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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
292 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am06.09.20221. Auflage
Frank Bernheimer (aka Johannes Meissner) lebt seit 25 Jahren unbehelligt von seiner Familie ein gutes Leben in Südfrankreich als Lektor und Schriftsteller. Bis er eines Tages Besuch bekommt, der längst verdrängte Schuldgefühle weckt. Frank tritt die Reise seines Lebens an. In eine Vergangenheit, die er lieber hinter sich lassen würde, und in eine Zukunft, die zum Schicksal Europas wird.

Heiko Tessmann, geboren 1964 in Pforzheim, gelernter Landwirt, heute Freier Dozent im Bildungsbereich und Schriftsteller seit mehr als 35 Jahren. Lebt in Maikammer, Rheinland-Pfalz. Sie erreichen ihn bei Mastodon unter @Morphin@mstdn.social oder über seine Website unter heikotessmann.de.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,50
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextFrank Bernheimer (aka Johannes Meissner) lebt seit 25 Jahren unbehelligt von seiner Familie ein gutes Leben in Südfrankreich als Lektor und Schriftsteller. Bis er eines Tages Besuch bekommt, der längst verdrängte Schuldgefühle weckt. Frank tritt die Reise seines Lebens an. In eine Vergangenheit, die er lieber hinter sich lassen würde, und in eine Zukunft, die zum Schicksal Europas wird.

Heiko Tessmann, geboren 1964 in Pforzheim, gelernter Landwirt, heute Freier Dozent im Bildungsbereich und Schriftsteller seit mehr als 35 Jahren. Lebt in Maikammer, Rheinland-Pfalz. Sie erreichen ihn bei Mastodon unter @Morphin@mstdn.social oder über seine Website unter heikotessmann.de.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783756864652
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum06.09.2022
Auflage1. Auflage
Seiten292 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9854640
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 2
Samstag, 1. August 2037

Im Schlafzimmer schließe ich den Rollladen, lasse die Kleider dort liegen, wo ich sie ausziehe und spüre einen Sog aus Erinnerungen kommen. Soll ich noch lektorieren? Oder Musik hören? Was kann ich tun, um dem auszuweichen? Das Leben hier hat mich gut behütet. Canard hat es mir verdorben! Ein Schlag auf den Lichtschalter und es ist dunkel. Nur die Notleuchte in der Steckdose lässt mich ein paar Umrisse erkennen. Die Klimaanlage steht auf 22 Grad. Ihr Luftstrom streicht über mich hinweg. Langsam lege ich mich aufs Bett. Die Schachtel fällt mir ein. Eine völlig vergilbte Schuhschachtel, sicher schon vierzig Jahre alt. Voller Fotos und Postkarten. Analoge Erinnerungen. Wie Madame Colombiers Bild ihres Mannes. Noch nicht mal ein Staubkorn in dieser Welt. Soll ich die Bilder ansehen? Ich entscheide mich dagegen und wechsle in einen unruhigen Schlaf.

Die Nacht war kurz und voller grauenhafter Träume. Ich auf der Suche nach meinem Sohn. Sehen konnte ich sein Gesicht immer, aber so weit weg, dass mein Ruf verhallte. Das Kissen ist schweißgebadet. Ich ziehe den Bezug ab und stecke ihn mit dem Kissen zusammen in die Waschmaschine. Da ist ein fader Geschmack in meinem Mund nach verlorenen Lebensjahren. Leicht schwankend gehe ich ins Bad, dusche und lasse mich von der Raumtemperatur trocknen. Dann der Spiegel. Grauer Vier-Tage-Bart, eine Menge Falten auf braun gegerbter Haut. Die Augen ohne Glanz. Und so soll ich Madame Colombier begegnen? Rasier dich! Mach dich fein! Freu dich auf ein wenig Abwechslung! Der Kommunikator summt. Seufzend gehe ich ins Schlafzimmer. Er liegt auf der Fensterbank. Ich aktiviere nur Audio.

