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Erbsünde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Kein + Abererschienen am14.03.20231. Auflage
In der Familie Hill gibt es keine Gewalt, abgesehen von der schmerzlichen Tatsache, dass sich die Eltern einfach nicht ausstehen können. Während der Vater, ein walisischer evangelikaler Baptistenpfarrer, jeden Sonntag leidenschaftliche Predigten zum Thema Liebe und Vergebung hält, schreit er zu Hause seine Frau an, sie solle ihm aus den Augen gehen, bevor er sich mit den Zigaretten, von denen er behauptet, sie nie zu rauchen, in sein Arbeitszimmer einschließt. Mrs Hill ist unterdessen ständig wütend über irgendetwas, ganz besonders über die jugendlichen Zerstreuungen ihrer Söhne, deren Popmusik sie als 'Teufelszeug' verbannt. Hin- und hergerissen zwischen Scham und Sehnsucht, wendet sich Matt schließlich vom Glauben ab und den Drogen zu. Was folgt, ist eine Geschichte von Verderben und Erlösung, die zeigt, dass niemand davor gefeit ist, jahrelang jeden Tag die richtige Entscheidung zu treffen und dann an einem einzigen Tag die falsche.

Matt Rowland Hill wurde 1984 in Südwales geboren. Er arbeitet als Journalist und Buchrezensent und schreibt unter anderem für The Guardian, The Independent, The Telegraph, The New Statesman und Literary Review. Erbsünde ist sein Debüt. Er lebt in London.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextIn der Familie Hill gibt es keine Gewalt, abgesehen von der schmerzlichen Tatsache, dass sich die Eltern einfach nicht ausstehen können. Während der Vater, ein walisischer evangelikaler Baptistenpfarrer, jeden Sonntag leidenschaftliche Predigten zum Thema Liebe und Vergebung hält, schreit er zu Hause seine Frau an, sie solle ihm aus den Augen gehen, bevor er sich mit den Zigaretten, von denen er behauptet, sie nie zu rauchen, in sein Arbeitszimmer einschließt. Mrs Hill ist unterdessen ständig wütend über irgendetwas, ganz besonders über die jugendlichen Zerstreuungen ihrer Söhne, deren Popmusik sie als 'Teufelszeug' verbannt. Hin- und hergerissen zwischen Scham und Sehnsucht, wendet sich Matt schließlich vom Glauben ab und den Drogen zu. Was folgt, ist eine Geschichte von Verderben und Erlösung, die zeigt, dass niemand davor gefeit ist, jahrelang jeden Tag die richtige Entscheidung zu treffen und dann an einem einzigen Tag die falsche.

Matt Rowland Hill wurde 1984 in Südwales geboren. Er arbeitet als Journalist und Buchrezensent und schreibt unter anderem für The Guardian, The Independent, The Telegraph, The New Statesman und Literary Review. Erbsünde ist sein Debüt. Er lebt in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783036996301
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3451 Kbytes
Artikel-Nr.10297620
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


GENESIS

Meine Mutter wusste nicht mehr, was sie noch machen sollte.

»Ich weiß nicht mehr, was ich noch machen soll«, sagte meine Mutter und drehte sich auf dem Beifahrersitz zu meinen Geschwistern und mir um. Die Sonne strahlte aus einem dunstblauen Himmel, im Auto roch es nach Plastik und Vinyl. »Bis wann solltet ihr fertig sein?«

Mein Bruder hielt die Hand hoch. »Bis allerspätestens um acht«, freute er sich, die richtige Antwort zu kennen.

»Genau, Jonathan. Und kann mir jemand sagen, wie spät es jetzt ist? Rachel?«

»Viertel vor elf«, sagte meine große Schwester aus der dritten Reihe des Siebensitzers.

»Eben! Damit liegen wir bereits drei Stunden hinter der Zeit und sind noch nicht mal losgefahren. Ich weiß einfach nicht, wie ich euch noch beikommen soll!«

»Gut«, schaltete sich mein Vater ein. »Dann wollen wir mal nicht noch mehr Zeit verlieren. Augen zu alle miteinander, während ich bete.«

»Augen zu!«, rief Abigail auf ihrem Kindersitz zwischen meinem Bruder und mir.

»Himmlischer Vater«, sagte mein Vater. »Wir danken dir für diese Gelegenheit, als Familie Zeit miteinander zu verbringen. Wir danken dir für Mami und all die schwere Arbeit, die sie für uns tut.«

Ich fing Jonathans Blick im Rückspiegel auf und streckte ihm die Zunge heraus.

»Wir beten, dass du uns heute auf dem Weg nach Guernsey sicher in deinen liebenden Armen hältst. Hilf mir, sicher zu fahren, Herr. Wir beten, dass der Verkehr es gut mit uns meint, besonders an der Anschlussstelle 33 Richtung Cardiff, wo es gerade in den Schulferien zu schweren Staus kommen kann. Und mögen wir Zeugnis ablegen für deinen Sohn, Jesus Christus, um seines Namens willen. Amen.«

»Amen!«, scholl es fünffach zurück, und mein Vater legte den ersten Gang ein.

