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Die kürzeste Geschichte Europas

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Atlantik Verlagerschienen am03.01.2023
John Hirst, Australiens bedeutendster Historiker, nimmt das Fernglas zur Hand und Europa ins Visier. Fakten und Ereignisse bringt er in einen fassbaren Zusammenhang und bietet einen einzigartigen Überblick über die europäische Kulturgeschichte. Mit Humor erzählt er vom Ende des römischen Schmierentheaters durch die Germanen, die unbeabsichtigt das Weströmische Reich übernehmen oder wie 1066 die Normannen England erobern und ihnen damit bis heute als Letzte ein Einfall in das Inselland gelingt. Spannende, überraschende und witzige Einblicke in die Entwicklung der europäischen Kultur - mit garantiertem Aha-Effekt. Über zweitausend Jahre Kulturgeschichte - prägnant, anschaulich, humorvoll

John Hirst, geboren 1942, ist einer der bekanntesten Historiker Australiens. Er unterrichtete an der La Trobe University und war maßgeblich an der Erneuerung des Geschichtsverständnisses an australischen Schulen beteiligt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextJohn Hirst, Australiens bedeutendster Historiker, nimmt das Fernglas zur Hand und Europa ins Visier. Fakten und Ereignisse bringt er in einen fassbaren Zusammenhang und bietet einen einzigartigen Überblick über die europäische Kulturgeschichte. Mit Humor erzählt er vom Ende des römischen Schmierentheaters durch die Germanen, die unbeabsichtigt das Weströmische Reich übernehmen oder wie 1066 die Normannen England erobern und ihnen damit bis heute als Letzte ein Einfall in das Inselland gelingt. Spannende, überraschende und witzige Einblicke in die Entwicklung der europäischen Kultur - mit garantiertem Aha-Effekt. Über zweitausend Jahre Kulturgeschichte - prägnant, anschaulich, humorvoll

John Hirst, geboren 1942, ist einer der bekanntesten Historiker Australiens. Er unterrichtete an der La Trobe University und war maßgeblich an der Erneuerung des Geschichtsverständnisses an australischen Schulen beteiligt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455015225
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum03.01.2023
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1862 Kbytes
Artikel-Nr.9113726
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


KAPITEL 2
Europas Neuzeit

Die Mischung, aus der die europäische Zivilisation bestand, war instabil. Sie hielt sich lange - das ganze Mittelalter hindurch, rund tausend Jahre -, aber ihre Elemente harmonierten nicht miteinander. Um das Jahr 1400 begann die Mischung auseinanderzufallen. Das geschah zuerst in der Renaissance.

Oft beschreibt man die Renaissance als Entdeckung oder Wiederentdeckung der griechischen und römischen Gelehrsamkeit. Aber eigentlich war es nicht so, dass die Gelehrsamkeit verlorengegangen war und wiederentdeckt werden musste, auch wenn damals tatsächlich einige Neuentdeckungen gemacht wurden. Etwas anderes hatte sich geändert: Anstatt dass die Kirche die antike Gelehrsamkeit zur Stützung ihrer Theologie nutzt, gab es nun Gelehrte, hauptsächlich außerhalb der Kirche, die sich ein Bild von der griechischen und römischen Welt machen wollten in der Zeit der Entstehung ihrer Gelehrsamkeit. Sie wollten Kunstwerke schaffen wie die antiken Künstler, bauen wie sie, Latein schreiben wie sie, denken wie sie. Sie versetzten sich zurück in eine frühere Welt, die unchristlich und heidnisch war - etwas, das die Kirche bei der Nutzung dieser Gelehrsamkeit für ihre Zwecke verborgen hatte.

Es war zugleich eine »weltlichere« Welt. Die Menschen der Antike hatten sich sehr viel stärker für die Menschheit und ihr Handeln auf dieser Erde interessiert als für ihr Leben nach dem Tod. Sie hatten die Fähigkeiten und Stärken des Menschen gefeiert und sich nicht mit seiner Verworfenheit aufgehalten. Es war eine sehr aufgeschlossene Welt, in welche die Renaissance-Gelehrten nun eintraten. Unter den antiken Philosophen und Moralisten hatte es sehr unterschiedliche Meinungen über das gute Leben und das richtige Denken gegeben. Ihre Debatten und Spekulationen waren frei gewesen von den Beschränkungen, welche die Kirche dem Denken auferlegt hatte.

