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Die Niederlage der Nike

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
316 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am21.07.20221. Auflage
Sie halten einen Erzählband in den Händen, den man als Prequel, als Vorgeschichte, bezeichnen muss, denn er geht den Ereignissen des Romans Insel 64 voraus und wurde doch danach geschrieben. Insel 64 spielt im Jahr 2148 und beschreibt die Welt nach dem Extremwetter, Dürren und zwei Pandemien, die Menschen auf künstliche Inseln getrieben haben. Was aber geschah zum Zeitpunkt des mehr oder weniger unfreiwilligen Exodus? Also in unserer unmittelbaren Zukunft. Diese zwölf kleinen Erzählungen handeln davon. Sie berichten aus einigen Ländern auf verschiedenen Kontinenten, betrachten Einzelschicksale, enthalten aber auch kleine Infoteile, die sich im Roman finden. Ein kleines Universum entsteht, in dem Sie Namen bzw. Personen entdecken, die für den Verlauf der ganzen Geschichte eine Bedeutung bekommen. Die Niederlage der Nike ist Teil eines Puzzles, dessen Fertigstellung noch lange nicht abgeschlossen ist. Werden Sie ein Teil davon. Als Beobachter:in und nicht zuletzt in Ihrer persönlichen Umwelt, deren Veränderungen bereits begonnen haben.

Heiko Tessmann, geboren 1964 in Pforzheim, gelernter Landwirt, heute Freier Dozent im Bildungsbereich und Schriftsteller seit mehr als 35 Jahren. Sie erreichen ihn bei Mastodon unter @Morphin@mstdn.social oder in Maikammer, Rheinland-Pfalz.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,50
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextSie halten einen Erzählband in den Händen, den man als Prequel, als Vorgeschichte, bezeichnen muss, denn er geht den Ereignissen des Romans Insel 64 voraus und wurde doch danach geschrieben. Insel 64 spielt im Jahr 2148 und beschreibt die Welt nach dem Extremwetter, Dürren und zwei Pandemien, die Menschen auf künstliche Inseln getrieben haben. Was aber geschah zum Zeitpunkt des mehr oder weniger unfreiwilligen Exodus? Also in unserer unmittelbaren Zukunft. Diese zwölf kleinen Erzählungen handeln davon. Sie berichten aus einigen Ländern auf verschiedenen Kontinenten, betrachten Einzelschicksale, enthalten aber auch kleine Infoteile, die sich im Roman finden. Ein kleines Universum entsteht, in dem Sie Namen bzw. Personen entdecken, die für den Verlauf der ganzen Geschichte eine Bedeutung bekommen. Die Niederlage der Nike ist Teil eines Puzzles, dessen Fertigstellung noch lange nicht abgeschlossen ist. Werden Sie ein Teil davon. Als Beobachter:in und nicht zuletzt in Ihrer persönlichen Umwelt, deren Veränderungen bereits begonnen haben.

Heiko Tessmann, geboren 1964 in Pforzheim, gelernter Landwirt, heute Freier Dozent im Bildungsbereich und Schriftsteller seit mehr als 35 Jahren. Sie erreichen ihn bei Mastodon unter @Morphin@mstdn.social oder in Maikammer, Rheinland-Pfalz.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783756273515
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum21.07.2022
Auflage1. Auflage
Seiten316 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9704339
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Vogelgezwitscher

Erster Akt

Vogelgezwitscher? Die Augen noch geschlossen, spüre ich bereits den Schmerz hinter der Stirn und will liegenbleiben. Liegen und an die Decke starren, an eine ferne Welt denken; noch mit allen Gliedmaßen im Morast meiner Träume steckend. Erwachen ist inzwischen eine zähfließende Mure. Nur die Schmerzen sind wie ein Geflecht in die Realität eines neuen Tages. Nach vier oder fünf Stunden auf diesem jämmerlichen Zustand einer Matratze peinigt mich mein Rückgrat derart, dass aufstehen die einzige Möglichkeit ist, diesen Schmerzen zu entkommen. Und dem Vogelgezwitscher. Die Erkenntnis, woher dieses Geträllere kommt, schiebt sich in mein Wachwerden. Ich verfluche mich. Schon wieder vergessen, das Fenster zuzumachen! Wann bin ich so vergesslich geworden? Das macht mich wütend! Zu hastig drehe ich die Hüfte und will beide Unterschenkel vors Bett stellen. Die Antwort kommt unmittelbar und vehement aus den Lendenwirbeln, sticht nach allen Seiten, lässt jeden unnützen Muskel zucken. Mehrmals. Unkontrolliert. Ich stöhne laut. Durch das gekippte Fenster, dem verdammten Vogelgezwitscher entgegen. Um allem noch eins draufzusetzen, drücke ich mich trotzig dem Schmerz entgegen, richte auf, was von mir übrig ist, und sehe zwei Füße langsam auf den alten Lärchenboden rutschen. Mit dem Hintern noch auf der Bettkante, ist es plötzlich still. Hier drin und draußen. Nachbars Akku ist leer, hoffe ich und greife nach der Kommodenkante, ziehe mich vorsichtig hoch. Einatmen. Ausatmen. Strecken. Den hereingewehten Sand unter den Füßen spüren. Also doch keine sandfreien Tage ⦠Wetterdienste sind überflüssig geworden und das feinmaschige Netz vor dem Rahmen so gut wie nutzlos. Die Pein in den Muskeln versiegt zusehends und lässt mich hoffnungsvoll nach dem Fensterbeschlag greifen. Zudrücken, schließen. Es knirscht. Sand in jedem Falz. Verflucht!