Als der Wagen sich in den Verkehrsstrom auf der Sketty Road einreihte, stieß meine Mutter einen erschöpften Seufzer aus und öffnete die Augen. Blinzelnd, als wäre sie aus einer heiligen Trance erwacht, schaute sie sich um. Als ihr Blick auf meinen Vater fiel, nahm ihr Gesicht einen entsetzten Ausdruck an.

»Phil«, sagte sie und sah auf seinen Schoß. »Was ist das denn?«

»Das sind meine Beine, Schatz. Ich glaube, die kennst du.«

»Die Shorts meine ich. Was machst du in den Shorts?«

Mein Vater trug eine kurze Kakihose, aus der er oben und unten herausquoll wie eine in der Mitte zusammengedrückte Tube Zahnpasta. Sein Bauch ging bis ans Steuer, die dicken Oberschenkel waren grauweiß und unbehaart, und an den Füßen trug er Sandalen über weißen Socken.

»In den Shorts, Schatz, chauffiere ich meine geliebte Frau und meine Kinder in die alljährlichen Sommerferien.«

»Bitte, Phil. Du siehst einfach unmöglich aus. Ich hab dir doch gesagt, du sollst abnehmen. Entweder abnehmen oder dir neue Sommersachen kaufen. Hab ich das nicht gesagt? Du musst an der nächsten Raststätte halten und dir etwas anziehen, das eher zu einem Mann von deiner - deiner Statur passt.«

»Daddy?«, rief ich und sah von meinem Gameboy auf, auf dem ich Tetris spielte.

Mein Vater, Blick geradeaus, konzentrierte sich aufs Fahren.

»Phil«, sagte meine Mutter, »hörst du überhaupt zu? Du läufst mir nicht in diesen Shorts rum.«

»Das ist ja merkwürdig«, sagte mein Vater nach einer langen Pause.

»Was denn?«

Mit dem übertrieben englischen Akzent, den mein Vater nur auffuhr, wenn er mit meiner Mutter über Kreuz lag, sagte er: »Das ist wicklich sehr merkwürdig. Wicklich, wicklich merkwürdig. Du behauptest, ich laufe nicht in diesen Shorts harrum. Dabei habe ich noch vor zwanzig Minuten in den Spiegel geschaut, und wenn mich die Erinnerung nicht trügt, bin ich sehr wohl in diesen Shorts harrumgelaufen.«

»Daddy!«, rief ich noch einmal.

»Was ist denn, Matthew?« Jetzt redete mein Vater normal, aber seine Fingerknöchel traten weiß am Steuer hervor.

»Jonathan hatte die Augen auf, als du gebetet hast«, sagte ich leichthin.

»Augen zu!«, sagte Abigail.

»Gar nicht!«, schrie Jonathan auf.

Ich brachte sauber einen L-Stein unter. »Doch.«

»Gar nicht, Daddy. Er lügt!«

»Gibst du uns dein Wort darauf, dass du die Augen nicht aufhattest?«

»Ja!«

Ich genoss den Augenblick, bevor ich ihn matt setzte. »Aber gibst du uns auch dein Christenwort darauf?«

Mir war klar, dass Jonathan nicht wagen würde, im Namen Christi etwas Unwahres zu sagen. Das Christenwort zu brechen war nicht bloß eine Lüge, es war eine Lüge vor Gott. Dass meine Eltern nie erläutert hatten, welche Gottesstrafe diejenigen erwartete, die diese Sünde begingen, ließ sie in unseren Köpfen noch unheilträchtiger erscheinen. Vielleicht würde der Missetäter in eine Salzsäule verwandelt wie Lots Frau, als sie einen letzten Blick auf das Zuhause warf, das sie für immer verließ.

Rachels Gesicht tauchte zwischen den Kopfstützen auf. »Und woher weißt du«, fragte sie listig, »dass er bei Daddys Gebet die Augen offen hatte?«

»Ja, allerdings«, sagte mein Vater.

»Dings!«, sagte Abigail.

Mein Vater schaltete. »Hör auf, deinen kleinen Bruder zu ärgern, Matthew.«

»Kinder! Ich kann nicht mehr«, brummelte meine Mutter.

»Ach herrje«, sagte mein Vater. »Du weißt nicht mehr, was du noch machen sollst, und du kannst nicht mehr. Dabei sind wir noch nicht mal auf der M4.«

Ich wollte ein langes Teil durch eine Lücke schnippen, doch es war zu schnell, und plötzlich regnete es Formen, die den Schirm einnahmen, bis die tadellose Wand, die ich aufgebaut hatte, nur noch ein irres Pflaster bildete, die Musik aufhörte und das Spiel vorbei war.

