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Kalte Seelen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Atlantis Literaturerschienen am26.05.20221. Auflage
TV-Journalistin Milla Nova lässt sich für eine Reportage eine Woche lang ins Frauengefängnis Hindelbank im Emmental einsperren. Hinter Gittern hört sie tragische Lebensgeschichten, wie die von Flor, die wegen Mordes angeklagt ist, aber ihre Unschuld beteuert, oder Gerüchte, wie die über namenlose Immigranten, die als Sans-Papiers in der Schweiz ein Schattenleben führten und spurlos verschwanden. Und sie hört von anonymen Leichen, die die Kantonspolizei Bern aus dem kalten Thunersee geborgen hat und bis heute nicht identifizieren konnte. Die Taten eines Rechtsextremisten? Milla Nova beginnt zu recherchieren und wird mit einer grausamen Wahrheit konfrontiert. Was hat all das mit ihrem Vater zu tun, den sie nie kennengelernt hat? Plötzlich blickt die kühne TVReporterin in die Abgründe ihrer eigenen Vergangenheit - und gerät selbst unter Verdacht.

Christine Brand, geboren und aufgewachsen im Emmental, ist Autorin und freie Journalistin. Sie arbeitete bei der NZZ am Sonntag, beim Schweizer Fernsehen SRF und bei der Berner Zeitung Der Bund, wo sie unter anderem Gerichtsreportagen verfasste und Einblick in die Welt der Justiz und der Kriminologie erhielt. Christine Brand hat neun Kriminalromane, zwei Bücher mit wahren Kriminalgeschichten und einen Märchenband publiziert. Zudem erschienen zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien. Christine Brand lebt heute in Zürich, ist aber öfter auf Reisen als zu Hause: Mit 44 entschied sie, ihren Traumjob und die Wohnung zu kündigen und sich von nahezu allem Besitz zu trennen. Seitdem schreibt sie am liebsten in einem Strandcafé auf Sansibar mit Blick auf das Meer.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR19,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextTV-Journalistin Milla Nova lässt sich für eine Reportage eine Woche lang ins Frauengefängnis Hindelbank im Emmental einsperren. Hinter Gittern hört sie tragische Lebensgeschichten, wie die von Flor, die wegen Mordes angeklagt ist, aber ihre Unschuld beteuert, oder Gerüchte, wie die über namenlose Immigranten, die als Sans-Papiers in der Schweiz ein Schattenleben führten und spurlos verschwanden. Und sie hört von anonymen Leichen, die die Kantonspolizei Bern aus dem kalten Thunersee geborgen hat und bis heute nicht identifizieren konnte. Die Taten eines Rechtsextremisten? Milla Nova beginnt zu recherchieren und wird mit einer grausamen Wahrheit konfrontiert. Was hat all das mit ihrem Vater zu tun, den sie nie kennengelernt hat? Plötzlich blickt die kühne TVReporterin in die Abgründe ihrer eigenen Vergangenheit - und gerät selbst unter Verdacht.

Christine Brand, geboren und aufgewachsen im Emmental, ist Autorin und freie Journalistin. Sie arbeitete bei der NZZ am Sonntag, beim Schweizer Fernsehen SRF und bei der Berner Zeitung Der Bund, wo sie unter anderem Gerichtsreportagen verfasste und Einblick in die Welt der Justiz und der Kriminologie erhielt. Christine Brand hat neun Kriminalromane, zwei Bücher mit wahren Kriminalgeschichten und einen Märchenband publiziert. Zudem erschienen zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien. Christine Brand lebt heute in Zürich, ist aber öfter auf Reisen als zu Hause: Mit 44 entschied sie, ihren Traumjob und die Wohnung zu kündigen und sich von nahezu allem Besitz zu trennen. Seitdem schreibt sie am liebsten in einem Strandcafé auf Sansibar mit Blick auf das Meer.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783715275079
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum26.05.2022
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.3
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1379 Kbytes
Artikel-Nr.9519170
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

