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Hic sunt Dracones

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
456 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am05.04.20221. Auflage
Durch Länder, Gewässer, Luft und Weltraum führen uns Expeditionen in unbekannte Gebiete. Immer dabei ist die Landkarte, auf der die Worte prangen: "Hic sunt Dracones" - hier sind Drachen! Eine Warnung, die beachtet werden sollte. Sonst kann es passieren, dass wir im Hort eines Drachen landen, auf einer einsamen Insel oder in einem Wurmloch, verloren in Zeit und Raum. 33 phantastische Reiseberichte machen das Reisen durch Welten, Zeiten und Ebenen zu einer Herausforderung, aber seid gewiss, noch haben wir immer den Heimweg gefunden.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR17,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextDurch Länder, Gewässer, Luft und Weltraum führen uns Expeditionen in unbekannte Gebiete. Immer dabei ist die Landkarte, auf der die Worte prangen: "Hic sunt Dracones" - hier sind Drachen! Eine Warnung, die beachtet werden sollte. Sonst kann es passieren, dass wir im Hort eines Drachen landen, auf einer einsamen Insel oder in einem Wurmloch, verloren in Zeit und Raum. 33 phantastische Reiseberichte machen das Reisen durch Welten, Zeiten und Ebenen zu einer Herausforderung, aber seid gewiss, noch haben wir immer den Heimweg gefunden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783755794103
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum05.04.2022
Auflage1. Auflage
Seiten456 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9113578
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Dr. Carsten Gerhard Ubi sunt dracones? I
Die Kartographen des Mittelalters hielten Drachen, Monster und anderes ungeheure Fabelgetier für immerhin so real, dass sie ihre Lebensräume auf Land- und Seekarten festhielten. Der »Hic sunt dracones«-Schriftzug, welcher der vorliegenden Anthologie seinen Namen gab, stammt von einem frühneuzeitlichen Globus, dem Hunt-Lenox-Globus, 1504. Doch das ist nur eines von zahlreichen Beispielen für die Erfassung von Drachen bei der mittelalterlichen Weltbeschreibung. Auf der berühmten Ebstorfer Weltkarte, der größten bekannten mappa mundi des Mittelalters, die rund zweihundert Jahre älter ist als der Hunt-Lenox-Globus, haben die Kartographen neben Ländern, Flüssen und Städten mit ihren Sehenswürdigkeiten auch verzeichnet, wo etwa die menschenfressenden Ungeheuer Gog und Magog leben - am kaspischen Meer im Nordosten, sicher verwahrt hinter Mauern, wo sie nach einer mittelalterlichen Erzählung Alexander der Große eingesperrt hatte. Gog und Magog, die Unheilbringer der biblischen Apokalypse, werden im europäischen Mittelalter mal als Monster, mal als feindliche Heerscharen vorgestellt. In den Alexanderromanen, die nach Überlieferungslage der meistgelesene weltliche Stoff im deutschen Mittelalter waren, wird berichtet, wie der antike Welteroberer Alexander der Große Gog und Magog bezwingt und hinter festen Mauern einsperrt. Die literarische Überlieferung war für die Kartographen der Ebstorfer Weltkarte so relevant, dass sie auf ihrer Weltkarte eben jenen Ort bezeichneten, wo die Ungeheuer Gog und Magog hinter Mauern gefangen waren.

Heilsgeschichtliche Überzeugungen, religiöse Weltdeutung und objektivierbares Orientierungswissen sind in der mittelalterlichen Kartographie vermengt. Gleiches gilt für Reisebeschreibungen dieser Zeit. Marco Polos Bericht von seiner Reise in den fernen Osten etwa überliefert detailliertes Faktenwissen über China und das Mongolenreich genauso wie magisch-abenteuerliche Begebenheiten. Solche wundersamen Vermischungen haben Zweifel daran genährt, ob der Weltenfahrer tatsächlich in China gewesen ist, wofür aber doch viele Kenntnisse sprechen, die Marco Polo nach heutigem Wissensstand nur aus eigener Anschauung erlangt haben konnte. Und so wie die Ebstorfer Kartographen Gog und Magog als real vorstellen, so berichtet auch Marco Polo von furchteinflößenden Drachen, die man in der chinesischen Provinz Caragian gewärtigen müsse. In Kapitel 118 beschreibt er ein zehn Schritt langes und zehn Palmen großes Monster, mit zwei Vorderbeinen, einem Löwenkopf und einer Nase wie ein Brot.

