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Gute Nacht, Tokio

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Hanser Berlinerschienen am23.10.20231. Auflage
Nachts um eins in Tokio, Atsuhiro Yoshida erzählt warmherzig von Außenseitern und zufälligen Begegnungen.
»Eine zarte Ode auf unerwartete Glücksmomente des Lebens.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
Tokio bei Nacht. Eine Filmrequisiteurin, eine Telefonseelsorgerin, ein Privatdetektiv, eine angehende Schauspielerin, ein Barkeeper. Sie treffen sich, verpassen sich, träumen und erinnern sich. Im Mondschein und dem Licht der Neonröhren wird die Nacht fast zum Tag.
In Atsuhiro Yoshidas liebevoll erzähltem Episodenroman hängt alles auf besondere Weise zusammen - und oft lenken zufällige Begegnungen das Leben in die richtige Richtung.

Atsuhiro Yoshida, geboren 1962 in Tokio, ist Schriftsteller und preisgekrönter Coverdesigner, der in seinen Büchern mit leichter Hand den kleinen Dingen nachspürt, die das Leben lebenswert machen und die zu suchen sich in jedem Fall lohnt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextNachts um eins in Tokio, Atsuhiro Yoshida erzählt warmherzig von Außenseitern und zufälligen Begegnungen.
»Eine zarte Ode auf unerwartete Glücksmomente des Lebens.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
Tokio bei Nacht. Eine Filmrequisiteurin, eine Telefonseelsorgerin, ein Privatdetektiv, eine angehende Schauspielerin, ein Barkeeper. Sie treffen sich, verpassen sich, träumen und erinnern sich. Im Mondschein und dem Licht der Neonröhren wird die Nacht fast zum Tag.
In Atsuhiro Yoshidas liebevoll erzähltem Episodenroman hängt alles auf besondere Weise zusammen - und oft lenken zufällige Begegnungen das Leben in die richtige Richtung.

Atsuhiro Yoshida, geboren 1962 in Tokio, ist Schriftsteller und preisgekrönter Coverdesigner, der in seinen Büchern mit leichter Hand den kleinen Dingen nachspürt, die das Leben lebenswert machen und die zu suchen sich in jedem Fall lohnt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446278769
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum23.10.2023
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11589547
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Der Biwa-Dieb


Die Uhr schlug eins.

Mitsuki trug sie im Arm, eine Wanduhr, und da sie schlug, bevor die anderen Uhren in der Lagerhalle schlugen, ging sie wohl vor. Wie um die Wette zeigten kurz darauf mit dumpfen, mit trockenen, mit hellen Schlägen auch die anderen Uhren ein Uhr an.

Die Halle - der Fundus - war so groß, dass gut und gerne zwei Leichtflugzeuge hineingepasst hätten. Überall standen Regale mit Kisten und Kästen und Schubladen, und an den Wänden hingen dicht an dicht nicht nur Uhren, sondern alles und jedes, was als Wandschmuck dienen konnte: Bilder, Kalender, selbst Teppiche.

Die Regale und Kisten und Schubläden enthielten allen kleinen und großen Kram, den man brauchte, um die letzten dreihundert Jahre des Lebens, der Sitten und Gebräuche des Landes wieder aufleben zu lassen.

Hier fand sich fast alles.

Wollte der Regisseur zum Beispiel einen »Koffer der 20-er Jahre« haben, wurde geschwind einer aus dem Fundus gesucht und zum Dreh gebracht.

In der Produktionsfirma am Rande von Tokio, der der Fundus gehörte, war seit nunmehr fünf Jahren Mitsuki für diese Aufgabe, die man »Beschaffen« nannte, zuständig. Sie war »Beschafferin«, das heißt Requisiteurin.

Für den Dreh um neun Uhr hatte sie eine ganze Reihe von Gegenständen zusammensuchen müssen. Das meiste hatte sich im Fundus gefunden, gefehlt hatte nur noch die Wanduhr, eine »klassische, gediegene«, wie der Regisseur eigens vermerkt hatte, aber die hatte sie zum Glück nun ebenfalls entdeckt. Das gute Stück fest an die Brust gedrückt, war sie auf dem Weg in die Garderobe, wo der Regieassistent auf sie wartete. Mit »Garderobe« war hier allerdings nicht die Künstlergarderobe gemeint, sondern die Kammer, in der die Requisiten bereitgestellt wurden.

