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E-BookEPUBDRM AdobeE-Book
120 Seiten
Deutsch
August Verlagerschienen am25.04.20231. Auflage
Nach dem Erscheinen ihres Debütromans »Sympathie«, der Überwachung und Identität im Internetzeitalter erkundet, fand Olivia Sudjic sich unter dem Mikroskop wieder. In einer Spirale aus Selbstzweifeln gefangen, entfremdete sie sich von sich selbst und ihrer Arbeit. Doch die eigene psychische Gesundheit verantwortlich zu machen, verdeckt ein grundsätzliches Problem: die Tendenz, das Schreiben von Frauen, ob nun Fiktion oder persönliches Zeugnis, aufgrund ihres Geschlechts zu ent-werten. Im Rückgriff auf Sudjics eigene Erfahrungen und in Bezug auf die Arbeiten von Maggie Nelson, Chris Kraus, Rachel Cusk, Jenny Offill, Clarice Lispector, Elena Ferrante und anderen untersucht Exponiert die zerstörerischen Annahmen, denen weibliche Künstlerinnen - und jede Frau, die riskiert, sich dem öffentlichen Blick auszusetzen - ausgesetzt sind, erprobt aber auch Strategien, die es erlauben, ihnen zu entkommen.

Olivia Sudjic lebt und arbeitet in London. Ihre Texte sind in der New York Times, der Financial Times, dem Guardian und anderen Zeitungen erschienen. Ihr Debütroman Sympathie (2017) wurde in mehreren Sprachen übersetzt.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBDRM AdobeE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextNach dem Erscheinen ihres Debütromans »Sympathie«, der Überwachung und Identität im Internetzeitalter erkundet, fand Olivia Sudjic sich unter dem Mikroskop wieder. In einer Spirale aus Selbstzweifeln gefangen, entfremdete sie sich von sich selbst und ihrer Arbeit. Doch die eigene psychische Gesundheit verantwortlich zu machen, verdeckt ein grundsätzliches Problem: die Tendenz, das Schreiben von Frauen, ob nun Fiktion oder persönliches Zeugnis, aufgrund ihres Geschlechts zu ent-werten. Im Rückgriff auf Sudjics eigene Erfahrungen und in Bezug auf die Arbeiten von Maggie Nelson, Chris Kraus, Rachel Cusk, Jenny Offill, Clarice Lispector, Elena Ferrante und anderen untersucht Exponiert die zerstörerischen Annahmen, denen weibliche Künstlerinnen - und jede Frau, die riskiert, sich dem öffentlichen Blick auszusetzen - ausgesetzt sind, erprobt aber auch Strategien, die es erlauben, ihnen zu entkommen.

Olivia Sudjic lebt und arbeitet in London. Ihre Texte sind in der New York Times, der Financial Times, dem Guardian und anderen Zeitungen erschienen. Ihr Debütroman Sympathie (2017) wurde in mehreren Sprachen übersetzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751890038
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisDRM Adobe
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.04.2023
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.34
Seiten120 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse557 Kbytes
Artikel-Nr.11588792
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

GEFAHR

Unsere Ohren haben sich zu unserem Warnsystem entwickelt.
Dort, wo kein Vogel singt, sind wir auf der Hut. In einer Stadt zu leben heißt, ständig zusammenzuzucken.4

Jenny Offill, Amt für Mutmaßungen

Das zu schreiben ist der Versuch, etwas zu verstehen, das sich wie ein Problem der Wahrnehmung anfühlen kann, allerdings nicht deswegen, weil Angst die Empfindsamkeit abstumpft. Sie bewirkt das Gegenteil, sodass jeder Eindruck überdeutlich wird. Alles scheint mit Implikationen zu glänzen oder wie unter einem Mikroskop vergrößert zu sein. Selbst die Stille wirkt aufgeladen. Nichts ist eindeutig, sicher oder unveränderlich. Die Form des Essays - die darauf abzielt, zu sichten und zu erhellen - scheint im Widerspruch zu dieser Art der Überreizung zu stehen.

Tatsächlich ist es unangenehm, über die peinliche Situation mit Microsoft in der Vergangenheitsform zu sprechen, denn inmitten einer Panikattacke erscheint das danach nicht plausibel. Ich fühle mich in meinem Kopf eingesperrt, manchmal auch ausgesperrt, wie der Tyrannei eines schlechten Trips ausgeliefert. Alle Zeitabläufe schließen sich kurz, und ich wünsche mir, in ein künstliches Koma versetzt zu werden. Mein wahres Ich erscheint mir völlig unwirklich. Eine Illusion, an die ich nie wieder glauben kann, wie eine schlecht konstruierte fiktive Figur. Wenn die Angst vorbei ist, erscheint mir das Gewirr meiner ängstlichen Gedanken genauso unglaubwürdig wie eine Menschenmenge, in der alle gleichzeitig sprechen. Aus offensichtlichen Gründen ziehe ich es vor, nicht in dieser Zwangsjacke zu sein, wenn ich frei davon bin. Ich finde es fast unmöglich zu beschreiben, wenn ich mich ruhig fühle und alles wieder aussieht, wie es sollte. Es ist, als wäre es einer anderen Person passiert.

