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Jenseits der blauen Grenze

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Magellan Verlagerschienen am01.10.2022
Die DDR im August 1989: Hanna und Andreas sind ins Visier der Staatsmacht geraten und müssen ihre Zukunftspläne von Studium und Wunschberuf aufgeben. Stattdessen sehen sie sich Willkür, Misstrauen und Repressalien ausgesetzt. Ihre einzige Chance auf ein selbstbestimmtes Leben liegt in der Flucht über die Ostsee. Fünfzig Kilometer Wasser trennen sie von der Freiheit - und nur ein dünnes Seil, das ihre Handgelenke verbindet, rettet sie vor der absoluten Einsamkeit ...

Dorit Linke, geboren 1971 in Rostock, wuchs in der DDR auf. Sie machte Abitur, war Leistungssportlerin und Rettungsschwimmerin. Den politischen Wandel Ende der Achtziger erlebte sie bewusst mit, nahm an den Montagsdemonstrationen teil und war achtzehn Jahre alt, als die Mauer fiel. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextDie DDR im August 1989: Hanna und Andreas sind ins Visier der Staatsmacht geraten und müssen ihre Zukunftspläne von Studium und Wunschberuf aufgeben. Stattdessen sehen sie sich Willkür, Misstrauen und Repressalien ausgesetzt. Ihre einzige Chance auf ein selbstbestimmtes Leben liegt in der Flucht über die Ostsee. Fünfzig Kilometer Wasser trennen sie von der Freiheit - und nur ein dünnes Seil, das ihre Handgelenke verbindet, rettet sie vor der absoluten Einsamkeit ...

Dorit Linke, geboren 1971 in Rostock, wuchs in der DDR auf. Sie machte Abitur, war Leistungssportlerin und Rettungsschwimmerin. Den politischen Wandel Ende der Achtziger erlebte sie bewusst mit, nahm an den Montagsdemonstrationen teil und war achtzehn Jahre alt, als die Mauer fiel. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783734804038
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.10.2022
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse952 Kbytes
Artikel-Nr.10227458
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe


Unsere Taschen liegen vergraben unter einem Hagebuttenstrauch. Findet sie jemand, ist alles vorbei. Die Feldflasche habe ich mit Muttis Gürtel am Körper befestigt. Er hat eine goldene Schnalle und ist so hässlich, dass sie ihn nicht vermissen wird.

Nachher müssen wir im richtigen Moment loslaufen und kriechen, so wie wir es beim Pioniermanöver gelernt haben.

Bloß nicht ins Licht der Scheinwerfer geraten, das kilometerweit über den Strand wandert. Die Stelle, die wir uns ausgesucht haben, ist gut, weit weg vom Grenzturm.

Es ist viel NVA um uns herum. Direkt hinter uns steht ein Schild.

Sperrzone. Betreten und Befahren verboten.

Opa hat mir gesagt, dass ich auf die Posten aufpassen soll. Die werden an uns vorbeilaufen, außerdem werden Autos mit gleißenden Scheinwerfern herumfahren. Er hat mir auch gesagt, dass die Suchscheinwerfer nach einer Stunde zum Kühlen ausgeschaltet werden müssen. So einen Moment werden wir nutzen, um runter an die Ostsee zu laufen.

Am Wasser liegt ein Findling, hinter dem wir uns verstecken können. Wir werden rasch unten sein. Der Sandstrand ist hier nicht so breit wie in Warnemünde. Später in der Ostsee tauchen wir einfach unter, wenn das Scheinwerferlicht auf uns zukommt.

Mutti habe ich einen Zettel unter die Bettdecke gelegt. Sie soll sich keine Sorgen machen. Wird sie wohl trotzdem. Sie wird mich nicht in Kühlungsborn vermuten, sondern an der Neptunschwimmhalle auf mich warten. Gestern habe ich mich beinah verraten, weil ich ihr beim Wetterbericht über den Mund gefahren bin. Normalerweise interessiere ich mich dafür nicht.

Fünfzig Kilometer bis nach Fehmarn. Das ist echt weit.

