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Frieden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am05.03.2024
Vor der Küste Englands treffen in tiefer Nacht v erzweifelte Flüchtlinge auf selbsternannte Patrioten.  Die schicksalhafte Begegnung löst eine irrwitzige Verkettung von Ereignissen aus, wobei es allen Beteiligten nur um eines geht: endlich - endlich - Frieden zu finden.   Ein Boot mit Flüchtlingen stottert auf dem Ärmelkanal in Richtung englische Küste. Die Männer sind am Ende ihrer Kräfte, einer ist Omar, er ist neunzehn und hofft, seine Asha bald wiederzusehen. Auch eine Truppe von britischen Patrioten in einem Festrumpfschlauchboot ist unterwegs, um ihr Land vor Flüchtlingen zu schützen.  Tags darauf erwacht Cherry am Strand. Sie hat sich in der Nacht die Kante gegeben, die Ehe ist ein Scherbenhaufen, ihr Sohn Liam hat sich das Leben genommen. Sie entdeckt die Leiche eines dunkelhäutigen Mannes, vom Meer angespült, das Genick gebrochen, ein laminiertes Foto  in der steifen Hand . Er erinnert Cherry so sehr an Liam, dass sie sich schwört, die junge Frau auf dem Foto zu finden und ihn zu beerdigen. Welchen Preis wird Cherry bezahlen? 

Anders Lustgarten ist ein unverblümter Kritiker des Establishments. Seit mehr als zehn Jahren schießt er eine rasante Salve von beißend satirischen Stücken in die Öffentlichkeit und mit jedem einzelnen stellt er die Theaterwelt auf den Kopf. Er hat mehrere Fernsehserien entwickelt, darunter die englische Fassung von Frieden. Er unterrichtete in Todestrakten in Kalifornien, war ein internationaler 400-Meter-Profiläufer und wurde als Aktivist auf mehreren Kontinenten verhaftet. Frieden ist sein erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextVor der Küste Englands treffen in tiefer Nacht v erzweifelte Flüchtlinge auf selbsternannte Patrioten.  Die schicksalhafte Begegnung löst eine irrwitzige Verkettung von Ereignissen aus, wobei es allen Beteiligten nur um eines geht: endlich - endlich - Frieden zu finden.   Ein Boot mit Flüchtlingen stottert auf dem Ärmelkanal in Richtung englische Küste. Die Männer sind am Ende ihrer Kräfte, einer ist Omar, er ist neunzehn und hofft, seine Asha bald wiederzusehen. Auch eine Truppe von britischen Patrioten in einem Festrumpfschlauchboot ist unterwegs, um ihr Land vor Flüchtlingen zu schützen.  Tags darauf erwacht Cherry am Strand. Sie hat sich in der Nacht die Kante gegeben, die Ehe ist ein Scherbenhaufen, ihr Sohn Liam hat sich das Leben genommen. Sie entdeckt die Leiche eines dunkelhäutigen Mannes, vom Meer angespült, das Genick gebrochen, ein laminiertes Foto  in der steifen Hand . Er erinnert Cherry so sehr an Liam, dass sie sich schwört, die junge Frau auf dem Foto zu finden und ihn zu beerdigen. Welchen Preis wird Cherry bezahlen? 

Anders Lustgarten ist ein unverblümter Kritiker des Establishments. Seit mehr als zehn Jahren schießt er eine rasante Salve von beißend satirischen Stücken in die Öffentlichkeit und mit jedem einzelnen stellt er die Theaterwelt auf den Kopf. Er hat mehrere Fernsehserien entwickelt, darunter die englische Fassung von Frieden. Er unterrichtete in Todestrakten in Kalifornien, war ein internationaler 400-Meter-Profiläufer und wurde als Aktivist auf mehreren Kontinenten verhaftet. Frieden ist sein erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455016772
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum05.03.2024
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1294 Kbytes
Artikel-Nr.11413714
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverVerlagslogoTitelseiteErster TeilZweiter TeilDritter TeilDanksagungBiographieImpressummehr
Leseprobe

Erster Teil

1


Omar


Sie sind zu siebt im Boot.