Irritiert den neuzeitlichen Menschen dieses Nebeneinander von Fiktion und Faktenwissen, so waren noch für Christoph Kolumbus Marco Polos Reisebeschreibungen eine vertrauenswürdige Quelle. Er besaß ein Exemplar von Il Milione, das er vielfältig mit Anmerkungen versah. Dieses selbstverständliche Nebeneinander von Fiktion und empirisch-objektivierbaren Daten in Reiseberichten sowie Kartenwerken zeigt, wie wichtig der mittelalterlichen Weltdarstellung die Absicherung von mündlicher und schriftlicher Überlieferung war. Sie stand gleichberechtigt neben Erfahrungs- und objektivierbarem Wissen.
II
Drachen erscheinen in der antiken und mittelalterlichen (auch außereuropäischen) Literatur und Kunst in vielen Formen. Meistens sind sie reptilienartige Tiere, immer wieder wird der Drache auch synonym als Schlange bezeichnet. Dabei haben Drachen zum Beispiel Flügel, können Feuer speien und sind oft todesgefährlich. Häufig werden sie, zumindest in westlichen Kulturkreisen, als Verkörperung des Bösen schlechthin oder als Chaosbringer gekennzeichnet (wobei es auch andere Zuschreibungen gibt).1 Sie stellen eine ominöse Bedrohung in einer gefahrvollen und komplexen Welt dar. Dem Drachen gegenüber steht der Held: Ob Siegfried, Alexander der Große, Dietrich von Bern oder der heilige Georg - viele mittelalterliche Helden bezwingen Drachen. Der Held ist ein gleichsam notwendiges Gegenstück zum Drachen, sein Bekämpfer und Bezwinger, und das nicht erst im Mittelalter, sondern schon in der Antike. Der mittelalterliche Held wird häufig durch einen Drachenkampf überhaupt erst initiiert. So übt der Held Schutz gegen die Bedrohung aus, besiegt das chaosbringende Untier und sichert damit die (Welt-)Ordnung.
III
Die Aufklärung erfasst, vermisst und vernetzt systematisch die Welt. Die Reiseberichterstattung leistet einen maßgeblichen Beitrag dazu. So liegen Reiseberichte auf der Rangliste der Buchproduktion im 17. und 18. Jahrhundert ganz weit vorn. Es ist ein Projekt der europäischen Aufklärung, durch die Summierung von Reiseberichtenso etwas wie eine Weltenzyklopädie zu erstellen. Die Bildungsreise sowie die öffentliche Berichterstattung darüber in Buchform wird gleichsam eine Verpflichtung für die Teilnehmenden am Projekt der europäischen Aufklärung, an dem auch Frauenmitwirken. So gehören zu den prominenten Reiseberichten des 18. Jahrhunderts aus der Türkei die Turkish Embassy Letters von Lady Mary Montague, die von 1716 bis 1718 in der Türkei und in Nordafrika als Gattin des englischen Gesandten lebt und in feinfühligen, kulturell ausgesprochen aufgeschlossenen Briefen in die Heimat von ihren Erlebnissen in der orientalischen Ferne berichtet.

Die aufgeklärte Reise führt in alle Welt. Die zentralen Geburtsund Gewährsstätten abendländischer Kultur in Italien sind besonders prominente Reiseziele, aber man reist auch in den Osten, nach Moskau, St. Petersburg, selbst nach Sibirien, nach Skandinavien, nach Griechenland natürlich, in die Türkei und den Orient. Georg Forsters Bericht von seiner Weltreise mit James Cook ist ein echter Bestseller, und auch Alexander von Humboldt legt von seiner bahnbrechenden Forschungsexpedition nach Südamerika selbstverständlich einen Reisebericht vor.

