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Theodor Herzl: Staatsmann ohne Staat

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Wallstein Verlagerschienen am09.03.20221. Auflage
Wie wurde aus dem Kosmopoliten und assimilierten europäischen Juden der wichtigste Anführer der zionistischen Bewegung? Theodor Herzl (1860-1904) ist als Begründer des politischen Zionismus weltberühmt geworden. Dennoch wirft sein kurzes Leben viele Fragen auf: Wie konnte er gleichzeitig Künstler und Staatsmann sein, Rationalist und Ästhet, strenger Moralist und doch getrieben von tiefen, manchmal dunklen, Leidenschaften? Und warum wurde er von so vielen - auch traditionellen - Juden als Führungsfigur verehrt? Anhand eines umfangreichen Korpus der privaten, literarischen und politischen Schriften zeigt Derek Penslar, dass Herzls Weg zum Zionismus nicht nur vom grassierenden Antisemitismus angetrieben wurde, sondern sich auch aus persönlichen Krisen erklärt. Einmal dem Zionismus verschrieben, zeichnete sich Herzl als vollendete Führungspersönlichkeit aus - voller unermüdlicher Energie, organisatorischem Geschick und mitreißendem Charisma. Er wurde zu einer Projektionsfläche für viele Juden seiner Zeit, für ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte.

Derek Penslar ist William Lee Frost Professor für Jüdische Geschichte an der Universität Harvard. Er verfolgt einen vergleichenden und transnationalen Forschungsansatz zur jüdischen Geschichte, die er im Kontext von modernem Kapitalismus, Nationalismus und Kolonialismus untersucht. Norbert Juraschitz, geb. 1963 in Bergenweiler, hat in Tübingen und Wien Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Er übersetzt historische und politische Sachbücher aus dem Englischen und Russischen, u. a. von Christopher Clark, Jung Chang und Ai Weiwei. Für den Wallstein Verlag übersetzte er u. a. die Bände von Tobias Boes (Thomas Manns Krieg, 2021) und Jeffrey Herf (Unerklärte Kriege gegen Israel, 2019).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextWie wurde aus dem Kosmopoliten und assimilierten europäischen Juden der wichtigste Anführer der zionistischen Bewegung? Theodor Herzl (1860-1904) ist als Begründer des politischen Zionismus weltberühmt geworden. Dennoch wirft sein kurzes Leben viele Fragen auf: Wie konnte er gleichzeitig Künstler und Staatsmann sein, Rationalist und Ästhet, strenger Moralist und doch getrieben von tiefen, manchmal dunklen, Leidenschaften? Und warum wurde er von so vielen - auch traditionellen - Juden als Führungsfigur verehrt? Anhand eines umfangreichen Korpus der privaten, literarischen und politischen Schriften zeigt Derek Penslar, dass Herzls Weg zum Zionismus nicht nur vom grassierenden Antisemitismus angetrieben wurde, sondern sich auch aus persönlichen Krisen erklärt. Einmal dem Zionismus verschrieben, zeichnete sich Herzl als vollendete Führungspersönlichkeit aus - voller unermüdlicher Energie, organisatorischem Geschick und mitreißendem Charisma. Er wurde zu einer Projektionsfläche für viele Juden seiner Zeit, für ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte.

Derek Penslar ist William Lee Frost Professor für Jüdische Geschichte an der Universität Harvard. Er verfolgt einen vergleichenden und transnationalen Forschungsansatz zur jüdischen Geschichte, die er im Kontext von modernem Kapitalismus, Nationalismus und Kolonialismus untersucht. Norbert Juraschitz, geb. 1963 in Bergenweiler, hat in Tübingen und Wien Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Er übersetzt historische und politische Sachbücher aus dem Englischen und Russischen, u. a. von Christopher Clark, Jung Chang und Ai Weiwei. Für den Wallstein Verlag übersetzte er u. a. die Bände von Tobias Boes (Thomas Manns Krieg, 2021) und Jeffrey Herf (Unerklärte Kriege gegen Israel, 2019).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783835348783
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum09.03.2022
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.5
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2863 Kbytes
Artikel-Nr.8992308
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 1
Einleitung

