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Ich steig in den Zug und setz mich ans Fenster

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Picus Verlagerschienen am07.09.2022
Von Wien aus in alle Himmelsrichtungen: Oskar Aichinger erkundet mit dem Zug Ostösterreich: vom Neusiedler See bis zum Traunsee. Mit dem 13A geht es zum Wiener Hauptbahnhof, wo die Meditation des Zugfahrens beginnen kann: Es geht u?ber die Leitha nach Eisenstadt und sogar bis Bratislava in der Slowakei, in den Su?den nach Gumpoldskirchen, Wiener Neustadt und mit der Schmalspurbahn nach Mariazell, und immer wieder in den Westen: in die verkannte Stadt St. Pölten und ins Salzkammergut, in die alte Heimat des Autors, Attnang- Puchheim in Oberösterreich, die Erinnerungen weckt. Oskar Aichinger hat zwar immer ein Ziel: Orte der Vergangenheit, Städte, die bis jetzt nur Namen waren, unbedingt immer ein Kaffeehaus und den Schneeberg - mal aus der Ferne, mal aus der Nähe. Immer jedoch bietet das Zugfahren, diese ganz besondere Art der Fortbewegung, die Chance der Entschleunigung, des Eintauchens in Vergangenes, des Sinnierens und Abschweifens der Gedanken.

Oskar Aichinger, geboren 1956 in Vöcklabruck in Oberösterreich. Studierte Montanistik, Musik und Geschichte. Seit 1990 vorwiegend als Pianist an der Schnittstelle Jazz/Neue Musik tätig. Zahlreiche CD-Veröffentlichungen, Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Musikern, Kompositionen fürs Theater. Oskar Aichinger unterrichtete an einer Wiener AHS und war Lektor an der Universität für Angewandte Kunst, mittlerweile ist er im wohlverdienten Ruhestand. 2017 erschien im Picus Verlag »Ich bleib in der Stadt und verreise«, 2020 »Fast hätt ich die Stadt verlassen« und im Herbst 2022 der dritte Band der Reihe »Ich steig in den Zug und setz mich ans Fenster«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextVon Wien aus in alle Himmelsrichtungen: Oskar Aichinger erkundet mit dem Zug Ostösterreich: vom Neusiedler See bis zum Traunsee. Mit dem 13A geht es zum Wiener Hauptbahnhof, wo die Meditation des Zugfahrens beginnen kann: Es geht u?ber die Leitha nach Eisenstadt und sogar bis Bratislava in der Slowakei, in den Su?den nach Gumpoldskirchen, Wiener Neustadt und mit der Schmalspurbahn nach Mariazell, und immer wieder in den Westen: in die verkannte Stadt St. Pölten und ins Salzkammergut, in die alte Heimat des Autors, Attnang- Puchheim in Oberösterreich, die Erinnerungen weckt. Oskar Aichinger hat zwar immer ein Ziel: Orte der Vergangenheit, Städte, die bis jetzt nur Namen waren, unbedingt immer ein Kaffeehaus und den Schneeberg - mal aus der Ferne, mal aus der Nähe. Immer jedoch bietet das Zugfahren, diese ganz besondere Art der Fortbewegung, die Chance der Entschleunigung, des Eintauchens in Vergangenes, des Sinnierens und Abschweifens der Gedanken.

Oskar Aichinger, geboren 1956 in Vöcklabruck in Oberösterreich. Studierte Montanistik, Musik und Geschichte. Seit 1990 vorwiegend als Pianist an der Schnittstelle Jazz/Neue Musik tätig. Zahlreiche CD-Veröffentlichungen, Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Musikern, Kompositionen fürs Theater. Oskar Aichinger unterrichtete an einer Wiener AHS und war Lektor an der Universität für Angewandte Kunst, mittlerweile ist er im wohlverdienten Ruhestand. 2017 erschien im Picus Verlag »Ich bleib in der Stadt und verreise«, 2020 »Fast hätt ich die Stadt verlassen« und im Herbst 2022 der dritte Band der Reihe »Ich steig in den Zug und setz mich ans Fenster«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783711754752
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum07.09.2022
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3696 Kbytes
Artikel-Nr.9854740
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Attnang-Puchheim, Attnang-Puchheim

