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Heimweh nach einer anderen Welt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Verlagsbuchhandlung Liebeskinderschienen am20.01.2020Deutsche Erstausgabe
John will sich an seiner verstorbenen Frau rächen, indem er sie posthum mit demselben Strichjungen betrügt, mit dem sie ihn mutmaßlich hintergangen hat. Larry arbeitet in einer betreuten Wohneinrichtung für 'Menschen mit Entwicklungsstörungen', weil er endlich sein Leben mit Leuten verbringen will, die ihn zu schätzen wissen. Und Charles fährt für ein Wochenende in eine Berghütte, weil seine Frau schwanger ist und er ein paar Tage für sich haben will, bevor das Baby auf die Welt kommt und sein Leben für immer ruiniert ... Die Menschen in Ottessa Moshfeghs Erzählungen sind eigensinnig, überheblich und boshaft. Und doch fühlen wir mit ihnen, denn ihr oft absurdes Verhalten hat immer auch etwas zutiefst Menschliches, genau wie ihre pathetischen Illusionen, durch die sie sich ständig selbst im Weg stehen. Haben wir nicht alle irgendwann 'Heimweh nach einer anderen Welt'?

Ottessa Moshfegh wurde in Boston geboren und ist kroatisch-persischer Abstammung. Sie steht auf der Granta-Liste der zwanzig besten jungen Autoren aus den USA. Für ihre Novelle 'McGlue' erhielt sie den Believer Book Award sowie den Fence Modern Prize. Ihr Roman 'Eileen' stand auf der Shortlist des Man Booker Prize und wurde mit dem PEN/Hemingway Award ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Roman 'Mein Jahr der Ruhe und Entspannung'. Ottessa Moshfegh lebt in Los Angeles.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextJohn will sich an seiner verstorbenen Frau rächen, indem er sie posthum mit demselben Strichjungen betrügt, mit dem sie ihn mutmaßlich hintergangen hat. Larry arbeitet in einer betreuten Wohneinrichtung für 'Menschen mit Entwicklungsstörungen', weil er endlich sein Leben mit Leuten verbringen will, die ihn zu schätzen wissen. Und Charles fährt für ein Wochenende in eine Berghütte, weil seine Frau schwanger ist und er ein paar Tage für sich haben will, bevor das Baby auf die Welt kommt und sein Leben für immer ruiniert ... Die Menschen in Ottessa Moshfeghs Erzählungen sind eigensinnig, überheblich und boshaft. Und doch fühlen wir mit ihnen, denn ihr oft absurdes Verhalten hat immer auch etwas zutiefst Menschliches, genau wie ihre pathetischen Illusionen, durch die sie sich ständig selbst im Weg stehen. Haben wir nicht alle irgendwann 'Heimweh nach einer anderen Welt'?

Ottessa Moshfegh wurde in Boston geboren und ist kroatisch-persischer Abstammung. Sie steht auf der Granta-Liste der zwanzig besten jungen Autoren aus den USA. Für ihre Novelle 'McGlue' erhielt sie den Believer Book Award sowie den Fence Modern Prize. Ihr Roman 'Eileen' stand auf der Shortlist des Man Booker Prize und wurde mit dem PEN/Hemingway Award ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Roman 'Mein Jahr der Ruhe und Entspannung'. Ottessa Moshfegh lebt in Los Angeles.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783954381197
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum20.01.2020
AuflageDeutsche Erstausgabe
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1217 Kbytes
Artikel-Nr.9248852
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Ich bessere mich

MEIN KLASSENZIMMER lag im Erdgeschoss, neben dem Aufenthaltsraum der Nonnen. Zum morgendlichen Erbrechen ging ich auf deren Toilette. Eine Nonne bestäubte die Klobrille immer mit Körperpuder. Eine andere steckte den Stöpsel ins Waschbecken und füllte es mit Wasser. Ich verstand die Nonnen nicht. Eine war alt, die andere war jung. Die Junge redete manchmal mit mir, fragte mich, ob ich über das lange Wochenende etwas vorhatte, ob ich meine Eltern zu Weihnachten sehen würde und so weiter. Wenn die Alte mich kommen sah, wandte sie den Blick ab und knetete mit den Fäusten ihre Ordenstracht.