Drachen und drachenbezwingende Helden haben in diesen Reisebeschreibungen keinen Platz mehr. Die Welt ist vermessen und katalogisiert, Drachen wurden dabei keine gefunden. So wandelt sich der Drache nun zum Spektakel- und Abenteuerelement. Mozarts Zauberflöte beginnt 1791 sensationsbewusst und effektreich mit dem Auftritt einer Drachenschlange. Auch ist es nicht mehr ein starker Held, der das Untier bezwingt (der Held in der Zauberflöte fällt vielmehr aus Schreck vor dem Drachen erst einmal in Ohnmacht). Tamino wird sein Heldentum erst später beweisen, wenn er Sarastros Prüfungen durch Tugendhaftigkeit, Beständigkeit und Weisheit besteht: Der aufgeklärte Held besticht durch andere Tugenden und Taten als das Bezwingen von Drachen. So dauert es auch nicht mehr lange, bis Georg Wilhelm Friedrich Hegel den Helden an sich für historisch obsolet erklärt: »Im Staat kann es keine Heroen mehr geben, diese kommen nur im ungebildeten Zustande vor.«2 In einem aufgeklärten, auf Freiheit, Gleichheit und Recht aufgebauten Staatswesen braucht es den Helden als Garanten von Ordnung nicht mehr, so Hegel.3 Ohne Helden aber verliert auch der Drache seinen Schrecken und schrumpft schließlich auf die Größe einer Kokosnuss.4
IV
Zum Ende des 18. Jahrhunderts, als die Vermessung der Welt noch in vollem Gange ist, zieht der Mensch zunehmend auch aus,um beim Reisen nicht nur die Ferne, sondern sich selbst zu entdecken. Die bereiste Welt präsentiert sich zunehmend nicht mehr nur als Gegenstand vernünftiger Erfassung, sondern wird zur subjektiven Projektionsfläche ästhetischer Wahrnehmungen. Besonders eindrücklich lässt sich diese Ästhetisierung des Reisens an den deutschen Italienreiseberichten ablesen. Wie von Raffael gemalt erscheinen nun die Italienerinnen, die Beleuchtung des Himmels wie bei Lorrain oder Poussin, den locus amoenus erlebt das Subjekt als eine Erfüllung von horazischer Dichtung - Italien wird zum Sehnsuchtsort einer ästhetischen Grundhaltung, die sinnliches Erleben als Weltzugang legitimiert.

An der Ästhetisierung Italiens hat übrigens die Italienische Reise Goethes, der bis heute wohl prominenteste und meistgelesene deutsche Reisebericht, weniger Anteil als es das Klischee will. Zwar gibt es kaum einen Italienreisebericht der letzten zweihundert Jahre, der nicht en passant auch auf Goethes Reisebeschreibung Bezug nimmt. Tatsächlich ist aber der ästhetische Italienmythos eher im Zusammenwirken von Landschaftsmalerei und romantischer Italienliteratur (Bekenntnisse eines Klosterbruders, Titan, Sentimental Journey, Ardinghello etc.) geschaffen worden, als in Goethes Italienischer Reise stilbildend vorgeprägt. Im Gegenteil: Der alte Goethe, der die rund 30 Jahre alten Reisenotizen zur »Italienischen Reise« redigierte (das Werk wurde 1813 - 1817 redaktionell aus den alten Reisenotizen erstellt, die Reise selbst war in den Jahren 1786 - 1788 erfolgt), machte seinen Reisebericht eher zu einer Reflexion über die Möglichkeiten objektiver Weltwahrnehmung, anstatt zu einem Modell ästhetisierter Italiendarstellung. Insofern fällt das Werk aus der typischen Italienreisebeschreibung des 19. Jahrhunderts...
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