Mag sein, dass mich die Erinnerung täuscht, aber für mich war es völlig selbstverständlich, dass der Name meines Heimatorts gleich doppelt aus den Lautsprechern am Bahnhof kam, sobald ein Zug eingefahren und zum Stillstand gekommen war, während andere Stationen sich mit einer einfachen Nennung begnügen mussten. Linz Hauptbahnhof, Marchtrenk, Wels Hauptbahnhof, Lambach, Schwanenstadt, Attnang-Puchheim, Attnang-Puchheim, oder, aus dem Westen kommend, Salzburg Hauptbahnhof, Seekirchen-Mattsee, Steindorf bei Straßwalchen, Frankenmarkt, Vöcklamarkt, Vöcklabruck, Attnang-Puchheim, Attnang-Puchheim, vorausgesetzt man reiste mit einem der damals üblichen Eilzüge, die zwar nicht überall anhielten wie die sogenannten »Pemperlzüge«, aber doch eine Reihe von kleineren Bahnhöfen bedienten. Und es handelte sich so gut wie immer um einen Eilzug, in dem wir saßen, für einen Schnellzug, auch D-Zug genannt, musste man einen Zuschlag berappen, und für eine sechsköpfige Familie war das einfach zu teuer, behauptete zumindest mein Vater. Ich dachte insgeheim, er wäre einfach zu knausrig, um uns ein Stück große weite Welt zu gönnen.

So sah ich nie einen Schnellzug von innen, was meine Fantasie über die dortigen Vorgänge und Zustände immens beflügelte.

In Attnang-Puchheim hielten so gut wie alle Schnellzüge, was seine Einwohner mit Stolz erfüllte, auch mich. Wenn die geheimnisvollen Schnellzüge es für nötig hielten, hier anzuhalten, musste Attnang-Puchheim wohl eine überragende Bedeutung haben, und die wurde uns tatsächlich schon in der Volksschule nachhaltig eingeimpft: Wir, ja wir persönlich, so dachte ich, wir sind ein Bahnknotenpunkt. Nur drei Züge schienen davon keine Kenntnis zu nehmen und erschienen mir damit unheimlich und hochnäsig zugleich: der Transalpin, der Arlberg-Express und der Wiener Walzer, Letzterer brauste gar mitten in der Nacht mit mindestens hundert Stundenkilometern durch mein schlaftrunkenes Attnang-Puchheim, wie ich es einmal einem Gespräch unter Erwachsenen abgelauscht hatte. Die doppelte Nennung bei Zugankünften kann ich mir heute nur durch die überproportionale Dimension unseres Bahnhofs im Vergleich zur Größe des eigentlichen Ortes erklären, sowohl was seine flächenmäßige Ausdehnung als auch was seine überregionale Bedeutung betrifft. Wien ist der Wasserkopf von Österreich, der Bahnhof der Wasserkopf von Attnang-Puchheim. Den Bahnstationen größerer Städte kann in den Lautsprecherdurchsagen ganz natürlich ein »Hauptbahnhof« hinzugefügt werden, um auf eine der Bedeutung entsprechende respektable Länge zu kommen, Linz Hauptbahnhof, Wels Hauptbahnhof, Salzburg Hauptbahnhof. Attnang-Puchheim hätte sich dadurch nur lächerlich gemacht, es gibt hier nur einen einzigen Bahnhof. Die Lösung hieß also ganz offenbar: Attnang-Puchheim, Attnang-Puchheim.

