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Ich verzeihe nicht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am11.05.2023
»?Ich verzeihe nicht? stellt sich kämpferisch in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte, während neue antisemitische Winde in ganz Europa aufziehen.« Göteborgsposten
»Ich verzeihe nicht« basiert auf Elisabeth Åsbrinks Familiengeschichte. Es ist eine fesselnde Erzählung über Liebe, Auswanderung und Aufwachsen im Schatten fest verwurzelten Hasses. Drei Frauenleben im 20. Jahrhundert in Thessaloniki, London und Stockholm. Die Erzählerin verfolgt die Spuren ihrer Mutter und Großmutter, bis dorthin, wo alles seinen Anfang nahm, zu der Vertreibung der Juden aus Spanien im 14. und 15. Jahrhundert. Die Protagonistin fragt sich: »Ich habe so viele Jahre gelebt und fühle mich doch, als hätte ich keine Verwandten, keine Geschichte, nichts. Ich bin den Fäden meiner Familiengeschichte gefolgt und habe versucht, endlich Licht ins Dunkel zu bringen.« Herausgekommen ist ein faszinierendes persönliches Dokument und ein wichtiges Zeugnis jüdischen Lebens in Europa.

Elisabeth Åsbrink, geboren 1965, ist Journalistin und Autorin. Für ihr Buch »Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume« wurde sie 2011 mit dem schwedischen August-Preis für das beste Sachbuch ausgezeichnet. In ihrem Werk beschäftigt sie sich mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Ihr neuestes Buch »Ich verzeihe nicht« ist eine autobiografische Familiengeschichte, die von Presse und Leser*innen begeistert aufgenommen wurde. Elisabeth Åsbrink lebt in Stockholm.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentext»?Ich verzeihe nicht? stellt sich kämpferisch in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte, während neue antisemitische Winde in ganz Europa aufziehen.« Göteborgsposten
»Ich verzeihe nicht« basiert auf Elisabeth Åsbrinks Familiengeschichte. Es ist eine fesselnde Erzählung über Liebe, Auswanderung und Aufwachsen im Schatten fest verwurzelten Hasses. Drei Frauenleben im 20. Jahrhundert in Thessaloniki, London und Stockholm. Die Erzählerin verfolgt die Spuren ihrer Mutter und Großmutter, bis dorthin, wo alles seinen Anfang nahm, zu der Vertreibung der Juden aus Spanien im 14. und 15. Jahrhundert. Die Protagonistin fragt sich: »Ich habe so viele Jahre gelebt und fühle mich doch, als hätte ich keine Verwandten, keine Geschichte, nichts. Ich bin den Fäden meiner Familiengeschichte gefolgt und habe versucht, endlich Licht ins Dunkel zu bringen.« Herausgekommen ist ein faszinierendes persönliches Dokument und ein wichtiges Zeugnis jüdischen Lebens in Europa.

Elisabeth Åsbrink, geboren 1965, ist Journalistin und Autorin. Für ihr Buch »Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume« wurde sie 2011 mit dem schwedischen August-Preis für das beste Sachbuch ausgezeichnet. In ihrem Werk beschäftigt sie sich mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Ihr neuestes Buch »Ich verzeihe nicht« ist eine autobiografische Familiengeschichte, die von Presse und Leser*innen begeistert aufgenommen wurde. Elisabeth Åsbrink lebt in Stockholm.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641279455
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum11.05.2023
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2648 Kbytes
Artikel-Nr.10228831
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Um halb sechs am Morgen des 1. Dezembers 1949 wird Rita klar, dass sie sich geirrt hat. Das gefällt ihr nicht. Ihr wird zudem klar, dass sich alles verändert hat, aber eigentlich nichts anders geworden ist. Auch das gefällt ihr nicht.

