Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

(Not So) Amazing Grace

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Moon Noteserschienen am04.07.2022
Grace Welles sitzt in einem Internat in den Sümpfen Floridas fest, einzige Überlebensmethode: strenge, selbst auferlegte Einsamkeit. Und es funktioniert. Ihre abwehrende Haltung hält die Leute, sprich potenzielle Freunde, schön auf Abstand. Als sie jedoch versehentlich einen neuen Schüler rettet, bricht ihre perfekt gepflegte Einzelgängerwelt zusammen. Denn jetzt ist da dieser Junge in ihrem Leben, Wade Scholfield. Mit Wade entdeckt Grace, dass Schulregeln optional sind und Gespräche über Wurmlöcher zu Knutschsessions führen können ... Warum also zerbricht sie Wades Herz in Millionen Stücke?

Mercedes Helnwein ist eine bildende Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Besessenheit vom Schreiben begann, als sie zehn Jahre alt war und ihre erste Kurzgeschichte für eine Hausaufgabe verfasste.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextGrace Welles sitzt in einem Internat in den Sümpfen Floridas fest, einzige Überlebensmethode: strenge, selbst auferlegte Einsamkeit. Und es funktioniert. Ihre abwehrende Haltung hält die Leute, sprich potenzielle Freunde, schön auf Abstand. Als sie jedoch versehentlich einen neuen Schüler rettet, bricht ihre perfekt gepflegte Einzelgängerwelt zusammen. Denn jetzt ist da dieser Junge in ihrem Leben, Wade Scholfield. Mit Wade entdeckt Grace, dass Schulregeln optional sind und Gespräche über Wurmlöcher zu Knutschsessions führen können ... Warum also zerbricht sie Wades Herz in Millionen Stücke?

Mercedes Helnwein ist eine bildende Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Besessenheit vom Schreiben begann, als sie zehn Jahre alt war und ihre erste Kurzgeschichte für eine Hausaufgabe verfasste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783969810217
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum04.07.2022
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1248 Kbytes
Artikel-Nr.8996396
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Es war der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien, und ich saß als Hexe verkleidet in einer der Toilettenkabinen der Schule. Der lange, schwarze Stoff meines Kleides lugte aufgrund seiner absurden Ausmaße unter der Kabinentür hervor. Ich weinte. Die Knie bis zum Kopf hochgezogen und die Arme um die Beine geschlungen, hatte ich mein Gesicht in den schwarzen Stofflagen vergraben. Mein gesamter Körper fühlte sich steif an, und jeder Muskel war so angespannt, dass ich mir sicher war, schon eine leichte Berührung würde mich entzweispringen lassen. Mein Gesicht war heiß und glänzte vor Rotz und Tränen, und ich musste mir ein bisschen Stoff in den Mund stopfen, damit meine Schluchzer nicht durch den ganzen Raum hallten.

Noch nie hatte ich so geweint. So heulten Frauen in Fernsehschnulzen, während sie sich an die Beine irgendeines Typen klammerten, der gerade versuchte, zur Tür hinauszugehen. Ich war das genaue Gegenteil davon. Ich war immer eines dieser beinharten kleinen Arschloch-Kinder gewesen, die nicht weinten - weder, wenn mir jemand wehtat, noch, wenn mich jemand anschrie oder hänselte. Und wenn ich doch mal weinte, dann kurz und effektiv, eine Tat, begangen im Geheimen, ohne Zeugen oder Spuren zu hinterlassen. Ich hatte mich immer für ziemlich unzerstörbar gehalten, und das war ich auch. Oder war es zumindest gewesen - bis zu jenem Moment auf der Schultoilette.

Einfach so wurde der Panzer meiner Kindheit zerstört, und alles, was es dazu brauchte, war mein Seelenverwandter, der mir ein Buttermesser ins Herz rammte.

Er hieß Carl Sorrentino. Eigentlich Mr. Sorrentino, mein Biolehrer. Es stimmte, er war gut zwanzig Jahre älter als ich, und ich sah ein, dass das für manche Leute ein Thema war. Engstirnige Leute. Es gab Hindernisse, die es zu überwinden galt, klar, aber was waren schon Hindernisse, wenn man es mit Schicksal zu tun hatte? Und das hier war Schicksal. Ich dachte nicht bloß, wir wären Seelenverwandte, ich wusste es. Ich wusste es einfach. Wenn man Dinge dieser Größenordnung weiß, dann müssen sie nicht zwangsläufig Sinn ergeben. Schließlich ist Liebe eine höhere Wahrheit als Logistik, und im Grunde konnte mich jeder mal, der damit ein Problem hatte. Liebe ist Liebe. Dagegen ist alles andere unwichtig. Was hatte Alter schon damit zu tun? Gar nichts.