Allerdings griffen die Gelehrten der Renaissance nicht direkt das Christentum an. Es gab unterschiedliche Auffassungen, aber im Großen und Ganzen bezogen sie zur christlichen Religion eine ähnliche Haltung wie die Menschen der Antike zur Religion. Für sie war die Religion etwas Gegebenes, das man nicht hinterfragte, sie galt weithin als etwas Gutes oder Notwendiges, aber es gab viele andere Dinge, für die man sich interessieren konnte. Die Religion sollte nicht das gesamte Leben und Denken beherrschen, wie es die Kirche angestrebt hatte. Nachdem diese Beschränkung gefallen war, wurde das europäische Denken sehr viel abenteuerlicher, toleranter, weniger an Gewissheiten gebunden als zuvor.

Mit der Renaissance beginnt der lange Prozess der Säkularisierung der europäischen Gesellschaft. In einer säkularen Welt kann eine Religion existieren, aber als Privatangelegenheit oder als Vereinigung von Menschen, die an bestimmten Überzeugungen hängen - wie in unserer Welt. Die Religion beherrscht nicht die Gesellschaft; sie erlegt nicht jedermann ihre Regeln oder Rituale auf, und sie kontrolliert nicht das Denken.

In der Renaissance begann man, sich in andere Kulturen und Traditionen hineinzuversetzen. Wenn man das einmal getan hat, ist man nicht mehr derselbe. Es gibt keine festen Gewissheiten mehr. Nicht zum letzten Mal hatte sich das europäische Denken gehäutet.

Die Menschen der Renaissance waren die Ersten, die das Zeitalter der Griechen und Römer als das klassische Zeitalter bezeichneten. Klassisch bedeutet hier das Allerbeste: ein klassischer Fang, eine klassische Aufführung, etwas Unübertreffliches. Sie hielten die Leistungen der Menschen der Antike in Literatur, Kunst, Philosophie und Wissenschaft für unübertroffen und unübertrefflich. Ihre eigenen Leistungen hielten sie für gut, wenn sie denen der Alten annähernd gleichkamen. So zerriss die Renaissance die Mischung mit der Mitteilung: Die Klassik ist das Höchste.

Unser Zeitsystem beruht auf zwei verschiedenen Grundlagen, eine ständige Erinnerung an den gemischten Charakter unserer Zivilisation. Indem wir die Jahre von der Geburt Christi an datieren, betrachten wir uns noch immer als eine christliche Zivilisation. AD ist eine Abkürzung des lateinischen Anno Domini, »im Jahre des Herrn« (der tatsächlich nicht im Jahr 1 AD geboren wurde, sondern wahrscheinlicher im Jahr 6 oder 4 v. Chr.). Unsere Einteilung in verschiedene Zeitalter - das antike, das mittelalterliche und das neuzeitliche  - hat mit dem Christentum jedoch nichts zu tun. Es ist die Sichtweise der Renaissance, derzufolge die klassische Welt einen Gipfel der Vollkommenheit erreichte; danach begann die Menschheit umherzuschweifen und verlor den Bezug zu ihrem Erbe. Diese Epoche der »Unterbrechung« ist das sogenannte Mittelalter, jene Zeit, in der die Kirche ihre Vorrangstellung im geistigen und gesellschaftlichen Leben erlangte. Klassisch, mittelalterlich und neuzeitlich sind also sehr unchristliche Begriffe.

Die dreifache Veränderung vom Klassischen über das Mittelalterliche zum Modernen lässt sich an drei Skulpturen verdeutlichen. Die erste ist eine griechische Skulptur aus der Antike, weshalb ihr ein Arm fehlt. Von den originalen griechischen Skulpturen sind nur sehr wenige erhalten; was wir haben, sind zumeist römische Kopien, die nicht annähernd so gut sind. Hier sehen wir den Gott Hermes mit dem Dionysos-Kind von Praxiteles. Der menschliche Körper in vollkommener Schönheit und Perfektion ist eine griechische Erfindung. Wie der Kunsthistoriker Kenneth Clark sagt, muss man den Akt vom nackten Körper unterscheiden. Der Akt ist in sich vollkommen, genau richtig, so wie er ist; der nackte Körper ist ohne Kleider und durch ihr Fehlen vermindert. Natürlich sehen die meisten Männerkörper nicht so aus wie der hier dargestellte: Die Griechen wollten keinen bestimmten Körper abbilden. Sie waren bemüht, im Körper Vollkommenheit zu entdecken, und sie benutzten ihre Mathematik, um die Proportionen zu ermitteln, die am gefälligsten und schönsten sind.