Im Bad hänge ich das Altherrengemächt über die Kante des Waschbeckens und lasse laufen was kommt. Viel ist es nicht und das noch stoßweise. Ein kleines Glas für die Wasseraufbereitung. Prost, sage ich laut und schaue in den Spiegel. Ich weiß nicht, was Dreck auf dem Glas ist und was maligne Inseln auf zerfurchter Haut. Dann klickt es hinter mir, piept zwei Mal. Der Strom ist da. Sofort denke ich an rasieren, lasse es bleiben und drücke eine Kaltwasseranforderung. Das Magnetventil öffnet, spendet eine Handschale kühles Nass. Ab damit ins Gesicht. Noch eine Ladung hinterher. Das Handtuch spare ich mir, genieße lieber nasse Haut, lecke mit der Zunge jeden erreichbaren Tropfen ab. Starre in den Spiegel. Es muss Sonntag sein, vermute ich. Ansonsten wäre ich nicht von Nachbars Vogelgezwitscher geweckt worden. Er spart die ganze Woche Energie, um seinen Sonntag so angenehm wie möglich zu beginnen. Das Ordnungsamt interessiert sich nicht für Vogelgezwitscher am frühen Sonntagmorgen, es hat genug andere Probleme. Seit er die Außenlautsprecher unter das Wellblech seiner Veranda montiert hat, geht das schon so. Und das war ⦠ich stutze. Krampfhaft überlege ich, wann das gewesen ist ⦠es fällt mir nicht ein. Egal. Ich bin wach, ziehe mich jetzt an und kontrolliere Strom- und Wasserkonto auf dem Tablet. Alles in Ordnung. Zeit für einen Kaffee.

Zwei Stunden lesen. Alle zehn Minuten einen kleinen Schluck von der kostbaren schwarzen Brühe schlürfen. Nicht zu viel. Gegen elf Uhr klingelt es an der Tür. Es zu ignorieren, gehört zu meinem Standardprotokoll. Dann erneutes Klingeln. Ausdauernder. Und ein drittes Mal. Mein Blick fällt in die Kaffeetasse. Leck mich steht auf der rissigen Innenseite. Nur meine Nachbarin von der anderen Straßenseite klingelt so ausdauernd. Duaa ist ihr Name. Sie kommt wegen meines Kaffees. Traut sich nicht jeden Tag, aber heute hält sie es ohne wohl nicht mehr aus. Wieder die Klingel. Also stapfe ich in den Flur, öffne die Tür, löse das Netz vom Klettverschluss und pfeife. Sie kommt um die Hausecke gestürmt. Wohl schon auf dem Heimweg. Schwer atmend drückt sie sich an mir vorbei, direkt in die Küche und lässt sich auf den vergilbten Lederstuhl fallen. So gut es geht, hefte ich das Netz an den Rahmen und sondiere die Zarge. Kaum Sand. Tür zu, abschließen und noch einmal durchatmen. Dann gehe ich in die Küche. Sie hat inzwischen den Hidjab abgenommen. Prächtiges, volles Haar, bis zur Hüfte reichend, füllt meinen Sichtkreis aus; so kommt es mir jedenfalls vor. Es ist schwarz wie das Universum vorm ersten Licht.

»Guckst wieder mein Haar, was?«

»Ja«, gestehe ich und setze mich ihr gegenüber. »Es ist wunderschön.«

Sie zeigt eine ungebrochene Reihe weißer Zähne, wechselt aber abrupt zum Grund ihres Kommens.

»Machstu Kaffee? Ich brauch Kaffee!«

»Du weißt ja, wo die Maschine steht.«

Duaa nickt, steht auf und wirft einen Blick in meine Tasse, dann auf das Tablet. Der Wetterbericht der nächsten Tage.

