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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am25.04.20231. Auflage
Das Jahrbuch Friedenstheologie 2023 dokumentiert mit diesem Band das friedenstheologische Sommerseminar 2022 zum Thema "'Dein Reiche komme!' Vom Hineinreichen einer anderen Herrschaft: Die Reich-Gottes-Botschaft in Theologie und Politik" sowie aktuelle friedenstheologische und friedensethische Auseinandersetzungen um den Ukrainekrieg. Die gesamte Breite der am Ökumenischen Institut für Friedenstheologie vertretenen Forschung wird in weiteren Beiträgen sowie in ihren Projekten sichtbar. Rezensionen ergänzen den Band.mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR17,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,49

Produkt

KlappentextDas Jahrbuch Friedenstheologie 2023 dokumentiert mit diesem Band das friedenstheologische Sommerseminar 2022 zum Thema "'Dein Reiche komme!' Vom Hineinreichen einer anderen Herrschaft: Die Reich-Gottes-Botschaft in Theologie und Politik" sowie aktuelle friedenstheologische und friedensethische Auseinandersetzungen um den Ukrainekrieg. Die gesamte Breite der am Ökumenischen Institut für Friedenstheologie vertretenen Forschung wird in weiteren Beiträgen sowie in ihren Projekten sichtbar. Rezensionen ergänzen den Band.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783757869052
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.04.2023
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11588001
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Destruktive Mächte und Strukturen in der Welt

Muhammad Sameer Murtaza

2019 sah die Generalversammlung der Vereinten Nationen sich aufgrund der religiös begründeten Gewalt in der Welt gezwungen, mit dem 22. August einen Internationalen Tag des Gedenkens für Opfer von religiös motivierten Gewalthandlungen einzuführen.14

Die Bewertung von Religion und Religionsgemeinschaften als soziales Phänomen löst verständlicherweise unterschiedliche Reaktionen aus. Apologeten und Kritiker sind zu sehr ihrem jeweiligen Tunnelblick verhaftet, um zu erkennen, dass die Anerkennung der Ambivalenz von Religion zu einer differenzierteren Sichtweise und damit zu mehr Objektivität führt.

Religionen besitzen vier Dimensionen: Metaphysik, Ritus, Ethik und Gemeinschaft. Sie sind dem Menschen anvertraut und befinden sich somit in seiner Obhut. Wie sollten sie nicht von der Ambivalenz des Menschen kontaminiert werden, dessen Entscheidungsfreiheit ihn sowohl zu konstruktiven als auch destruktiven Handlungen befähigen?

Die Geschichte der Menschheit hat wiederholt deutlich gemacht, dass der Mensch für seine Selbsterhaltung, für seine Wir-Gruppe, für sein Territorium, sein Weltverständnis und seinen Besitz bereit ist zu lügen, zu manipulieren, zu verletzen und zu töten.

Die abrahamischen Religionen sind Religionen der Balance: Gott und Satan, Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, Geburt und Verwesung, Frieden und Gewalt, Paradies und Hölle; jedoch nicht in einem dualistischen, sondern eingrenzenden Sinn verstanden. Der Satan ist kein Widersacher Gottes, sondern nur ein Geschöpf Gottes, das sich im Rahmen seiner Willensfreiheit dafür entschieden hat, den Menschen zu versuchen.

Das Konzept der Balance findet sich bereits im Tanach: Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, / ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. / Ich bin der Herr, der das alles vollbringt. (Jesaja 45,7)15 Von daher findet sich diese Vorstellung selbstverständlich im Islam wieder: Sprich: Ich suche Zuflucht zum Herrn des Morgengrauens vor dem Übel dessen, was Er erschaffen hat (â¦). (Sure 114:1-2)16

