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Die andere Mrs. Walker

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
448 Seiten
Deutsch
CulturBooks Verlagerschienen am28.03.2022
An einem kalten Wintertag in Edinburgh stirbt eine alte Frau. Sie hinterlässt ein verschüttetes Glas Whisky, ein smaragdgrünes Kleid, eine vergammelnde Mandarine und eine gravierte Paranuss. Aber keinen Hinweis darauf, wo sie herkam, wer sie war und was sie in Edinburgh gesucht hat. Margaret Penny, mit 47 gestrauchelt und ihrer Träume beraubt, soll nun im Auftrag des Amts für Verlorengegangene die Geschichte hinter diesem Leben zutage fördern. Und vielleicht fällt dabei auch für sie etwas ab ... »Ein dunkler und betörender Roman, urkomisch und tragisch.« Sunday Times »Soghaft, genießerisch, ein famoses Geschick im Aufspüren der schrägsten Seiten des Lebens.« The Scotsman »Tief verwurzelt in den Geheimnissen von Edinburgh erkundet sie, was sie ?die mörderische Seite des Familienlebens? nennt - das Dunkle, das Skurrile und das Sonderbare.« Val McDermid

Mary Paulson-Ellis lebt in Edinburgh. Ihr Debüt Die andere Mrs. Walker wurde auf Anhieb ein Durchbruch, inzwischen schreibt sie am vierten Roman. Ihre sehr eigene Erzählweise verbindet Krimi mit Geschichtsepos, sie sondiert biografisch-historische Spuren und legt erzählerische Fährten hierhin und dorthin. Die frühere Drehbuchredakteurin, Kunstkuratorin und Reiseleiterin studierte Politik und Soziologie an der Universität Edinburgh. Paulson-Ellis ist regelmäßig bei BBC Radio Scotland zu hören und rezensiert, was Fernsehen, Film, Theater, Kunst und Bücher aktuell zu bieten haben.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextAn einem kalten Wintertag in Edinburgh stirbt eine alte Frau. Sie hinterlässt ein verschüttetes Glas Whisky, ein smaragdgrünes Kleid, eine vergammelnde Mandarine und eine gravierte Paranuss. Aber keinen Hinweis darauf, wo sie herkam, wer sie war und was sie in Edinburgh gesucht hat. Margaret Penny, mit 47 gestrauchelt und ihrer Träume beraubt, soll nun im Auftrag des Amts für Verlorengegangene die Geschichte hinter diesem Leben zutage fördern. Und vielleicht fällt dabei auch für sie etwas ab ... »Ein dunkler und betörender Roman, urkomisch und tragisch.« Sunday Times »Soghaft, genießerisch, ein famoses Geschick im Aufspüren der schrägsten Seiten des Lebens.« The Scotsman »Tief verwurzelt in den Geheimnissen von Edinburgh erkundet sie, was sie ?die mörderische Seite des Familienlebens? nennt - das Dunkle, das Skurrile und das Sonderbare.« Val McDermid

Mary Paulson-Ellis lebt in Edinburgh. Ihr Debüt Die andere Mrs. Walker wurde auf Anhieb ein Durchbruch, inzwischen schreibt sie am vierten Roman. Ihre sehr eigene Erzählweise verbindet Krimi mit Geschichtsepos, sie sondiert biografisch-historische Spuren und legt erzählerische Fährten hierhin und dorthin. Die frühere Drehbuchredakteurin, Kunstkuratorin und Reiseleiterin studierte Politik und Soziologie an der Universität Edinburgh. Paulson-Ellis ist regelmäßig bei BBC Radio Scotland zu hören und rezensiert, was Fernsehen, Film, Theater, Kunst und Bücher aktuell zu bieten haben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783959882194
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum28.03.2022
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9092741
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2011

Margaret Penny fuhr heim, weil die Münze so fiel. Kopf: ab nach Norden, Zahl: woandershin, vielleicht über alle Berge. Oder an einen noch ferneren Ort. Um sechs Uhr fünfundzwanzig am zweiten Tag des neuen Jahrs kam sie wieder im Athen des Nordens an, bei grauem Himmel, grauen Gebäuden, grauen Gehwegen, alles von Eis umschlossen. Genau wie die Leute.

Sie wachte auf, als der Motor des Nachtbusses ruckelnd zum Stillstand kam, die Haare dahin und dorthin, der Kopf verklebt von grellen, panischen Träumen. Sie klaubte alles zusammen, was sie noch besaß - eine kleine Reisetasche und einen roten gestohlenen Mantel -, und stolperte aus dem warmen Innenraum des Busses wie aus einem Mutterleib. Die Stufen waren schmal. Beim Ausstieg strauchelte sie, trat daneben, direkt in einen Rinnstein voll Matsch.

»Scheiße!«

Jedoch kalt und zähflüssig. Ruinierte sich das einzige Paar Schuhe, das ihr geblieben war.

Es war eine Art Wiedergeburt.