Dabei ist doch Attnang-Puchheim selbst schon ein Doppelname, und die meisten Menschen, die gedankenlos in ihren Zügen sitzen, denken noch heute, es handle sich dabei um zwei, womöglich weit auseinander liegende Gemeinden, so wie es etwa bei den Bahnhöfen Schwarzach-St. Veit oder Golling-Abtenau der Fall ist. Tatsächlich ist Attnang-Puchheim eine einzige Stadtgemeinde mit zwei Ortsteilen, eben Attnang und Puchheim, mit zwei Pfarren, drei Kirchen in Altattnang, Neuattnang und Puchheim, zwei Kirchenchören, zwei Feuerwehren, zwei Blasmusikkapellen, einem Kammerorchester, nämlich dem aus Attnang, zwei weltlichen Chören, einem roten und einem schwarzen, dem Phönixchor, vormals Arbeitersängerbund, und dem Sängerbund 1908, drei Sportvereinen, rot, schwarz und blau, askö, Union und ötb, zwei Fußballvereinen mit jeweils eigenem Platz.

Die Bahnhofsrestauration, kurz Resti genannt, war nicht nur Labstelle für Reisende wie etwa Kaiser Franz Joseph, der hier regelmäßig, wie mir meine Großmutter erzählte, auf der Durchreise nach Ischl ein Paar Würstel zu sich nahm, sondern diente eben diesen Vereinen, aber auch privaten Runden immer wieder als Treffpunkt nach Proben, Wettbewerben, für wichtige Versammlungen, Jahrestage und Gründungsfeste. Wenn man so will, war die Resti nach bürgerlicher Sprechweise das erste Haus am Platz, was im mehrheitlich proletarischen Attnang-Puchheim nicht viel heißen mochte, die erste Klasse der Resti, wohlgemerkt, die zweite Klasse war eher ein Zufluchtsort für Menschen, die sich gerne auf Bahnhöfen herumtreiben, fahrende Gesellen, die nie ins Fahren gekommen sind, es sei denn in ihrer Fantasie nach ein paar Bieren beim Anblick von Schnell- und Expresszügen.

Solche, je nach Standort, Tschecherl, Schwemme, Hittn, Bumsn und so fort genannten niederschwelligen Gaststätten fanden sich auf so gut wie jedem österreichischen Bahnhof, heute sind sie weitgehend verschwunden, ausgerottet durch neue Architektur, verdrängt durch Konkurrenz aus der Fast-Food-Hölle. Die verlorenen Seelen der Dörfer und Landgemeinden finden jetzt Trost aus der Bierflasche auf Tankstellen, ein trauriges Sinnbild für die Verlagerung der Fortbewegung von der Schiene auf die Straße.

Ich war immer gerne am Bahnhof, mit Tankstellen wäre ich wohl kaum warm geworden. Allein der ordinäre Geruch von Diesel und Benzin hält keinem Vergleich mit dem fein-herben Duft metallischen Schienenabriebs stand, von den Rauchschwaden der Dampflokomotiven in allen Geruchs- und Farbschattierungen von Wasserdampfweiß bis Kohlschwarz ganz zu schweigen. Was waren schon Autotypen wie Opel Kapitän, vw Käfer, dkw oder Mercedes 190D gegen die 77er mit ihrem mächtigen Kohletender, die schnelle, elegante 52er mit den seitlich vorne am Kessel angebrachten Windschutzblechen, das urzeitlich anmutende Krokodil, die herrlich röhrende E-Lok der Baureihe 1073, deren Klang einen strahlenden Sommertag verhieß, zog sie doch den sogenannten »Kammerer Hansl« von Attnang-Puchheim nach Kammer-Schörfling am Attersee.