4

Zuletzt betreten Othmar Ehrsam und seine beiden Richterkollegen den Gerichtssaal. Direkt vor ihnen hat der Angeklagte mit seinem Verteidiger Platz genommen. Donovan Hardman ist ein Mann um die fünfzig, kräftig gebaut, etwas gedrungen, das Haar dicht und dunkel, aber von grauen Strähnen durchzogen. Er hat kein sympathisches Gesicht; es wirkt grob, die Nase ist mächtig, mit stark betontem Rücken, die Lippen sind zu schmal geraten, was ihm etwas Verschlagenes verleiht. Seine Augen glänzen, als wären sie von zu viel Tränenflüssigkeit benetzt. Donovan Hardman hat sich nicht die Mühe gemacht, einen Anzug anzuziehen, wie das andere Angeklagte tun. Seine Füße stecken in ausgetretenen Turnschuhen und weißen Socken. Dazu trägt er zu kurze, verwaschene Jeans und ein buntes Kurzärmelhemd, das Richter Ehrsam als Hawaiihemd klassifizieren würde. Darüber eine schwarze Lederweste. Seine Kleidung verrät den Amerikaner in ihm, der nichts mit seinen Schweizer Wurzeln anfangen kann, und wirkt neben dem Anzug seines Verteidigers unpassend und schäbig.

Links vor Richter Ehrsam sitzt der Staatsanwalt. Es ist der Chef persönlich, der die Anklage führt. Das hat er sich nicht nehmen lassen, nicht in einem aufsehenerregenden Prozess wie diesem. Und ganz rechts steht das Pult der Nebenklägerin Milla Nova und ihres Anwalts. Ehrsam hat zwar viel über die TV-Reporterin gehört, sie aber noch nie gesehen. Er hat sie sich anders vorgestellt, größer, kräftiger, resoluter. Stattdessen sitzt vor ihm eine zierliche Person mit einer mädchenhaften Figur. Sie wirkt eher wie eine Frau, die man beschützen möchte, als eine, vor der man sich in Acht nehmen muss. Die schwarzen Locken hat sie streng zurückgebunden. Ihre Nervosität ist deutlich erkennbar. Pausenlos reibt sie sich die Hände, hin und wieder beißt sie sich auf die Unterlippe.

Hinter Milla Nova sind die Zuschauerreihen bis auf den letzten Stuhl besetzt. Einige Gesichter kennt der Richter aus früheren Verhandlungen. Neben der Eingangstür hat sich ein uniformierter, leicht übergewichtiger Polizist auf einem Stuhl postiert. Der Wachposten. Er sieht jetzt schon müde aus.

Othmar Ehrsam räuspert sich und setzt dem Gemurmel im Saal ein Ende: »Ich erkläre die Verhandlung gegen Donovan Hardman für eröffnet«, spricht er ins Mikrophon. Ehrsam kostet diesen Moment aus. Wie jedes Mal ist es ein gutes Gefühl, eine Dosis Adrenalin schießt durch seinen Körper. Er liebt seine Arbeit. Mit ruhiger, fester Stimme liest er die Anklage vor.

»Haben Sie verstanden, was Ihnen vorgeworfen wird?«, fragt er den Angeklagten, als er damit fertig ist.

»Ja, ich habe verstanden.«

Richter Ehrsam weist den Befragten auf sein Recht hin, die Aussage zu verweigern, dann beginnt er, ihm Fragen zu stellen.

»Mein Name ist Donovan Hardman«, lautet dessen erste Antwort. Er hört sich an, als würde er Kaugummi kauen, während er spricht. Nur bei genauem Hinhören erkennt man, dass sein Berndeutsch wirklich Berndeutsch und kein Englisch ist. Emotionslos gibt Donovan Hardman Auskunft über seine Herkunft, über die Gründe, weshalb er in die Schweiz gekommen ist, weshalb er Milla Nova stoppen wollte und weshalb er zwei Menschen tötete. Nichts Neues für Othmar Ehrsam. Steht alles in den Akten.

