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Heimito von Doderer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am13.06.20231. Auflage
Heimito von Doderer (1896-1966), zeitlebens ein Außenseiter, ein Mann der «bewußten Debauche» und der subtilen psychologischen Wahrnehmung, ist ein Kronzeuge der österreichischen Selbstfindung. Getrieben von den widerstreitenden Kräften, die auf die Erste Republik einwirkten, vollzog er Mitte der 1930er Jahre eine schmerzliche politische Wende und legte schließlich mit der «Strudlhofstiege» die Fundamente für das «übernationale Nationalbewußtsein Österreichs». Die unvergleichliche Aura Wiens, die er in seinen Romanen bewahrt hat, kennzeichnet das Lebensgefühl des bürgerlichen Großstadtbewohners im 20. Jahrhundert.   Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Lutz-W. Wolff wurde 1943 in Berlin geboren, wo er heute wieder lebt. Er studierte in Frankfurt am Main, Bonn und Tübingen und promovierte 1969 mit einer Arbeit über Heimito von Doderer («Wiedereroberte Außenwelt»). Er war von 1969-2010 Lektor, Redakteur und Verlagsleiter in München, Frankfurt, London und Köln und übersetzte unter anderem Werke von Kurt Vonnegut, F. Scott Fitzgerald, Oscar Wilde, Jack London und George Orwell.
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Produkt

KlappentextHeimito von Doderer (1896-1966), zeitlebens ein Außenseiter, ein Mann der «bewußten Debauche» und der subtilen psychologischen Wahrnehmung, ist ein Kronzeuge der österreichischen Selbstfindung. Getrieben von den widerstreitenden Kräften, die auf die Erste Republik einwirkten, vollzog er Mitte der 1930er Jahre eine schmerzliche politische Wende und legte schließlich mit der «Strudlhofstiege» die Fundamente für das «übernationale Nationalbewußtsein Österreichs». Die unvergleichliche Aura Wiens, die er in seinen Romanen bewahrt hat, kennzeichnet das Lebensgefühl des bürgerlichen Großstadtbewohners im 20. Jahrhundert.   Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Lutz-W. Wolff wurde 1943 in Berlin geboren, wo er heute wieder lebt. Er studierte in Frankfurt am Main, Bonn und Tübingen und promovierte 1969 mit einer Arbeit über Heimito von Doderer («Wiedereroberte Außenwelt»). Er war von 1969-2010 Lektor, Redakteur und Verlagsleiter in München, Frankfurt, London und Köln und übersetzte unter anderem Werke von Kurt Vonnegut, F. Scott Fitzgerald, Oscar Wilde, Jack London und George Orwell.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644017795
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.06.2023
Auflage1. Auflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse7621 Kbytes
Artikel-Nr.10691595
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Das Stammhaus (1896-1920)

«Es bestehen Anhaltspunkte für die Vermutung, daß er nichts dagegen gehabt hätte, als österreichischster Dichter Österreichs bezeichnet zu werden», hat Friedrich Torberg gesagt.[1] Seine Augen standen etwas schräg und die Backenknochen waren irgendwie magyarisch oder zigeunerisch.[2] Er war stolz auf seine entfernte Verwandtschaft mit Nikolaus Lenau und verbrachte sechzig seiner siebzig Lebensjahre in Wien. Seiner Herkunft nach war Franz Carl Heimito Ritter von Doderer allerdings eher ein Deutscher und hat sich - ganz bescheiden - auch erst in späten Jahren als gelernten Österreicher bezeichnet.[3]

Sein Großvater war der Architekt Karl Wilhelm Doderer (1825-1900) aus Heilbronn am Neckar, der Bauten für das k.u.k. Militär geschaffen, 1853 die österreichische Generalstochter Maria von Greisinger geheiratet und seit 1866 an der Technischen Hochschule Wien gelehrt hatte und 1877 vom Kaiser mit dem erblichen Adel belohnt worden war. Doderers Vater, der in Znaim geborene Oberbaurat Wilhelm von Doderer (1854-1932), hatte sich als Ingenieur schon bewährt, als er 1881 die Tochter seines Chefs, des kgl. bayrischen Baurats Heinrich von Hügel, heiratete und sich 1891-1895 beim Bau des für das Deutsche Reich strategisch so wichtigen Kaiser-Wilhelm-Kanals auszeichnete. 1896, mit 42 Jahren, schickte er sich an, als Prinzipal der Wiener Bauunternehmung Doderer & Göhl & Sager in der dynamisch sich entwickelnden Donaumonarchie zum schwerreichen Manne zu werden.

