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Club Freitag der Dreizehnte Teil 1

Wandlung
tolino mediaerschienen am01.07.2022
E.Y. Meyer, mehrfach preisgekrönter Deutschschweizer Schriftsteller und 2011 Nobelpreiskandidat, erzählt die Geschichte einer stetigen »Wandlung« von der Epoche der europäischen Aufklärung bis in die Gegenwart. Erfahrungen, Nachforschungen und philosophische Reflexionen aus vielen Jahren verarbeitet Meyer in der ihm eigenen und prägnanten Sprache zu einem breit angelegten Fresko. Immer geht es ihm dabei auch um die Schweiz: Ein Club von dreizehn Männern trifft sich an Orten, die mit Wandlungen und mit wichtigen Persönlichkeiten in den letzten paar Jahrhunderten zusammenhängen, zum Beispiel auf der St. Petersinsel im Bielersee, wo Jean-Jacques Rousseau als verfolgter Emigrant lebte, oder auf der Ufenau im Zürichsee, die man mit der Gestalt des Humanisten Ulrich von Hutten verbindet. So entfaltet sich ein mehrstimmiger Reisebericht - ein Bericht von einer Reise durch Raum und Zeit; ein sozial- und geistesgeschichtliches Panorama, verknüpft mit Leben und Denken der dreizehn Clubmitglieder.

E. Y. Meyer, geboren 1946, ist einer der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller. Nach Studien von Literatur, Philosophie und Geschichte hat er ein Gesamtwerk geschaffen, das neben Romanen, Erzählungen und philosophischen Essays auch ein dramatisches Werk umfasst. Längere Aufenthalte in New York, Paris und London: lebt und schreibt in Bern. Auszeichnungen u.a.: Gerhart-Hauptmann-Preis, Preis der schweizerischen Schillerstiftung, 2011 für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen.
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KlappentextE.Y. Meyer, mehrfach preisgekrönter Deutschschweizer Schriftsteller und 2011 Nobelpreiskandidat, erzählt die Geschichte einer stetigen »Wandlung« von der Epoche der europäischen Aufklärung bis in die Gegenwart. Erfahrungen, Nachforschungen und philosophische Reflexionen aus vielen Jahren verarbeitet Meyer in der ihm eigenen und prägnanten Sprache zu einem breit angelegten Fresko. Immer geht es ihm dabei auch um die Schweiz: Ein Club von dreizehn Männern trifft sich an Orten, die mit Wandlungen und mit wichtigen Persönlichkeiten in den letzten paar Jahrhunderten zusammenhängen, zum Beispiel auf der St. Petersinsel im Bielersee, wo Jean-Jacques Rousseau als verfolgter Emigrant lebte, oder auf der Ufenau im Zürichsee, die man mit der Gestalt des Humanisten Ulrich von Hutten verbindet. So entfaltet sich ein mehrstimmiger Reisebericht - ein Bericht von einer Reise durch Raum und Zeit; ein sozial- und geistesgeschichtliches Panorama, verknüpft mit Leben und Denken der dreizehn Clubmitglieder.

E. Y. Meyer, geboren 1946, ist einer der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller. Nach Studien von Literatur, Philosophie und Geschichte hat er ein Gesamtwerk geschaffen, das neben Romanen, Erzählungen und philosophischen Essays auch ein dramatisches Werk umfasst. Längere Aufenthalte in New York, Paris und London: lebt und schreibt in Bern. Auszeichnungen u.a.: Gerhart-Hauptmann-Preis, Preis der schweizerischen Schillerstiftung, 2011 für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783754664018
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.07.2022
Seiten225 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse608
Artikel-Nr.9576199
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Das ers­te Tref­fen hat­te fünf­zehn Jah­re zu­vor statt­ge­fun­den. Zwei Mo­na­te spä­ter im Jahr. Am Frei­tag, dem 13. Au­gust 1993.

Nicht zu­fäl­lig in ei­ner an­de­ren Lan­des­ge­gend. Nicht in den Ber­gen. Nicht in den Al­pen. Son­dern in fla­che­ren Ge­fil­den.