Der Bahnhof war aber nicht nur ein faszinierender Maschinenpark, sondern zeigte mir das ganze Spektrum menschlicher, zentralösterreichischer Existenz jenseits des kleinen, bürgerlichen und behüteten Ausschnitts, den ich ansonsten bewohnte. Da waren einmal die Eisenbahner selbst: der weiß behandschuhte Stationsvorstand an ihrer Spitze, von dem ich immer gerne gewusst hätte, was er eigentlich zu tun hat, außer würdevoll mit ernster Miene in eine unergründliche Weite zu blicken, dann die Rotkappen als Fahrdienstleiter, die den Zügen ihren Respekt zollten, indem sie vor ihnen salutierten und ihnen mit der Signalkelle, im Volksmund Befehlsstab genannt, zuwinkten, dann natürlich die Helden, die Piloten, die Lokführer, die ich so beneidete, die leutseligen Schaffner und Zugführer nicht zu vergessen, und natürlich die Männer vom Verschub im ölverschmierten Blaumann samt gelbem Helm und roter Fahne, mit der sie, seitlich auf dem Trittbrett eines Waggons im steifen Fahrtwind stehend, die Lokomotiven dirigierten.

Und da waren natürlich die Hauptdarsteller, die Reisenden, die eigentlichen Sinnstifter eines jeden Bahnhofs, Menschen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten, zu den Zügen hastend, auf den Bahnsteigen unruhig hin und her gehend, rauchend, lesend, schwatzend oder düster vor sich hin schweigend. Da waren Gesichter, die ich sonst nie zu sehen bekam, weder in der Kirche noch in der Schule oder im Freundeskreis meiner Eltern, verlebte, traurige Gesichter, hagere, stolze, aufgeblähte, einfältige, lustige. Manchmal mischte ich mich in dem von Nikotinschwaden durchzogenen Wartesaal unter sie, tat so, als würde ich selber auf die Abfahrt eines Zuges warten, nur, um sie besser studieren zu können. Es gefiel mir auch, den Reisenden zu spielen, indem ich in einen Zug stieg, von dem ich laut Fahrplan wusste, dass er noch eine Weile zu warten hatte, um dann kurz vor der Abfahrt wieder auszusteigen. Besonders schön war das, wenn es draußen regnete und die Menschen auf dem Bahnsteig draußen mit hochgezogenen Mantelkrägen unter ihren Regenschirmen standen. Manchmal fuhr ich auch mehrmals zwischen Attnang-Puchheim und Vöcklabruck hin und her, um mich der Illusion des Reisens hinzugeben, ich war Fahrschüler und hatte für diese Strecke einen Freifahrtausweis.

Die Proleten interessierten mich am meisten, als ich in die schwierigen Jahre kam, sie waren die, von denen zu Hause schlecht geredet wurde, da waren auch die Schmuddelkinder, die in der Schule frech waren und oft nicht einmal einen Pflichtschulabschluss schafften, auch sie schlugen am Bahnhof die Zeit tot. Die Mädchen rauchten schon mit vierzehn, die Buben tranken Bier und führten einen derben Spruch, der in meinen Kreisen ganze Schulklassen zum Erröten gebracht hätte. Hier durfte man alles, niemand war da, der sie zurechtgewiesen hätte, sie taten das, was wir nicht einmal im Beichtstuhl zu sagen wagten, im Nachhinein betrachtet eine ziemlich gesunde Hemmschwelle, einen Priester diesbezüglich nicht ins Vertrauen zu...
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Autor

Oskar Aichinger, geboren 1956 in Vöcklabruck in Oberösterreich. Studierte Montanistik, Musik und Geschichte. Seit 1990 vorwiegend als Pianist an der Schnittstelle Jazz/Neue Musik tätig. Zahlreiche CD-Veröffentlichungen, Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Musikern, Kompositionen fürs Theater. Oskar Aichinger unterrichtete an einer Wiener AHS und war Lektor an der Universität für Angewandte Kunst, mittlerweile ist er im wohlverdienten Ruhestand. 2017 erschien im Picus Verlag »Ich bleib in der Stadt und verreise«, 2020 »Fast hätt ich die Stadt verlassen« und im Herbst 2022 der dritte Band der Reihe »Ich steig in den Zug und setz mich ans Fenster«.

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