Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Aosawa-Morde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Atrium Verlag AGerschienen am16.03.20221. Auflage
An einem stürmischen Sommertag veranstaltet die Familie Aosawa ein rauschendes Fest. Doch die Feier verwandelt sich in eine Tragödie, als siebzehn Menschen durch Zyanid in ihren Getränken sterben. Die einzige Unversehrte ist Hisako, die blinde Tochter des Hauses. Kurz darauf begeht der Mann, der die Getränke lieferte, Selbstmord und besiegelt damit scheinbar seine Schuld, während seine Motive im Dunkeln bleiben. Jahre später versuchen die Autorin eines Buches über das Verbrechen und ein Ermittler, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Doch die Wahrheit ist immer nur das, was wir aus unserer Perspektive sehen ...

Riku Onda, geboren 1964 in der Präfektur Miyagi, veröffentlichte 1992 ihr Debüt Das sechste Kind. Sie wurde mit dem Yoshikawa Eji Prize und dem Yamamoto Shugoro Prize ausgezeichnet, 2017 erhielt sie den Naoki Prize für Honigbiene und ferner Donner sowie den japanischen Buchhandelspreis. Ihr Werk wurde für Film und Fernsehen adaptiert.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextAn einem stürmischen Sommertag veranstaltet die Familie Aosawa ein rauschendes Fest. Doch die Feier verwandelt sich in eine Tragödie, als siebzehn Menschen durch Zyanid in ihren Getränken sterben. Die einzige Unversehrte ist Hisako, die blinde Tochter des Hauses. Kurz darauf begeht der Mann, der die Getränke lieferte, Selbstmord und besiegelt damit scheinbar seine Schuld, während seine Motive im Dunkeln bleiben. Jahre später versuchen die Autorin eines Buches über das Verbrechen und ein Ermittler, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Doch die Wahrheit ist immer nur das, was wir aus unserer Perspektive sehen ...

Riku Onda, geboren 1964 in der Präfektur Miyagi, veröffentlichte 1992 ihr Debüt Das sechste Kind. Sie wurde mit dem Yoshikawa Eji Prize und dem Yamamoto Shugoro Prize ausgezeichnet, 2017 erhielt sie den Naoki Prize für Honigbiene und ferner Donner sowie den japanischen Buchhandelspreis. Ihr Werk wurde für Film und Fernsehen adaptiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783037921951
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum16.03.2022
Auflage1. Auflage
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1862 Kbytes
Artikel-Nr.9010921
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


3

Ein Gesandter aus einem fernen, tiefen Land


Lange Zeit kannte das Mädchen den Namen dieser Blume nicht.

Denn obwohl sie den Namen »Kräuselmyrte« als Schriftzeichen aufgeschrieben gesehen hatte, konnte sie ihn nicht aussprechen. Aber als sie älter wurde und sich ihre Aufmerksamkeit vom Boden abwandte, bedeuteten ihr die Blüten dieses Baumes, der zum Wechsel der Jahreszeiten blühte, nicht mehr als ein Muster, das an den Rändern ihrer Welt eingeschrieben war.

Wenn man darüber nachdenkt, ist einem in der Kindheit der Boden sehr nah. Jeder Mensch bewegt sich nach der Geburt mit seinen Händen auf dem Boden fort, doch kurz darauf befreit er die Hände, steht und entfernt sich Tag für Tag weiter von der Erde.

Wir entfremden uns von den Tannennadeln und dem Löwenzahn, den Ameisen und den Nashornkäfern, die uns zuvor immer wieder neu überrascht haben, in dem Maße, in dem wir beginnen, Objekte in Augenhöhe und höher wahrzunehmen.

An diesem Tag jedoch, als sie die rote Blütenpracht ansah, die den Baum umhüllte, musste sie an gefaltete Papierblumen denken.

Der Baum mit seinen vielen hellen, gleichmäßig gefärbten Blüten sah genauso aus wie die rot-weißen Krepppapierblumen, welche die Tafel im Klassenzimmer schmückten, wenn neue Schülerinnen und Schüler kamen. Das Mädchen hatte schon einmal selbst welche gebastelt. Man faltete mehrere Lagen von rosa Seidenpapier wie eine Ziehharmonika und schob ein Gummiband über die Mitte. Und dann musste man sie nur noch aufklappen, um eine Blüte zu erhalten. Jede fertige Blume wurde in einen Karton geworfen. Wenn ihnen langweilig wurde, spielten sie Volleyball mit den fertigen Blumen. Die Blüten tanzten durch die Luft, bevor sie auf den Boden fielen.

Nein, die hier sehen nicht wie Papierblüten aus, eher wie Papierballons, dachte sie, als sie die Blüten länger betrachtete.

