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Die gezählten Tage

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
264 Seiten
Deutsch
Haymon Verlagerschienen am11.04.20231. Auflage
42 Jahre, 35 Wachstuchhefte, A5, klein beschrieben: Jürg Amann entführt ein letztes Mal in eine Welt, die gänzlich ihm gehört. Reflektiert, kohärent, berührend - so lesen sich die Tagesbuchaufzeichnungen von Jürg Amann, zweifellos einer der bedeutendsten Schweizer Gegenwartsautoren, der zu früh verstorben ist. Sein Gesamtwerk: Prosa, Lyrik, Theater und Erzählungen. Sein literarisches Schaffen: so vielseitig wie der Verfasser selbst. Ein Schriftstellerleben lang begleiteten die Aufzeichnungen sein literarisches Schreiben. Schon früh begann Amann dabei auch eine biografische Spur zu legen in Tagebüchern, die die Gattungsbezeichnung sprengen: Weltanschauliches, Ästhetisches, Philosophisches findet Eingang in die eng beschriebenen 35 Wachstuchhefte, aber auch Briefe, die er, bevor er sie versandte, abgeschrieben hat. Sie markieren das für ihn biografisch Bedeutsame. 'Meine erste Welt ist zerstört. Ob eine zweite mir lebenswert erscheint, muss sich erst weisen.' Werkstattbuch und Lebenskontinuum zugleich: Der Autor gibt Einblick in Persönliches und die Poetik seines Schreibens. Seine Tagebücher sind mit größter Sorgfalt verfasst. Sind ernst, nachdenklich - regen zum Nachdenken an - und charakteristisch für das Werk des Autors, das bis heute weit über die Grenzen der Schweiz wirkt. Die Aufzeichnungen, die 1970 in Winterthur beginnen enden Anfang 2012. Amann erhält seine Krankheitsdiagnose und hört - mit wenigen Ausnahmen - auf zu schreiben. Anna Kurth, seine Lebensgefährtin, setzt auf seine Bitte fort, was vom Autor angelegt war. Sie bearbeitet den größten Teil der Hefte nach den Kriterien, die er vorgegeben hatte. Die Aufzeichnungen erscheinen zum 10. Todestag des Autors. Mit einem Nachwort von Corinna Jäger-Trees

Jürg Amann wurde 1947 als Sohn eines Buchdruckers und Lyrikers in Winterthur (Schweiz) geboren. Das Schreiben ist ihm in die Wiege gelegt. Bei Haymon erschienen über die Jahre zahlreiche Werke von Jürg Amann, u. a. das dramatische Gesamtwerk 'Der Tod stirbt' (2018). 1982 erhielt der Autor, Dramaturg und Literaturkritiker den Ingeborg-Bachmann-Preis. Jürg Amann verstarb 2013 in Zürich. Zum 10. Todestag des Autors erscheinen im April 2023 dessen Tagebuchaufzeichnungen 'Die gezählten Tage' bei Haymon.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

Klappentext42 Jahre, 35 Wachstuchhefte, A5, klein beschrieben: Jürg Amann entführt ein letztes Mal in eine Welt, die gänzlich ihm gehört. Reflektiert, kohärent, berührend - so lesen sich die Tagesbuchaufzeichnungen von Jürg Amann, zweifellos einer der bedeutendsten Schweizer Gegenwartsautoren, der zu früh verstorben ist. Sein Gesamtwerk: Prosa, Lyrik, Theater und Erzählungen. Sein literarisches Schaffen: so vielseitig wie der Verfasser selbst. Ein Schriftstellerleben lang begleiteten die Aufzeichnungen sein literarisches Schreiben. Schon früh begann Amann dabei auch eine biografische Spur zu legen in Tagebüchern, die die Gattungsbezeichnung sprengen: Weltanschauliches, Ästhetisches, Philosophisches findet Eingang in die eng beschriebenen 35 Wachstuchhefte, aber auch Briefe, die er, bevor er sie versandte, abgeschrieben hat. Sie markieren das für ihn biografisch Bedeutsame. 'Meine erste Welt ist zerstört. Ob eine zweite mir lebenswert erscheint, muss sich erst weisen.' Werkstattbuch und Lebenskontinuum zugleich: Der Autor gibt Einblick in Persönliches und die Poetik seines Schreibens. Seine Tagebücher sind mit größter Sorgfalt verfasst. Sind ernst, nachdenklich - regen zum Nachdenken an - und charakteristisch für das Werk des Autors, das bis heute weit über die Grenzen der Schweiz wirkt. Die Aufzeichnungen, die 1970 in Winterthur beginnen enden Anfang 2012. Amann erhält seine Krankheitsdiagnose und hört - mit wenigen Ausnahmen - auf zu schreiben. Anna Kurth, seine Lebensgefährtin, setzt auf seine Bitte fort, was vom Autor angelegt war. Sie bearbeitet den größten Teil der Hefte nach den Kriterien, die er vorgegeben hatte. Die Aufzeichnungen erscheinen zum 10. Todestag des Autors. Mit einem Nachwort von Corinna Jäger-Trees