Die Angst gibt mir das Gefühl, als hätte ich zwei Ichs - das echte Ich und das ängstliche. Ich wünschte, ich könnte irgendwo eine Öffnung schaffen, um diesen Eindringling herauszulassen. Im Epizentrum einer Angstspirale erscheint das Trepanieren plötzlich weniger mittelalterlich. Damit ich hier nicht zu viele Menschen verprelle: BEI MIR IST OFT ALLES ABSOLUT IN ORDNUNG. Während Saturn weg war, gab es lange Zeiträume (mehrere Jahre) zwischen den Panikattacken, sodass ich kein offensichtliches Muster oder zugrunde liegendes Problem wahrnahm, das Aufmerksamkeit verdient hätte. Erst als ich meinen Buchvertrag unterschrieben hatte, wurde es zu einem Problem, das mich im Alltag behinderte.

An einem angstfreien Tag konsultiere ich nach dem Aufwachen vielleicht immer noch mein Horoskop, obwohl ich nicht daran glaube, um mich ein wenig vorzubereitet zu fühlen. Wenn es mir besonders schlecht geht, sehe ich überall Gefahren, weil ich versuche, sie abzupassen. Ich spüre Wellen des Grauens und der Übelkeit und dann dieses Ding in meiner Brust, das mir das Atmen erschwert. Ich kann das Gefühl haben, dass mein Verstand ausfranst. Meistens macht mich die Angst hyperwachsam, überempfindlich, als hätte ich keine Haut. Gerüche, Geschmäcker, Geräusche - all das nehme ich stärker wahr. Am einfachsten kann man sich das Grundgefühl vorstellen, wenn man gerade seinen dritten Kaffee getrunken hat und jemand eine Kurznachricht schickt, in der Wir müssen reden steht, und dann stundenlang nicht anruft, oder gar nicht.

Es ist leicht, Angst abzutun. Sie ist etwas, das wir alle in gewissem Maße als Teil des normalen Lebens erleben, und oft aus gutem Grund. Sie kann eine angemessene physiologische Reaktion auf Gefahr, Unsicherheit, Instabilität oder das Gefühl der Machtlosigkeit sein. Sie hat einen evolutionären Zweck, hilft uns, am Leben zu bleiben. Darwin litt an einer Angststörung, die ihn oft ans Haus fesselte. Er argumentierte, dass es hochentwickelt sei, die meiste Zeit in Alarmbereitschaft zu sein. Die wissenschaftliche Erklärung für meine Angst hängt mit dem Teil des Gehirns zusammen, der die Veränderungen in unserer Umgebung und in unserem Körper überwacht: der Amygdala. Wie Eleanor Morgan in Anxiety for Beginners beschreibt, ist es diese mandelförmige Kommunikationszentrale , die eingehende sensorische Signale und die Teile unseres Gehirns, die sie interpretieren, verarbeitet.

Als ich diese Informationen las, wurde mir klar, warum sich meine Ängste so oft wie ein Interpretationsproblem anfühlen. Ich denke, dass das vor allem von meinen Erfahrungen mit Gaslighting herrührt. Wenn ich jetzt Gefahr wahrnehme, kommen die Momente, in denen in der Vergangenheit tatsächlich etwas Schlimmes passiert ist, zurück und erinnern mich daran, dass ich diese Anzeichen früher übersehen oder ignoriert habe. Dann zweifle ich an mir selbst. Ich sage mir, dass ich mir die Dinge nur einbilde. Dann fühle ich mich noch mehr bedroht, weil ich nicht weiß, wem oder was ich vertrauen kann. Ich suche nach Bestätigung, die ich normalerweise nicht bekomme, denn selbst wenn ich sie bekomme, kann ich ihr nicht trauen.

Bei Menschen mit Angststörungen ist die Kampf- oder-Flucht-(oder Paralyse)-Reaktion überaktiv. Sie nehmen Bedrohungen wahr, obwohl es keine gibt. Die Symptome hingegen sind sehr real. Adrenalin überflutet den Körper. Schlaflosigkeit, Schwindel, Zittern, Durchfall, Herzklopfen ⦠die Liste lässt sich fortsetzen, denn der Körper reagiert auf das Cortisol, das wie eine Welle durch ihn schwappt. Ich habe Freund:innen, die mehrmals in die Notaufnahme gegangen sind oder einen Krankenwagen gerufen haben, weil sie dachten, sie bekämen einen Herzinfarkt.