Sie hatte noch nicht aufwachen wollen, doch die Nacht verließ sie. Warmluftströme hatten sie aus ihren Träumen in ein graudiesiges Tageslicht geholt, das durch den Spalt zwischen Vorhang und Wand fiel. Indem sie die Augen nicht öffnete, hatte sie versucht, die Dunkelheit festzuhalten. Sie wollte die Nacht in sich tragen, sie besitzen und zugleich besessen werden, als wäre die Nacht ein Kind, das einer Mutter ja nicht nur gehört, sondern sie auch ganz in Anspruch nimmt. Zugleich wollte sie selbst das Kind in der Nacht sein, geschützt, versunken, verschwunden. Doch das war an diesem Morgen ebenso unmöglich wie an allen anderen. Wer kann eine Nacht festhalten? Der Tag wartete weit offen. Das wusste Rita, auch wenn sie noch immer mit geschlossenen Augen in ihrem Bett in dem Haus in der Grange Park Avenue 37 im nördlichen London lag. Soeben war das Milchauto die Straße entlanggefahren und hatte wie üblich vor jedem Haus gehalten, um seine weiße Fracht abzuliefern; im Schlaf hatte sie die Glasflaschen anheimelnd klirren hören.

Der Übergang vom Halbschlaf zum Wachen dauert vielleicht eine halbe Sekunde. Trotzdem erscheint er wie eine mühsame, zig Kilometer lange Steigung. Das Kaleidoskop der Träume muss erlöschen, die bunten Körnchen, die sich zu einem Einzelbild nach dem anderen formen, müssen sich auflösen, Zeitrechnung und Reihenfolge frei fließende Eindrücke ersetzen. Die Nacht besteht aus anderen Räumen als den wirklichen, wo stets auf dem Weg nach anderswo Gestalten vorbeigehen. In ihren Träumen steht Rita oft am Fenster und schaut über dichte Weizenfelder oder Wiesen mit fruchtstrotzenden Apfelbäumen hin. Der Überfluss auf der anderen Seite des Fensters erscheint unerreichbar, dennoch fühlt sie sich getröstet. Es kommt vor, dass ihr ertrunkener Bruder Emil sie besucht, als wüsste der arme Kerl nicht, dass er seit vierzig Jahren tot ist. Er wirkt traurig, auch wenn er lächelt. Manchmal hält sie seine Hand. So haben sie einen Moment zusammen, in dem sie einander ernst anlächeln, ohne ein Wort zu sagen. Rita mag die Unerklärlichkeit der Nacht. Selbst im Wachsein sehnt sie sich manchmal nach dem großen Feld mit den hellgrünen Halmen, nach seinem freundlichen Rauschen. Von derlei träumt Rita, vom Gesang eines Weizenfelds.

Obwohl sie die Augen noch geschlossen hatte, wusste sie, dass ihr Mann im Bett daneben lag, und an seinen Atemzügen hörte sie, dass er noch schlief, umgeben von Traumbildern, die von einem anderen Licht erleuchtet und von anderen Gestalten bevölkert waren als ihre. Er lag etwa zwanzig Zentimeter entfernt, doch der Abstand zwischen ihnen hatte längst seine Messbarkeit verloren. Wir sind uns nahe genug, um außer Sichtweite zu sein, hatte sie gedacht. Das war ihr sehr recht.