Ein Afghane, der schwört, dass er weiß, wie man es übers Meer steuert. Seltsam für jemanden aus einem staubtrockenen Binnenland, aber sonst kann es eben keiner, also lässt man ihn machen. Drei Iraner und ein Senegalese. Aber die sind bloß dabei, damit das Geld für den Kahn zusammenkam. Auf die Beine gestellt haben Omar und Abdi Bile die Sache. Sie haben das Lager nach den besten Kandidaten abgesucht. Sie sind zu den französischen Fischern gegangen und mit dem wiedergekommen, was sie sich eben leisten konnten: mit einem Ruderboot samt rostigem Außenborder, das es nie über den Hafendamm rausgeschafft hat. Omar und Abdi Bile haben den Mut und die Hingabe, Omar und Abdi Bile lassen die anderen an die Sache glauben.

Es herrscht gute Laune, als Omar und Abdi Bile sie vom Ufer abstoßen, über die Kälte an den Beinen kichern und die anderen mit Schaum bespritzen wie zwei Kinder. All die Wochen der Trägheit, der Enttäuschung und Ungewissheit verfliegen in der Seeluft. Sie ziehen es durch. Sie schaffen es.

Die Begeisterung hält, bis sie im tiefen Wasser sind und die Strömung sie packt.

Die Nussschale schaukelt und ruckt und springt aus dem Wasser wie ein Lachs. Alle halten sich an irgendetwas Stabilem fest, doch es gibt nichts als ein Werfen und Zerren und Schleudern. Der Sog reißt ihnen immer wieder die Pinne aus den klammen Händen und lässt den Motor hier- und dorthin schieben. Sie ducken sich tief an den Holzboden, und Panik brandet über sie. Absolute Machtlosigkeit. Die Erkenntnis, dass sie ihr Schicksal nicht mehr selbst in der Hand halten. Die Männer starren voran wie Sprinter in den Startblöcken, die Finger ins Holz gekrallt, als könnten sie sich mit der Kraft ihrer Blicke übers Meer ziehen.

Omar macht den Ausguck. Er kniet im Bug und hält sich gegen die Gischt die Hand über die Augen. Neben ihm ist Abdi, der Navigator. Er hat Google Maps auf dem Handy offen mit dem blauen Punkt inmitten von endlosem, hellerem Blau. Der Wind nimmt zu, drückt sie zurück wie eine Riesenhand. Will sie zum Wenden zwingen.

Auf einmal ist Omar wieder zu Hause und trainiert mit seinem Vater. Der Wind treibt sich ihm wie ein Ellenbogen in die ächzende Brust, der Sand wirbelt über die staubige Bahn. Sein Vater steht an der Ziellinie, starrt finster die Stoppuhr an, als gäbe sie Widerworte, und bellt Zwischenzeiten. Die Verheißung von Stipendien in Amerika, von internationalen Wettkämpfen und Agenten, von einer Möglichkeit, seine Familie zu unterstützen, doch all das löste sich in Luft auf, als sein Vater krank wurde und zwei Tage vor Omars fünfzehntem Geburtstag starb.

Omar hat Abdi Bile auch den Spitznamen gegeben. Denn er sah dem berühmtesten Sportler Somalias, dem Weltmeister auf 1500 Meter in den Achtzigern, dem großen Helden von Omars Vater, wirklich ein bisschen ähnlich (im Gesicht, nicht am pummeligen Körper). Sein Vater trainierte Omar in Biles Stil: der Mördersprint um die letzte Kurve, die Negative Splits, also die zweite Hälfte schneller laufen als die erste, die letzte Runde am schnellsten - das ist der brutalste Weg zum Mittelstreckensieg. Das schaffen nur die Härtesten. Die Lunge explodiert, das Laktat lässt die Muskeln brennen, du willst nur noch, dass es aufhört, aber gegen jeden Instinkt gibst du noch mehr Druck. Das ist auch eine mentale Sache. Man muss die Nerven behalten. Und das hat Omar gelernt.

