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Spielzone

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
214 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am01.03.20231. Auflage
Ein rasanter Patchwork-Roman über das Szeneleben in Berlin zwischen Hippness, Überdruß und der Hoffnung auf so etwas wie Liebe

Berlin, Ende der neunziger Jahre, eine Stadt zwischen Provinzialität und Szeneleben. In Neukölln und Prenzlauer Berg - genauer in der Thomas- und in der Sonnenburger Straße - treffen beide Welten aufeinander. Da sind zum Beispiel Elida und Jason, zwei Paradiesvögel in Neukölln, die in schrillen Siebziger-Jahre-Klamotten herumlaufen. Von den Nachbarn werden die beiden Traumtänzer neugierig-wohlwollend beobachtet, von einem biederen Angestellten sogar vom Dach einer Friedhofsgruft observiert.


Für die jungen Leute ist Neukölln trotzdem ein langweiliger, fast verslumter Bezirk, ohne Szene, Spaßkultur oder Events. Die gerade findet man in Prenzlauer Berg, weswegen auch die Studentin Katharina dorthin zieht. Sie trifft auf Szenegänger zwischen zwanzig und dreißig, die ständig auf der Suche nach angesagten Locations sind, Eventhunting betreiben und natürlich ihr freizügiges Sexleben ausstellen. Dennoch holen sie auch hier Gewöhnung und Überdruß ein - und plötzlich geht es einfach wieder um so etwas Altmodisches wie Liebe.



Tanja Dückers wurde 1968 in Westberlin geboren. Sie studierte Nordamerikanistik, Germanistik und Kunstgeschichte. Neben Prosa und Lyrik schreibt sie Essays, Hörspiele und Theaterstücke. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, die sie u. a. nach Kalifornien, Pennsylvania, Gotland, Barcelona, Prag und Krakau führten. Sie lebt in Berlin.
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Produkt

KlappentextEin rasanter Patchwork-Roman über das Szeneleben in Berlin zwischen Hippness, Überdruß und der Hoffnung auf so etwas wie Liebe

Berlin, Ende der neunziger Jahre, eine Stadt zwischen Provinzialität und Szeneleben. In Neukölln und Prenzlauer Berg - genauer in der Thomas- und in der Sonnenburger Straße - treffen beide Welten aufeinander. Da sind zum Beispiel Elida und Jason, zwei Paradiesvögel in Neukölln, die in schrillen Siebziger-Jahre-Klamotten herumlaufen. Von den Nachbarn werden die beiden Traumtänzer neugierig-wohlwollend beobachtet, von einem biederen Angestellten sogar vom Dach einer Friedhofsgruft observiert.


Für die jungen Leute ist Neukölln trotzdem ein langweiliger, fast verslumter Bezirk, ohne Szene, Spaßkultur oder Events. Die gerade findet man in Prenzlauer Berg, weswegen auch die Studentin Katharina dorthin zieht. Sie trifft auf Szenegänger zwischen zwanzig und dreißig, die ständig auf der Suche nach angesagten Locations sind, Eventhunting betreiben und natürlich ihr freizügiges Sexleben ausstellen. Dennoch holen sie auch hier Gewöhnung und Überdruß ein - und plötzlich geht es einfach wieder um so etwas Altmodisches wie Liebe.



Tanja Dückers wurde 1968 in Westberlin geboren. Sie studierte Nordamerikanistik, Germanistik und Kunstgeschichte. Neben Prosa und Lyrik schreibt sie Essays, Hörspiele und Theaterstücke. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, die sie u. a. nach Kalifornien, Pennsylvania, Gotland, Barcelona, Prag und Krakau führten. Sie lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841231185
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum01.03.2023
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.1694
Seiten214 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.10977009
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kobaltblau

Da sind sie. Für Sekunden bohrt sich die Spitze des Fleischspießes durch ihre Köpfe, die in der dunstbeschlagenen Scheibe eines Döner-Ladens gespiegelt werden. Sie stolzieren weiter die Hermannstraße entlang. Zurück in ihre Wohnung. Vor ihnen schwankt ein Mann in abgelatschten Cowboystiefeln. Eine Bierspur auf dem frisch gefallenen Schnee.