Sie hatten die gleiche Farbe wie Spielzeug-Papierballons, die ein trockenes, raschelndes Geräusch machen, wenn man sie aufhebt, und ein befriedigendes »Poff« von sich geben, wenn man sie gegen die Handfläche schlägt.

An diesem Tag war der Himmel schon seit dem Morgen trüb, mit dunklen Wolken übersät. Seit sie aufgewacht war, hatte es keinen einzigen Lichtstrahl gegeben, und alles hatte seine Farbe verloren, selbst die Blumen sahen grauer aus als sonst. Vor allem war es furchtbar schwül und heiß, und für das Mädchen, das die Hitze hasste, schien die Welt voller stiller Bosheit.

Sommermorgen waren drückend.

Vielleicht lag es daran, dass die Temperatur auch über Nacht konstant blieb; schließlich lief die Maschinerie der Welt unaufhörlich weiter und erzeugte noch mehr Hitze, die sich in der ganzen Stadt staute. Im Park, wo sie nach Radioanleitungen Übungen machte, lärmten die Zikaden wie ein Motor, der den ganzen Morgen an- und ausgeschaltet wurde, als wäre man in einer ungelüfteten Fabrik.

Die Fabrik machte keine Pause, sie stieß unerbittlich Hitze aus, saugte ihren Arbeitern die Feuchtigkeit aus dem Körper.

Die Sommerferien neigten sich dem Ende zu, und die Fabrik, die bis dahin voll ausgelastet war, schien zu erlahmen. Ein Tiefdruckgebiet war im Anmarsch und kündigte die beginnende Taifunsaison an.

Die Regenvorhersage war nicht das Einzige, was diesen Tag ungewöhnlich machte.

Das junge Mädchen nahm in der Luft Aufregung wahr, wie es für einen besonderen Anlass typisch war. Normalerweise hatte jedes Haus seine eigene, abgeschlossene Luft, doch heute verbanden sich diese Lüfte schon seit dem frühen Morgen. Selbst die Erwachsenen, die auf der Straße vorbeigingen, bewegten sich lebhafter und schwungvoller als sonst.

Irgendetwas passiert heute in dem Haus mit den Bullaugen, dachte das Mädchen, als sie aus dem dunklen Inneren ihres Zimmers auf den Garten hinausstarrte. Sie hätte ihre Sommerferien-Hausaufgaben erledigen sollen, hatte aber keine Lust dazu, da nur ihre schwächsten Fächer übrig geblieben waren. Noch war es nicht dringend, aber sie hatte keine Zeit zu verlieren. Es war jeden Sommer dasselbe; es gab immer eine Phase, in der die Tage dahinglitten, bevor sie sich zum Endspurt aufraffen musste.

Das Mädchen teilte sich ein Zimmer mit dem jüngeren ihrer beiden großen Brüder, der drei Jahre älter war als sie. Es grenzte an der Ostseite an einen kleinen Hofgarten.

Der Garten war nicht größer als etwa drei Quadratmeter, doch darin stand ein alter Feigenbaum mit dicken, amöbenförmigen Blättern, der bei Einbruch der Dunkelheit zu einer gespenstischen Silhouette wurde. Eines Nachts, kurz nachdem sie in dieses Haus gezogen waren, erschreckte der Bruder das Mädchen und brachte sie zum Weinen, als er plötzlich die Stimme melodramatisch erhob: »Schau, da bewegt sich etwas unter dem Baum!« Es war ein sehr alter Baum, der viele Früchte trug, die, wenn sie reif waren, Schwärme von Vögeln anlockten, sodass sie während der Erntezeit häufig gefiederte Besucher hatten.

Aber auch ohne den Baum war das alte Holzhaus, das die Firma ihres Vaters für sie gemietet hatte, ein düsterer Ort.

In einer Ecke der Decke ihres Schlafzimmers war ein Fleck, der dem Mädchen wie ein Gesicht vorkam und ihr solche Angst machte, dass sie dort nicht allein schlafen konnte, wenn ihr Bruder im Ferienlager oder anderswo unterwegs war.

Sie war kein besonders nervöses Kind, aber sie war ungewöhnlich fantasievoll. All die dunklen, schattigen Ecken in den Fluren, Treppen und Schränken und sogar das gemusterte Papier, mit dem Flecken an den Wänden und Risse in den Türen überklebt worden waren, erschienen ihr unheimlich und bescherten ihr gelegentlich Albträume.

Deshalb vermutete das Mädchen auch damals, dass sie wieder einmal einen Albtraum gehabt hatte.