Auf einmal wallen Heimweh und Trauer in ihm auf. Er beißt die Zähne zusammen. Die Zukunft wartet. Asha wartet.

Das Boot kämpft sich weiter voran.


Jakubiak


Er bibbert und kauert in seiner dünnen Jeansjacke. DI Barratt hatte einen warmen, trockenen Abend versprochen. Deshalb sind sie ja hier draußen. Warmes, ruhiges Wetter mögen die Illegalen für die Überfahrt, also müssen die Verteidiger des Königreichs ran und das tun, was eigentlich Pflicht der Regierung wäre: die Migrantenboote abfangen und zurückschicken. Aber jetzt faucht und spuckt der Regen wie eine fiese Katze, die Jacke ist durchgeweicht, und der Wind pfeift einem um die Ohren. Andy sieht die fetten Regentropfen im nassen Stoff verschwinden und fragt sich wieder und wieder, warum er es nicht genauso machen kann.

Andy Jakubiak ist ziellos und hasst sich dafür. Aus irgendeinem Grund hat man ihm nicht seinen Platz in der Welt zugewiesen, ihn in der Schule nicht in eine der zufällig gewählten Schubladen gesteckt, aus denen unsere Identitäten werden: witzig, sportlich, schlau, sexy, Bad Boy, nicht mal Nerd oder Freak, was ja immerhin überhaupt schon mal etwas wäre. Heutzutage hat er seinen gestählten Körper, den Muskelpanzer gegen die Welt, aber einen Platz hat er immer noch nicht. Er ist ein unerwarteter Gegenstand im Einpackbereich des Lebens.

Der Vater in Polen bei seiner echten Familie. Die Mutter ein Fußabtreter. In der Schule übersehen: weder gelobt noch geschimpft, bloß ignoriert. Die Lehrer suchten richtig nach den schwarzen Jungs, nach den asiatischen Mädchen, schoben sie für Auszeichnungen vor, nahmen sie dran, wenn auch er sich gemeldet hatte. Der Berufsberater ermahnte ihn, sich keine »unrealistisch hohen« Ziele zu setzen. Eine Freundin war schwer zu kriegen, bei Frauen kam er schnell ins Stolpern. Die Wut köchelte allmählich immer höher. An den Gewichten konnte er sie rauslassen, der harten Musik von schepperndem Eisen zuhören. Der muskelbepackte Mann verbirgt das verletzte Kind im Innern.

Direkt von der Schule ist er zur Polizei gegangen. Hat sich eine Identität von der Stange ausgesucht, irgendetwas, wo er dazugehören konnte. Das respektvolle (oder ängstliche, egal, nehmt mich bloß irgendwie zu Kenntnis, seht mich) Nicken auf der Straße. Die Kameradschaft, das Geplänkel. Aber auch da war es wieder das Gleiche. Es gab die Coolen und die Schlauen und die Beliebten, und Andy war nichts davon. Ab und zu mal wem auf die Fresse geben bringt natürlich Spaß, aber eigentlich ist der Job zu achtzig Prozent Schriftkram, und insgeheim weiß Andy, dass ihm das nicht reicht, er lebt nicht fürs Austeilen. In Wahrheit sucht er, sehnt er sich nur nach einem, nämlich Liebe, auch wenn er es nicht weiß. Nach Wärme, nach Zugehörigkeit.