Auf der A438 hinter Swansea stauten sich die Autos kilometerweit. Die Schornsteine der Kühltürme des Stahlwerks von Port Talbot waren in Dampf gehüllt. Mein Vater fuhr ein, zwei Meter und bremste, fuhr ein, zwei Meter und bremste. Aus den Lüftungsschlitzen am Armaturenbrett schien nur abgestandene warme Luft zu kommen. Trotz runtergelassener Fenster war die Hitze im Auto erdrückend.

»Ich hab das kommen sehen«, sagte meine Mutter.

»So?«, meinte mein Vater mürrisch.

»Deshalb wollte ich, dass wir alle spätestens um acht bereit sind.«

Bereit sein, das war der große Kampf im Leben meiner Mutter. Jeden Morgen um sechs stand sie auf, badete zwanzig Minuten in brühheißem Wasser und hörte dabei eine Kassette mit ihren Lieblingskirchenliedern, dann zog sie gegen den immer mehr um sich greifenden Zustand des Nichtbereitseins ins Feld. Jedes Mal, wenn sie einen kleinen Sieg errang und den Feind putzend, fegend, saugend, wischend oder polierend zurückdrängte, schien es, als ob sich die Kräfte des Nichtbereitseins nur wieder neu und noch raffinierter formierten. In der vergangenen Woche hatte wegen des bevorstehenden Wohnungstauschs mit einer Predigerfamilie aus Guernsey die Haushaltsführung meiner Mutter eine geradezu rachsüchtige Intensität erreicht. Das Silberbesteck in dem mit Samt ausgelegten Mahagonikasten im Wohnzimmerschrank wurde Stück für Stück herausgenommen und poliert. Die Blümchengardinen an den Vorderfenstern wurden abgenommen, gewaschen und wieder aufgehängt. Die feinen Porzellanwandteller im Flur wurden heruntergenommen und nicht einmal, sondern zweimal gewischt. Ebenso die alljährlich im Fotostudio entstandenen Porträtfotos der Familie im Esszimmer, alle im Sonntagsstaat verlegen lächelnd vorm Trauerweidenhintergrund. Wenn wir in der Kirche das Lied »Jesus wird kommen, seid ihr bereit?« sangen, dachte ich manchmal an meine Mutter und stellte mir vor, ihre größte Angst sei, dass der Herr bei der Wiederkunft Staubfingerabdrücke auf dem Gaskaminsims im Wohnzimmer finden könnte.

»Seid ihr angeschnallt, Jungs?«, wandte meine Mutter sich an Jonathan und mich.

»Ich schon!«, antwortete Jonathan prompt.

»Matthew?«

»Wir fahren doch noch gar nicht.«

»Gleich fahren wir aber. Schnall dich bitte jetzt an. Ich sag das nicht noch mal.«

Ich dachte, ich könnte mich davor drücken. »Daddy?«

»Jaaha?«, sagte mein Vater so, dass das Wort in der Mitte wie ein schlaffes Seil durchhing.

»Warum müssen wir uns anschnallen?«

Meine Mutter antwortete für ihn. »Weil ihr sonst mit dem Kopf voran durch die Windschutzscheibe fliegt, wenn Daddy einen Unfall baut, darum!«

Jonathan sah besorgt drein. »Aber wenn wir verunglücken, kommen wir doch direkt in den Himmel, oder?«

»Nur, wenn du Jesus Christus als unseren Herrn und Erlöser anerkannt hast, Blödmann«, beschied ich ihn.

»Ganz recht, Matthew«, sagte mein Vater. »Wenn wir Jesus um Vergebung für unsere Sünden bitten und ihn in unser Herz einlassen, werden wir eines Tages in den Himmel kommen und für immer bei ihm sein.«

»Und wenn mans nicht tut, kommt man in die Hölle«, sagte Rachel in gelangweiltem Ton.

Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. »Aber warum müssen wir uns denn noch anschnallen, wenn wir gebetet haben, dass Gott uns beschützt?«

»Er beschützt euch nur, wenn ihr angeschnallt seid!«, sagte meine Mutter.

»Weil Gott möchte, dass wir uns anschnallen?«

»Genau.«

»Aber warum denn?«

»Weil es Vorschrift ist! Deshalb! Es ist vorgeschrieben! Möchtest du, dass die Polizei kommt und Mama und Papa abholt? Was dann passiert, weißt du ja! Dann kommst du in ein Heim. Ein Heim...

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Autor

Matt Rowland Hill wurde 1984 in Südwales geboren. Er arbeitet als Journalist und Buchrezensent und schreibt unter anderem für The Guardian, The Independent, The Telegraph, The New Statesman und Literary Review. Erbsünde ist sein Debüt. Er lebt in London.