Eigentlich hatte Mitsuki Szenenbildnerin werden wollen. Sie hatte davon geträumt, große, lebensechte Sets zu entwerfen, wenn möglich ganze Stadtviertel zu erschaffen, doch sobald sie bei ihren ersten Dreharbeiten einen Fuß ins Requisitenlager gesetzt hatte, war es um sie geschehen gewesen.

Der Fundus war eine Schatztruhe. Und Schatztruhen hatten sie schon als Kind fasziniert.

Verbandskästen zum Beispiel. Wenn man sie aufmachte, kamen die verschiedensten, mit bunten Stempeln und winzigen Schriftzeichen versehenen Beutelchen und Fläschchen zum Vorschein. Verbandsrollen, Desinfektionsmittel, Augentropfen, Pflaster, Apothekeroblaten - lauter Dinge, die ihre Kinderaugen zum Leuchten gebracht hatten.

Mit dem Fundus war es dasselbe, nur größer. Dort wurde in Form von Gegenständen Vergangenheit aufbewahrt. Dreihundert Jahre Vergangenheit. Für Mitsuki war der Fundus eine »Zeittruhe«, und jedes Mal, wenn sie ihn betrat, fühlte sie sich wie eine Abenteurerin, die auf Expedition geht. Hinzu kam der Reiz, genau das zu finden, was dem Regisseur vorschwebte. Es war wie ein Spiel.

Problematisch war nur eines: die Zeit. Mit der stand Mitsuki auf dem Kriegsfuß. Genauer gesagt: Sie stand mit eben dem auf dem Kriegsfuß, was sie im Arm hielt: mit der Uhr.

Die Uhr, freundlicher ließ es sich nicht ausdrücken, war ihr Feind. Mitsuki wusste auch, warum. Ihre gemütliche innere Uhr ließ sich einfach nicht mit der, wie sie es empfand, hektisch tickenden Uhr der Welt um sie herum in Einklang bringen. Die strengen Zeitvorgaben des Regisseurs brachten sie deshalb regelmäßig an den Rand des Wahnsinns.

Gong, schlug es irgendwo noch einmal eins.

Das war wahrscheinlich die letzte im Fundus. Die, die am meisten nachging.

So wie ich.

Mitsuki erneuerte den Griff um die Wanduhr an ihrer Brust und seufzte.

*

Nachdem sie die Uhr dem Regieassistenten Mizushima übergeben hatte, verabschiedete sich Mitsuki mit einem »Dann bis morgen!« und wandte sich zum Gehen.

Doch Mizushima hielt sie zurück: »Warte, etwas fehlt noch.«

»Aber das war die ganze Liste. Mehr stand nicht drauf.«

»Ich weiß, trotzdem. Eins brauchen wir noch. Auch bis morgen früh. Und zwar eine Biwa, eine frische. Nur eine, mehr nicht â¦«

»Eine Biwa?«

»Ja. Du weißt schon, die Frucht, nicht das Instrument.«

»Ich weiߠ⦫, erwiderte Mitsuki, auch wenn sie noch nie eine gekauft hatte. Jedenfalls nicht fürs Set, und privat, wenn die Erinnerung sie nicht trog, auch nicht, weder beim Obsthändler noch im Supermarkt. Gegessen hatte sie schon mal eine. Aber wann und wo und wie sie geschmeckt hatte, daran erinnerte sie sich nicht mehr.

Das war das Schöne an ihrer Arbeit. Sie zeigte ihr ständig auf, womit sie es in ihrem Leben noch nie zu tun gehabt hatte: mit einem Schnellkochtopf zum Beispiel. Oder einem Seidenhut. Einem Einrad. Bis sie diese Dinge fürs Set hatte beschaffen müssen, hatte sie nichts darüber gewusst. Nichts! Sie war siebenundzwanzig, und was wusste sie? Nichts!

