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Von Zeit zu Zeit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
430 Seiten
Deutsch
Verlag Antje Kunstmannerschienen am21.09.2022
Zeit seines Lebens hat Rafael Chirbes nicht viel Aufhebens um sich gemacht. Der Literaturbetrieb war ihm fremd, die Literatur aber bedeutete ihm alles. Sie war sein Zugang zur Welt. In den Tagebuch-Aufzeichnungen, die von Chirbes' Anfängen als Schriftsteller bis kurz vor Veröffentlichung von »Krematorium« reichen, zeigt sich ein sensibler und scharf beobachtender Geist, dessen Werk in der Weltliteratur einen festen Platz hat. Rafael Chirbes erzählt von seinen Lieben, von schlaflosen Nächten, in Gesellschaft oder allein, oft mit Alkohol oder Drogen; von den Schmerzen des Alterns, den körperlichen, den seelischen, davon, was es bedeutete, homosexuell zu sein in einem bigotten Land. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Reportagen für eine Gourmet-Zeitschrift, die ihn durch ganz Europa schickt. Jede freie Minute arbeitet er an seinen Romanen, immer zweifelnd an dem eigenen literarischen Schreiben, auch dann noch, als die öffentliche Anerkennung längst da ist und er mit Literaturpreisen ausgezeichnet wird. In diesen schonungslos offenen Aufzeichnungen, die von seinen Anfängen als Schriftsteller bis kurz vor Veröffntlichung von »Krematorium« reichen, zeigt sich ein sensibler, verletzlicher und scharf beobachtender Geist und ein großartiger Stilist.

Rafael Chirbes, geboren 1949 in Tabernes de Valldigna, arbeitete nach dem Studium als Literatur- und Filmkritiker für verschiedene Zeitschriften. Schon bald wurde er einer der international bekanntesten spanischen Autoren. Seine preisgekrönten Romane wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt lebte Chirbes zurückgezogen in Beniarbeig bei Alicante, wo er im August 2015 starb.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR34,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR27,99

Produkt

KlappentextZeit seines Lebens hat Rafael Chirbes nicht viel Aufhebens um sich gemacht. Der Literaturbetrieb war ihm fremd, die Literatur aber bedeutete ihm alles. Sie war sein Zugang zur Welt. In den Tagebuch-Aufzeichnungen, die von Chirbes' Anfängen als Schriftsteller bis kurz vor Veröffentlichung von »Krematorium« reichen, zeigt sich ein sensibler und scharf beobachtender Geist, dessen Werk in der Weltliteratur einen festen Platz hat. Rafael Chirbes erzählt von seinen Lieben, von schlaflosen Nächten, in Gesellschaft oder allein, oft mit Alkohol oder Drogen; von den Schmerzen des Alterns, den körperlichen, den seelischen, davon, was es bedeutete, homosexuell zu sein in einem bigotten Land. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Reportagen für eine Gourmet-Zeitschrift, die ihn durch ganz Europa schickt. Jede freie Minute arbeitet er an seinen Romanen, immer zweifelnd an dem eigenen literarischen Schreiben, auch dann noch, als die öffentliche Anerkennung längst da ist und er mit Literaturpreisen ausgezeichnet wird. In diesen schonungslos offenen Aufzeichnungen, die von seinen Anfängen als Schriftsteller bis kurz vor Veröffntlichung von »Krematorium« reichen, zeigt sich ein sensibler, verletzlicher und scharf beobachtender Geist und ein großartiger Stilist.

Rafael Chirbes, geboren 1949 in Tabernes de Valldigna, arbeitete nach dem Studium als Literatur- und Filmkritiker für verschiedene Zeitschriften. Schon bald wurde er einer der international bekanntesten spanischen Autoren. Seine preisgekrönten Romane wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt lebte Chirbes zurückgezogen in Beniarbeig bei Alicante, wo er im August 2015 starb.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783956145261
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum21.09.2022
Seiten430 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1086 Kbytes
Artikel-Nr.9894988
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1984
April 1984
Ein Gefühl der Vorläufigkeit. Ich setze mich auf die Stuhlkante, statt mich richtig hinzusetzen, mich bequem auf meinem Gesäß niederzulassen: eine nervöse Art des Daseins. Unfähig, mich auf ein Sofa zu fläzen, den Kopf zu leeren und dabei in einer bequemen, entspannten Stellung liegen zu bleiben. Ich komme spät und müde von der Arbeit heim. Es gelingt mir nicht, mir Räume zu erobern. Obwohl ich schon fast zwei Jahre in dieser Wohnung lebe, habe ich mich noch nicht daran gewöhnt, sie als die meinige anzusehen, sie ist weiterhin nicht meine Wohnung, mein Ort. Ich fühle mich nicht einmal wohl, wenn ich mich in das Zimmer zurückziehe, das ich mir nach meinen Bedürfnissen und meinem Geschmack hergerichtet habe, ein stilles, sonniges Zimmer, vom Grün der Pflanzen belebt. Alles kommt mir provisorisch vor, unordentlich, durcheinander. Nichts passt an seinen Ort, die Dinge machen sich dort breit, wo sie nichts zu suchen haben. Der Schreibtisch ist besetzt von Papierhaufen und Büchern, die gelesen werden wollen. Die Wochen fliegen mir davon, keine Zeit, etwas Ordnung in diesem Chaos zu schaffen, nachzudenken, mich zu konzentrieren, mir die häusliche Geografie anzueignen, ganz zu schweigen von der anderen Geografie, meiner eigenen, der intimen Geografie, was auch immer das sein mag: Ich bin nicht in der Lage, mich selbst zu kolonisieren, ein plurales Wesen in der Abdrift, und jedes seiner Teile scheint sich in eine andere Richtung davonzumachen. Wie soll man da schreiben, wenn alles in der Schwebe ist, in Erwartung irgendeiner Form von Normalität?

