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Kaputte Wörter?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Dudenerschienen am12.09.20221. Auflage
Matthias Heine behandelt unterhaltsam und wissenschaftlich fundiert über 80 Wörter, die heute als diskriminierend, problematisch und gestrig bezeichnet werden oder im Verdacht stehen, es zu sein. Die Wörter reichen von behindert über Eskimo, Flüchtling bis Weißrussland und sogar Milch und bester Freund. All diese Wörter sind auf die eine oder andere Art kaputt. Manche funktionieren gar nicht mehr, andere kann man mit Vorsicht noch verwenden. Heine erklärt die Geschichte der Wörter und der Diskussionen um sie, warum sie so heikel sind und wie und wann man sie vermeiden sollte. So leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zu der aufgeheizten Debatte um den Sprachgebrauch. Wer es gelesen hat, kann eine fundiertere Meinung entwickeln und erhält Sicherheit bei der eigenen Ausdrucksweise.

Matthias Heine, 1961 geboren, arbeitet als Journalist in Berlin. Seit 2010 ist er Kulturredakteur der »Welt«. Zuletzt erschien von ihm »Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht« (2019) und »Krass. 500 Jahre deutsche Jugendsprache« (2021).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextMatthias Heine behandelt unterhaltsam und wissenschaftlich fundiert über 80 Wörter, die heute als diskriminierend, problematisch und gestrig bezeichnet werden oder im Verdacht stehen, es zu sein. Die Wörter reichen von behindert über Eskimo, Flüchtling bis Weißrussland und sogar Milch und bester Freund. All diese Wörter sind auf die eine oder andere Art kaputt. Manche funktionieren gar nicht mehr, andere kann man mit Vorsicht noch verwenden. Heine erklärt die Geschichte der Wörter und der Diskussionen um sie, warum sie so heikel sind und wie und wann man sie vermeiden sollte. So leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zu der aufgeheizten Debatte um den Sprachgebrauch. Wer es gelesen hat, kann eine fundiertere Meinung entwickeln und erhält Sicherheit bei der eigenen Ausdrucksweise.

Matthias Heine, 1961 geboren, arbeitet als Journalist in Berlin. Seit 2010 ist er Kulturredakteur der »Welt«. Zuletzt erschien von ihm »Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht« (2019) und »Krass. 500 Jahre deutsche Jugendsprache« (2021).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783411914029
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum12.09.2022
Auflage1. Auflage
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3220 Kbytes
Artikel-Nr.10298591
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Wie Wörter kaputtgehen können

Die Bibel bringt ein Beispiel dafür, dass Sprache seit Anbeginn der Zeiten Menschen nicht nur verbindet, sondern auch trennt: Nach einem Kriegszug fingen die siegreichen Kämpfer von Gilead die flüchtenden Ephraimiter am Jordan ab. Um ihre Feinde zu identifizieren, ließen die Gileaditer alle Angehaltenen das hebräische Wort Schibboleth sagen, von dem man heute nicht mehr sicher weiß, ob es »Kornähre« oder »Strom« bedeutete. Die Männer aus Ephraim sprachen dieses Wort mit S im Anlaut aus statt wie die Gileaditer mit Sch. Wer sich nun auf diese Weise als Feind verriet, wurde niedergemacht. In der Linguistik gibt es im Rückgriff auf diese Geschichte den Fachausdruck Schibboleth für Worte, durch die sich Sprecher einer bestimmten Gruppe oder einer Region zuordnen lassen.

Es ist aber nicht nur die Aussprache, die ethnische und soziale Trennlinien sichtbar machen kann, sondern genauso die Wortwahl. Spätestens seit der Erfindung der Druckerpresse im 15. Jahrhundert und der durch sie ermöglichten politischen Massenagitation werden auch ideologische Grenzen mit Wörtern markiert. Dabei sind es keineswegs nur bewusst genutzte Schlagwörter wie papistisch und evangelisch, rechts und links, feudalistisch und kapitalistisch, die die Rolle von politischen Schibboleths übernehmen. Selbst ein vermeintlich unpolitischer Sprachgebrauch kann verraten, welchem Lager ein Sprecher zuzuordnen ist.