Da sind sie. Die schlanke Frau in einem Nixenkleid, hautenges türkisfarbenes Nylon mit Schuppenmuster, und einer wie ein Fischschwanz aufgefächerten Schlaghose, wäscht Broccoli. Der Junge mit langem blauschwarzen Haar in einem »Ziggy Stardust«-Outfit putzt Mohrrüben und preßt Zitronensaft. Irgendwann legt er seine Hände von hinten um ihre Taille, zupft spaßhaft an einem an Algen erinnernden, seltsamen Geflecht in ihrem hochgesteckten Haar. Dann setzen sie sich auf den Kühlschrank, sie auf seinem Schoß, meerblaues PVC unter ihren baumelnden Füßen, löffeln Quark aus kleinen Schalen.

Ich drücke meine Zigarette zwischen ein paar feuchten Blättern aus.

Jetzt kämmen sie sich gegenseitig die Haare. Sie flicht einen Seestern in sein Haar, er hält ihr zwei große Miesmuscheln auf die Ohren. Sie stützt sich am Kühlschrank ab; mit trägen, weichen Bewegungen, als hätte sie keine Knochen mehr in ihrem Körper, läßt sie sich auf einen mit blauem Flokati gepolsterten Küchenstuhl sinken. Streichelt ihre linke Brust. Zieht eine Obstschale über den Tisch heran, legt ihre Brust zwischen die Orangen und Äpfel und spielt mit den Apfelstielen an ihrer Brustwarze.

Meine Gläser sind schon wieder verschmiert.

Sie flüstern irgend etwas miteinander, das ich nicht verstehen kann; sie essen Erdbeeren und Broccoli, Zitronensaft darüber, zwei Mohrrüben für jeden zum Nachtisch, und Rosinen picken sie sich aus den Händen wie Kinder. Ob ich das jetzt auch tun soll? Ob ihre Haarfarben wohl echt sind?

Ich schlendere über den Thomas-Friedhof, grüße kurz Frau Minzlin, reibe meine rotgefrorenen Hände wieder aneinander. Lutsche einen Salbei-Bonbon.

Bach oder Byrds? Maria Callas oder Diana Ross? Da steht Jason wieder lächelnd, mit nichts weiter an als einem kobaltblauen Slip, und Elida nimmt seinen Schwanz in den Mund. Eine Weile tut er noch ungerührt, sortiert weiter Platten, dann läßt er die Platten fallen und zerrauft ihr die Haare. Diese langen, roten Haare, die sie jetzt um seinen Penis wickelt, ihre Hände auf seinen Pobacken â¦

Ich ignoriere den kalten Stein unter meinen Knien.

Hach, Gisela ist bestimmt schon längst zu Hause, ich muß mich verdünnisieren. Sie kann s nicht leiden, wenn sie mit dem Essen warten muß. Beinahe wäre ich abgerutscht, erwische gerade noch den kleinen Vorsprung mit den nasenlosen Engeln; die alte Minzlin mit der Gießkanne hat mich zum Glück nicht beim Runterklettern beobachtet. Aus einem Augenwinkel sehe ich noch, wie die beiden in ihrer über und über mit blauen Plastikblumen geschmückten Badewanne liegen, Kiwis löffeln und ihre Zungen über ihre Körper gleiten lassen. Müssen sie denn nie einmal Dinge tun, wie den Müll runtertragen oder Schuhcreme kaufen?

