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Kieler Schein

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
283 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am10.08.2022
Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation: Carl Fuffziger gesteht, seine Frau im Streit erschlagen zu haben. Worum es genau ging, weiß er angeblich nicht mehr. Für Kommissar Rosenbaum liegt der Fall zunächst klar auf der Hand, denn Fuffzigers Mutter schildert ihn als gewalttätigen Mann. Seine Tochter stellt ihn jedoch als sanften und rücksichtsvollen Vater dar. Will sie ihn nur retten? Wer sagt die Wahrheit? Was eben noch offensichtlich war, entpuppt sich schnell als bloßer Schein. So wie die gefälschten 50.000-Mark-Scheine, die in Umlauf sind.

Kay Jacobs, Jahrgang 1961, studierte Jura, Philosophie und Volkswirtschaft in Tübingen und Kiel. Er promovierte über Unternehmensmitbestimmung und war anschließend viele Jahre in unterschiedlichen Kanzleien als Rechtsanwalt tätig. Heute lebt er mit seiner Familie in Norddeutschland und schreibt über all das, was er als Anwalt erlebt hat oder hätte erlebt haben können. Für »Kieler Helden« wurde er mit dem Silbernen Homer ausgezeichnet. Mehr Informationen zum Autor unter: www.kayjacobs.de
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextAuf dem Höhepunkt der Hyperinflation: Carl Fuffziger gesteht, seine Frau im Streit erschlagen zu haben. Worum es genau ging, weiß er angeblich nicht mehr. Für Kommissar Rosenbaum liegt der Fall zunächst klar auf der Hand, denn Fuffzigers Mutter schildert ihn als gewalttätigen Mann. Seine Tochter stellt ihn jedoch als sanften und rücksichtsvollen Vater dar. Will sie ihn nur retten? Wer sagt die Wahrheit? Was eben noch offensichtlich war, entpuppt sich schnell als bloßer Schein. So wie die gefälschten 50.000-Mark-Scheine, die in Umlauf sind.

Kay Jacobs, Jahrgang 1961, studierte Jura, Philosophie und Volkswirtschaft in Tübingen und Kiel. Er promovierte über Unternehmensmitbestimmung und war anschließend viele Jahre in unterschiedlichen Kanzleien als Rechtsanwalt tätig. Heute lebt er mit seiner Familie in Norddeutschland und schreibt über all das, was er als Anwalt erlebt hat oder hätte erlebt haben können. Für »Kieler Helden« wurde er mit dem Silbernen Homer ausgezeichnet. Mehr Informationen zum Autor unter: www.kayjacobs.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839272640
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum10.08.2022
Reihen-Nr.6
Seiten283 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9224283
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


II

»Das ist keine Zechprellerei. Ich habe mein Geld zu Hause vergessen.«

»Ist klar. Außerdem sind Sie Kommissar Rosenbaum, können sich aber nicht ausweisen.«

»Weil mein Ausweis zusammen mit dem Geld in meiner Brieftasche steckt. Das sagte ich doch schon. Und die Brieftasche liegt zu Hause. Wir fahren da jetzt hin, und ich zeige Ihnen alles.«

»Ich werde Kommissar Rosenbaum sicher nicht nachts um zwei Uhr zu Hause stören. Sie werden schön warten, bis er morgen früh ins Präsidium kommt.«

»Ich werde aber morgen früh nicht herkommen, weil ich bereits hier bin!«

»Jetzt werden Sie mal nicht laut, Sie â¦«

»Sie können mich doch nicht wegen läppischer drei Milliarden Mark einsperren!«

Die Zellentür rasselte zu. Das war das letzte Gespräch, das Josef Rosenbaum in dieser Nacht führte. Wortwörtlich, ungelogen und ohne jede Übertreibung. Es war die Nacht zum 31. Oktober 1923. Seit Jahresanfang grassierte in Deutschland eine Hyperinflation. Ende Oktober konnte man für drei Milliarden Mark eine warme Mahlzeit und ein Bier bekommen. Oder wer gewitzt war und das Geld erübrigen konnte, der hätte es eine Woche zuvor gegen zehn US-Cent eintauschen können. Jetzt bekam man noch einen Cent dafür.

