Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Zechenhölle

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am13.09.2023
Auf einem verlassenen Zechengelände mitten im Ruhrgebiet stürzt eine junge Frau in den Tod. Die Polizei geht von Suizid aus, doch Psychologiestudentin Liesa Kwatkowiak kannte die Tote und hat Zweifel. Hinweise führen sie zu einer Gruppe von Lost-Places-Fans, die das Gelände unerlaubt erkundet hatten. Liesa ermittelt undercover und stößt dabei auf Geheimnisse und Gewalt. Dabei muss sie sich ihren eigenen Ängsten stellen und gerät bald selbst in Gefahr ...

Sylvia Sabrowski, in Bottrop aufgewachsen und nach dem Studium der Psychologie und Pädagogik als Freiberuflerin tätig, lebt mit Mann, Kindern und anderthalb Katzen im Ruhrgebiet. Einige ihrer Kurzgeschichten und Gedichte wurden in Anthologien veröffentlicht. 'Zechenhölle' ist der dritte Kriminalroman der Autorin im Gmeiner-Verlag. Mehr Informationen zur Autorin unter: www.sylviasabrowski.de
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextAuf einem verlassenen Zechengelände mitten im Ruhrgebiet stürzt eine junge Frau in den Tod. Die Polizei geht von Suizid aus, doch Psychologiestudentin Liesa Kwatkowiak kannte die Tote und hat Zweifel. Hinweise führen sie zu einer Gruppe von Lost-Places-Fans, die das Gelände unerlaubt erkundet hatten. Liesa ermittelt undercover und stößt dabei auf Geheimnisse und Gewalt. Dabei muss sie sich ihren eigenen Ängsten stellen und gerät bald selbst in Gefahr ...

Sylvia Sabrowski, in Bottrop aufgewachsen und nach dem Studium der Psychologie und Pädagogik als Freiberuflerin tätig, lebt mit Mann, Kindern und anderthalb Katzen im Ruhrgebiet. Einige ihrer Kurzgeschichten und Gedichte wurden in Anthologien veröffentlicht. 'Zechenhölle' ist der dritte Kriminalroman der Autorin im Gmeiner-Verlag. Mehr Informationen zur Autorin unter: www.sylviasabrowski.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839276020
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.09.2023
Reihen-Nr.3
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11592355
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1. Kapitel

Sie verlor den Halt, ergriff das Geländer und fing sich gerade noch. Vor ihr tat sich der Abgrund auf. Ihre Beine zitterten, sie atmete tief durch. Das war knapp. Sie musste besser aufpassen, die nächste Unaufmerksamkeit könnte sie das Leben kosten. Niemand würde sie suchen, niemand würde sie hier finden. Finstere Nacht umschloss alles, wie unter der Erde, tief im Berg, unter Tage. Stockdunkel war es und totenstill. Weit von allen Lebenden, allem Leben entfernt. Sie horchte auf. War sie wirklich allein? Würde er sie heute kriegen?

*

»Im schlimmsten Fall wird alles abgerissen und dem Erdboden gleichgemacht.« Liesa zeigte auf den Förderturm des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop. Erhaben ragte der Doppelbock vor ihnen auf. Zwei große R, die Rücken an Rücken standen und vier Seilscheiben trugen. Dahinter erhob sich die Halde Haniel, ein in Stufen angelegter, abgeflachter Berg aus Abraumgestein. Bald würde das herbstliche Braun der Bäume in Schwärze übergehen. »Die Zeche wird für immer verschwinden, restlos. Und niemand wird sehen, was hier einmal war, wenn keiner etwas unternimmt.«

»Und deshalb mussten wir ausgerechnet am Freitagabend hierher pilgern?« Timo lehnte sich an dem am Boden befestigten Teil der breiten Schrankenanlage, die sie von dem Betriebsgelände trennte und ihnen unmissverständlich den Zutritt verwehrte. »Der Förderturm steht morgen auch noch da.« Er rückte seine Brille zurecht. Ein neues Modell, das für Liesa einen ungewohnten Anblick darstellte.

Sie schüttelte den Kopf. »Die können ihn jederzeit abreißen, einfach kurzen Prozess machen. Dem geht keine Presseerklärung voraus, die Öffentlichkeit erfährt vorher nichts.« Sie hatte so etwas schon einmal erlebt. Aktuell war man dabei, mehrere Anlagen abzureißen. In Hamm, Herne, Gelsenkirchen, Kamp-Lintfort, quer durch das ganze Ruhrgebiet fraßen sich Abbruchbagger durch die Schachtgebäude. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Abrisskommando hier ankommen würde.