Für Biwas galt dasselbe. Sie wusste nicht einmal, ob die jetzt, wo es auf den Sommer zuging, überhaupt Saison hatten.

»Ich habe ein wenig recherchiert«, sagte Mizushima, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Nur im Netz, aber da stand, dass man mit ein bisschen Glück um diese Jahreszeit noch welche ergattern könnte.«

»Ach ja?« Sofort hellte sich Mitsukis Miene wieder auf.

»Aber vielleicht nicht in Tokio â¦« Mizushima verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. Das bedeutete, dass die Suche nicht reibungslos vonstatten gehen würde. Ganz im Gegenteil!

»Noch dazu um diese Zeit â¦« sagte Mitsuki und ließ den Kopf hängen.

»Stimmt. Wahrscheinlich bleibt dir nichts anderes übrig, als die paar Supermärkte abzuklappern, die rund um die Uhr geöffnet haben, viele sind es ja nicht mehr. Die Obsthändler dürften alle schon zu sein.«

Mitsuki nickte. Als die Wirtschaft noch blühte, hatte es an jeder Ecke einen Supermarkt gegeben, der bis zum Morgengrauen geöffnet hatte, aber mittlerweile gab es praktisch keine mehr, Mizushima hatte recht.

»Tja«, sagte der Regieassistent wie zu sich selbst, »Tokio bei Nacht ist auch nicht mehr das, was es mal war.«

*

Matsui saß im halbdunklen Pausenraum der Zentrale, trank eine Dose Kaffee und bereitete sich auf seinen Dienst vor.

Das Taxi-Unternehmen, für das er arbeitete, hieß Blackbird und war auf Nachtfahrten spezialisiert. Die Wagen waren dunkelblau, fast schwarz, und auch die Uniformen der Fahrer waren dunkel gehalten. Das Unternehmen war klein und unterhielt nur wenige Wagen, die im Wesentlichen auf Bestellung fuhren, aber in letzter Zeit war die Zahl der Fahrgäste, die diesen Service in Anspruch nahmen, so gesunken, dass Matsui zunehmend auf »Laufkundschaft« angewiesen war. Er verstaute die Übersicht mit den RESERVIERUNGEN, blank wie sie war, in seiner Brusttasche und nieste.

Da hat wohl jemand an mich gedacht. Das kann nur - ach, egal.

Wenn jemand zu dieser nachtschlafenden Zeit an ihn dachte, dann konnte das nur ein Fahrgast sein. Er hatte ja niemanden. Bevor er sich versah, war er fünfzig geworden, ohne je an Heirat und Familie gedacht zu haben. Und da er aus Tokio stammte, konnte er an Allerheiligen nicht einmal zu Verwandten aufs Land fahren. Seine Eltern waren früh gestorben, und Geschwister hatte er nicht.

Er war uninteressant, hatte nichts zu bieten. Das fand er selbst. Wenn Kollegen ihn fragten, warum er Taxifahrer geworden sei, sagte er immer nur: »Hat sich so ergeben.«

Da stimmte allerdings nicht ganz.

Als Kind war er nämlich in der Bibliothek auf das Kinderbuch Die Farbe des Autos gleicht der Farbe des Himmels gestoßen. Der Held dieses Buches war ein Taxifahrer, und der hatte genauso geheißen wie er: Matsui. Der Matsui im Buch beförderte die skurrilsten Gäste. Mal einen Bären, mal einen Fuchs. Taxifahren ist ja ein lustiger Beruf, hatte Matsui damals gedacht und das Buch geradezu verschlungen.

Danach hatte er sich noch einmal den Umschlag angesehen. Er zeigte ein hellblaues - ein himmelblaues Auto, darin der Fahrer Matsui.

Das ist es, hatte er gedacht. Ich werde Matsui, der Taxifahrer.

Und genau das wurde er. Seit dreißig Jahren fuhr er mal für die eine, mal für die andere Firma. Und jedes Mal wechselte die Farbe der Droschken. Eine in der Farbe...

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