Um eine Auslöschung des Satans geht es nicht. Er hat seine Existenzberechtigung, bekommt aber zugleich von Gott Grenzen aufgezeigt. Übertragbar ist dies auf das Ego des Menschen mitsamt seinen Impulsen, die uns dazu verleiten, selbstsüchtig dem Genuss anheim zu fallen, zu lügen, zu betrügen, zu manipulieren und schließlich anderen Menschen zu schaden und wehzutun. Alle diese Impulse gehören zu uns Menschen, sie können nicht getilgt werden, wie es der Denkfehler der Asketen ist. Im Prophetenwort heißt es:

Anas berichtete, dass der Gesandte Gottes - Gottes Segen und Frieden auf ihm - sagte: Der Teufel zirkuliert in einem Menschen wie sein Blut. (MiskÄt Al-MaÄbÄ« Nr. 68)

Und genauso wenig, wie der Mensch sich seines Blutes entledigen kann, vermag er es, sich dieser Impulse zu entledigen. Sie zu unterdrücken, stellt ebenso wenig eine Lösung dar, denn dann wachsen sie im Unterbewusstsein des Menschen weiter an und brechen sich eines Tages auf verheerende Weise Bahn. So wie Gott den Satan in seine Schranken verweist, lehrt die Religion den Menschen, seine Ego-Impulse anzuerkennen, zu kontrollieren und bei Bedarf sich dieser zu bedienen, wie etwa im Falle der Selbstverteidigung oder der Sexualität.

Diese Balance geht allerdings verloren, wenn ein Mensch sich dafür entscheidet, seine Ego-Impulse unkontrolliert wachsen zu lassen. Gleich einem Krebsgeschwür bringt es ihm Leid und Zerstörung. Der Krebs nimmt, aber er gibt nichts zurück und führt so zum Tod von beiden: Träger und Geschwür.

Sich mit sich selbst zu beschäftigen, sich seines inneren zerstörerischen Potenzials bewusst zu sein, Selbstkritik zu üben und achtsam zu leben, stellt für die meisten Menschen eine Zumutung dar. Viel lieber regen wir uns auf und schwätzen über die negativen Symptome. Polemiker plädieren für eine Welt ohne Religion und verkennen dabei, dass Menschen empirisch seit jeher an etwas geglaubt und Gemeinschaften gebildet haben. Träumer plädieren für eine Vereinheitlichung der Religionen und verkennen dabei die unüberbrückbaren Unterschiede zwischen den prophetischen Religionen (Zoroastrismus, Judentum, Christentum, Islam) auf der einen Seite und den mystischen Religionen auf der anderen Seite, die sich unterteilen in den fernöstlichen Zweig, wie etwa den Konfuzianismus und den Taoismus, die sich durch ihren Weisheitscharakter auszeichnen; und den indischen Strom, vertreten durch den Hinduismus und den Buddhismus, die sich durch ihren mystischen und Erleuchtungscharakter unterscheiden. Nostalgiker plädieren für eine Rückkehr zu einem früheren Zeitpunkt ihrer Religionsgemeinschaft und verkennen, dass Religionen stets den soziokulturellen, territorialen und politischen Kontext widerspiegeln, in denen sie wirken. Religion ist niemals steril, sondern wandelt sich. Die Beschäftigung mit dem Ursprung der jeweils eigenen Religion hilft den Gläubigen zum einen, deren Werte von der Schlacke der Zeit und diverser Interpretationen zu befreien, um sie dann neu in den Blick zu nehmen und mit der aktuellen Lebensrealität zu versöhnen. Zum anderen lehrt das Studium der Vergangenheit die Gläubigen, die historischen und theologischen Weichenstellungen zu erkennen, die immer wieder das Friedenspotenzial ihrer Religion zugunsten des Gewaltpotenzials aufhoben. Niemand anderes als eine Religionsgemeinschaft selbst ist für ihre Fehler verantwortlich.