Timo schaute auf sein Handy.

»Die Zechenanlagen in Grafenwald und Kirchhellen werden komplett abgerissen«, setzte Liesa fort. »Für die beiden Standorte im Bottroper Norden ist das beschlossene Sache. Die Bauern bekommen ihr Land zurück und machen Wiesen oder Äcker daraus. Niemand wird mehr sehen, dass da ein Bergwerk war. Aber der hier«, sie zeigte auf den Doppelbock und atmete einen Moment lang hastig, »der ist etwas Besonderes. Es ist doch wichtig, also â¦ Weißt du â¦« Sie rang nach Worten. Es war eine Herzensangelegenheit. Er würde ihr einfach fehlen und sie wusste, dass es nicht nur ihr so ging.

Dies war das letzte aktive Steinkohlen-Bergwerk in Deutschland. Am 21. Dezember 2018 hatte hier die offizielle Abschiedsveranstaltung stattgefunden, bei der Bergleute dem Bundespräsidenten symbolisch den letzten Steinkohlebrocken übergeben hatten. Fast ein Jahr war er nun her, der bewegende Abschied von der Kohle. Eine Ära war zu Ende gegangen. Tränenreich und mit großem medialen Rummel war er begangen worden, der Zechentod. International war darüber berichtet worden. Sogar in der New York Times hatten sich die Kumpel samt Doppelbock wiedergefunden. Ganz nebenbei hatte Liesa hier auf dem Zechengelände einen Täter zur Strecke gebracht, was allerdings deutlich weniger mediales Echo hervorgerufen hatte. Inzwischen war der über 1.000 Meter tiefe Schacht unter dem Fördergerüst mit Sand und Zement verfüllt worden. Die Räder, die den Förderkorb an mächtigen Drahtseilen in die Tiefe und wieder hoch bewegt hatten, standen nun still. Die Seile waren abgeschlagen. Die Silos, die für die Verfüllung genutzt worden waren, befanden sich noch davor.

Es dämmerte. Noch stand er da. Breitbeinig und in seinem typischen Grün überragte der Förderturm das Areal. Das Fördergerüst aus Stahlstreben, umgeben von Schachtgebäuden aus Backstein und Stahl, erstrahlte vor der bewaldeten Haldenerhebung mit dem markanten Passions-Kreuz. Der blasse Himmel ließ ihn hervorstechen. Hell erleuchtet würde er auch in der Nacht weithin sichtbar sein. Was würde aus dem Fördergerüst auf dem Zechenareal werden, aus der Halde, dem Kreuz? Jetzt, wo der Förderturm nicht mehr genutzt und gebraucht wurde, wirkte er zur Untätigkeit verdammt und schutzlos.

»Der muss erhalten bleiben«, beharrte Liesa. »Man sollte ihn unter Denkmalschutz stellen, wie den Malakoffturm in Batenbrock.« Sie schaute Timo von der Seite an. »Findest du nicht?«

»Ohne Fördergelder ist die Erhaltung nicht möglich.«

»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«

»Und will man das?«

Liesa seufzte. Da gingen die Meinungen auseinander. Der Abriss wurde in der zuständigen Bezirksvertretung und darüber hinaus kontrovers diskutiert, eine Rettung vonseiten der Kommunalpolitik war nicht in Sicht. In Bottrop waren schon ganz andere geschichtsträchtige Gebäude abgerissen worden, was man heute bereute, aber niemand konnte die Zeit zurückdrehen. Es war also durchaus möglich, dass der Förderturm fallen und zum Opfer einer gewissen pragmatischen Ignoranz werden würde. »Alles hängt doch von dem Einsatz der Leute ab.«

»Wusstest du eigentlich â¦« Timo sah endlich von seinem Handy auf und steckte es in die Jackentasche. »â¦ dass da, wo sich Fahrzeugwaagen und Rampenheizungen befinden â¦« Er zeigte mit ausholender Geste auf den Bereich vor der Schranke, auf dem in großen Buchstaben auf dem Asphalt der Schriftzug »WAAGE« aufgebracht war. Ein Pfeil deutete in Fahrtrichtung auf das Bergwerksareal. »â¦ häufig keine Induktionsschleife gelegt werden kann und dann ein Laser-Flächenscanner eingesetzt wird?« Er schaute sich um. »Was bei dieser Schrankenanlage, die vermutlich aus den 1980er-Jahren stammt oder sogar schon älter ist, vermutlich aber nicht der Fall ist.« Er nickte in Richtung des Pförtnerhäuschens. »Oldschool. Und nicht interessant genug für ein Museum.«

Liesa blickte Timo ernst an.