Theodor Herzls Leben (1860-1904) war ebenso erstaunlich wie kurz. Wie wurde aus diesem Kosmopoliten und assimilierten europäischen Juden der Anführer der zionistischen Bewegung? Wie konnte er gleichzeitig Künstler und Staatsmann, Rationalist und Ästhet, strenger Moralist und doch von tiefen, bisweilen gar abgründigen Leidenschaften besessen sein? Und warum begrüßten Zigtausende von Juden, darunter unzählige mit einem traditionellen, frommen Hintergrund, Herzl als ihren Führer? Dieses Buch versucht, Antworten auf diese Fragen zu geben.

Herzls Leben veranschaulicht, dass politische Führer von ihrer Gefolgschaft abhängig sind und auf sie Rücksicht nehmen müssen. Das Buch untersucht Herzls Persönlichkeit, illustriert aber auch, wie er von anderen wahrgenommen wurde und wie diese Wahrnehmungen wiederum auf sein Selbstgefühl wirkten. Die Geschichtstheorie eines »großen Mannes« meide ich bewusst, gerade weil diese Herangehensweise nicht die Geheimnisse von Herzls Größe enthüllt.

Mein Werk ist das jüngste in einer langen Reihe von Herzl-Biographien. Manche haben ihn als überlebensgroße Lichtgestalt, einen Propheten und Märtyrer für sein Volk oder als bedeutende Figur in der Geschichte jüdischen politischen Denkens beschrieben. Andere haben einen dezidiert kritischen Ton angeschlagen und sich auf Herzls psychische Leiden, gestörte Familienverhältnisse und Rivalitäten mit anderen Zionisten konzentriert.[1] Aus all diesen Büchern habe ich viel gelernt, aber ich habe einen anderen Ansatz gewählt, der die Hagiographie ebenso wie die Dekonstruktion der Person vermeidet. Ich betrachte Herzl nicht als großen Denker, sondern als großen Führer, und ich lese seine zionistischen Schriften als Manifeste, nicht als Traktate - als Aufrufe zum Handeln, nicht als theoretische Diskurse. Herzl war ein zutiefst beunruhigter Mensch, und diese Sorgen erklären sicher nicht zuletzt, weshalb er sich dem Zionismus zuwandte, aber Herzls innere Dämonen beantworten eben nicht die Frage, wie und weshalb es ihm gelang, die Massen anzusprechen und die jüdische Welt zu verändern. Herzl stellte für verschiedene Leute etwas völlig Anderes dar: wie ein Bildschirm, auf den Juden ihre jeweiligen Sehnsüchte und Hoffnungen projizierten. Herzls Status als assimilierter Jude, der zu seinem Volk zurückkehrte, zugleich Zugehöriger und Außenseiter innerhalb der europäischen ebenso wie der jüdischen Gesellschaft, steigerte noch seine Anziehungskraft auf die jüdischen Massen. Zu guter Letzt besaß er ein elektrifizierendes Charisma.

Die frühe zionistische Bewegung war besonders stark auf eine charismatische Führung angewiesen, weil sie klein, schwach und verstreut war und über keinerlei strukturelle Schirmherrschaft oder Sanktionsmöglichkeiten verfügte. Herzl hatte seinen Anhängern nur die nackte Hoffnung anzubieten - und nichts als Vertrauen, um sich ihre Unterstützung zu bewahren. Herzl besaß ein beeindruckendes Charisma, und er war sich seiner Macht durchaus bewusst. Aber Charisma ist kulturell bedingt. Wäre Herzl in eine andere Ära oder auf einen anderen Kontinent geraten, dann hätte er womöglich überhaupt nicht charismatisch gewirkt. Unter anderen Rahmenbedingungen wäre er möglicherweise nicht mehr als ein fanatischer Halb-Intellektueller gewesen, der viel Zeit in Kaffeehäusern verbrachte und eifrig Notizen in sein Tagebuch kritzelte.