 

Auch Milla kennt längst die ganze Geschichte. Trotzdem erschüttert es sie, das Geschehene aus dem Mund dieses Mannes erzählt zu bekommen. Und zwar in einem Tonfall, als würde er die Gebrauchsanweisung eines Küchenmixers vorlesen. Als Hardman beschreibt, wie er ihre Nachbarin und Freundin Annalena erschossen hat, schließt Milla die Augen. Ihr Magen revoltiert gegen das, was ihre Ohren mit anhören müssen. Ihr wird übel. Und es wird nicht besser. Denn gleich anschließend kommt der Richter auf jene Szene zu sprechen, in der Milla dem Tod so nahe war wie nie zuvor. Am liebsten würde sie den Saal verlassen, aber sie bleibt sitzen.

 

»Warum haben Sie an jenem Tag die Journalistin Milla Nova verfolgt?«

»Ich wollte sie töten.«

»Warum?«

»Weil sie sich in Sachen eingemischt hat, die sie nichts angehen.«

»Das ist für Sie Grund genug zum Töten?«

»Sie hatte kein Recht dazu. Es ging um die Ehre meiner Familie.«

»Und darum haben Sie zwei Menschen umgebracht?«

»Das war anders geplant.«

»Bereuen Sie Ihre Taten?«

»Ich bereue, dass ich die Journalistin nicht erwischt habe.«

 

Milla schwitzt und friert zugleich und presst die Zähne aufeinander, damit sie nicht klappern. Sie hat nicht damit gerechnet, dass die Einvernahme sie derart aus der Fassung bringen würde. Milla fragt sich, was für ein Mensch Hardman sein muss. Woher diese Kälte kommt. Ob es in ihm gar keine Gefühle gibt.

Auch Richter Ehrsam fällt die Emotionslosigkeit des Angeklagten auf. Doch das ist bei seiner Klientel nichts Außergewöhnliches. Verfahrenstechnisch ist Donovan Hardman sogar ein Angeklagter, wie ein Richter ihn sich nur wünschen kann: Sachlich, klar und ohne Beschönigung erzählt er, was er verbrochen hat und wie er vorgegangen ist. Seine Antworten entsprechen seinen früheren Aussagen. Bis Ehrsam zu jener Frage kommt, zu der es in den Akten keine klaren Angaben gibt.

»Herr Hardman«, fährt der Richter fort, »haben Sie alleine gehandelt, oder hatten Sie hier in der Schweiz Helfer?« Schweigen.

»Herr Hardman, hatten Sie hier einen Helfer? Oder mehrere?«

Donovan Hardman rutscht auf seinem Stuhl hin und her.

»Haben Sie die Frage verstanden?« Ein Nicken.

»Gut. Ich lese Ihnen vor, was Sie in der Vernehmung zu diesem Punkt gesagt haben, vielleicht hilft das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Ich zitiere Actorum vierundzwanzig zwei, Pagina hundertsiebenundneunzig: Mein Vater ist ein mächtiger Mann. Es gibt verschiedene Leute, die auf seiner Gehaltsliste stehen. Bitte erklären Sie mir, wie Sie das gemeint haben.« Othmar Ehrsam hat etwas Schärfe in seine Stimme gelegt. Er blickt in Donovan Hardmans Gesicht und liest darin Trotz.

»Lassen Sie meinen Vater aus dem Spiel! Sie haben doch keine Ahnung!«

»Herr Hardman, Sie haben Ihren Vater selber ins Spiel gebracht. Helfen Sie uns, damit wir eine Ahnung bekommen!« Niemand rührt sich im Gerichtssaal. Kein Herumrutschen, kein Räuspern, als hielten alle den Atem an.

Feindselig starrt Hardman den Richter an. Giftig klingt jetzt seine Stimme. »Nehmen Sie sich in Acht. Mein Vater und seine Freunde sind überall.«

»Wer sind die Freunde Ihres Vaters?«, hakt der Richter unbeirrt nach.

»Das werden Sie merken, wenn die Organisation die Macht übernimmt. Dann werden Sie mit Ihren unnützen Gesetzen nichts mehr zu melden haben. Gar nichts!« Hardmans Gesicht hat eine bedrohlich dunkle Farbe angenommen, und sein Verteidiger flüstert eindringlich auf ihn ein.

»Muss ich das als Drohung verstehen?«, fragt Ehrsam. Der Angeklagte starrt ihn an, ohne ein Wort zu sagen.