Tatsächlich lautete die offizielle Bezeichnung der deutschen Währung schlicht Mark. Bis 1914 hatte der Goldstandard gegolten. Man konnte die Mark jederzeit bei der Reichsbank in Gold umtauschen. Jede ausgegebene Münze war durch Goldreserven gedeckt; ihr Wert orientierte sich also am Goldwert, sie war stabil. Mit Kriegsanfang wurde der Goldstandard aufgehoben, weil die Reserven nicht ausreichten, die Kriegskosten zu decken. Es wurden keine neuen Kurantmünzen mehr ausgegeben, bereits im Umlauf befindliche Goldmünzen wurden jedoch nicht eingezogen. Fortan entwickelte sich der Geldwert der Mark nach den Marktgesetzen. Wegen der hohen Kriegskosten und später wegen der Ruhrbesetzung musste vermehrt Geld gedruckt werden, es kam zu einer sich allmählich verstärkenden Inflation. Der Wert der Goldmünzen behielt aber mindestens den Wert des enthaltenen Goldes. Damit wich ihr tatsächlicher Wert zunehmend von ihrem Nominalwert ab. Da die offizielle Bezeichnung Mark auch für die Goldmünzen beibehalten wurde, machte dies eine inoffizielle Unterscheidung erforderlich. Die Goldmünzen wurden fortan »Goldmark«, die Banknoten »Papiermark« genannt.

Am nächsten Morgen drang vom Ende des Zellentraktes ein Scheppern an Rosenbaums Ohr. Dann hörte er die Stimme von Klaus Gerlach, seinem Assistenten.

»Wenn es aber doch der Kommissar ist, wird die Sache Folgen haben. Darauf können Sie wetten.«

Schritte eilten heran, von zwei Personen, die einen forsch, die anderen etwas stolpernd. Die Zellentür ging auf.

»Chef!«

»Hallo Gerlach.«

»Herr Kommissar â¦«

Der Wachtmeister entschuldigte sich, er sei ja erst zur Frühschicht gekommen, und der Kollege von der Nachtschicht sei neu, der habe den Kommissar nicht gekannt.

»Dann hätten Sie bei Schichtwechsel umso dringlicher nachsehen müssen, ob es der Kommissar ist, statt darauf zu warten, ob er irgendwann ins Präsidium kommt!«, sagte Gerlach.

Rosenbaum zupfte das Oberhemd zurecht und streifte seine Jacke über. Die Knochen taten ihm weh - Nächte auf Holzpritschen waren nicht das Richtige für einen Mann in seinem Alter -, doch seine Entrüstung war verflogen.

»Lassen Sie ihn leben«, sagte er zu seinem Assistenten. Das sagte er oft, wenn sich Gerlach über die Einfältigkeit der uniformierten Kollegen aufregte. »Eine Art Justizirrtum, nicht wahr?«

Sie gingen hinüber zur Blume, dem Gebäudeflügel der Kriminalpolizei an der Blumenstraße, und vor der Haupttreppe blieb der Kommissar stehen.

»Machen Sie einen Aktenvermerk, dass wir zum nächsten Haushaltsjahr die Anschaffung moderner Liegen für den Gewahrsamstrakt beantragen. Ich gehe erst mal nach Hause und ziehe mich um.«

Den Weg musste er zu Fuß machen; sein Fahrrad lehnte noch an einem Baum vor dem »Olen Schipper« in der Holtenauer Straße, wo Rosenbaum den letzten Abend gewesen war, bevor der Wirt diesen übereifrigen Wachtmeister gerufen hatte. Es war regnerisch und kühl, und trotzdem tat ihm die Bewegung an der frischen Luft gut, vor allem seinen Gelenken. In der Nacht hatte er zwar ein wenig geschlafen, irgendwie, aber er war müde und fühlte sich abgeschlafft. Sein Weg führte ihn den Knooper Weg entlang, dann quer über den Exerzierplatz. Es war Mittwoch, der Wochenmarkt war aufgebaut. Fuhrwerke parkten hinter Auslagen. Marktweiber schimpften hinter ihren Ständen über andere Marktweiber oder über Kunden oder über irgendwas. Möhrenkraut verschwand in Pferdeschlünden. Bündel von Geldscheinen wurden gereicht für einen Kohlkopf oder eine Handvoll Kartoffeln. Manche Händler akzeptierten nur Zigaretten oder Kohlebriketts. Automobile knatterten durch die Straßen, mehr als vor dem Krieg, aber deutlich weniger als in den letzten Jahren. Bei den wenigen modernen Tankstellen, die es gab, aber auch bei den Schlossereien und den Drogerien war das Benzin so teuer geworden, dass die Leute sich das Autofahren kaum noch leisten konnten.

Schließlich war Rosenbaum an einem gutbürgerlichen Mietshaus mit einer chamoisfarbenen und preußisch-blauen Kachelfassade angekommen. Hier, am Großen Kuhberg 48, wohnte er im ersten Stock. Bevor er hochging, grüßte er zunächst Frau Bunte, die in der Bäckerei neben dem Hauseingang hinterm Tresen stand, und betrat dann den Zigarrenladen Lüders auf der anderen Seite des Eingangs, um sich eine Havanna zu kaufen. Wie immer saß der alte Lüders in seinem Kabuff hinter dem Ladentisch und reparierte mit Lupe und Pinzette alte Benzinfeuerzeuge.