Neben der Aufmerksamkeit für den kulturellen Kontext hebe ich auch Herzls starken Willen und sein Talent zur Selbstinszenierung hervor. Seine provokativen, ausgefallenen und bisweilen empörenden politischen Reden und Aktionen waren sorgsam inszeniert. In dieser Hinsicht kann Herzl mit einem anderen großen Anführer jüdischer Herkunft verglichen werden: Benjamin Disraeli, dessen Anspruch auf die Führungsrolle des englischen Adels sogar noch haltloser und wagemutiger war als Herzls Ambition, der selbsternannte Wächter des jüdischen Volkes zu sein.

Die vorliegende Biografie konzentriert sich auf drei miteinander verflochtene Themen: Herzls Innenleben, seine Beziehung zur zionistischen Bewegung und seine Stellung in der Welt als professioneller Reporter und amateurhafter Staatsmann.

Das erste Thema bringt unweigerlich Herzls psychische Instabilität zur Sprache. Er litt an periodischen Anfällen von Depression und unberechenbaren Stimmungsumschwüngen. Er war egozentrisch und von Zweifeln geplagt. Distanziert und zurückhaltend wie er war, hatte Herzl nur wenige Freunde, und er führte keine einzige gesunde Liebesbeziehung. Seine Ehe war beklagenswert, er war ein abwesender Vater und alle drei Kinder litten unter psychischen Störungen. Herzls Hagiographen haben diese Themen stets umschifft oder bemäntelt, seine Kritiker hingegen haben sich darin gesuhlt. Ich habe jedoch die Absicht, weder das eine noch das andere zu tun. Vielmehr möchte ich zeigen, wie Herzls psychisches Leiden seine politische Leidenschaft schürte. Herzl brauchte unbedingt ein Projekt, um sein Leben mit Sinn zu erfüllen und die Finsternis seiner Depressionen in Schach zu halten. Der Zionismus war dieses Projekt, das ihn eindämmte, stützte und inspirierte. Von einer erstaunlichen Arbeitsmoral getrieben, ließ Herzl jedes Gramm seiner enormen Energie in seine zionistischen Aktivitäten fließen, die ihn physisch und psychisch erschöpften und zu seinem frühen Tod beitrugen.

In seinem Buch A First-Rate Madness schreibt der Psychiater Nassir Ghaemi, dass viele große politische Führer der neueren Geschichte unter psychischen Störungen gelitten hätten. Indem er Persönlichkeiten wie Abraham Lincoln, Winston Churchill, Mahatma Gandhi und Martin Luther King Jr. analysiert, schildert er deren Ringen mit Ängsten und Depressionen bis hin zu Selbstmordversuchen (wie im Fall Gandhis und Kings). Eine schwere Depression entzieht zwar dem Körper Kraft, doch bei milderen Verläufen kann sie einen Sinn für Realismus und die Fähigkeit zur Widerstandskraft und Empathie verleihen. Diese Führer hatten darüber hinaus einen Hang zur Hyperthymie, einem Überschwang der Gefühle, der beinahe einer manischen Psychose gleichkommt und unter Umständen Energie, Kreativität und charismatische Anziehungskraft erzeugt.