An ei­nem Ort, der mir seit mei­ner Ju­gend ver­traut war. Den ich da­mals oft und auch spä­ter im­mer wie­der auf­ge­sucht hat­te.

Es war eine In­sel auf ei­ner In­sel so­zu­sa­gen.

Die St. Pe­ters­in­sel im Bi­e­ler­see. Im Schwei­zer See­land. Dem Land der drei Seen am Süd­fuss des Schwei­zer Ju­ras. Auch be­kannt als Rous­seau-In­sel.

Ein Ort, der gleich­zei­tig sei­ne na­tür­li­che Schön­heit be­wahrt und eine wei­ter­füh­ren­de geis­tes­ge­schicht­li­che Be­deu­tung hat­te. Ein geo­gra­phisch und his­to­risch mit ei­ner be­son­de­ren Be­deu­tung be­setz­ter und im Be­wusst­sein der Mensch­heit ver­an­ker­ter Raum so­mit, der für das We­sent­li­che un­se­rer Tref­fen stand. Für alle wei­te­ren Tref­fen weg­wei­send sein soll­te.

Eine In­sel der Er­in­ne­rung.

In ei­nem Land, das eine In­sel war.

Eine In­sel in Eu­r­o­pa.

Eine In­sel in der Welt.

Eine In­sel im Uni­ver­sum.

Die Idee zu den Tref­fen, den Zu­sam­men­künf­ten ei­ner be­son­de­ren Art, hat­te ich ein Jahr zu­vor ge­habt.

Im drit­ten Jahr nach der so­ge­nann­ten Wen­de, mit der die Spal­tung der Welt ein­mal mehr ver­meint­lich auf­ge­ho­ben wor­den war. Neun­zehn­hun­dertzwei­und­neun­zig.

In Zah­len: 1992.

Her­aus­ge­for­dert durch die Ab­sur­di­tät der Be­haup­tung des US-ame­ri­ka­ni­schen Po­li­tik­wis­sen­schaft­lers Fran­cis Fu­ku­ya­ma vom Ende der Ge­schich­te, das mit dem Zu­sam­men­bruch der UdSSR und der von ihr ab­hän­gi­gen so­zi­a­lis­ti­schen Staa­ten er­reicht wor­den sei.

Ein­ge­lei­tet durch den Fall der Ber­li­ner Mau­er 1989.

Im zwei­hun­derts­ten Jahr nach dem Be­ginn der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on.

Das be­haup­te­te Ende hat­te mich ge­reizt, et­was da­ge­gen­zu­set­zen. Und was hät­te das an­de­res sein kön­nen als sein Ge­gen­teil.

Und was konn­te das Ge­gen­teil ei­nes En­des an­de­res sein als ein An­fang.

Ein An­fang also.

Aber ein An­fang von was?

Der An­fang ei­ner Ge­schich­te.

Aber was für ei­ner Ge­schich­te?

Mis­ter Fu­ku­ya­ma hat­te sich vor­ge­stellt, dass sich, im Sin­ne von He­gels Ge­schichts­phi­lo­so­phie, nach der es tat­säch­lich zu ei­nem Ende im Sin­ne ei­ner letz­ten Syn­the­se kom­men soll, in der es kei­ne welt­po­li­ti­schen Wi­der­sprü­che mehr gibt, die Prin­zi­pi­en des Li­be­ra­lis­mus in Form von De­mo­kra­tie und Markt­wirt­schaft nun bald end­gül­tig und über­all auf der Welt durch­set­zen wür­den.

Sein Buch war 1992 er­schie­nen.

Ich hat­te an den Schwa­r­zen Frei­tag an der Wall­street von 1929 ge­dacht. Ein Frei­tag, der dort we­gen der Welt­zeit­ver­schie­bung, an­ders als in Eu­r­o­pa, ei­gent­lich ein Don­ners­tag ge­we­sen war.

Und ich hat­te an das ge­dacht, was nicht erst jetzt, nach der so­ge­nann­ten Wen­de, son­dern be­reits zu­vor schon seit Jah­ren, seit Jahr­zehn­ten wie­der an der Bör­se ge­sch­ah.