»Hallo? Monsieur Bernheimer?«

»Ja. Und wer sind Sie?«

»Warum schalten Sie kein Video dazu?«

»Weil ich nackt bin.«

»Oh, das tut mir leid. Hier spricht Monsieur Guerlaine. Erinnern Sie sich noch an mich?«

»Wie könnte ich Sie vergessen.«

»Haben Sie es sich überlegt?«

»Sie sind ein Arschloch.«

Ich beende die Verbindung und drehe mich um. Es summt wieder. Das ist doch nicht zu fassen! Mit dem Daumen aktiviere ich wieder Audio.

»Ja?«

»Warum haben Sie aufgelegt?«

»Es gibt keinen Guerlaine in der Präfektur. Noch nicht mal der Hauch eines Planes existiert dort für eine touristische Erschließung. So, und was jetzt?«

Er ist für zwei Sekunden still.

»Na gut, ich habe Sie etwas angeschwindelt. Ich bin ein freier Investor und dachte mir, wenn ich gleich mit der Tür ins Haus falle, hören Sie mich gar nicht erst an. Klar, hätte ich damit rechnen müssen, dass Sie bei der Präfektur anrufen. Tut mir leid, Monsieur Bernheimer. Dumm von mir ⦫, wieder eine kleine Pause. »Können wir uns trotzdem noch einmal treffen?«

»Nein. Wenn Sie noch einmal anrufen oder hierherkommen, werde ich ungemütlich! Leben Sie wohl!« Ich beende wieder und setze die Nummer auf den Filter.

Es ist schon gegen elf Uhr, als ich endlich den ersten Milchkaffee zubereite und ein Müsli aus Hafer, Rosinen und frischem Obst mache. Die Nice-Matin von vorgestern liegt immer noch auf dem Tisch und ich versuche auf dem Foto meines Bruders eine Besonderheit zu entdecken, vielleicht einen grausamen Zug um seinen Mundwinkel, denn laut Canard ist er so was wie ein Monster. Im Artikel steht, dass der Präsident der EU die Reise nach Russland angetreten hat, um die Beziehungen wieder etwas aufzubessern. Aha, offenbar sind die Beziehungen zu Russland schlecht. Wie soll ich mich da nur wieder zurechtfinden? Während ich früher jede Nachricht aufsog und genauestens über die Welt Bescheid wusste, hat mein Interesse nach dem Tod meiner Frau und der abrupten Trennung von meinem Sohn so stark nachgelassen, dass ich mich Robinson auf der Insel sehr nahe fühle. Es machte einfach keinen Sinn, all diese Dinge zu wissen. Und im Laufe der Jahre trat Gewöhnung ein. Eine Eigenschaft, die ich früher an anderen Menschen verdammte. Und was ist nun mit ihm? Meinem Bruder? Ich lege den Löffel auf Seite und meine Hand auf das Bild. Jahrzehnte sind zwischen uns. Die Gefühle nur noch Schatten von alten Möbeln auf noch älteren Tapeten. Ich schüttele die Gedanken ab und mache mich an den Teig für die Flammkuchen.

Gegen halb sechs bin ich fertig mit allem. Der Teig ruht seit einigen Stunden im Kühlschrank. Dazu gibt es Tomatenscheiben mit Mozzarella und Basilikum. Speck und Knoblauch für den Belag, dünne Lauchringe, gehackte Habaneros. Der Backofen hat Temperatur. Jetzt fehlt nur noch Madame Colombier. Ich schnappe mach der Chipkarte für den Wagen. Es ist sehr warm, aber immerhin eine trockene Wärme. Etwas Wind aus dem Norden macht es erträglich. Ich fahre los. Knapp 20 Minuten nach Castellane. Die Klimaanlage bleibt deaktiviert, lieber mit offenem Verdeck unterwegs sein. Der Elektromotor schnurrt beruhigend und der abendliche Duft von Kiefern und Pinien liegt schwer im Talgrund. Dazwischen immer wieder wilder Rosmarin und Thymian. Dieser typische, spätsommerliche Geruch, den ich so liebe an dieser Landschaft. Madame Colombier wird sicher schon warten.