Ich bin kein Psychotherapeut, und hier wird keineswegs der Versuch unternommen, Herzl noch postum zu diagnostizieren. Ich habe versucht, Herzl durch seine eigenen Augen zu verstehen, indem ich mich auf seine eigenen Aussagen und die der Menschen stütze, die ihn kannten. Aber auch ohne die sichere Diagnose, dass Herzl unter einer, wie man heute sagen würde, Gemüts- oder Persönlichkeitsstörung litt, ist gut dokumentiert (in erster Linie durch Herzl selbst), dass er häufig zwischen Depressionen und manischer Erregung hin und her schwankte. Darüber hinaus trifft Ghaemis Hauptthese allem Anschein nach außerordentlich gut auf Herzl zu: »Unsere größten Führer rackern sich in Krisen traurig ab, während die Gesellschaft glücklich ist. ⦠Mal sind sie aufgedreht, mal niedergeschlagen, aber es geht ihnen nie richtig gut. Doch sobald ein Unglück eintritt, dann richten sie, sofern sie in einer geeigneten Position sind, den Rest von uns auf, sie sind imstande, uns den Mut zu geben, den wir zeitweilig womöglich verloren haben, die Stärke, die uns festigt.«[2]

Sowohl in seinen depressiven Neigungen als auch in seiner Anlage zur Größe ähnelt Herzl stark einem anderen Führer der neueren Geschichte: Winston Churchill. In einem klassischen Aufsatz mit dem Titel »Churchill s Black Dog« merkt Anthony Storr an, dass Churchill, »wenn er ein stabiler und ausgeglichener Mann gewesen wäre, niemals die Nation hätte inspirieren können«. Churchills Triumph im Jahr 1940 trat, genau wie Herzls im Jahr 1896, nur deshalb ein, weil er »sein Leben lang einen Kampf gegen seine eigene Verzweiflung geführt hatte, der es ihm ermöglichte, anderen die Botschaft zu vermitteln, dass Verzweiflung überwunden werden kann«. Beide Männer schwankten zwischen Selbstverachtung und -verherrlichung: Churchill schrieb sicher auch ganz im Sinne Herzls, als er behauptete: »Wir sind alle Würmer. Aber ich glaube, dass ich ein Glühwurm bin.«[3]

Bei Menschen wie Herzl und Churchill geht der Anspruch auf politische Führung auf etwas Tieferes als das Streben nach Macht oder materiellem Gewinn zurück. Vielmehr ist der Glaube an die eigene heroische Mission Ausdruck eines tiefsitzenden psychischen Bedürfnisses. Doch der Möchtegern-Held kann seine Größe ohne eine Anhängerschaft nicht verwirklichen. Diese Beobachtung führt zum zweiten Thema des Buches: dass die zionistische Bewegung Herzl ebenso sehr brauchte, wie Herzl sie brauchte, und dass Herzls Charisma ebenso sehr von seinem Innersten ausging wie es von außen konstruiert wurde.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird »Charisma« mit Charme, Anziehung und Sexappeal assoziiert, aber nach dem Soziologen Max Weber sind wirklich charismatische Menschen per definitionem politische oder religiöse Führer, keine Schauspieler, und sie ziehen Anhänger an, nicht Fans. Weber nennt Charisma »eine als außeralltäglich ⦠geltende Qualität einer Person [des charismatischen Führers] â¦, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] ⦠gewertet wird«.[4] Charismatische Autorität behauptet sich erst in Zeiten kollektiver Bedrängnis und in Umgebungen, wo traditionelle oder bürokratisch-staatliche Machtstrukturen schwach oder überhaupt...
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Autor

Derek Penslar ist William Lee Frost Professor für Jüdische Geschichte an der Universität Harvard. Er verfolgt einen vergleichenden und transnationalen Forschungsansatz zur jüdischen Geschichte, die er im Kontext von modernem Kapitalismus, Nationalismus und Kolonialismus untersucht.

Norbert Juraschitz, geb. 1963 in Bergenweiler, hat in Tübingen und Wien Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Er übersetzt historische und politische Sachbücher aus dem Englischen und Russischen, u. a. von Christopher Clark, Jung Chang und Ai Weiwei. Für den Wallstein Verlag übersetzte er u. a. die Bände von Tobias Boes (Thomas Manns Krieg, 2021) und Jeffrey Herf (Unerklärte Kriege gegen Israel, 2019).