege führten. Es war die Zeit des Bali Yatra-Festes, bei dem sich ganz Cuttack in einen riesigen Basar verwandelt. Unter den vielen Zeltdächern saßen Händler in fremdländischen Trachten, die mit kehligen Rufen ihre Waren anpriesen. Ganesh sah Stände mit Kupferschmuck und feinem Seidentuch, mit tausenderlei Gewürzen und Schnitzereien aus Elfenbein. Als er durch eine enge, düstere Gasse kam, die vom Trubel der Hauptstraßen abgeschnitten war, trat plötzlich unter einem schwarzen Zeltdach ein Mann hervor. Sein graues Haar hing ihm verfilzt über den Rücken, sein Gewand war mit Amuletten benäht, und auf Stirn und Wangen trug er seltsame Symbole, die ockerfarben und kreideweiß das Gesicht zierten.

    Du hast Meeraugen, Bursche , sagte der unheimliche Alte. Ich sehe wohl, das Wasservolk hat dich in seinen Bann geschlagen. Wenn du mir gibst, was ich verlange, will ich dir einen Trank dafür...
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Autor

Ulrike Raimer-Nolte ist eine preisgekrönte Übersetzerin für englische und skandinavische Bücher mit über dreißig Veröffentlichungen. Mit ihrer Space Opera "Die fünf Seelen des Ahnen" (Titel der Neuauflage: "FünfSeelen") hat sie den Deutschen Science-Fiction-Preis gewonnen - als einzige Frau in 30 Jahren! Sie wirbelt in ihren Geschichten gerne Geschlechterrollen durcheinander, sei es bei Prinzen und Prinzessinnen oder beim Erstkontakt mit außerirdischen Wasserwesen. Zurzeit arbeitet sie an einem neuen Buch namens "Die vertrixte Adventsmaschine". Sie lebt mit ihrer Ehefrau und einem Sohn gleich um die Ecke vom Zoo Hagenbeck in Hamburg.