Wenn die Strömung mitspielt, schaffen wir die Strecke in fünfundzwanzig Stunden. Momentan herrscht ablandiger Wind. Hoffentlich bleibt es dabei. Wenn es dunkel ist, werden wir losschwimmen, dann sind wir schon ein Stück vom Land entfernt, wenn die Boote in der Morgendämmerung nach Flüchtlingen suchen. Kommt eine Patrouille, tauchen wir unter und atmen durch unsere Schnorchel, die ich gestern im Keller mit Plastikschläuchen verlängert habe. Als Nachbarin Lewandowski mich damit hantieren sah, wollte sie wissen, wozu das gut sei. Ich habe ihr von den Karpfen im Dobbertiner See erzählt, die ich beobachten wollte.

Neunzehn Grad Wassertemperatur, das ist gut. Weiter draußen wird es kälter sein. Das wird hart. So viel trainieren kann man gar nicht. Doch wir werden es schaffen. Endlich ist es so weit! Ich bin aufgewühlt und gleichzeitig ruhig, auf unser Vorhaben konzentriert.

Andreas sieht blass aus. Zum Glück ist er dabei, ohne ihn könnte ich es nicht. Gerade hat er mir zugelächelt.

Er hat Angst. Ich auch, aber darüber darf man nicht nachdenken.

Andreas hält Die schwarze Feluke in der Hand. Für Sachsen-Jensi, in Folie eingeschweißt. Das einzige Mosaik-Heft, das ihm in seiner Sammlung noch fehlt, erschienen im November 1982. Im Westen bekommt er das nicht, wir müssen es ihm mitbringen. Das haben wir ihm versprochen.

Piraten auf dem Cover, Fischerboote, hochschlagende Wellen, Leuchtfeuer und Männer mit Turbanen. Andreas betrachtet das Bild, das so blau ist wie die Dämmerung, die uns umhüllt. Bestimmt möchte er durch das Heft blättern, doch das geht wegen der Folie nicht.

Ins Heft habe ich einen Zettel gelegt, da steht die Telefonnummer meiner Eltern drauf. Falls etwas passiert und jemand das Heft findet, weiß er, wo er anrufen muss.

Was würde Sachsen-Jensi sagen, wenn er uns sehen könnte, hier in den Dünen, wartend, mit Blick auf die Ostsee? Hitze in meinem Magen, vor Aufregung! Ein angenehmes Gefühl. Ich bin glücklich, dass wir aufbrechen werden, fühle mich das erste Mal seit Monaten wieder leicht, fast unbeschwert. Ich schließe die Augen und atme tief ein. Es riecht nach Salzwasser und nach Algen. Ich öffne die Augen wieder. Hagebuttenfrüchte baumeln zwischen mir und dem spiegelglatten Wasser, einige Meter entfernt wächst Strandhafer.

Sachsen-Jensi würde uns davon abhalten, weil er ein Angsthase ist. Ich lächle. Vor vielen Jahren hab ich ihm im Matheunterricht mal Hagebuttensamen in den Kragen geschmissen und darauf herumgerieben. Er hat sich so affig gekratzt, dass Frau Bauermeister ihn aus der Klasse warf.

Andreas öffnet den Reißverschluss seines Neoprenanzugs und schiebt das Mosaik-Heft zu seinen Dokumenten: Personalausweis, Geburtsurkunde, Abschlusszeugnis der zehnten Klasse. Das Päckchen mit meinen Dokumenten habe ich zwischen Neoprenanzug und Badeanzug geschoben. Im Westen müssen wir schließlich beweisen können, wer wir sind.

Andreas hat wohl meinen Blick bemerkt. Er öffnet den Reißverschluss wieder und holt Die schwarze Feluke heraus.

»Nimm du es«, sagt er leise. »Kannst besser schwimmen.«

Das stimmt. Sofort habe ich wieder Angst. Ich will nicht darüber nachdenken, kann die Hand nicht ausstrecken.

»Nun mach«, sagt er drängend.

Unsere Finger berühren sich, als ich das Heft an mich nehme. Ich schlucke schwer, kann ihn nicht ansehen, schaue hinüber zur Ostsee.

»Wir werden es schaffen«, sage ich.

Wir müssen uns das immer wieder sagen, das ist ganz wichtig. Es wird hart werden. Wir müssen daran glauben, sonst halten wir nicht durch.

Um einundzwanzig Uhr werden wir losschwimmen, sobald der Mond untergegangen ist. Er ist kaum zu sehen, es ist fast noch Neumond, zwischen den Baumwipfeln ist die schmale Sichel zu erkennen. Sie spendet wenig Licht, trotzdem ist es besser, wenn sie nicht mehr da ist. Hat Opa gesagt.