Aber eine Lösung für die heutigen Probleme werden Gläubige im Gestern nicht finden. Die Lösungen liegen nicht hinter uns, sondern vor uns. Sie liegen in den Antworten auf folgende Fragen: Wofür wollen Juden, Christen und Muslime heute einstehen? Wollen wir mit dem Friedenspotenzial oder dem Gewaltpotenzial unserer Gemeinschaften identifiziert werden? Und was braucht es, damit aus friedvollen Gläubigen keine Gewalttäter des Glaubens werden? Rabbi DAVID ROSEN erklärt hinsichtlich des letzten Punktes:

Wenn sich Menschen in dem Kontext, in dem sie sich befinden, sicher fühlen, können sie sich auf vielerlei Zusammenhänge einlassen: auf der Ebene von Familien, Gemeinschaften oder Nationen. Dann können Religionen zum Gemeinwohl aller beitragen und die menschliche Würde stärken. Fühlen sich Menschen jedoch in ihren jeweiligen Kontexten unbehaglich, dann schneiden sie sich von den umfassenderen Zusammenhängen ab, sie isolieren sich und begegnen anderen mit Unbehagen. Dadurch aber vertiefen sie das Gefühl der Entfremdung. Weil die Religion so eng mit der Identität verknüpft ist, spielt sie bei der Entwicklung einer Bedrohung (auch einer lediglich gefühlten) eine entscheidende Rolle; in einem konflikthaften Umfeld bietet sie eine Stütze und Beistand. Doch indem sie Menschen vor allem dann, wenn diese sich angreifbar und verunsichert fühlen, ein Bewusstsein des eigenen Wertes und Sinnes vermitteln, verfallen Religionen allzu oft in (â¦) Selbstgerechtigkeit. Sie missachten die Legitimität der anderen, verschärfen Konflikte und Ausgrenzungen und verraten damit ihre universellen Werte. 17

DESTRUKTIVE MÄCHTE UND GEWALTEN

Theologen, Philosophen, Psychologen und Soziologen bemühen sich seit jeher eine Antwort auf die Frage zu geben, was das Böse ist. Nach der islamischen Urgeschichte ist das Böse nichts Abstraktes, sondern eine Handlung, die ihren Anfang nimmt mit der Selbsterhöhung eines Geschöpfes über andere Geschöpfe Gottes und das aus dieser Geisteshaltung fortfährt, andere Menschen zu manipulieren, psychisch und physisch zu schaden und letztendlich zu zerstören.

Nach dem Philosophen MUHAMMAD IQBAL (gest. 1938) ist der Mensch unvollkommen erschaffen worden, damit er sein in ihm wohnendes Potenzial entfalten und wachsen kann. Jeder Mensch wird so zu einer einzigartigen Signatur in der Schöpfung Gottes. Wird jedoch dieses individuelle Wachstum abgekoppelt von der Anerkennung der transzendenten Würde eines jeden Menschen und der hierin wurzelnden Gleichheit aller, so kann sie umschlagen in eine Hybris, die danach trachtet, sich Menschen untertan zu machen, indem man sie in ein Abhängigkeitsverhältnis bringt (z. B. wirtschaftliche Ausbeutung), sie versklavt (z. B. Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung) oder indem man sie kurzfristig oder langfristig vernichtet (z. B. durch Waffenhandel, Krieg, Völkermord oder den Klimawandel).

Die prophetischen Religionen lehren zum einen, dass das Individuum verantwortlich für seine Taten ist und daher seinen Willen zum Guten transformieren soll. 18 Und zum anderen verweisen sie darauf, dass der Mensch auch von seiner Umgebung geprägt wird. Das Böse bleibt nicht nur eine individuelle Handlung, sondern kann eine strukturelle Form (politisch, ökonomisch, rechtlich) annehmen. Diese destruktiven Mächte und Gewalten können nicht nur Einfluss auf die Charakterentwicklung von Heranwachsenden nehmen, sondern auch gute Menschen negativ beeinflussen.

Destruktive Handlungen, gepaart mit...
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