An all die Skan­da­le, die, in di­rek­tem oder in­di­rek­tem Zu­sam­men­hang mit der Bör­se, im­mer mehr west­li­che De­mo­kra­ti­en in im­mer kür­ze­ren In­ter­val­len er­schüt­tert hat­ten.

An all die Ge­scheh­nis­se in der Wirt­schaft und in der Po­li­tik, die das Ver­trau­en in de­ren Glaub­wür­dig­keit, in die Glaub­wür­dig­keit der bes­ten al­ler schlech­ten Staats­for­men, von de­nen die schlech­tes­ten na­tür­lich die kom­mu­nis­ti­schen wa­ren, im­mer stär­ker ins Wan­ken ge­bracht hat­ten.

Und mir war die Stein­frau ein­ge­fal­len.

Die Frau, bei der ich das Mee­res­au­ge ge­kauft hat­te.

Das Na­xos-Auge. Das Oc­chio di San­ta Lu­cia.

Das kreis­run­de, aus Ka­l­zi­um­ka­r­bo­nat be­ste­hen­de Ara­go­nit-Stück, das den in den Welt­mee­ren le­ben­den Krei­sel­schne­cken als Oper­cu­lum dient. Als Schutz­tür.

Das Shi­va-Auge.

Ihr Mann war, wie ich aus Ge­sprä­chen mit ihr er­fah­ren hat­te, Mit­glied ei­nes Clubs, der zu den merk­wür­digs­ten ge­hör­te, von de­nen ich Kennt­nis hat­te. Des viel­leicht selt­sams­ten Ver­eins, von dem ich je ge­hört hat­te.

Sein Name:

CLUB FREI­TAG DER DREI­ZEHN­TE

Ge­grün­det im Hol­ly­wood. Nicht in Hol­ly­wood. Im Hol­ly­wood.

In ei­nem Re­stau­rant an ei­nem Fluss in der Nähe von Bern, das sich die­sen Na­men im Ver­lauf der Ame­ri­ka­ni­sie­rung der Welt, also auch der Schweiz, zu­ge­legt hat­te.

Eine Grup­pe von drei­zehn Män­nern, die sich an ei­nem Frei­tag, der ein Drei­zehn­ter war, zu­fäl­lig ge­trof­fen und ad hoc be­schlos­sen hat­ten, sich ab so­fort an je­dem Drei­zehn­ten, der auf einen Frei­tag fällt, wie­der zu ver­sam­meln und den Tag im Kreis von Gleich­ge­sinn­ten zu ver­brin­gen.

Die Re­geln, die die drei­zehn Män­ner auf­stell­ten, wa­ren ein­fach und klar.

Die Grup­pe durf­te nur aus drei­zehn Män­nern be­ste­hen, und die Zu­sam­men­künf­te be­gan­nen im­mer um Punkt drei­zehn Uhr drei­zehn.

Mit­glie­der, die dem An­lass ohne Ent­schul­di­gung fern­blie­ben, wur­den aus­ge­schlos­sen.

Ei­ser­nes Ge­setz war, dass alle Mit­glie­der an ei­nem Frei­tag, dem Drei­zehn­ten, nicht ar­bei­ten gin­gen, um, wie es in der Club-Ord­nung hiess, den Ar­beit­ge­ber vor Scha­den und Un­g­lück zu be­wah­ren, wel­che durch un­se­re Ar­beit an die­sem Tag ent­ste­hen könn­ten.

Je­weils ein Mit­glied muss­te die Ge­stal­tung des Ta­ges über­neh­men und die an­de­ren, die nicht wuss­ten, was sie er­war­te­te, da­mit über­ra­schen.

Man mach­te Be­sich­ti­gun­gen, Wan­de­run­gen, Fahr­ten mit Re­stau­rant-Trams, Kut­schen, Klein­bus­sen. In Bern und in der Um­ge­bung von Bern. In an­de­ren Schwei­zer Städ­ten. Ir­gend­wo auf dem Land.