In Deutschland ist beispielweise die Verwendung von Fremdwörtern seit dem 17. Jahrhundert immer auch eine politische Angelegenheit. Damals kämpften die barocken Sprachgesellschaften gegen die mit französischen und italienischen Ausdrücken durchsetzte sogenannte Alamodesprache, die angeblich die deutsche Identität gefährde. Die letzten Gefechte im jahrhundertelangen Ringen um eine vermeintliche Überfremdung des Deutschen mit französischen Ausdrücken wurden schließlich im Ersten Weltkrieg geführt, als der Allgemeine Deutsche Sprachverein, eine wirkmächtige Nichtregierungsorganisation, jeden des Vaterlandsverrats verdächtigte, der immer noch Billett statt Fahrkarte sagte oder sich gar mit Adieu statt Lebewohl verabschiedete.1

Der schrille Ton und die massenhafte Mobilmachung sprachlicher Parteigänger, mit denen der Sprachverein unter seinem Vordenker Otto Sarrazin Kampagnen führte, muten sehr vertraut und modern an. Im Rückblick erkennt man in der extremen Politisierung des Wortgebrauchs und in der schneidigen Art und Weise, wie Trennlinien zwischen Richtig- und Falschsprechern gezogen wurden, Verhaltensmuster der allerjüngsten Gegenwart wieder.

Denn heute werden um das richtige Sprechen wieder Konflikte ausgetragen, deren Schärfe oft eine geradezu existenzielle Dimension erreicht. So wie Sarrazin und die Seinen im Ersten Weltkrieg glaubten, das Schicksal der Nation werde nicht zuletzt auf dem Felde des korrekten Wortgebrauchs entschieden, so glauben auch heute manche, Wohl und Wehe einer diversen, modernen und offenen Gesellschaft sei bedroht durch die Fortexistenz von Wörtern wie Pizza Hawaii oder Schwarzfahrer.

Henning Lobin, der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, beschreibt diese Konflikte und ihre gesellschaftliche Brisanz in seinem Buch »Sprachkampf«. Ich teile nicht seine Ansicht, dass dieser Kampf von rechts entfesselt wurde - mit dem 1997 gegründeten Verein Deutsche Sprache als zentralem Akteur. Das Aufkommen einer mehr oder weniger rechten Sprachlobby, die manchmal wirkt wie ein grotesker Wiedergänger des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, scheint mir eher eine Reaktion auf Initiativen von links zu sein. Es waren ja nicht die Konservativen, die die Rechtschreibreform durchfochten. Es sind auch keine Rechten, die seit den 1980er-Jahren den Umbau der deutschen Grammatik im Namen der Geschlechtergerechtigkeit forcieren. Und es sind naturgemäß nicht die eher beharrenden Kräfte, die mittlerweile fast wöchentlich etablierte Begriffe als »rassistisch«, »sexistisch« oder »ausgrenzend« brandmarken.

Um dieses letztgenannte Feld des Sprachkampfes geht es im vorliegenden Buch: eine Musterung von Wörtern, die problematisch geworden sind. Sie sind in dem Sinne kaputt, dass sie, wenn man sie unbedacht benutzt, möglicherweise unerwünschte Kommunikationsstörungen auslösen. Statt eine sprachliche Aussage in Gänze zur Kenntnis zu nehmen, streitet man sich plötzlich um Angemessenheit eines einzelnen Wortes. Solche Erfahrungen macht wohl jeder, der spricht: nicht nur als Journalist, Talkshowteilnehmer oder Politiker an ein großes Publikum gewandt, sondern auch im kleinen Kreis von Freunden und Familie.

Dieser neue Sprachkampf hat im Wesentlichen drei Ursachen: Zwei davon sind internationale Phänomene, eines ist spezifisch deutsch.

Erstens erheben gesellschaftliche Gruppen, die in traditionellen patriarchalen und ethnisch weitgehend homogenen Gesellschaften unsichtbar, stigmatisiert, machtlos, marginal oder ganz einfach noch inexistent waren, nun Anspruch darauf, mitzubestimmen, wie man sie nennt und wie in Institutionen über sie geredet wird. Das ist vollkommen legitim. Verstörend daran ist allerdings der schrille Ton, mit dem Aktivisten häufig das Recht fordern, Fragen des Wortgebrauchs ausschließlich und endgültig in ihrem Sinne zu entscheiden, statt mit offenen demokratischen Diskussionen für eine Veränderung zu werben.