Er hat im bitteren Saft der Kantine geschmort, die Vorurteile und den Hass in sich aufgesaugt. Wurde bei Beförderungen übergangen, denn Unterstützung gab es nur für Minderheiten und Frauen. Jahre als Streifenbulle, während halb so Gute wie er die Karriereleiter hochstiegen. Und immer weiter hat er die Wut runtergeschluckt, es wird dann ja nur umso schöner, wenn es bei dir endlich so weit ist, Andy, und der Ärger wurde schlimmer und schlimmer, bis er ihm schließlich nachts in seinem kleinen Bett den Hals hochkam und ihn fast erstickte und er nirgendwo hinkonnte damit, einfach keine Linderung fand.

Bis jetzt. Bis DI Barratt ihn ansprach.

Andys Stolz, als Barratt ihn auf die Mission einlud. Ausgewählt zu sein. Vertrauen zu erfahren. Teil von etwas Bedeutsamem sein zu dürfen. Während tausend Illegale am Tag rüberkamen. Anderthalbtausend. Zweitausend. Aber die Regierung, gewählt für das Versprechen von Schlagstock und Stacheldraht, unternahm einen Scheiß. Das ist unser Land. Ein weißes Land. Wenn die offiziellen Stellen also nichts machen, müssen eben wir ran. Eine Freiwilligeneinheit, um die Illegalen zurückzudrängen. Um unsere Grenzen zu schützen. Unsere Seelen.

Ein Grollen im Bauch. Er schaut auf. Barratt hat den Motor angelassen. Er blinzelt Andy zu. Andy salutiert. Aye, aye, Skipper.

»Hol die Kamera raus!«, brüllt Detective Inspector Freddie Barratt. Das ist Andys Aufgabe heute Abend. Die Migranteninvasion belegen. Der Welt die Ausmaße des Problems zeigen. Die Leute wachrütteln. Er zückt sein Handy. Das Neueste vom Neuesten, brillante Bildqualität. Hat ihn fast ein Monatsgehalt gekostet, aber man muss ja was hermachen.

Er drückt auf das rote Quadrat. Barratt lacht und spannt den Bizeps an. Sie trainieren zusammen. Mehr Unter- als Oberkörper. Split Squats, RDLs. Gewichtheben: Standumsetzen, Reißen. Die Kraft aller Körperbereiche baut auf dem Unterkörper auf.

Das Festrumpfschlauchboot sticht in See. Irgendwo in Andys Herz schwingt eine Saite. Vielleicht hat er endlich seinen Platz gefunden.


Omar


Er gönnt sich noch einen kurzen Blick auf Ashas Bild, aufgenommen, als sie gerade in London angekommen war, das Grinsen von Ohr zu Ohr. Das Dorf hätte er sowieso zurückgelassen, den Hunger und die Hitze und die Milizen, aber vor allem das Schluchzen seiner Mutter im Dunkeln und das Versprechen an den Vater, sie nicht verhungern zu lassen. Aber das Ziel hat Asha festgelegt.

Er drückt die Lippen auf das zerfranste Plastik um ihr Foto. Seinen Talisman. Abdi Bile hat ihn ewig aufgezogen deswegen, als er es gesehen hat.

»Laminiert? Alter, in welchem Jahrhundert lebst du eigentlich?«

»Mit einem Handy kann alles Mögliche passieren. Verloren. Geklaut. Ins Wasser gefallen. Wir fahren übers Meer, okay? Und zack, sind all die Fotos und Erinnerungen weg. Bei einem laminierten Foto kann das nicht passieren. Plastik bleibt, Bruder.«

Das Boot fährt nicht mehr. Omar glaubt, dass der Motor wieder verreckt ist, aber alle anderen schauen in seine Richtung. Er späht über die Schulter, und auf einmal bleibt sein Herz stehen. Der Tanker kommt von rechts auf sie zu. Wie eine Stadt in voller Fahrt. Als er versucht, das Heck auszumachen, wird ihm schwindlig, als würde er in ein schwarzes Loch ohne Boden blicken. Vor ein paar Minuten hatte er das Schiff weit weg am...

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