Auch Mr. Sorrentino spürte unsere besondere Verbindung, das wusste ich ganz genau. Ich wusste, dass ich keine Wahnvorstellungen hatte, weil es, obwohl wir unsere Gefühle füreinander nicht direkt öffentlich zum Ausdruck brachten (was de facto total illegal gewesen wäre), Hinweise gab, auf die sich meine unweigerlichen Schlussfolgerungen gründeten. Echte Dinge, die Mr. Sorrentino getan oder gesagt hatte. Zeichen.

Zum Beispiel die Smileys, die er mir auf meine Tests kritzelte, unter Sätze wie: »Du hast es drauf, Gracie!«, oder: »Das Grace-Monster hat wieder zugeschlagen!« Außerdem zeichnete er kleine Augen in die Zahlen auf den korrigierten Tests. Als er zum Beispiel 99 Prozent unter einen Test setzte, verwandelte er die Kreise der Neunen in Augen. Das war natürlich übelst kitschig, aber darum ging es schließlich nicht. Sondern darum, dass es unglaublich süß war.

Außerdem gab es da noch die Momente, in denen sich unsere Blicke trafen, wenn er einen seiner Biologiewitze erzählte, die niemand außer mir checkte. Dann lächelte ich ihm quer durchs Klassenzimmer wissend zu, und er erwiderte mein Lächeln. In diesen Momenten blieb für einen Augenblick die ganze Welt stehen.

Und in den Mittagspausen ließ er mich manchmal im Klassenzimmer abhängen, wo ich ihn mit detaillierten Fragen zu was zum Teufel auch immer wir gerade durchnahmen löcherte. Ehrlich gesagt, war mir der Stoff ziemlich egal, aber meine Noten waren hervorragend, weil ich jede Menge Energie in meine Bioaufgaben steckte. Mr. Sorrentino war so geduldig. Er sah mich an, während ich redete. Er saß da und wartete, während ich meine Fragen formulierte und versuchte, dabei möglichst witzig und tiefgründig zu sein. Dann nickte er immer und sagte: »Weißt du, das ist eine verdammt gute Frage, Gracie. Hier, ich zeig dir mal was.« Und dann zeichnete er Schemata für mich an die Tafel. Er zeichnete detaillierte Querschnitte von Tier- oder Pflanzenzellen, das gesamte Atmungssystem oder DNA-Stränge - komplexe Zeichnungen mit Pfeilen und Beschriftungen. Alles nur für mich.

Außerdem gab er mir sehr oft High-Fives. Bei allen anderen hätte ich es zum Kotzen gefunden, aber bei ihm funktionierte es irgendwie. Immerhin war es praktisch die einzige Berührung, die uns erlaubt war, und darum verstand ich, warum er es tat.

Es gab noch viel mehr Dinge. Und ja, ich war nicht dumm. Ich wusste, dass das alles kleine Dinge waren, die man als unbedeutend hätte abtun können. Aber es ging um das große Ganze. Man brauchte bloß die vielen kleinen Hinweise zusammenzuzählen. Und das große Ganze lag glasklar auf der Hand: Mr. Sorrentino und ich hatten eine starke, welterschütternde Verbindung. Eine, die sich allen Regeln und Traditionen entzog. Eine, die das Spiel neu erfindet. Eine Verbindung, die zu stark ist, um den ausgelatschten Pfaden irgendwelcher Prototypen zu folgen.

Aber wie auch immer. Am Ende stellte sich heraus, dass ich anscheinend doch unter Wahnvorstellungen litt.

Es geschah bei der letzten Aufführung des Schultheaters von Macbeth, in der ich eine der drei Hexen spielte. Ich hasste Theater, aber ich hatte für die Rolle vorgesprochen, nachdem Mr. Sorrentino mich eine Hexe genannt hatte, weil ich hundert Prozent beim Pop-Quiz erreicht hatte. Ich dachte, vielleicht machte ihn die Vorstellung an, und es konnte ja nicht schaden, seine Fantasie real werden zu lassen - mit schwarzem Kleid, Hut, dem ganzen Drum und Dran. Als ich nach meiner zweiten Szene von der Bühne ging, kam Mr. Sorrentino auf mich zu und zog mich zu einer brünetten Frau hinüber.