Rotes Licht brennt drüben im ersten Stock, Musik schallt zu mir herüber. Elida legt ein Samtband mit einem Skarabäus um ihren Hals, kleine Muschelketten um ihre Fußgelenke, dann macht sie sich drei verschiedene Sorten Schokolade gleichzeitig: eine mit Wald-, eine mit Flieder- und eine mit Hibiskushonig. Jetzt legt sie sich zu Jason, der nach ekstatischem Tanzen zu »Baccara« sein grünglitzerndes Paillettenkostüm (hat er beim »Zauberkönig« auf der Hermannstraße gekauft) ausgezogen und sich nackt auf ihrem Sofa ausgestreckt hat. Sie löffeln abwechselnd aus den drei Schokoladenbechern. Das Zeug sieht so dickflüssig aus, als würde der Honiganteil bei 50 % liegen.

Bis morgen noch nennt er sich Jason, am Montag denkt er sich wieder einen neuen Namen aus. Genau eine Woche habe ich immer Zeit, den aktuellen herauszufinden. Zur Zeit hat er eine Schwäche für amerikanische Namen. Terence, Roy, Kirk. Elida (ob das ihr richtiger Name ist?) spricht sie alle gleichermaßen zärtlich aus.

Und ich schreibe. Terence, Roy, Kirk, so heißen sie alle, die schwerelosen Figuren, die durch meinen weißen Blätterwald gleiten. Das wissen sie natürlich nicht.

Ich kenne sie schon eine Weile, doch sie nehmen keine Notiz von mir. Elida: Ihretwegen habe ich gestern ein Buch mit »Urlaubsgeschichten« des Bastei Lübbe Verlags bestellt, weil ich das, als sie bei »Rudis Reste Rampe« an der Kasse stand, in ihrem Lackhandtäschchen gesehen habe. Jason: mit seinen glitzernden Satinhosen, solche hab ich mir früher immer gewünscht, aber meine Mutter verdrehte nur die Augen. Wie er in ihrem Zimmer tanzt, Elida lachend mit einer Lamettagirlande zu sich hinzieht, zu sich herunterzieht. Schöne braune Arme. Und diese Indianerhaare: Als Kind hatte ich so eine Perücke mit Federn dran; hat das damals Spaß gemacht, mich zu verkleiden. Dazu hat Jason dann blaue Augen, dieses Meerblau, das mich U-Bahnstationen verpassen und Bordsteinkanten übersehen läßt. Wenn Gisela und ich doch noch ein Kind bekommen sollten, werde ich es »Neptun« nennen (als zweiten Vornamen, versteht sich, nach Roy) und versuchen, es in den ersten Lebensmonaten so oft wie möglich Jasons und Elidas flüchtigen Blicken auszusetzen, und die dunklen Augen unseres Kindes werden einen ganz leichten, nur für mich erkennbaren Stich ins Bläuliche bekommen. Denn Gisela und ich haben braune Augen, aber ihre Augen haben die Farbe des Stillen Ozeans auf den Globen im Schaufenster von Karstadt.

Eine schöne Metapher, das mit den Augen und dem Stillen Ozean - diesen Satz werde ich in keiner meiner Geschichten unterbringen, nein, der ist für sie reserviert, der Stille Ozean. In meinem Kopf.

Müde bin ich heute, müde. Hab vorhin die falsche braune Schuhcreme gekauft und müßte eigentlich noch mal los. Dabei geh ich so ungerne auf der Hermannstraße einkaufen, einfach zu laut und anstrengend. Und das auch noch zweimal an einem Tag. Aber erst mal Kaffee und eine Scheibe Schwarzbrot. Die Thermoskanne und die Schnitte habe ich mitgebracht, falls ich heute lange auf meinem Plätzchen ausharren muß. »Paechbrot« steht auf der Tüte. Dabei fällt mir ein, wie Elida und Jason letztens Bekannte in der U-Bahn getroffen haben (ich schob mich im U 7-Gewühle in ihre Nähe), die ihnen irgend etwas über PC, Political Correctness, erzählt haben. Und Jason amüsierte sich, weil er dachte, das sei eine neue Abkürzung für »Penis« und »Clit«. So sind sie. Ich selber habe leider selten das Vergnügen, einen Begriff oder ein Wort falsch zu verstehen. Egal, wo ich hingerate, in meinem Kopf oder auf dem Stadtplan, am Ende stehe ich doch immer bei uns zu Hause auf dem braunen Teppich.