»Du hättest Uhrmacher werden sollen«, scherzte Rosenbaum.

Lüders hatte heute etwas ganz Besonderes im Angebot: die Partagás Habana Robusto, ein Longfiller mit fein ausbalancierten mittelkräftig-erdigen Aromen, eine köstliche Seltenheit, auch für Lüders.

»Am Anfang ist sie sehr kräftig und etwas bitter, aber dann entwickelt sich eine feine Tabaksüße, die mit sanften Gewürznoten verschmilzt, etwas nussig und eine leichte Pfefferschärfe«, schwärmte Lüders.

Die Kiste lag versteckt im hintersten Regal. Selbstverständlich bot er eine solche Rarität nur ausgesuchten Kunden an. Rosenbaum nahm zehn Stück. Dann fiel ihm ein, dass er kein Geld dabeihatte.

»Ich bringe es nachher runter.«

Dann ging er hinauf in den ersten Stock. Von innen steckte der Schlüssel, Rosenbaum musste klingeln.

»Ruhig, ruhig«, sagte er. Denn die Wohnung wurde von einem Hund bewacht, einem Mops, einer Ausgeburt von Hässlichkeit mit eingedrückter Schnauze und rosa Poloch. Er akzeptierte Rosenbaum zwar notgedrungen als sein Herrchen, Fremde jedoch mochte er nicht. Wenn der Postbote klingelte, sprang er vor Wut gegen die Tür und kläffte, dass alle im Haus etwas davon hatten. Und wenn der Postbote einen Brief in den Schlitz schob, nahm der Mops ihn auf der anderen Seite in Empfang und zerfetzte ihn.

Hedi Rosenbaum öffnete die Tür. Der Mops stürmte misstrauisch hinaus, schnüffelte am Hosenbein des Kommissars, vergewisserte sich, dass er allein war, und trottete dann zurück in die Küche, wo sein Körbchen stand. Eine freudige Begrüßung war das nicht, Rosenbaum hatte es nicht anders erwartet.

Der Mops hieß »Kegel«. Ein Kompromiss.

»Wir könnten ihn Iago nennen«, hatte Rosenbaum gesagt.

»Sie mögen keine Hunde, was, Chef?«, hatte Hedi entgegnet.

Tatsächlich, Rosenbaum mochte keine Hunde, genauso wenig, wie er seinen Kollegen und ständigen Widersacher Iago Schulz mochte.

Hedi war für »Dudel«, Rosenbaum schlug »Kugel« vor.

»Können Sie nicht mal ernst sein?«

»Er ist ein Mops. Und Möpse werden kugelrund, wenn sie alt sind.«

»Unser Mops nicht.«

»Jeder Mops.«

»Unser Mops wird schlank bleiben wie ein Rohr.«

» Rohr geht nicht. Hundenamen brauchen mindestens zwei Silben, sonst hört der Hund nicht darauf. Zylinder ginge. Aber das würde etwas steif klingen, oder?«

Schließlich hatten sie sich auf »Kegel« geeinigt.

Hedi schloss die Tür.

»Wo sind Sie gewesen, Chef?« Auch ihre Begrüßung fiel nicht sehr freundlich aus.

»Nachtschicht.«

»Und dann kann man nicht mal Bescheid sagen? Ich sitze hier und mache mir Sorgen, und der feine Herr hat es nicht nötig, einmal kurz anzurufen und Bescheid zu sagen? Und â¦« Hedi stutzte. »Sie hatten doch gar keinen Dienst.« Früher war sie seine Assistentin gewesen, jetzt nicht mehr, aber seinen Dienstplan kannte sie noch immer auswendig.

Er strich ihr über die Wange, dann erzählte er von seinem Missgeschick, und Schadenfreude entschädigte Hedi für ihre Sorgen. »Der liebe Gott wird wissen, wofür er Sie bestraft hat«, sagte sie so laut, dass der kleine David neugierig aus seinem Zimmer hüpfte und, als er Rosenbaum sah, laut »Papi, Papi« rufend auf ihn zurannte. Der Kommissar bestellte bei Hedi einen Kaffee und setzte sich mit David in den Ohrensessel im Wohnzimmer. David erzählte, dass er sein Zimmer aufgeräumt habe, ganz allein. Bevor Hedi den Kaffee brachte, war Rosenbaum eingeschlafen.

Er träumte von Kegel.

Es war kein angenehmer Traum, nie war es ein angenehmer Traum, wenn Rosenbaum von dem Hund träumte. Oft war er gefesselt oder auf andere Weise gehindert, sich zu wehren, wenn Kegel ihm über das Gesicht leckte und dabei höllisch stank, und zwar an beiden Körperenden gleich, als habe...

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