»Von was für einer Organisation sprechen Sie?« Ehrsam bleibt die Ruhe selbst.

Donovan Hardman blickt zu Boden. Atmet schnell und laut. Als würde er jeden Augenblick in die Luft gehen. Dann schüttelt er heftig den Kopf. »Ich sage nichts mehr.«

»Warum nicht?« Wieder nur Schweigen.

»Ich habe Sie etwas gefragt!« Keine Antwort.

Der Richter wartet ab. Eine Minute, zwei. Bis das Schweigen unerträglich wird. Othmar Ehrsam seufzt hörbar.

»Dann eben nicht.«

Jetzt erst geht ein Raunen durch die Zuschauerreihen. Verwirrung macht sich breit. Auch Milla weiß nicht, was sie von dieser Entwicklung halten soll. Sie hat immer gedacht, Donovan Hardman habe allein gehandelt. Doch jetzt ist sie nicht mehr sicher. Hatte er Helfer? Oder schlimmer: Hat er immer noch Helfer? Jemand, der ihr gefährlich werden könnte? Milla versucht, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie will nicht glauben, dass an seinen wirren Aussagen etwas dran ist. Wahrscheinlich, denkt Milla, hat er den Verstand verloren - sofern er je einen besessen hat.

Othmar Ehrsam schaut auf seine Armbanduhr und ist überrascht, wie spät es ist. Er wird das Gefühl nicht los, dass sich während seiner Prozesse die Zeiger der Uhr jeweils schneller drehen. Er überlegt ein paar Sekunden und beschließt, die Verhandlung zu vertagen. In diesem Zustand, in dem sich der Angeklagte befindet, wird er aus ihm nicht mehr viel herausbekommen. Der soll sich zuerst wieder beruhigen.

»Wir fahren morgen früh um acht Uhr mit der Einvernahme des Angeklagten und anschließend mit den Zeugenbefragungen fort. Die Verhandlung wird so lange unterbrochen.«

Blätterrascheln, Stühlerücken, Geflüster, der Saal leert sich langsam. Die Handschellen klicken. Zwei Polizisten nehmen den Angeklagten in ihre Mitte und führen ihn hinaus. Nur der Richter sitzt noch auf seinem Stuhl. Blickt ins Leere, verloren in Gedanken. Othmar Ehrsam hasst es, wenn es nach einer Einvernahme mehr offene Fragen gibt als davor.

 

Zwei Stockwerke weiter unten öffnet sich im selben Moment wie von Geisterhand und mit einem leisen Sirren die schwere Holztür, als Milla sich ihr nähert. Sie hält inne, schaut der automatischen Tür abwartend zu und atmet zweimal tief durch, bevor sie ins Freie tritt. Draußen wird sie schon erwartet.

»Frau Nova, wie haben Sie die Verhandlung erlebt?« - »Was für einen Eindruck haben Sie vom Angeklagten?« - »Was war das für ein Gefühl, dem Täter gegenüberzusitzen?« - »Wissen Sie, von welcher Organisation er gesprochen hat?«

Die Zeitungsjournalisten haben ihre Schreibblöcke gezückt. Die Aufnahmegeräte der Radioreporter sind eingeschaltet. Auch die blonde...
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Autor

Christine Brand, geboren und aufgewachsen im Emmental, ist Autorin und freie Journalistin. Sie arbeitete bei der NZZ am Sonntag, beim Schweizer Fernsehen SRF und bei der Berner Zeitung Der Bund, wo sie unter anderem Gerichtsreportagen verfasste und Einblick in die Welt der Justiz und der Kriminologie erhielt. Christine Brand hat neun Kriminalromane, zwei Bücher mit wahren Kriminalgeschichten und einen Märchenband publiziert. Zudem erschienen zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien. Christine Brand lebt heute in Zürich, ist aber öfter auf Reisen als zu Hause: Mit 44 entschied sie, ihren Traumjob und die Wohnung zu kündigen und sich von nahezu allem Besitz zu trennen. Seitdem schreibt sie am liebsten in einem Strandcafé auf Sansibar mit Blick auf das Meer.