Menschen mit Angststörungen haben oft Angst davor, Angst zu bekommen, und so entsteht ein Teufelskreis. Sie fürchten sich vor der Angst und beginnen, alles zu vermeiden, was sie auslösen könnte - oft alle Situationen, über die sie keine Kontrolle haben.

Vielleicht ist das der Grund, warum Frauen in ihren Zwanzigern am häufigsten von Angststörungen betroffen sind, auch wenn es natürlich nicht nur junge Frauen sind. Journalist:innen nennen es den neuen Feminismus , Mediziner:innen sprechen von einer Epidemie. Fast ein Drittel der Menschheit leidet irgendwann im Leben an einer Angststörung.

Das gestiegene öffentliche Bewusstsein und persönliche Eingeständnisse - von Premierministerin Jacinda Ardern bis hin zu Popstar Zayn Malik - haben dazu beigetragen, die Stigmatisierung zu verringern, aber solche prominenten Befürwortungen haben auch zu Zynismus geführt. Mein eigenes Eingeständnis, dass ich mäßig ängstlich bin, wird sicherlich mit einem Augenrollen quittiert werden. Schon wieder eine! Ein weiterer Schrei der Snowflake-Generation nach Aufmerksamkeit, Safe Spaces, Trigger-Warnungen und Achtsamkeits-Malbüchern.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte man bei mir vielleicht Hysterie diagnostiziert. Aber Angststörungen sind nichts Neues. Freud hat sie untersucht, ebenso wie Kierkegaard. Hippokrates beschrieb sie im Jahr 4 v. Chr. als schwierige Krankheit. Der Patient glaube, etwas Dornartiges zu verspüren, etwas, das ihn in die Eingeweide steche, und Übelkeit quäle ihn.5 Er beschreibt die klinische Angst, ohne sie zu benennen. Eine medizinische Diagnose im DSM gibt es erst seit 1980, im selben Jahr wurde die hysterische Neurose gestrichen.

Es ist schwierig, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn man das Gefühl hat (oder einem das Gefühl vermittelt wird), dass das Problem nicht real sei. Je mehr Menschen einem sagen, dass man keinen Grund zur Sorge hätte, desto schlimmer wird das Gefühl. Der Verdacht, dass die Angst nicht real sei, ist besonders quälend, denn nicht zu wissen, was real ist, ist vielleicht das Schlimmste daran. Deshalb tröste ich mich damit, mich selbst zu pathologisieren oder die Dinge mit Astrologie erklären - und es ist der Grund, warum das Internet im Allgemeinen einen solchen Sog ausübt. Es gibt Fremde, denen es genauso geht.

So rational Angst als eine Reaktion auch sein kann (und selbst die irrationale Art hat oft ihre Wurzeln in einer sicherheitserschütternden prägenden Erfahrung), so ist sie doch für viele Menschen, die vordergründig keiner unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt sind, zu einer Lebensweise geworden. Dies deutet nicht nur auf eine medizinische, sondern auch auf eine soziale Krankheit hin. In den Schlagzeilen scheint eine Reihe von vermeintlichen Bedrohungen am kollektiven Horizont aufeinanderzuprallen, die einen Erklärungsansatz dafür bieten. Einige verweisen auf eine westliche Kulturkrise. Auf soziale Netzte, die zerreißen. Auf wirtschaftliche Instabilität. Individualismus und Kapitalismus der freien Marktwirtschaft. Die ungewisse Zukunft des Klimawandels oder den Luxus einer zu großen Auswahl. Ich kann diese Schlagzeilen nicht von dem Jahr trennen, in dem sie für mich zum ersten Mal zu einem Problem wurden.

Es war 2016 [Erzähler:innenstimme], das Jahr zwischen der Unterzeichnung des Vertrags und der...
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Autor

Olivia Sudjic lebt und arbeitet in London. Ihre Texte sind in der New York Times, der Financial Times, dem Guardian und anderen Zeitungen erschienen. Ihr Debütroman Sympathie (2017) wurde in mehreren Sprachen übersetzt.

Simoné Goldschmidt-Lechner (sgl) schreibt, übersetzt, macht Podcasts, beschäftigt sich mit (queeren) Fankulturen im Netz, Horror aus postmigrantischer Perspektive, Sprache in Videospielen und gibt Workshops zu sozialpolitischen Themen. Sie war Finalistin beim open mike 2020, Stipendiatin der LCB-Autor:innenwerkstatt und im stART.up-Programm der Claussen-Simon-Stiftung sowie Teilnehmerin am Schreiblabor »Vergangenheit vorhersagen« mit Luna Ali am Schauspielhaus Düsseldorf.