»Haben gesagt, dass kein Sand kommt. Heute Nacht doch Sand. Die erzählen Scheiße.«

»Jaja ⦠hab vergessen, das Fenster zuzumachen.

Nachher muss ich wieder fegen.«

»Ha! Fenster offen! Heute Morgen wieder viele Vogele gesungen! Hab s gehört. Hat dich geweckt, was?«

Sie steht vor der Kaffeemaschine, stellt eine große Tasse darunter und drückt zwei Mal.

»Ich habe nur noch zehn Tüten Kaffeebohnen, Duaa.

Sei sparsam. Wenn die leer sind, war es das mit Kaffee trinken beim Nachbarn.«

Sie schüttelt die Mähne und lacht.

»Du bist einzige Mann mit gut Kaffee weit und breit.

Und ich einzige Frau, die kommt. Wir können heiraten.«

So was wie ein gepresstes Lachen entfährt mir spontan. Ich sehe sie lange an.

»Bin ich schön?«, will sie mit forschem Blick wissen.

»Das bist du. Ohne Zweifel.«

»Aber bissel dick«, setzt sie nach, hält die Hand über den Kopf und dreht sich einmal um die eigene Achse.

»Schönheit hat nix mit dick oder dünn zu tun.«

Sie sieht mich an, nimmt die volle Tasse, setzt sich wieder.

»Du bist alter Mann. Kannst Vater von Vater sein ⦫

»Opa ⦫

»Ja, Opa.« Sie hebt die Tasse an den Mund und trinkt vorsichtig, setzt ab. »Und ich bin alte Frau.«

Ich seufze. »Oh je, du bist 45!«

Sie starrt mich mit aufgerissenen Augen an.

»Ja! 45 Jahre! Alte Frau! Niemand will alte Frau ⦫

Ich atme tief und hörbar ein, denke an den Sand und sehe dann ihre schwarzen Haare. Ganz unvermittelt legt sich ihre Hand auf meine.

»Warum du weinst, alter Mann?«

Was sagt sie? Ich weine? Zweimal blinzeln. Mein Blick trübt sich ein. Tatsächlich.

»Weiß nicht«, sage ich wahrheitsgemäß. »Wirklich, ich weiß es nicht. Vielleicht ⦠der ganze Staub im Fenster?«

»Du bist allein. Wie ich. Aber allein nicht gut«, erklärt Duaa. Ihr Blick wandert über den Tisch, bleibt aber an nichts hängen. »Und der ganze Sand! Bin weg aus Mauritanie wegen Sand. Jetzt kommt Sand nach Europa, nach Deutschland! So viel Scheiße!«

Sie schließt die Augen und lehnt sich an, legt den Kopf nach hinten. Fast berühren die Haare den Boden. Ich schweige. Was soll ich auch dazu sagen?

Duaa hat recht. Ruckartig nimmt sie den Kopf hoch, fixiert mich mit dunklen Augen, zieht das Tablet heran.

»Hast du gelesen? UNO baut Inseln! Seit paar Jahren. Jetzt erst sagen sie uns. Und dass nur die Junge dürfen auf Inseln! Aber nix wir Alte!« Ihre Kohleaugen beginnen zu glühen.

»Du bist nicht alt«, betone ich. Duaas Augen sind magnetisch. Voller Feuer. Für einen kurzen Moment.

Dann seufzt sie und alles Glühen erkaltet.

»Gut, ja, bin nicht so alt, aber kann nix. Koche, putze, bete, bei dir Kaffee trinke und quatsche. Lange Haare und schön nicht genug für Insel.«

»Niemand von uns kommt auf so eine Insel, Duaa«, beginnt mein Versuch, sie zu trösten. »Dort brauchen sie Ingenieure, Techniker, Wissenschaftler ⦫

»Weiß ja«, unterbricht sie mich. Sie zieht jeden einzelnen Finger lang. Ausnahmslos alle geben ein knackendes Geräusch von sich. »Überall Sand«, fährt sie fort. »Afrika, Europa, Amerika. Sogar Peking! Hab ich gesehen in Fernseh. Keine Menschen mehr in Peking.«

Sie nimmt einen großen Schluck, setzt wieder ab, schaut in die Tasse. Vier Jahre ist Duaa nun in Deutschland, in diesem Dorf, wohnt in einer kleinen Wohnung gegenüber. Eine der Wenigen, die es noch aus dem Maghreb nach hier geschafft haben. Jetzt kommt niemand mehr. Dort töten der Sand und die Hitze. Und hier? Wir wissen es alle. Was bleibt uns übrig? Duaa trinkt leer.

»Was tust du heute?«, will sie wissen, richtet sich auf, greift mit beiden Händen in die Haare und lässt sie über...
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