Bemerkenswert, wie eilig man es in der Liebe damit hat, sich gemeinsame Erinnerungen aufzubürden: Bücher, Platten, Orte, mots de famille: Als wäre es nicht eben dieser ganze Krimskrams, für den du am Tag der Trennung einen hohen Preis zahlen musst. Wenn die Liebesgeschichte erst einmal vorbei ist, sind es diese Gegenstände, Klänge, Orte oder Gesichter, die du mit der anderen Person gesehen oder gehört hast, das, was du gerochen oder ertastet hast, die dich überallhin verfolgen, dich belauern und dich daran hindern, den Kopf wieder hoch zu tragen. Du gehst in die Buchhandlung, willst ein Buch aus dem Regal ziehen, und da steht jenes, das die andere Person mochte. Du machst den Kühlschrank auf, und die Erdbeeren oder das Kalbsfilet, was immer du da siehst, stellen den Kontakt her, über eine Geste, einen an dich gerichteten Satz: Das holt die Person herbei, stellt sie vor dich hin, da steht sie zwischen dir und dem Rest der Welt.

Nicht zu vergessen das schmerzhafte Gewicht der Gerüche - das Erinnern der Gerüche - bei jeder Trennung und beim Aufbau einer neuen Liebesgeschichte. Der Körper, den du jetzt umarmst, riecht nicht wie der andere, keiner riecht genau so wie ein anderer. Und jener Anblick, der dich so erregte und dessen Genuss der Anfang deiner Heilung zu sein schien, wird plötzlich unangenehm, abstoßend, geradezu bedrohlich, weil beim Umarmen dieser Geruch auftaucht, der nicht im Geringsten dem gleicht, den du erwartest, dem jenes anderen Körpers, der dich vor Kurzem verlassen hat und nach dem du suchst.

Nachdenken gilt als eine Tätigkeit, die in jedweder Angelegenheit des Lebens geboten ist, nicht jedoch beim Scheitern einer Liebe, da erweist es sich als nutzlos, gar gefährlich: Nicht nachzudenken ist eine Form der Heilung. Eine ganze Stunde lang nicht vom Bild des anderen überfallen zu werden und nicht alles zu drehen und zu wenden, was man gemeinsam gelebt habt, ist schon ein beachtlicher Erfolg.
Ein anderer Tag im April
Zwei Uhr nachts. Zeit, ins Bett zu gehen, weil ich morgen früh rausmuss. Aber ich bin in bester Verfassung, klar und ruhig, habe soeben die Englischübungen, die ich mir auferlegt habe - Conrad mit Wörterbuch lesen -, beendet und einen Brief an einen Freund geschrieben. Wenn ich nicht morgen auf dem Posten sein müsste, bliebe ich noch ein paar Stunden sitzen. Als ob der Körper darauf aus wäre, mir Paroli zu bieten. Er ist rebellisch. Er hasst die Zeitpläne und fühlt sich immer dann wohl, wenn er erschöpft sein sollte, und umgekehrt, denn in der Arbeitszeit bin ich müde, unruhig, habe Magenschmerzen, fühle mich träge oder einfach nicht gut. Ich boykottiere mich selbst. Als könnte ich nicht leben ohne meine tägliche Ration an Unsicherheit, Angst und Leid. Ständig muss ich mich von etwas erholen, das mich verletzt hat.
2. Mai 1984
Stille im Haus. Nachts, spätnachts. Ich bin im Zentrum von Madrid und man hört nichts: nur ein Summen in den Ohren, wenn ich die Feder hebe und zu schreiben aufhöre, wie am Grund eines Brunnens. Ich lese Penúltimos castigos (Vorletzte Strafen), die Autobiografie von Barral. Ich fühle mich entspannt, ruhig, wie ich es seit einem Jahr nicht mehr war, obwohl sich, und das seit Tagen, ein physischer Schmerz dazwischendrängt, der mich von dem anderen, dem Trennungsschmerz, ablenkt.
7. Mai
Wieder die Schlaflosigkeit. Heute aber setzt sich der physische Schmerz durch. Ich hänge an einem Faden. Mit einem Schnippen der Schere könnte ihn jeder durchtrennen. Ich schaue mir das an, was ich vor ein paar Tagen geschrieben habe - dass ich ruhig und entspannt bin -, und muss über mich selbst lachen.
8. Mai
Ungemütliche Tage und Nächte der Verzweiflung. Eine Fistel, die sich dann - nach Auskunft des Arztes - als Schrunde erweist, setzt mir unsäglich zu. Seit fünf Nächten mache ich kein Auge zu. Vorgestern endlich habe ich beschlossen, einen Arzt aufzusuchen. Nach einer gewissenhaften Untersuchung diagnostizierte er die Fissur und sagte, da bliebe nichts anderes übrig, als zu operieren. Er verschrieb mir noch eine Salbe und Ampullen mit einem Analgesikum, um die Schmerzen zu lindern. Er sagte auch, dass die Salbe, die ich bis dahin benutzt hatte, völlig nutzlos ist. Und er gab mir eine Überweisung für den Facharzt (Proktologe, hat er ihn, glaube ich, genannt). Die Nacht wird trotz Salbe und Schmerzmittel die übelste bisher. Zu Hause allein kann ich nicht stillhalten, ich wimmere, knie mich hin, nehme den Kopf in die Hände und drücke fest zu, um zu sehen, ob der eine Schmerz vom anderen ablenkt. Alles zwecklos. Es ist dieses Gefühl, von dem ich in einem Buch gelesen habe: Ein wütendes Tier kratzt dich von innen auf. Mir fällt das Buch von Hernán Valdés über Pinochets Putsch in Chile ein, Auch wenn es nur einer wäre: Ich glaube in diesem Buch gelesen zu haben, dass eine der Foltermethoden der Militärs darin bestand, ihren Opfern in die Scheide oder den After ein Gefäß einzuführen, in das sie eine Ratte gesteckt hatten, damit das Nagetier sich dann seinen Weg bahnte und in den Körper eindrang. Wenn es nicht dieses Buch war, dann eins der anderen, die ich damals über die verschiedenen Foltermethoden der Putschisten las. Der liebe Gott, mein ganz persönlicher Putschist.