Nicht dazu passen wollte allenfalls das Haus der Familie im III. Wiener Bezirk (Stammgasse 12), wo es zur Donau hin dunkle Straßen und eine wenig anziehende, plumpe Prostitution gab. Der Grund war einfach: Das Haus hatte 1882 sein Vater Karl Wilhelm erbaut, zusammen mit Max von Ferstel, dem Sohn des Architekten Heinrich von Ferstel. Dieses düstere Stadthaus, ursprünglich am grünen Rande des Praters gelegen, jedoch bald von nichts weniger als freundlichen Gassen der wachsenden Stadt allseitig eingemauert, hatte vier Stockwerke; deren unterstes bewohnte bis zu ihrem Ableben die Großmutter des Hauses, eine Architektens-Witwe. Der erste Stock enthielt nur Gesellschaftsräume und das Arbeitszimmer des Vaters; der zweite Stock die Schlafzimmer. Vom dritten Stock genügt es auszusagen, daß er von einer verwandten Architektenfamilie bewohnt war. Architekten über Architekten, denn der Vater Renés war ursprünglich auch ein Architekt gewesen, bevor er angefangen hatte, Eisenbahnen zu bauen. Der Chef der Familie im dritten Stock aber war mit der Schwester von Renés Mutter verheiratet [...]. Eine schon recht weitgehende Verquickung von Genealogie und Baukunst bei gesteigertem und zum Teile sogar höchstgesteigertem Selbstbewußtsein.[4]

Nach der Einweihung des Nord-Ostsee-Kanals und der Rückkehr der Familie aus Schleswig-Holstein im Jahre 1895 war Wilhelm von Doderer mit der Regulierung des Wienflusses und dem Trassenbau für die Stadtbahn beschäftigt. Um die Bauarbeiten besser überwachen zu können, hatte er das kleine Laudon´sche Forsthaus in Hadersdorf-Weidlingau gemietet, und hier wurde am 5. September 1896 der jüngste Sohn, Franz Carl Heimito, geboren. Seine Konfession bestimmte - wie damals üblich - die aus einer rein protestantischen Familie stammende Mutter, und so wurde er am 24. Oktober evangelisch getauft, während sein Vater, trotz seiner ganz überwiegend protestantischen Vorfahren, um der Generalstochter willen katholisch getauft worden war.

Doderers Geburtsjahr bezeichnet politisch das Ende der liberalen Wiener «Ringstraßenzeit», in der auf dem Gelände der alten Stadtbefestigungen große öffentliche Gebäude im «historischen» Stil (darunter durch Doderers Großonkel, den Architekten Heinrich von Ferstel, die Universität und die Votivkirche) errichtet worden waren. Fortan regierte der tatkräftige christlich-soziale, aber auch notorisch antisemitische Bürgermeister Dr. Karl Lueger.

Als Doderer zur Welt kam, hatte seine Mutter, Wilhelmine Louise (geb. von Hügel, 1862-1946), seinem Vater schon fünf andere Kinder geschenkt: Ilse (1882-1979), Almuth (1884-1978), Immo (1886-1975), Helga (1887-1927) und Astri (1893-1989). Dass auf dem jüngsten, dem zweiten Sohn, große Hoffnungen ruhten, versteht sich. Daran änderte auch der merkwürdige, vom spanischen «Jaime» abgeleitete Kosename «Heimito» nichts, den seine Mutter bei einem Urlaub in San Sebastián gehört haben soll. Zwar überließ man den Kleinen alsbald einer slowakischen Amme, was dazu führte, dass Heimito zunächst nur «böhmakeln» lernte, aber bei der weiteren Ausbildung wurde an nichts gespart. Im Alter von sieben und von acht Jahren ließ man den hübschen Knaben mit den auffällig großen, wachen Augen porträtieren, einmal im Aquarell und einmal in Marmor - aus vermutlich patriotischen Gründen im flotten Matrosenanzug. Mit zehn gab es Ferien auf Norderney in Begleitung der Eltern. In der Staatsoper hatte man eine Loge[5], erster Rang Nr. 12.

Von 1902 bis 1906 besuchte Doderer die fortschrittlich geführte «Übungsschule der k.k. Lehrerbildungsanstalt» und danach das humanistische Staatsgymnasium, beide im gleichen Gebäudekomplex zwischen Kundmann- und Rasumofskygasse im III. Bezirk. Privat erhielt er Unterricht in Englisch und Französisch und lernte obendrein Cello. Weil er trotz hervorragender Gedächtnisleistungen und manchmal überraschender Kenntnisse, mit denen er Lehrer wie Freunde der Eltern verblüffte, wegen einer gewissen Arroganz und Aufsässigkeit nur ein mittelmäßiger Schüler war, gab man ihm einen Hauslehrer bei: Albrecht Reif, der starke homosexuelle Neigungen hatte und sich offenbar sehr bemühte, den jungen Mann zu verführen.[6]