Ab und zu be­gab man sich auch über die Lan­des­gren­ze hin­aus, ins El­sass, in den Schwa­rz­wald, in den fran­zö­si­schen Jura, ins ita­lie­ni­sche Aos­ta-Tal.

Eine an­de­re Re­gel, die ernst ge­nom­men wur­de, ob­wohl sie nicht in der Ord­nung stand, war, dass man, wenn die Aus­flü­ge in ein Ess- und Trink­ge­la­ge aus­ar­te­ten, um kein Ri­si­ko ein­zu­ge­hen, erst am Vier­zehn­ten, also am Sams­tag, wie­der nach Hau­se zu­rück­kehr­te.

Wo­bei es, wie mir die Stein­frau ver­ri­et, auch vor­kam, dass es der Fünf­zehn­te, also der Sonn­tag, wur­de.

An­sons­ten wa­ren ein Huf­ei­sen und ein vier­blätt­ri­ges Klee­blatt, die auf dem leuch­ten­den Gold­grund des kreis­run­den Club­si­g­nets zu se­hen wa­ren, das Ein­zi­ge, was den von den Club­mit­glie­dern al­ler­dings nie so ge­nann­ten Schwa­r­zen Frei­ta­gen ent­ge­gen­ge­hal­ten wur­de.

Angst, dass ih­nen ein Un­g­lück zu­stos­sen könn­te, hat­ten die Män­ner nicht. Wes­halb sie, wie die Ord­nung fest­hielt, an die­sen Ta­gen eben auch we­ni­ger sich selbst, son­dern ihre Ar­beit­ge­ber be­schüt­zen woll­ten.

Eine Mit­glied­s­chaft in die­sem Club, der, je­den­falls in Eu­r­o­pa, of­fen­bar ein­zig­ar­tig war, hät­te den An­fang ei­ner Ge­schich­te be­deu­ten kön­nen.

Al­ler­dings hät­te ich da­mit, da ich mein ei­ge­ner Ar­beit­ge­ber war, gleich­zei­tig auch mich selbst be­schützt.

Aber dies ta­ten an­de­re Club­mit­glie­der auch. Wie bei­spiels­wei­se der Mann der Stein­frau, der in Ge­schäfts­räu­men, die an ih­ren As­tro- und Edel­stein­la­den grenz­ten, als un­ab­hän­gi­ger Ver­si­che­rungs­bro­ker tä­tig war.

Pro­ble­ma­ti­scher wäre ge­we­sen, dass ich auf die War­te­lis­te hät­te ge­setzt wer­den müs­sen, die es, we­gen gros­ser Nach­fra­ge, in­zwi­schen gab.

Dass ich also auf Aus­sch­lüs­se hät­te hof­fen müs­sen, zu de­nen es sel­ten kam. Oder, ma­ka­b­rer, auf To­des­fäl­le.

Und zu­dem hät­te ein sol­cher Bei­tritt auch nur für mich per­sön­lich der An­fang ei­ner Ge­schich­te sein kön­nen. Denn die Ge­schich­te des Clubs sel­ber hat­te schon fünf­zehn Jah­re zu­vor be­gon­nen. 1977 also.

Was tun?

Ich be­schloss, sel­ber einen Club zu grün­den.

Einen ei­ge­nen Club.

Einen ei­ge­nen Club, der je­doch den glei­chen Na­men tra­gen soll­te:

CLUB FREI­TAG DER DREI­ZEHN­TE

Mit den glei­chen Grund­re­geln.

We­nigs­tens im Prin­zip.

Aber mit ei­ner er­wei­ter­ten Sinn­ge­bung.

Ei­ner er­wei­ter­ten Ziel­set­zung.

Ich hat­te mich des­halb zu­nächst noch et­was ge­nau­er mit dem Stel­len­wert be­schäf­tigt, den der ver­meint­li­che Un­g­lücks­tag im welt­wei­ten Aber­glau­ben ein­nimmt.

Und ich war, wie hät­te es an­ders sein kön­nen, schon bald dort ge­lan­det, wo man oft lan­det, wenn man sich auf...
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