Schließlich hatte sie die Nacht losgelassen. Sie hatte sich aufgerichtet, ihre Brille aufgesetzt und festgestellt, dass die Welt so aussah, wie sie sie am Abend zuvor zurückgelassen hatte. Der Frisiertisch stand noch in der Ecke. Ihre Haarbürste lag neben dem Kästchen aus ungefärbtem Glas, in dem sie den Schlüssel zum Aufziehen der Schlafzimmeruhr und eine blassrosa Perle von einer zerrissenen Halskette verwahrte. Das Kästchen schimmerte im schwachen Morgenlicht. Der Deckel war mit einem sich aufbäumenden Pferd graviert und hatte eine Vertiefung, in der Rita, wenn sie sich die Haare bürstete, ihre Zigarette ablegte. An der einen Wand sah sie die Kommode mit den sechs Schubladen, an der anderen den Kleiderschrank. Auf beiden Seiten des Betts stand ein Nachttisch mit einem halb ausgetrunkenen Wasserglas. Der Morgen war identisch mit dem voraufgegangenen, ganz so, wie sie ihn haben wollte. Der Tag sollte stabil stehen. Alles würde bleiben, wie es war. Rita war in ihre Pantoffeln geschlüpft, hatte ihren Morgenrock angezogen und die dick gefütterten Vorhänge zurückgezogen. Draußen hatten sich die Wolken auf die Hausdächer gesenkt, sodass der ziegelfarbene Vorort verschwommen und diffus dalag. Das sieht staubig aus, hatte sie gedacht, die Welt müsste mit einem Lappen blank gewischt werden. Ansonsten war alles wie immer. Die Häuser gegenüber mit ihren Treppenstufen vom Gehsteig aus und den weiß gestrichenen Dachrinnen wirkten hochmütig, eine Nachbarsfamilie konnte sich seit Kurzem ein Auto leisten, einen Morris Minor, und der Familienvater parkte ihn jeden Abend an exakt derselben Stelle vor seinem Tor, damit ja keine Zweifel aufkamen, wer der Besitzer war. Auch an diesem Morgen hatte er, Nebeltropfen auf dem glänzenden dunkelblauen Lack, dort gestanden.

Es ist also der 1. Dezember 1949, und Rita steht wie üblich am Schlafzimmerfenster im ersten Stock ihres Hauses und schaut hinaus auf die Straße mit den soliden Doppelhäusern und den Streifen von Grün dazwischen. Sie beobachtet den Dunst, der die Grenze zwischen Ziegeln und Bäumen verwischt und den Vorort in ineinanderfließende Farbflecke verwandelt, und in ebendiesem Moment wird ihr klar, dass sie sich geirrt hat. Der Tag mag aussehen wie alle anderen Tage, der Morgen vorgeben, mit dem voraufgegangenen Morgen und allen Morgen davor identisch zu sein, aber das ist nur Schein.

Bist du jetzt froh?, hatte er gefragt, als sie zum Feiern auf dem Weg zum Ye Olde Cherry Tree waren. Rita wusste, dass er keinen weiteren Streit vom Zaun brechen wollte, doch die Wut hatte ihr den Mund verschlossen und die Gedanken eingesperrt, sodass sie unmöglich antworten konnte. Um den Augenblick nicht zu zerstören, hatte sie genickt, hatte es sein lassen, die gehörige Antwort zu geben, nicht an diesem Tag, nicht, nachdem sie es endlich hingekriegt hatten. Sie vermied es aber, seinem Blick zu begegnen.

Es hatte immerhin stattgefunden. Sie hatten einen Termin gebucht. Er hatte seinen Bruder angerufen und gesagt, dass er nicht ins Büro kommen werde, und dann hatten sie sich festlich gekleidet und waren mit dem Bus drei Stationen bis Enfield gefahren.

Das Ganze ist allerdings schwer zu fassen, denkt Rita. Nicht weil es so großartig, fantastisch und glücklich gewesen wäre, der glücklichste Tag ihres Lebens, ganz und gar nicht, sondern weil es trivial und prosaisch daherkam, wie eins der undramatischsten Dinge, die zwei Menschen zusammen tun können. So alltäglich, dass das Gehirn das Ereignis gar nicht aufnehmen und in Erinnerung behalten möchte. Doch nun hat es also stattgefunden, gestern hat es stattgefunden. Sie haben sogar eine Bescheinigung erhalten, mit dem Stempel der Stadtteilverwaltung, das Kuvert liegt ungeöffnet bei den unbeglichenen Rechnungen in der Diele. Ist sie jetzt froh? Sie fragt sich selbst, wie sie da so steht und auf die Straße der Farbflecke schaut, auf diese Dezemberpalette aus Ziegelrot, Wintergrün und Morgendunstgrau. Bist du jetzt froh, sagt sie laut zu sich selbst, während er noch schläft und ihre Antwort nicht hören kann.