Sie war von den morgendlichen Radioübungen im Park zurückgekehrt, erschöpft von der drückenden Feuchtigkeit einer herannahenden Tieffront. Sie frühstückte in aller Eile, ging dann nach oben und ließ sich auf die untere Liege fallen, wo sie eine Zeit lang im Graubereich zwischen Realität und Traum schwebte. Obwohl ihr Körper so gut wie eingeschlafen war, blieb ein Teil ihres Geistes wach und aufmerksam.

Dann, ganz plötzlich, spürte sie eine Art von Präsenz über ihrem Kopf.

Über ihrem Kopf, das hieß natürlich im Garten mit dem Feigenbaum.

Zwei Schiebetüren trennten das Schlafzimmer vom Garten, jede mit vier Glasscheiben in Holzrahmen, von denen die unteren beiden mattiert waren. Alles, was man durch die Scheiben sehen konnte, war ein verschwommener Umriss der Feigenblätter, die undeutliche Schatten warfen.

Jetzt ist da jemand, hinter der Glastür.

Nein, nicht jemand - etwas!

Davon war das Mädchen überzeugt.

Spannung baute sich auf.

Sie merkte, wie sich in ihr ein Kampf zwischen Schläfrigkeit und Angst abspielte. Aus Angst vor dem, was immer es war, spannte sich ihr ganzer Körper an. Doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie war nicht gelähmt, sie konnte bloß nicht die Kraft dazu aufbringen.

Aber sie wusste auch, dass sie es sehen musste. Sie musste es unbedingt sehen. Sie wollte - wollte nicht, aber musste es sehen.

Plötzlich bewegte sich ihr Kopf. Nicht sie hatte ihn bewegt, er hatte sich von selbst bewegt.

Er hatte sich nach oben bewegt, und so konnte sie im Liegen durch die Glastür sehen.

Auf der anderen Seite der Milchglasscheibe war ein weißer Schatten.

Ein weißer Kokon. So schien es ihr. Hinter der Glastür befand sich ein großer weißer Kokon. Was zum Teufel war das? Eine Katze?

Man konnte den Garten betreten, ohne durch den Vordereingang zu gehen, das wusste das Mädchen, denn sie hatte manchmal Nachbarskatzen gesehen, die oben auf der Mauer aus Hohlblocksteinen entlangspazierten und hineinschlüpften. Aber dieser Kokon war zu groß für eine Katze; und außerdem bewegte er sich eher in den oberen Bereichen ihres Blickfeldes als auf dem Boden.

Ein zitternder weißer Kokon, der durch den Garten schwebte. So stellte sie es sich vor. Ob das real war, war eine andere Frage.

Das Mädchen hätte nicht sagen können, wie lange sie in diesem Zustand war. Als sie wieder zu sich kam, war der Kokon fort. Auch die Präsenz, die sie so intensiv wahrgenommen hatte, dass es fast schmerzte, war spurlos verschwunden.

Das Mädchen war verwirrt, döste aber nach einer Weile wieder ein. Als sie das nächste Mal erwachte, war alles, was sie gesehen hatte, aus ihrem Gedächtnis verschwunden, und sie verbrachte den Rest des Vormittags antriebslos wie immer. Es sollte lange dauern, bis die Erinnerung daran zurückkam.

Sie hatte den Eindruck, dass die Haustür an diesem Tag offen gestanden hatte, denn sie entsann sich, selbst wie betäubt im Eingang gesessen und auf den von der offenen Tür eingerahmten Kräuselmyrtenbaum geblickt zu haben, dahinter Menschen, die auf der Straße hin- und herliefen.

Wo waren ihre Brüder zu dem Zeitpunkt? Junji rannte wahrscheinlich in der Nachbarschaft herum und war bestimmt seit dem frühen Morgen im Haus mit den Bullaugen ein und aus gegangen. Er war ein geselliger Junge, der nie lange still an einem Ort bleiben konnte, und schlüpfte, ohne nachzudenken, in die Häuser anderer Leute, mit der besonderen Fähigkeit, dabei unbemerkt zu bleiben.

Sei´ichis lautes Schreien hallte immer noch in ihren Ohren. Der ältere ihrer beiden Brüder stand kurz vor der Aufnahmeprüfung für die Oberschule....
mehr

Autor

Riku Onda, geboren 1964 in der Präfektur Miyagi, veröffentlichte 1992 ihr Debüt Das sechste Kind. Sie wurde mit dem Yoshikawa Eji Prize und dem Yamamoto Shugoro Prize ausgezeichnet, 2017 erhielt sie den Naoki Prize für Honigbiene und ferner Donner sowie den japanischen Buchhandelspreis. Ihr Werk wurde für Film und Fernsehen adaptiert.