In der Nähe des Marktplatzes finde ich einen Parkplatz. Rechts neben der Bäckerei ist die Haustür. Durch ein kleines Fenster mit Windkreuz spähe ich in das Innere. Ein dunkler Flur, kaum was zu sehen. Die Turmuhr der Kirche zeigt eine Minute vor sechs, also warten und den Menschen auf dem kleinen Platz zusehen. Ein paar Touristen, zwei oder drei Familien, ein spielender Hund. Der Brunnen plätschert vor sich hin. So habe ich es in Erinnerung, dieses kleine, abgelegene Städtchen. Als ich vor über vierzig Jahren mit dem Motorrad während eines Urlaubs staunend durch die Verdon-Schlucht fuhr und Castellane erreichte, habe ich mich sofort in diese Gassen verliebt und mich möglicherweise unbewusst entschlossen, hierher zu ziehen, wiederzukommen. Es ist mir gelungen. In diesem Moment schlägt die Kirche die sechs Uhr an. Zeit zu klingeln. Nach einer kurzen Weile geht das Licht an und Madame Colombier öffnet die Tür.

Ich bin angenehm überrascht. Sie hat sich fein gemacht. Ihr Lächeln strahlt mir entgegen und im warmen Abendlicht kommt ihr orangefarbenes Kleid richtig zur Geltung. Ich finde sie umwerfend und breite die Hände vor ihr aus.

»Madame Colombier ⦠wenn ich nicht wüsste, dass die Sonne links von mir ist, würde ich meinen, sie stünde vor mir.«

Sie hält inne und sieht mich erst überrascht an, bevor heftiges Lachen aus ihr heraussprudelt.

»Monsieur Bernheimer ⦫, gluckst sie. »Sie überraschen mich immer wieder. Ich habe gar nicht geahnt, dass Sie so ein Charmeur sein können.«

»Das war ich auch schon lange nicht mehr, ein Charmeur. Aber es fällt mir nicht schwer.«

Sie grinst, schließt die Tür ab und nimmt meinen Unterarm. »Gehen wir. Ich habe Hunger.«

»Aber gerne.«

In einer Hand hat sie eine Stofftasche, die offenbar einiges wiegt.

»Was haben Sie denn in der Tasche? Darf ich sie Ihnen abnehmen?«

Sie blickt zu mir hoch. Zum ersten Mal wird mir richtig bewusst, dass sie mehr als einen Kopf kleiner ist als ich.

»Natürlich«, sagt sie und reicht mir die Tasche, »aber was drin ist, verrate ich nicht. Das wird eine Überraschung.«

Als wir beim Auto ankommen, frischt der Wind plötzlich auf. Es ist zu spüren, wie er eine Abkühlung mit sich bringt. Madame Colombier zieht unwillkürlich die Luft in ihre Nase und stößt sie wieder aus.

»Ah, das riecht nach Mistral ⦠aber den gibt es ja gar nicht mehr.« Für einen kurzen Moment legt sich ein trauriger Ausdruck auf ihr Gesicht.

»Kommen Sie! Steigen wir ein.«

Ich öffne die Tür, warte geduldig, bis sie sitzt, angeschnallt ist und klemme mich hinter das Lenkrad. Wir fahren nach Le Bourguet.

Es ist schon gegen neun Uhr, als ich den letzten Flammkuchen aus dem Ofen hole und auf den Tisch stelle. Mit dem Rollmesser zerteile ich ihn in kleine Stücke und setze mich wieder.

»Darf ich noch etwas Rotwein einschenken?«

»Oh ja, sehr gerne. Sie haben mir noch gar nicht gesagt, woher Sie diesen feinen Wein haben?«

Sie hebt ihr Glas und ich gieße es halbvoll. Mit einer eleganten Bewegung hält sie den Wein vor die Lampe über dem Tisch und dreht ihn hin und her.

»Eine interessante Farbe. Tiefrot und doch irgendwie durchsichtig. Er schmeckt ganz köstlich. Ist es ein Languedoc?«

»Nein, und wenn ich es Ihnen sage, werden Sie mir kaum glauben.«

»Jetzt machen Sie mich aber neugierig.«

»Es ist ein Dornfelder, ein Wein aus Deutschland.«

Sie nimmt einen tiefen Schluck, schwenkt ihn ein paar Mal im Mund hin und her und schmatzt genüsslich beim Schlucken.

»Alle Achtung. Der Winzer versteht etwas von seiner Arbeit. Jetzt haben Sie mich schon wieder überrascht. Das man in Deutschland so guten Wein machen kann, hätte ich nicht gedacht.«

»Der Wein...
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