Sie beobachtet, wie sich der Dunst verzieht und die Wolken den Rückzug zum Himmel oder wo immer Wolken zu Hause sind, antreten, als wären sie es plötzlich leid, das Dasein der Leute zu verwischen. Sie hat kein Verlangen nach dem Tag, doch er wartet. Sie hat kein Verlangen nach der Arbeit, doch es ist an ihr, sie zu erledigen. Sie hat kein Verlangen nach der Abfolge, doch sie fügt sich. Ihr wirkliches Zuhause sind die gewohnten Gedanken, die kommen und gehen. Trotz deren Einförmigkeit bereiten sie ihr verlässliche Freude, wie die Befriedigung, die Reisende empfinden, wenn sie auf einem Bahnsteig stehen und wissen, dass die Züge fahrplanmäßig eintreffen. Denn auch das ist sicherlich eine Freude?, denkt Rita. Keine feuerwerksprühende Euphorie, kein konfettiwirbelnder Der-Krieg-ist-aus-Taumel, sondern ein ruhiger, kontrollierter Jubel über die Tatsache, dass die Welt sich als zuverlässig erweist. Die Wirklichkeit überführt ihr Misstrauen, und genau diese Freude hat sie besonders gern. Es ist nicht alles Champagner und Tortenglasur, denkt sie. Zum Glück.

Von der Eiche auf der anderen Straßenseite fallen ein paar Blätter. Rita sieht sie fallen, und da fällt auch sie - ins nächste Geheimnis. Was gestern stattgefunden hat, darf nie bekannt werden. Es muss für den Rest ihres Lebens in den Mantel des Schweigens gehüllt bleiben, das verlangt sie, das verlangt ihre Schande. Er muss schwören, zu niemandem je ein Wort darüber zu verlieren, niemals. Niemand darf erfahren, dass sie es endlich getan haben, weil dann klar wäre, dass es nicht schon vorher geschehen war. Nichts wird, wie man meint, denkt Rita. Nicht mal eine Hochzeit.

Sie geht zur Küche hinunter, wobei unter dem weinfarbenen Teppich der Treppe gedämpft die Bretter knarren. Die Katze steht vor der Küchentür und miaut. Rita öffnet die Tür, und wie ein roter Luftzug huscht das Tier hinein, beleidigt, weil es warten musste. Rita zündet sich eine Zigarette an und geht die Zeitung und die Milchflaschen holen. Sie reißt die Haustür weit auf, und wie Wasserspritzer einer großen Welle schlägt ihr der kühle Morgen ins Gesicht, streicht ins Haus und verdünnt die Nachtluft, diese dumpfige Atemluft dreier schlafender Menschen. Mit der Zigarette im Mundwinkel bleibt Rita ein Weilchen dort stehen und schaut auf die Straße. Die Luft ist jetzt klar und ganz still. Die eigentliche Aufgabe der Luft im Dasein ist es, denkt Rita, sich von den Vögeln durchfliegen zu lassen.

Sie lässt den Blick über die Nachbargärten schweifen, einige davon nach der neuesten Mode mit Plastikblumen und farbenfrohen Gartenzwergen versehen, andere mit sorgfältig gestutzten und beschnittenen Buchsbäumen. Sie betrachtet ihren...

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Autor

Elisabeth Åsbrink, geboren 1965, ist Journalistin und Autorin. Für ihr Buch »Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume« wurde sie 2011 mit dem schwedischen August-Preis für das beste Sachbuch ausgezeichnet. In ihrem Werk beschäftigt sie sich mit den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs. Ihr neuestes Buch »Ich verzeihe nicht« ist eine autobiografische Familiengeschichte, die von Presse und Leser*innen begeistert aufgenommen wurde. Elisabeth Åsbrink lebt in Stockholm.