Mein Klassenzimmer befand sich in der ehemaligen Schulbücherei. Es war ein unordentlicher Bibliotheksraum, in dem überall Bücher und Zeitschriften herumlagen, mit einem uralten, pfeifenden Heizkörper und großen, beschlagenen Fenstern, die auf die Sixth Street hinausgingen. Vorn neben der Tafel stellte ich zwei Schultische als Lehrertisch zusammen. Hinten im Raum versteckte ich in einem Karton unter alten Zeitungen einen Daunenschlafsack. Wenn ich keinen Unterricht hatte, holte ich den Schlafsack heraus, verriegelte die Tür und schlief, bis die Glocke läutete. Meist war ich noch vom Vorabend betrunken. Manchmal bestellte ich mir mittags beim Inder um die Ecke ein Bier, nur, um durch den Tag zu kommen - säuerliches Weizenbier in einer dickleibigen, braunen Flasche. Das McSorley´s war auch in der Nähe, aber ich mochte das nostalgische Ambiente nicht. Bei dieser Bar verdrehte ich nur die Augen. Nach unten in die Schulcafeteria ging ich selten, aber wenn ich dort auftauchte, hielt der Rektor, Mr. Kishka, mich jedes Mal an und sagte mit strahlendem Lächeln: »Da ist sie ja, unsere Vegetarierin.« Wie er darauf kam, dass ich Vegetarierin sein könnte, weiß ich nicht. Aus der Cafeteria holte ich mir einzeln verpackte Käsefinger, Chicken Nuggets und fettige Brötchen.

Ich hatte eine Schülerin, Angelika, die zu mir ins Klassenzimmer kam und mit mir zusammen Mittag aß.

»Miss Mooney«, rief sie mir zu. »Ich habe Probleme mit meiner Mutter.«

Ich hatte zwei Freundinnen, sie war eine davon. Wir redeten und redeten. Von mir lernte sie, dass man von Ejakulat nicht dick wurde.

»Aber das stimmt nicht, Miss Mooney. Das Zeug macht dick. Deswegen sind viele Mädchen auch so fett. Weil sie Nutten sind.«

Sie hatte einen Freund, den sie jedes Wochenende im Gefängnis besuchte. Montags kriegte ich immer eine neue Geschichte zu hören, über seine Anwälte, wie sehr sie ihn liebte und so weiter. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nie. Es war, als kenne sie die Antworten auf ihre Fragen schon im Voraus.

Ich hatte einen Schüler, der mich wahnsinnig machte: Popliasti. Ein blonder, überdrehter Zehntklässler mit Pickeln und starkem Akzent. »Miss Mooney«, sagte er immer und stand von seinem Platz auf. »Hier, ich helfe Ihnen bei Ihrer Frage.« Er nahm mir die Kreide aus der Hand und malte einen Schwanz mit Eiern an die Tafel. Dieser Schwanz mit Eiern wurde zu einer Art Erkennungszeichen der Klasse. Er erschien auf allen Hausaufgaben und Klassenarbeiten, wurde in jeden Tisch geritzt. Mir machte das nichts aus. Ich musste sogar darüber lachen. Aber Popliasti und sein ständiges Stören - da verlor ich öfter mal die Beherrschung.

»Wie soll ich euch unterrichten, wenn ihr euch aufführt wie die Tiere!«, brüllte ich.

»Wie sollen wir etwas lernen, wenn Sie sich wie eine Verrückte benehmen und hier rumschreien? Sie haben sich nicht mal gekämmt«, entgegnete Popliasti, rannte durch den Raum und warf Bücher von den Fensterregalen. Auf ihn hätte ich verzichten können.

Meine Zwölftklässler hingegen behandelten mich mit viel Respekt. Meine Aufgabe war es, sie auf den SAT vorzubereiten. Sie hatten ernst zu nehmende Mathe- und Vokabelfragen, die gar nicht so leicht zu beantworten waren. In Differenzialrechnung musste ich mich ein paar Mal geschlagen geben und erzählte ihnen stattdessen einen Schwank aus meinem Leben.

»Die meisten Menschen haben schon Analverkehr gehabt«, sagte ich. »Da müsst ihr gar nicht so erstaunt gucken.«

Oder: »Mein Freund und ich, wir machen´s ohne Kondom. Wenn man jemandem vertraut, geht das.«

Etwas an der alten Bibliothek schien Rektor Kishka nicht zu behagen, er ließ sich nie bei mir blicken. Wahrscheinlich wusste er, dass er dort klar Schiff machen und mich rausschmeißen müsste, und setzte deshalb nie einen Fuß in den Raum. Die meisten Bücher waren mehrbändige, völlig veraltete Nachschlagewerke, unvollständig und dadurch nicht mehr zu gebrauchen, ukrainische Bibeln oder Nancy-Drew-Krimis. Unter einer ausrangierten Karte der UdSSR, die zusammengefaltet in einer Schublade mit der Aufschrift SCHWESTER KOSZINSKA lag, fand ich sogar ein paar Pornoheftchen. Eine tolle Sache war die alte Enzyklopädie der Würmer, die ich in der Bibliothek aufstöberte. Der Einband der dicken Schwarte fehlte, und die zerfledderten Seiten waren an den Ecken abgegriffen. Wenn ich nicht schlafen konnte, las ich zwischen den Schulstunden darin. Ich legte mich mit der Enzyklopädie in den Schlafsack, drückte die brüchige Bindung auseinander und ließ den Blick über die viel zu kleinen Druckbuchstaben wandern. Jeder Eintrag war unglaublicher als der vorherige. Es gab Spulwürmer und Hufeisenwürmer und Würmer mit zwei Köpfen und Würmer mit Zähnen wie Diamanten und Würmer, die so groß wie Hauskatzen wurden, Würmer, die wie Grillen zirpten, die sich als Kieselsteine oder Lilien tarnten oder ihren Kiefer so aushängten, dass sie ein menschliches Baby verschlingen konnten. Was ist das bloß für ein Müll, den sie Kindern heutzutage beibringen, dachte ich. Ich schlief, stand auf, unterrichtete Mathe, dann legte ich mich wieder in den Schlafsack. Ich zog den Reißverschluss bis über den Kopf zu. Ich kroch ganz tief hinein und kniff die Augen zusammen. In meinem Kopf hämmerte es, und mein Mund fühlte sich an wie eine nasse Küchenrolle. Als die Schulglocke läutete, kroch ich heraus, und da stand dann Angelika mit ihrem braunen Brotbeutel vor mir und sagte: »Ich habe was im Auge, Miss Mooney, deswegen muss ich weinen.«