»Also dann, Täubchen!« Margaret Pennys Reisegefährte durch Nacht und Morgengrauen und den frühen, frühen Morgen, der schier nicht hatte enden wollen, stolperte hinter ihr die Stufen herab und öffnete knackend eine weitere Dose Special. »Frohes neues Jahr!« Er hatte sein Gelobtes Land erreicht. Edinburgh (und dem Rest Schottlands) blieb noch ein weiterer Tag zum Feiern, bevor die Arbeit wieder losging, und das Leben.

Gischt sprühte in einem Bogen Richtung Margaret, kleine Schaumflecken trafen ihren gestohlenen Mantel. Der Mann johlte und schwenkte seine Dose in einer Art Salut, wirres dunkles Haar und glitzernde Biertropfen stoben überallhin. Allen Grund zum Feiern. Kein Grund zur Reue. Nach dreißig Jahren war Margaret Penny zu Hause.

Ihre Mutter Barbara wohnte in einem beinahe modernen dreistöckigen Häuserblock im Nordteil der Stadt. Mit dem Taxi um diese Uhrzeit sieben oder acht Pfund. Um diese Jahreszeit das Doppelte. Verglichen mit Londoner Preisen war das nichts, jedoch die Hälfte dessen, was Margaret an Geld übrighatte. Edinburgh hatte sich noch nie gescheut, mehr zu nehmen, als man erwartete. Sie entschied, zu Fuß zu gehen.

Die grauen Straßen waren verlassen. Sechs Uhr fünfundvierzig am Morgen und es wirkte, als wäre ganz Edinburgh im Tiefschlaf oder tot. In keinem der hohen Fenster irgendwo Licht. Niemand führte seinen Hund aus. Nichts als Straßen­laternen mit Natrium-Heiligenschein in der trüben Morgenluft und Dampfschwaden, die den Zentralheizungs-­Lüftungen entstiegen wie Geister.

Margaret mühte sich schlitternd und fluchend von der Bushaltestelle den Hügel hinunter. Sie griff nach allem, was sie finden konnte, um sich festzuhalten, Geländer und Ampelpfosten, Mülleimer mit den vereisten Überresten von Millionen bis zum letzten Zug gerauchten Zigaretten. Das Eis war hier wirklich heimtückisch, dick und klotzig, die Luft stach in ihre Lungen. Sie wünschte, sie hätte außer dem Mantel noch ein Paar Handschuhe geklaut oder wenigstens einen Schal; etwas, um die bloßen Stellen ihrer Haut zu bedecken - Hände und Hals, Ohren und Finger, die an den Spitzen vereist waren wie die Gipfel der Alpen. Margaret hatte vergessen, wie kalt Schottland sein konnte. Und wie gottverlassen.

Endlich am Fuß des langen Hügels angekommen, wankte sie auf den Parkplatz neben der Wohnanlage The Court und prallte beinahe gegen das Heck eines großen schwarzen Wagens, der mit durchdrehenden Reifen zur Ausfahrt schlitterte. Der Wagen wirbelte einen Sprühregen aus Splitt und Matsch auf, der auch über den Saum von Margarets Mantel spritzte. »Himmel noch mal!«, brüllte sie, doch das Fahrzeug flüchtete bereits, hinaus und ab auf die Hauptstraße, und verschwand in einer Wolke toxischer Abgase. Eine halbe Stunde in Edinburgh, und schon war Margaret von oben bis unten voll Dreck.

Sie stieg die Betonstufen zu Barbaras Haustür hoch wie ein heimgekehrtes Findelkind mit der Hoffnung, ihre Vergangenheit sei bloß ein Missverständnis. Doch als sich auf ihr drittes hartnäckiges Klingeln hin die Tür schließlich einen Spaltbreit öffnete, erkannte Margaret, dass der erhoffte Neubeginn hier kaum stattfinden würde. Ihre Mutter war alt geworden. Viel, viel älter, als Margaret sich vorgestellt hatte. Ihr Gesicht schon von Leichenblässe gezeichnet.

»Was machst du denn hier?« Nicht gerade die übliche ­Mutter-Tochter-Begrüßung.

»Ich dachte, ich helfe dir das neue Jahr feiern.«

»Das ist schon gelaufen.«

All das weiterhin mit der Kette vor der Tür.

»Ich habe Rum mitgebracht.« Margaret hielt die Literflasche hoch, die sie den ganzen Weg aus dem Süden mitgeschleppt hatte. Vielleicht ein Friedensangebot, ein Versprechen auf bessere Zeiten. Oder, was wahrscheinlicher war, weil Barbara ihrer Tochter immer eingebläut hatte: In Augenblicken wie diesem hieß es für alles gewappnet sein.

Die dunkle Flüssigkeit funkelte im Treppenhauslicht. Durch den schmalen Spalt in der Tür funkelten auch ­Barbaras ­Pupillen, als sie auf die Flasche linste, während Margaret wiederum ihre Mutter beäugte. Alt. Eindeutig alt. Und noch etwas anderes. Aber Margaret blieb keine Zeit, dahinterzukommen, denn die Tür schloss sich und öffnete sich dann wieder. Diesmal ohne die Kette.