Draußen ist es kalt und regnerisch. Aber auch in der Wohnung habe ich ständig Schüttelfrost. Ich stehe auf, der Boden ist eisig, ich setze mich aufs Bidet, um mich zu waschen, es ist eisig, das kalte Wasser beißt in mein Gesäß, in meine Schenkel, ich zittere und weiß nicht, wie ich mich halten soll. Jede eingenommene Stellung ist unangenehm, wenn nicht gar extrem schmerzhaft. Die Schmerzen gehen von der Spitze des Schwanzes bis zum After, und von da ziehen sie im Inneren bis in den Bereich der Leber, aber auch in die Schenkel, von wo sie sich zum Bauch hin ausbreiten. Merkwürdigerweise fühle ich mich morgens, trotz Schlafmangel und Schmerzen, munter und von großer Vitalität, ganz im Gegensatz zu der Erschöpfung durch den Schmerz im Morgengrauen. Ich gehe ganz normal ins Büro, halte die Zeiten ein, erledige meine Arbeit und nehme sogar an einigen Essen teil, um den Verpflichtungen der Zeitschrift Sobremesa zu genügen. Nicht dass ich dabei eine gute Zeit hätte, aber es gelingt mir, den Schmerz zu verbergen, und keiner merkt etwas.

Heute begebe ich mich in die zuständige Klinik, die mir die Krankenkasse angegeben hat: Es handelt sich um ein kleineres Gebäude, gelegen in einem eleganten Viertel der Stadt, das Ambiente sehr kalifornisch. Ich sitze auf einem der Sofas im Warteraum, der an das Wohnzimmer einer Mittelklassefamilie erinnert, an den Wänden triviale Bildchen: Blumen, Landschaften, und eine große Glasfront zu einem prächtigen Garten hin, der heute funkelt von den Glanzlichtern, die der Regen vorhin auf die Pflanzen gesetzt hat, Rosen in verschiedenen Farben, eine japanische Kirsche mit auffallenden Blüten - alles atmet eine angenehme Sorglosigkeit, von den Klinikbesitzern sicher gewollt, um die Ängste der Patienten zu vertreiben. Es gilt, die Krankheit und ihre möglichen Folgen in das heimische Wohnzimmer zu bringen. Diese Sorglosigkeit hat etwas Unheimliches, so scheint es mir zumindest. Jedes Ding sollte ausdrücken, was es ist, und die Einrichtung dieser Klinik erweist sich als so falsch wie Judas, man kommt nicht her, um Tee zu trinken oder zu stricken: Du kommst her, um abgehört, um gepikst, um aufgeschnitten zu...
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Autor

Rafael Chirbes, geboren 1949 in Tabernes de Valldigna, arbeitete nach dem Studium als Literatur- und Filmkritiker für verschiedene Zeitschriften. Schon bald wurde er einer der international bekanntesten spanischen Autoren. Seine preisgekrönten Romane wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt lebte Chirbes zurückgezogen in Beniarbeig bei Alicante, wo er im August 2015 starb.