Jürg Amann wurde 1947 als Sohn eines Buchdruckers und Lyrikers in Winterthur (Schweiz) geboren. Das Schreiben ist ihm in die Wiege gelegt. Bei Haymon erschienen über die Jahre zahlreiche Werke von Jürg Amann, u. a. das dramatische Gesamtwerk 'Der Tod stirbt' (2018). 1982 erhielt der Autor, Dramaturg und Literaturkritiker den Ingeborg-Bachmann-Preis. Jürg Amann verstarb 2013 in Zürich. Zum 10. Todestag des Autors erscheinen im April 2023 dessen Tagebuchaufzeichnungen 'Die gezählten Tage' bei Haymon.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783709939970
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum11.04.2023
Auflage1. Auflage
Seiten264 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1308 Kbytes
Artikel-Nr.11466892
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1973

13.1. Der Mut, den es braucht, einen ersten Satz zu setzen, auf ihn einen zweiten, dritten und schliesslich darauf eine Welt zu errichten.

21.3. Es haben alle Dinge ihren Platz zueinander. Zwischen E. und mir wird sich immer Ferne und Nähe gerade die Waage halten. Da wir nicht nach dem Gesetz der Schwerkraft zusammenfallen, ist unser Verhältnis auch nur insofern vergänglich, als wir selbst vergänglich sind. Wenn einer von uns einschläft ...

24.3. Plötzliche Anwandlung von Glück und Lebensmut spät in der Nacht eben beim Anschauen im Spiegel. Jungenhaftes Lachen übers ganze Gesicht. Schon wieder vorüber.

17.4. Einmal ging es in der Kunst um die objektive Welt, später um das subjektive Erlebnis dieser Welt durch den Künstler. Jetzt geht es um diesen Künstler selbst. Kunst wird zur sich selbst reflektierenden Lebensform. Denn der Künstler ist, wie in keiner Zeit zuvor, der Prototyp der zeitgenössischen Menschen, des Isolierten, Einsamen, auf sich selbst Zurückgeworfenen: eben des Individuums. Er war es schon immer. Heute ist es auch der normale Mensch. Daher die einmalige Bedeutung des heutigen Künstlers: als Vorbild. Als willentlich und wissentlich Vollstreckender einer Lebensform, die die andern noch erleiden.

26.4. Das Schöne ist meine einzige Gottheit. Dass sie sterblich ist, stachelt mich auf zur Unsterblichkeit.

27.4. Leben ist ein einziger gesteigerter Abschied.

30.4. Sinn und Leben schliessen sich aus. Wer also leben will, muss auf den Sinn verzichten. Wer aber sinnvoll sein will, darf nicht leben.

22.5. E. sieht das Alleinsein, nicht gefühlsmässig und gedanklich, aber existenziell, noch immer - im Gegensatz zu mir - vorwiegend negativ, d.h. sie erleidet es. Muss es denn ein Verlies sein? Spürst du nicht den Wind, der in deine Kleider weht, in dein Haar greift? Den Raum um dich? Die Freiheit?

Winterthur, 2.6. Liebe E., ich spüre Trauer in Sehnsucht umschlagen, das Leben damit wieder eintreten in den Kreislauf, aus dem ich seit letztem Sommer für immer ausgetreten zu sein glaubte. Seine Versuchung wächst. Aber auch seine Gefahr, von der ich bisher geschrieben habe. Wirklich: ich sehe dem ängstlich entgegen, was seit Deinem letzten Brief nicht mehr nur in der Luft zwischen uns hängt, von dem ich nicht weiss, ob es mein Leben sein kann. Dass aber Du von ihm träumst, hätte ich nie zu träumen gewagt. - Dennoch: ich beuge schliesslich meine Stirn vor deinem rückhaltlosen Vertrauen und ergreife zögernd die ins Ungewisse entgegengehaltene Hand. Zögernd, weil ich noch immer nicht weiss, ob unsere Freundschaft von der Art ist, die gelebt werden kann, und ob sie, falls sie es nicht ist, dann je wieder das sein wird, was sie jetzt ist, wenn sie einmal missbraucht war. - Zusammenfliessen? Ich weiss nicht, ob ich das kann, ohne mich selbst zu verlieren. Und Selbstverlust? Ich weiss nicht, ob ich das will.