Sieben Uhr morgens, und in Barbaras Miniatur-Hausflur gequetscht setzte Margaret zum Sturm an. »Das war ja eine nette Begrüßung in der Zeit des Jubels und der Freude.« Sie konnte es sich nicht verkneifen. Angriff, die beste Verteidigung. Widerspruchsgeist war tief in ihr verwurzelt, genau wie bei ihrer Mutter.

»Ich dachte, du wärst einer von den Gutmenschen.« Barbara trug einen wattierten Morgenmantel in einem Farbton von etwas, das mal rosa gewesen war.

»Eine Zeugin Jehovas?« Margaret hatte ihre Mutter nie für religiös gehalten. Mehr Interesse an Rum und Keksen als an der Chance, ihre Seele zu retten.

Mit der rechten Hand umklammerte Barbara einen grauen Krückstock vom NHS, dem nationalen Gesundheitsdienst. »Denen gehöre ich bereits an«, sagte sie.

Das war nicht die Art Heimkehr, die Margaret erwartet hatte. Eine plötzliche Hinwendung zu Gott in all seinen vielen Verkleidungen. »Ich dachte, du bist bei der Church of ­Scotland. Die gleich um die Ecke.«

Barbara schnaubte, ein leises Pfeifen entstieg ihrer Brust. »Und beim ganzen Rest.«

»Welchem Rest?«

»Anglikaner. Katholen. Protestanten. Freunde«, betete Barbara herunter, als wäre sie hier und jetzt in der Kirche.

»Freunde?«

Mit pfeifenden Lungen stützte Barbara sich auf ihren Stock. »Quäker, wie in dem Film mit dem Indiana-Kerl.«

»Ich dachte, das sind Amische.«

»Egal.«

Erst zwei Minuten in der Wohnung und schon lieferte Margaret nur ein Ungenügend. Sie hatte noch nicht mal den Mantel ausgezogen. »Dann bist du Mitglied in mehr als einer Gemeinde?«

»In mehr oder weniger allen.«

»Aber du glaubst doch gar nicht an Gott.«

»Woher willst du das wissen.«

Es war keine Frage und es gab nichts, was Margaret darauf antworten konnte. Zehn Jahre oder mehr. Wenige Telefonate. Keine Ahnung, wann sie das letzte Mal zu Weihnachten oder Neujahr zu Besuch gewesen war. Ihre Mutter war inzwischen alt, gut über siebzig. Vielleicht war es ein plötzlicher Sinneswandel. Eine Art Damaskuserlebnis, wie Margarets eigener Anfang vom Ende. Das wäre so typisch, mit einer Midlife-Krise heimkommen, nur um festzustellen, dass bei ihrer ­Mutter die Lebensendkrise in vollem Gange war. ­Margaret klammerte sich fester an den Hals ihrer Literflasche. Wer wagt, gewinnt. Oder so ähnlich. Aber natürlich war ihre Mutter schneller.

»Und, schenkst du mir nun ein Glas aus dieser Flasche ein? Oder muss ich das auch selber machen wie alles andere?«

 

Margaret Penny hatte so wenig geplant, nach Edinburgh zurückzukehren, wie Edinburgh ihre Rückkehr erwartet hatte.

Aber â¦

Zu Hause ist dort, wo dein Herz ist.

Sagte man nicht so?

Insbesondere ein Herz, das man gequält, verprügelt und in winzige Stücke zerschnitten hatte, bevor man es an einer Herz-Lungen-Maschine verwesen ließ.

Sie hatte ihr Leben in London aufgegeben, indem sie es irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr komplett entsorgte. All die Dinge, die für sie nicht mehr von Nutzen waren, wanderten stracks auf die Müllkippe - schwarze Kostüme und Blusen mit Häkeleinsatz, fleischfarbene Strumpf­hosen, Zwiebelschneider und schicke Kleider, Ordner in lebhaften Farben. Sowie eine nagelneue Saftpresse, die sie sich einst gewünscht, aber nie gebraucht hatte.

Es geschah etwa zur selben Zeit, als das Leben, das ­Margaret zu führen meinte, auch sie abservierte. Ein Job, ohne Rückfrage dahin. Ein Bankkonto, geleert wie Badewasser durch den Abfluss. Kein Erspartes, um darauf zurückzugreifen. Auch keine echten Freunde, um darauf zurückzugreifen. Diverse Debit-, Kredit- und andere Karten, an die, wie jetzt herauskam, kein Geld (und keine Loyalität) gekoppelt war. Schlussendlich der Besuch eines Gerichtsvollziehers, der erklärte, dass die Wohnung, die sie all die Jahre gemietet hatte, ihr irgendwie entrissen worden war.

Dreißig Jahre in der Großen Metropole, dahin, wie Schnee von einer Herdplatte gleitet. Und alles wegen einer Begegnung mit einer mausgrauen Dame, die auf dem kleinen, fleckigen Tisch in Margarets Coffeeshop um die Ecke Fotos ausgebreitet hatte. Ein Mann, von dem Margaret damals annahm, dass es ihrer sei. Und neben ihm zwei Kinder mit silbernem Haar in knittrigem...

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