Der Vater war mit großen Projekten beschäftigt, dem Bau der Tauern- und der Karawankenbahn (1901-1909) etwa, die nicht nur wirtschaftlich bedeutsam waren, sondern auch die Verbindung nach Bosnien, zu den Adriahäfen und zum Suezkanal sichern sollten. Dort tobten seine Mineure in den vorgetriebenen Stollen [...]: da brach das Wasser ein, dort mußte der Fels durch Futtermauern gestützt, hier wieder gesprengt werden. Und so sprang er aus dem Wagen, voll Begier seinem Ziel und seinem Werk entgegen, die schönen Schultern aufwerfend, und wie ein edles Pferd voll nervöser Kraft und das Antlitz so gespannt von Gedanken, daß es zornig aussah: dieser Promethiden-Sohn eines neuen österreichischen Zeitalters. Und er wollte leidenschaftlich, daß dort die Züge fahren sollten, [...] ein Knabentraum kältesten Feuers [...].[7] Ein willensstarker Mann, dieser Vater. Er besaß wie manche nach außen gerichtete Personen von mächtiger Energie, Arbeitskraft und Erwerbsfähigkeit [...] so etwas wie eine starke Raumverdrängung auch in seelischer Hinsicht, ein Anbranden gegen den anderen Menschen und ein Übergreifen auf ihn.[8] Die Mutter, so schien es Doderer lange, war eine Kreatur ihres Mannes, den sie anbetete, und zwar kritiklos[9]. Dass sie alle künstlerischen Bemühungen ihrer Kinder bedingungslos unterstützte, lernte er allerdings später (in den dreißiger Jahren) schätzen. Die von ihr geschriebenen Dramen waren die Hauptattraktion des «Stammhaus-Theaters», bei dem Familienmitglieder und Freunde mitspielen durften. 1903 erbauten die Eltern den «Riegelhof» in Prein an der Rax, der für den sportbegeisterten Doderer und seine Schwester Astri zum ewigen Ferienparadies werden sollte.

Sechs Tage vor Doderers Reifeprüfung am 4. Juli 1914 fielen in Sarajevo die Schüsse auf den österreichischen Thronfolger, die den Ersten Weltkrieg auslösten. Für Doderer, der sich einigermaßen zufällig fürs Jurastudium entschieden hatte, brachte der Kriegsausbruch das Ende der ersten Jugend. Im April 1915 ging er als «Einjährig-Freiwilliger» zum 3. Dragonerregiment in der Breitenseer Kaserne, wohnte aber, wie es damals noch üblich war, zusammen mit Kameraden in einem Privatquartier außerhalb der Kaserne.[10] Nach der Grundausbildung kam er im Juli 1915 an die Reserveoffiziersschule der k.u.k. Kavallerie in der Nähe des slowakischen Dorfes Holic, wo er den Einjährigfreiwilligen Ulanen Ernst Pentlarz kennenlernte, den kleinen E.P. aus der Strudlhofstiege. Zum ersten Mal hatten er und Stangeler im Jahre 1915 miteinander gesprochen, in einem niedrigen Hause am Eingang eines slowakischen Dorfes, an welchem Hause man, sommers vom Exerzierplatz kommend, fast immer in schwerem Durste vorüberritt. [...] E.P. stand am Fenster, weil seine Eskadron um etwa eine halbe Stunde früher einzurücken pflegte als jene, in der René ritt und die nun im Schritt vorüberkam. Stangeler, der am linken Flügel einer Reihe mit Vieren eingeteilt war, dankte für den Gruß und winkte aus dem Sattel. E.P. verzog das Gesicht zu einem kleinen Lächeln. Das Weiße seiner Augen war nicht ganz rein, in diesem mandelförmigen Schnitt stand eine Trübung, die seltsamerweise ein Element seiner Anmut ausmachte.[11] Es folgten die damals schon unvermeidliche infanteristische Zusatzausbildung in Bruck an der Leitha und im Herbst 1915 die Rückkehr nach Wien. Mitte Januar 1916 ging Doderer an die südostgalizische Front ab, über die Anfang Juni die «Brussilow-Offensive» hereinbrechen sollte.

Mochte Doderer sich als Sproß aus besserem, adligem Hause auch zur Kavallerie gemeldet haben, in russische Gefangenschaft geriet er, zusammen...
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Autor

Lutz-W. Wolff wurde 1943 in Berlin geboren, wo er heute wieder lebt. Er studierte in Frankfurt am Main, Bonn und Tübingen und promovierte 1969 mit einer Arbeit über Heimito von Doderer («Wiedereroberte Außenwelt»). Er war von 1969-2010 Lektor, Redakteur und Verlagsleiter in München, Frankfurt, London und Köln und übersetzte unter anderem Werke von Kurt Vonnegut, F. Scott Fitzgerald, Oscar Wilde, Jack London und George Orwell.