12.6. Die Schöpfung der Welt ist die Todsünde Gottes. Dass es Gott nicht gibt, macht die Welt nicht besser, aber es befreit sie von der Sünde, deren Name Gut und Böse ist.

14.6. Grosse Verlorenheit heute nach dem mühsamen Versuch, mich bei den Behörden abzumelden. Wie werde ich mich trennen können von allem was ist und war? Was soll nun kommen? Gehört nicht jede Klinke in der eigenen Hand zu einer Türe, die, wenn man sie hinter sich schliesst, sich vor dem Leben schliesst?

Mit jedem neuen Tagebuch legt man im alten mehr gezählte Tage zu den Akten. Aber das ewige Buchzeichen tröstet, und schliesslich sind es nur die gezählten Tage, die zählen.

Winterthur, 14.6. Liebe E., mit jedem Brief, den wir uns schrei-ben, wird ein Wiedersehen schwerer, das wird mir immer klarer. Die Plätze, die wir uns zugedacht haben, werden, wie Du gesagt hast, besetzt sein von den Papieren, die wir gewechselt haben, von Worten, die über Lippen kamen, welche sich vielleicht nur gefunden hätten, wenn sie stumm geblieben wären. - Lass uns, wenn ich Dich um etwas bitten darf, dennoch nicht aufhören, uns Briefe zu schreiben. Vielleicht sind sie das einzige, was wir von uns haben werden. Und zudem: ich brauche sie. Gerade auch jetzt, in einer Phase persönlicher Schwäche. Wieder einmal bin ich soweit, an meinem Mut zur Einsamkeit zu zweifeln, umzufallen, die Fassung zu verlieren und mich ganz und gar dem Gefühl des Verlorenseins zu überlassen. Und das nur, weil ich heute meine Abmeldung von der Schweiz in die Wege geleitet habe. Was soll denn nun werden? Ich ertrage Abschiede sehr schlecht, weil sie mit jener Zeit zu tun haben, gegen die ich kämpfe: die sich erbarmungslos von Mal zu Mal hinter uns legt. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass sie, kosmisch betrachtet, nichts anderes ist als umgestülpter Raum. Du, die Du nach eigenem Bericht das Zeitgefühl verloren hast, wirst das verstehen.

Indem ich diesen Brief beende und auf Deinen hoffe, habe ich mich auch schon wieder gefangen. Wie dicht unter durchsichtiger Haut doch unsere Wunden liegen und wie schnell das Gras wächst!

15.6. P. kommt nach Spanien, ist schon da. Werde ich hingehen? - Jedenfalls will ich auch J. in die Camargue noch schreiben und S. nach Stockholm wegen ihres Hauses in Canobbio. Und A. nach Finnland? Oder mache ich mich auf, das Schloss am See zu finden, das ich mit E. bewohnen werde? Und M.? Und Frl. W.? Und meine neue dunkle Liebe? Und, und, und ... Die Additionen von Möglichkeiten heben sich bei mir auf zur einen Unmöglichkeit, die ich bin, zum ewigen Unentschluss! - War ich eigentlich immer so, oder haben mich meine Erfahrungen dazu gebracht? Wahrscheinlich habe ich die mir entsprechenden Erfahrungen gemacht, weil ich schon immer so war.

Winterthur, 12.7. Liebe Freundin, ein kurzer Rausch, dann war es wie Sterben. (...) Ein kleiner unschuldiger Mann hat vor erlauchten Zeugen das Urteil gesprochen: ... und spreche hiermit Ihre Promotion aus! Als ob man vorwärts bewegt werden wollte, als ob man nicht ständig versuchte, Wurzeln zu schlagen in der Tiefe der Erde, die man gerade noch mühsam unter den Füssen zusammenscharren kann! Ich bin fertig. Stell Dir das vor: fertig sein. ...

Winterthur, 27.7. Liebe E., Deine Stimme am Telefon klang - unmerklich - anders als in den Briefen. Meine wohl auch. Und siehst Du, schon dies ängstigt mich. Die Fremdheit nimmt zu, wenn man sich hört, ohne sich dabei zu sehen. Das Telefon ist ein gefährliches Instrument des Todes.