»Gracie, ich würde dir gern meine Verlobte Judy vorstellen. Sie wird im nächsten Schuljahr ein paar Vertretungsstunden geben.«

Judy hatte voluminöses Haar und lächelte so breit, dass es aussah, als hätte sie ungefähr viertausend Zähne. Sie hatte Sommersprossen, buschige Augenbrauen und trug eins von diesen weihnachtlichen Kleidern, die es bei Dillard´s zu kaufen gibt, und kleine Weihnachtsbaumschmuckohrringe. Wegen ihres breiten Lächelns waren ihre Lippen zu schmalen Linien über das ganze Gesicht gezogen, und ihre blasspinke Lipglossschmiere glitzerte im Licht. Ich schüttelte ihre ausgestreckte Hand. Ihre Fingernägel waren genauso blasspink angemalt wie ihre Lippen und perfekt manikürt.

»Schön, dich endlich kennenzulernen!«, verkündete sie. »Ich habe schon viel von dir gehört. Beste Schülerin in Bio, was? Nicht schlecht!«

Ich starrte sie mit leerem Blick an. Sie redete noch eine Weile von all den tollen Dingen, die Mr. Sorrentino ihr über mich erzählt hatte. Meine Noten schienen sie ernsthaft zu begeistern. Ich starrte sie einfach nur an. Wenn man zum ersten Mal verletzt wird, spürt man es zunächst oft gar nicht, weil man unter Schock steht. Der Schmerz ist da, aber du bist wie betäubt, weil er so unerwartet kam.

Judy lächelte immer weiter. »Oh, und Carl hat mir erzählt, dass du nach der Schule vielleicht Biochemie studieren willst!«

»Mhm«, machte ich.

»Wie toll ist das denn bitte?«, sagte sie, und ihre Zahnwand glänzte.

Ich wandte mich an Mr. Sorrentino. »Mr. Sorrentino, kann ich Sie für einen Moment sprechen?«

Er sah Judy fragend an. Sie lächelte.

»Natürlich, Gracie.«

Ich führte ihn in den nächsten leeren Raum im Flur, das Büro der Krankenschwester.

»Was ist los?«, fragte Mr. Sorrentino lächelnd. »Ach, und übrigens, du warst toll. Shakespeare ist wahrlich kein leichter Stoff. Diese Sprache auswendig zu lernen - das kann nicht jeder.«

»Sie haben mir nie gesagt, dass Sie eine Verlobte haben«, sagte ich.

Sein Lächeln verschwand nicht direkt von seinem Gesicht, doch es gefror auf eine Weise, die ihn verloren wirken ließ. »Nun ...« Er hielt inne, sah für einen Moment hinunter auf seinen Ellbogen und fuhr dann fort. »Judy war bis gestern noch nicht meine Verlobte, aber offen gesagt ist das mein Privatleben, Gracie. Ich verstehe nicht, was ...«

»Vor gestern hat sie nicht existiert? Dann ist sie also einfach so aus dem Nichts aufgetaucht? Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist - also, wissenschaftlich betrachtet.«

Er sah mich verblüfft an, und sein Blick zuckte vor Verständnislosigkeit ohne Fokus hin und her.

»Was ist los?«, fragte er nach einer kurzen Pause.

Ich drehte ihm den Rücken zu und wischte eine Träne fort, die sich in meinem rechten Auge gebildet hatte. »Sind Sie wirklich mit dieser Frau zusammen?«, fragte ich. »Ist das eine ernste Sache?«

»Wie bitte?«

Ich wirbelte zu ihm herum. »Wollen Sie sie ernsthaft heiraten? Die ist doch ein verdammter Witz. Ich meine, haben Sie sich die mal angesehen?«

»Hey, hey, hey!«, sagte er und wich einen Schritt zurück. »Das geht nun wirklich zu weit, Grace!«

»Sorry, aber das ist die Wahrheit.«

»Das reicht!«

Ich fuhr zusammen. In diesem Ton hatte er noch nie mit mir gesprochen. Es war ein seltsames Gefühl, mit ihm nicht einer Meinung zu sein. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde, und obwohl das schräg klingt, war ein kleiner Teil von mir definitiv angeturnt.

»Würdest du mir bitte sagen, was hier los ist?«, fragte er.

»Lieben Sie sie?«

Eine gefühlte Ewigkeit...
mehr

Autor

Mercedes Helnwein ist eine bildende Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Besessenheit vom Schreiben begann, als sie zehn Jahre alt war und ihre erste Kurzgeschichte für eine Hausaufgabe verfasste.