Zweitens verändert die digitale Medienrevolution der vergangenen zwei Jahrzehnte die Bedingungen, unter denen vermeintlich falsches Sprechen wahrgenommen und diskutiert wird. Früher verhallte ein rassistisches oder sexistisches Wort meist im engen Echoraum des Stammtischs, der familiären Kaffeetafel oder der Bierzeltrede. Heute ist der unsympathische Onkel, der allen auf den Wecker geht, weil er darauf beharrt, weiterhin Neger zu sagen, bei Facebook oder Twitter aktiv. Und ihm gegenüber sitzt nicht mehr nur eine einzige Nichte, die gerne auch den Rest der Verwandtschaft darüber aufklärt, was man neuerdings - jenseits solcher unumstrittenen No-Gos - alles nicht mehr sagen soll, sondern ein Heer von Sprachwächtern.

Sogar die öffentliche Rede hatte in den analogen Medienzeiten nicht annährend die Reichweite und das Empörungspotenzial wie heute. Als Franz Josef Strauß 1978 in einer Aschermittwochsansprache linke Kritiker als »Ratten und Schmeißfliegen« bezeichnete, dauerte es Tage, wenn nicht gar Wochen, bis das anstößige Zitat bekannt wurde, und dann noch mal etliche weitere Weilen, bis die politische Konkurrenz, Medien, Künstler und Satiriker darauf reagierten. Außerdem blieb das Echo auf den vergleichsweise kleinen Kreis gedruckter Zeitungen, Plakate, Postkarten und ganz weniger Äußerungen in den nur drei existierenden Fernsehsendern beschränkt. Heute dagegen erreicht das unbeholfene Gerede von weißen Prominenten über ein Wort wie Zigeunerschnitzel in einer obskuren WDR-Talkshow am späten Abend dank der sozialen Medien innerhalb weniger Stunden eine Öffentlichkeit, die größer ist als die Zahl der Zuschauer, die die Sendung überhaupt anschauten. Noch weiter wird der Erregungszirkel dann dadurch, dass Sprachkritiker die missglückte Sendung nachträglich begutachten und Medien über den Shitstorm berichten - was selbst dem unwilligsten Diskursteilnehmer jede Chance nimmt, solche Banalitäten komplett zu ignorieren.

Der dritte Grund für den neuen Sprachkampf ist eine deutsche Besonderheit: German linguistic angst. In unserem Land ist die Furcht vor falscher Sprache besonders ausgeprägt. Das hat damit zu tun, dass unser Deutsch schriftlich gewissermaßen besonders in der Religion in Erscheinung getreten ist. Die Lutherbibel wird sogar von Nichtgläubigen immer noch als eine Offenbarung angesehen, an der sterbliche Menschen möglichst wenig herumdoktern sollten. Zwar gilt Luther mittlerweile nicht mehr als »Erfinder« der deutschen Sprache. Aber das Charisma und Prestige des Reformators halfen sicher, das Lutherdeutsch als Nationalsprache zu etablieren. Als die Religion ins Wanken geriet, traten an ihre Stelle die Anbetung der Literatur und der Nation. So hatte Deutschland eine Nationalsprache und eine Nationalliteratur, lange bevor es eine Nation wurde. Vermeintliche Gefährdungen der Sprache wurden deshalb immer als Angriff auf die Nation gewertet.2

Diese religiöse beziehungsweise nationalreligiöse Observanz setzte sich selbst dann noch fort, als Religion und Nation als Leitbilder allmählich verblassten. Einen wie Karl Kraus, der in seiner Zeitschrift »Die Fackel« 1899 bis 1936 vier Jahrzehnte lang politischen Gegnern aus sprachlichen Entgleisungen Stricke drehte, gab es in der angelsächsischen Welt nicht. Der bis heute anhaltende Kraus-Nimbus hat auch damit zu tun, dass er recht hatte und zugleich alles, was er schrieb, umsonst war: Die Zerstörung der Vernunft und der Republiken in Deutschland und Österreich wurde tatsächlich sprachlich...
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