Hermes, von Praxiteles (links); Gott stellt Adam und Eva zur Rede, Bronzetür des Hildesheimer Doms (Mitte); David, von Michelangelo (rechts).



Die zweite Skulptur vermittelt eine mittelalterliche Sicht der menschlichen Gestalt; zu sehen ist die Bernwardstür des Hildesheimer Doms. Wir sehen Adam und Eva, nachdem sie die Frucht gegessen hatten, die zu essen Gott ihnen verboten hatte. Adam schiebt die Schuld auf Eva, Eva schiebt die Schuld auf die Schlange, beide schämen sich ihrer Nacktheit, die sie teilweise verdecken. Dies sind offenkundig keine Akte; sie verkörpern die christliche Lehre, dass der Körper böse ist, eine Quelle der Sünde.

Als Drittes sehen wir Michelangelo in der Renaissance, der sich die Griechen zum Vorbild nahm und zu ihrer Idee des Aktes zurückkehrte. Er stellt seinen David als eine menschliche Form von Vollkommenheit dar: der Mensch als Verkörperung von etwas Feurigem, Edlem und Schönem - wie Hamlet sagt: »Im Handeln wie ähnlich einem Engel! Im Begreifen wie ähnlich einem Gott!«

Vom Akt zum Nackten zum Akt - so kann man die Veränderung vom Klassischen über das Mittelalterliche zum Modernen beschreiben, und so verstand die Renaissance sich selbst.

Die Renaissance war die erste große Störung der mittelalterlichen Welt; die zweite war die protestantische Reformation im 16. Jahrhundert. Sie war ein frontaler Angriff auf die Kirche. Ihr Ziel war eine Rückkehr zu der Kirche, wie sie war, bevor sie römisch wurde. Die Kirche nahm, wie wir gesehen haben, ihre römischen Merkmale an, weil sie mit dem Römischen Reich groß wurde; als das Reich zusammenbrach, bestand die Kirche weiter mit ihrem Papst, der einer kaiserlichen Gestalt ähnelte, mit den Erzbischöfen und Bischöfen, die den Verwaltern des alten Römischen Reiches ähnelten, und unter ihnen die in jedem Ort vorhandenen Priester. Diese heilige Körperschaft hatte ihre Gesetze, ihre Strafen, ihre Kerker und ihr Steuersystem.

Der Papst und die Bischöfe regierten die Kirche und bestimmten ihre Lehre. Die Kirche bot den Menschen die Erlösung an, aber nur mit Mitteln, über die sie allein verfügte. Um erlöst zu werden, brauchte man Priester und Bischöfe. Man musste das Abendmahl nehmen, an der Messfeier teilnehmen, und man brauchte einen Priester, der das Wunder schaffte, das Brot und den Wein in den Leib und das Blut Jesu zu verwandeln. Man brauchte einen Priester, der einem die Beichte abnahm, die Absolution erteilte und einem die Buße für die eigenen Sünden auferlegte. Dann gab der Priester einem vielleicht auf, soundso viele Ave Maria zu sagen, auf eine Wallfahrt zu gehen oder sich bei schweren Verstößen vor dem Altar auspeitschen zu lassen. War man reich und sterbenskrank, sagte der Priester einem wahrscheinlich mit großem Nachdruck, man werde nur in den Himmel kommen, wenn man einen beträchtlichen Teil seines Besitzes der Kirche vermachte.

Im Mittelalter traten die meisten Priester, Bischöfe und Erzbischöfe nicht in die Kirche ein, weil sie besonders fromm oder religiös waren; Männer traten in den Dienst der Kirche, weil sie damals die größte und reichste Organisation war. Man empfing die geistlichen Weihen aus demselben Motiv, aus dem man heute in den Staatsdienst tritt oder in ein Großunternehmen oder in die Politik oder an eine Universität: um eine sichere Stellung, eine interessante Arbeit oder ein hohes Gehalt zu bekommen, um gut zu leben oder um Macht auszuüben. In der Kirche gab es viele Gelegenheiten, sich zu bereichern und Freunden und Verwandten eine Stelle zu verschaffen.

Doch diese reiche, plündernde und korrupte Organisation war zugleich die Bewahrerin der Lehren Jesu und der Geschichte der Urchristen. Jesus und seine Jünger waren bescheidene Menschen gewesen,...

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Autor

John Hirst, geboren 1942, ist einer der bekanntesten Historiker Australiens. Er unterrichtete an der La Trobe University und war maßgeblich an der Erneuerung des Geschichtsverständnisses an australischen Schulen beteiligt.