Mir geht ein Vergleich durch den Kopf. Nur so. Weil die beiden keinen Funken Interesse an ihrer Umwelt haben (lesen natürlich auch nie Zeitung). Schon in der Schule hat mich die, wie soll ich sagen, Abgeschlossenheit von mathematischen Formeln fasziniert. Dieser Kosmos für sich, ob Kriege stattfinden oder die Menschen zum Mond fliegen, 2 mal 2 bleibt 4. Diese, ja, Ungerührtheit der Zahlen, ihre Absolutheit und Unnahbarkeit, das ist irgendwie der Reiz dabei, doppelte Buchführung zu machen im Abwasserpumpwerk, dieses tiefe Gefühl von Befriedigung, wenn sich alles in Symmetrie auflöst. Gisela denkt, ich hätte nur zuviel getrunken, wenn ich ihr gestehe, daß ich vor Zahlen, besonders vor der schönen 8, eigentlich einen Kniefall machen möchte.

In fünf Minuten schließt der Friedhof. Ist die Familie Peters, Karl-Otto und Magda, Paul und Ingrid, und die früh gestorbene Teresa, wieder für sich. Das Dach ihres Familiengrabs, zur Thomasstraße hin von Linden versteckt, dient mir als Beobachtungsplätzchen.

In Neukölln sind sie natürlich für alle Leute so etwas wie Tiere aus dem Zoo. Alle reden über sie, das ist noch freundlich gesagt, aber das scheint sie nicht zu stören, oder sie bemerken es einfach nicht. Einmal hat es ihnen doch etwas ausgemacht, da hat einer dieser gräßlichen Punks vor Karstadt einen Silvesterknaller an Jasons Samthosen geworfen, der zerriß ein Hosenbein, und es brannte sogar einen Moment. Jason fing plötzlich, nur ganz kurz, an zu weinen, eine Gesichtsentgleisung. Elida legte einen ihrer zarten Arme um ihn, flüsterte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Sie haben gemeinsam mit ein paar Sicherheitsnadeln - daß sie so etwas dabeihaben, soviel Pragmatismus hatte ich ihnen gar nicht zugetraut - das, was von dem Hosenbein übriggeblieben war, zusammengesteckt, wobei Elida Jason die Knieinnenseiten und die Schenkel gestreichelt hat. Da versiegen Tränen schnell. Und dann sind sie natürlich in ihre unglaubliche Wohnung in der Thomasstraße gegangen, mein Schloß Charlottenburg von Neukölln.

Auch ich verschönere die Welt. Bin schließlich berufshalber damit beschäftigt auszurechnen, wieviel Liter Wasser in Tempelhof und Neukölln jeden Tag durch die Filteranlagen gehen.

Die Scheiben vom »Sarg Discount« auf der Hermannstraße sind so verschmiert, daß man den Glanz der lackierten Särge kaum erkennen kann, daneben die Pistolen bei »Waffen zweiter Wahl« stumpf und auf Pupillenhöhe. Schon wieder neue Graffiti an der Friedhofsmauer, irgendwas in Englisch, was ich nicht richtig verstehe. Fratzen dazugemalt. Wenn s was Schönes wäre, hätte ich ja gar nichts dagegen, daß Wände und U-Bahnhöfe beschmiert werden. Die jungen Türken mit den Schmetterlingsmessern gucken komisch zu mir rüber. Nicht hinschauen, sagt Gisela immer. Die alte Becker räumt die Kränze vom Stand, da...
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Autor

Tanja Dückers wurde 1968 in Westberlin geboren. Sie studierte Nordamerikanistik, Germanistik und Kunstgeschichte. Neben Prosa und Lyrik schreibt sie Essays, Hörspiele und Theaterstücke. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, die sie u. a. nach Kalifornien, Pennsylvania, Gotland, Barcelona, Prag und Krakau führten. Sie lebt in Berlin.