Dass wir alle fortgehen, wie Du es nennst, macht mich nicht nur todtraurig, sondern im höchsten Grade zornig, und ich bilde mir ein, dass es ein heiliger Zorn sei, der mich sonst friedvolle Kreatur in diesem Punkt ankommt. Jedenfalls wird man mich, solange ich lebe, nicht mit tausend Pferden aus diesem Leben schaffen. Ich werde die Klinke, an der ich, von aussen, hänge, nicht loslassen und im Gegenteil meine ganze Kraft daran setzen, dass, wenn ich schon gehen muss, das ganze Weltgebäude, dessen Türe ich festhalte, mit mir ins Nichts zusammenstürzt. Man kann sagen, ich sei ein schlechter Verlierer. Ich halte dem entgegen, dass man mich zur Teilnahme an einem Spiel gezwungen hat, dessen Regeln ich nicht anerkenne und dessen Sinn ich leugne. Und meine trotzige, eigensinnige Natur verbietet mir, aufzugeben. Im Grunde aber, abgesehen von diesem ewigen Zorn, freue ich mich, dass Du an uns glaubst.

27.7. Um das sinnlose Weltgebäude, in dem ich mir selber keinen Sinn zu geben vermag, mit mir einzureissen, schreibe ich.

2.8. Liebe E., ich schreibe Dir schon wieder, weil ich nachträglich fühle, dass ich mich letztes Mal wohl etwas habe gehen lassen. Natürlich habe ich nicht wörtlich die Absicht, das Weltgebäude einzureissen. (Was mir vorschwebt, ist eher ein geschlossenes Weltbild mit Löchern.) Alles, was ich tue, ist schreiben und damit versuchen, den Tod ins Unrecht zu setzen, wenn er sich schon nicht besiegen lässt. (...) Als ich Deine Karte las, dachte ich einen Moment, vielleicht wäre das Gleichgewicht zu zweit wirklich leichter zu halten? Weisst Du, manchmal denke ich, Du bist wohl das einzige Mädchen, mit dem ich vielleicht leben könnte. Aber dann kommt mir wieder in den Sinn, dass es ja gerade deshalb unmöglich ist.

2.8. Sinn: die Überlegenheit eines schönen Irrtums über die schäbige Wahrheit.

24.8. sorgfältig = mit Sorgenfalten auf der Stirn

29.8. Ich fühle meine Bestimmung: zu sagen, was ich weiss. Aber was ich weiss, sagt mir, dass meine Bestimmung sinnlos ist. So verzweifelt ist das.

7.9. Die Fledermaus, die nach etwas sucht, nicht um ihm zu begegnen, sondern um ihm auszuweichen, müsste mein Wappentier sein.

19.9. Traum: Meine Mutter ist an Cholera erkrankt. Eingefallene Augen. Ich habe Angst vor Ansteckung, bleibe aber mit ihr. - Dann ist sie gestorben, wie ich höre. Ich will eine Rede auf sie schreiben, bin seltsam ruhig bei dem Ganzen, obwohl ich, nach einigen Korrekturen, schreibe, es werde natürlich schwer sein, für mich, die Mutter habe eine grosse Lücke hinterlassen. - Frauen aus meinem früheren Leben starren mich fremd an, als ob sie mich nicht mehr kennten.

3.10. Kernstück meines Selbstmuseums ist mein Tagebuch, in das ich mit der Feder Tag für Tag die Spuren meines Lebens grabe, die Spuren meines einzigen Bemühens, wenigstens eine Spur zu hinterlassen.

Wenn Sie das Kernstück meines Museums sehen, werden Sie schon verstehen, zu welchem Zweck ich es aufbaue und führe.

Ich sammle Tage, auch diesen heutigen werde ich zu den andern legen. Noch bevor die Sonne über den nächsten aufgeht, wird dieser ein Stück Museum sein.

Gezählte Tage legen sich hinter mich und rappeln sich sehr zu meinen Ungunsten zusammen, ich weiss, aber schliesslich sind es nur die gezählten Tage, die zählen.

7.10. Ein Kind, das immer über...
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Autor

Jürg Amann wurde 1947 als Sohn eines Buchdruckers und Lyrikers in Winterthur (Schweiz) geboren. Das Schreiben ist ihm in die Wiege gelegt. Bei Haymon erschienen über die Jahre zahlreiche Werke von Jürg Amann, u. a. das dramatische Gesamtwerk "Der Tod stirbt" (2018). 1982 erhielt der Autor, Dramaturg und Literaturkritiker den Ingeborg-Bachmann-Preis. Jürg Amann verstarb 2013 in Zürich. Zum 10. Todestag des Autors erscheinen im April 2023 dessen Tagebuchaufzeichnungen "Die gezählten Tage" bei Haymon.