»Na gut«, sagte ich. »Mach die Tür zu.«

Der Boden war mit kariertem Linoleumfußboden ausgelegt, schwarz und pissgelb. Die Wände waren mit glänzender, aufgeplatzter, pissgelber Farbe gestrichen.

Ich war mit einem Mann zusammen, der noch aufs College ging. Er hatte jeden Tag dieselben Klamotten an: eine blaue Arbeitshose und ein halb durchsichtiges Oberhemd. Es war ein Button-down im Western-Stil mit perlmuttfarbenen Druckknöpfen. Der Stoff war so dünn, dass man seine Brustbehaarung und die Brustwarzen sehen konnte. Ich sagte nichts. Er hatte ein hübsches Gesicht, aber dicke Waden und einen weichen, faltigen Hals. »Auf dem College gibt es eine Menge Mädchen, die was von mir wollen«, sagte er oft. Er studierte, um Fotograf zu werden, was ich nicht ernst nehmen konnte. Ich ging davon aus, dass er nach seinem Abschluss in irgendeinem Bürojob landen und dankbar sein würde, eine anständige Arbeit zu haben, dass er glücklich sein und damit angeben würde, ein festes Einkommen, ein eigenes Konto, einen Anzug im Schrank zu haben und so weiter und so fort. Er war ein lieber Kerl. Einmal kam seine Mutter aus Tennessee zu Besuch. Er stellte mich vor als seine »Bekannte, die in Downtown wohnt«. Die Mutter war eine schreckliche Person. Eine große Blondine mit Silikontitten.

»Welche Nachtcreme benutzen Sie?«, das fragte sie mich, als mein Freund auf dem Klo war.

Ich war dreißig. Ich hatte einen Ex-Mann. Er zahlte mir Unterhalt, und ich hatte eine ordentliche Krankenversicherung, weil ich beim Erzbistum New York beschäftigt war. Meine Eltern aus dem Norden des Bundesstaats schickten mir Carepakete mit Briefmarken und Kräutertee. Wenn ich betrunken war, rief ich meinen Ex-Mann an und beschwerte mich über meinen Job, meine Wohnung, meinen Freund, die Schüler, alles, was mir gerade durch den Kopf ging. Er war schon wieder verheiratet, in Chicago. Er machte irgendwas Juristisches. Ich hatte nie kapiert, was genau sein Job war, und er erklärte es mir auch nicht.

Am Wochenende kam mein Freund vorbei. Wir tranken zusammen Wein und Whiskey, das fand ich romantisch. Er konnte damit umgehen. Wahrscheinlich guckte er nicht so genau hin. Aber in puncto Rauchen war er ein totaler Idiot.

»Wie kann man nur so viel rauchen?«, sagte er andauernd. »Dein Mund schmeckt wie kanadischer Räucherspeck.«

»Ha-ha«, sagte ich auf meiner Seite des Betts. Ich kroch unter die Decke. Klamotten, Bücher, ungeöffnete Post, Tassen, Aschenbecher, mein halbes Leben hatte sich dort zwischen Matratze und Wand angesammelt.

»Erzähl mir, wie deine Woche gelaufen ist«, sagte ich zu meinem Freund.

»Also, am Montag bin ich um halb zwölf aufgewacht«, fing er an. Er konnte...
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Ottessa Moshfegh wurde in Boston geboren und ist kroatisch-persischer Abstammung. Sie steht auf der Granta-Liste der zwanzig besten jungen Autoren aus den USA. Für ihre Novelle "McGlue" erhielt sie den Believer Book Award sowie den Fence Modern Prize. Ihr Roman "Eileen" stand auf der Shortlist des Man Booker Prize und wurde mit dem PEN/Hemingway Award ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Roman "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung". Ottessa Moshfegh lebt in Los Angeles.