Leichter Wind von Südost, genau richtig.

Der Tag ist schön gewesen, heiß und schwer. Wir sind schon früh angereist. Um keinen Verdacht zu erregen, wollten wir nicht erst mit der Dämmerung ankommen. Nachdem wir baden waren, haben wir ein Softeis auf der Promenade gegessen, umgeben von FDGB-Urlaubern. Ich kam mir wie eine Lügnerin vor. Für alle anderen war es ein normaler Tag an der Ostsee, aber nicht für uns. Wir schauten auf das blaue Wasser hinaus und wussten, was in der Nacht geschehen würde. Einmal jedoch vergaß ich es völlig, aß mein Eis und schaute einem Kind zu, das mit seinem Wasserball spielte, fühlte die Sonne, roch den Sommer. Einen Moment lang war ich glücklich. Dann fiel es mir wieder ein und ich hatte ein Kribbeln im Bauch wie beim Karussellfahren.

Am Nachmittag haben wir versucht, am Strand vorzuschlafen, weil wir in der Nacht nicht dazu kommen würden. Es hat aber nicht geklappt, wir waren viel zu aufgeregt. Ich bin nur einmal kurz weggedöst. Andreas zappelte in den Dünen neben mir herum und konnte nicht zur Ruhe kommen.

Später haben wir in einer Speisegaststätte Nudeln mit Tomatensoße gegessen, als Grundlage. Sportler essen immer Nudeln. Und viel getrunken haben wir auch, weil wir kaum Wasser mitnehmen können.

Andreas berührt meinen Arm.

Zwei Lichter, unten am Strand. Sie kommen!

Ich kauere mich tiefer ins Gebüsch, Andreas ist dicht neben mir. Ich merke, wie er den Atem anhält, auch ich erstarre völlig, ziehe den Kopf ein und wage kaum, in die Richtung zu schauen, aus der die Männerstimmen näher kommen. Es sind die Grenzposten, die regelmäßig den Strand kontrollieren und nach verdächtigen Dingen suchen. Wenn sie einen Hund dabeihaben, werden sie uns finden, dann ist alles bereits hier zu Ende.

Die Männer sprechen leise, verstehen kann ich sie nicht. Ein unruhiges, flackerndes Licht huscht durch die Zweige, kommt auf uns zu. Sie durchsuchen mit Taschenlampen das Gebüsch am Strand. Andreas drückt sich an mich. Das Licht tanzt vor unseren Augen, streift uns beinahe.

Dann erlischt es wieder. Die Männer bleiben stehen. Kein Hund, ein Glück.

Ich höre ein Räuspern. Wieso gehen sie nicht weiter? Mein Herz rast so stark, dass ich fürchte, sie könnten es hören. Wie in der Geschichte von Edgar Allan Poe.

Ein Licht glimmt auf, der Ausschnitt eines Gesichts im schwachen Lichtschein, dann ein zweites Licht. Zigaretten. Geruch nach Rauch, ganz leicht nur. Die beiden Posten gehen langsam weiter den Strand hinunter.

»Oh Mann«, flüstert Andreas neben mir. »Schwein gehabt.«

Der Wind ist kühl, ich friere. Wie soll es erst im Wasser sein? Vorhin haben wir uns mit Vaseline eingerieben und über zehn Tuben verbraucht. Ulrich hat mir den Tipp gegeben, so viel wie möglich aufzutragen. Im Wasser verliert der Körper viermal so schnell Wärme wie an der Luft. Wir müssen schnell schwimmen, um warm zu bleiben. Wir müssen das Gleichgewicht halten zwischen Wärmeerzeugung und Wärmeverlust, würde unser Physiklehrer Herr Kowalski sagen.

Die Vaselinetuben habe ich in der Drogerie gekauft,...
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Autor

Dorit Linke, geboren 1971 in Rostock, wuchs in der DDR auf. Sie machte Abitur, war Leistungssportlerin und Rettungsschwimmerin. Den politischen Wandel Ende der Achtziger erlebte sie bewusst mit, nahm an den Montagsdemonstrationen teil und war achtzehn Jahre alt, als die Mauer fiel. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin.

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