»Der wird doch nun wirklich nicht mehr gebraucht!«

»Für den Bergbau nicht mehr, das ist klar. Aber warum sollte man den Förderturm abreißen? Viele kennen gerade diesen Doppelbock von Prosper-Haniel.« Er war ein Wahrzeichen der Stadt und der ganzen Region, dem Ruhrgebiet, erinnerte an eine Zeit der harten Arbeit, ohne die der wirtschaftliche Aufschwung nicht möglich gewesen wäre. »Der Förderturm ist eine Landmarke -«

»Fördergerüst«, korrigierte Timo. »Ich dachte, du kennst den Unterschied.«

Liesa hob eine Augenbraue. Natürlich kannte sie den Unterschied. Fördergerüste bestanden aus Stahlstreben, meist in R- oder Doppelbockform und mit sichtbaren Seilscheiben. Fördertürme hingegen waren aufrechtstehende, glatt verkleidete Türme, die an Hochhäuser erinnerten. Sie würde es ihm bei Gelegenheit heimzahlen.

*

Staub und Beton in bedrängender Dunkelheit, Schlieren aus Kohlenstaub und Rost auf ihrer Haut. Scherben knirschten unter ihren groben Schuhsohlen, kreischten erschreckend feindselig und verräterisch in der Nacht. Sie war auf der Suche nach etwas, nach Leben vielleicht, wollte auf jeden Fall ihren eigenen Weg gehen, sich spüren. Und endlich befreien. Dieses Mal durfte sie sich nicht verlieren. Es stand zu viel auf dem Spiel. Sie musste an den Förderbändern entlanggehen, über die Treppe aus Stahlblech. An beiden Seiten ging es hinab in die Tiefe.

*

Liesa ertastete den Autoschlüssel in der Jackentasche und ging ihren Gedanken nach. Ihre Angstattacken hatte sie momentan im Griff. Aber wie lange noch? Konnte sie die Angst wirklich jemals unter Kontrolle bekommen? Dünnes Eis. Was sie bisher erreicht hatte, war nicht mehr als ein Etappensieg. Die Panikattacken beim Autofahren waren die Hölle gewesen. Das hatte sie sehr eingeschränkt und ihr Studium hatte auf der Kippe gestanden. Sie fuhr jetzt wieder. Ihr war bewusst, dass sie sich der Angst stellen musste, damit sie nicht wiederkam. Eine weitere Auszeit für eine Therapie konnte sie sich absolut nicht leisten, dafür war das Psychologiestudium zu eng getaktet. Dann würde sie ihren Studienplatz und das, was sie sich mühsam erkämpft hatte, endgültig verlieren.

»Das muss ein Ende haben.« Timo riss Liesa aus ihren Gedanken.

»Was?«

»Das Ding muss Platz schaffen für Neues. Hier soll doch ein Gewerbegebiet entstehen. Die Anbindung ist ideal.« Er zeigte hinter sich in Richtung der A 2, deren Rauschen zu ihnen herüberdrang, und lächelte zufrieden. Timo wirkte mit seinem freudigen Optimismus wie ein großer Junge. Zugegeben, er war ein verdammt kluger und attraktiver großer Junge. Aber heute schien er ungewöhnlich distanziert.

»Gewerbegebiete haben wir schon mehr als genug.« Liesa rollte mit den Augen. So viele Start-ups konnten sich gar nicht gründen, wie die Stadt Bottrop und die Kommunen drum herum schon Flächen und Büroeinheiten bereitgestellt hatten. Es gab so viel Leerstand, auch in der Bottroper Innenstadt, dass bereits Fernsehdokumentationen darüber produziert worden waren. Der Abriss dieses Fördergerüsts würde die wirtschaftlichen Probleme der Stadt, des gesamten Ruhrgebiets und dieser Zeit sicher nicht lösen. »Es ist wichtig, um sich zu erinnern, woher wir kommen, also die ganze Region.«

»Finde den Fehler!« Timo rückte seine Brille zurecht.

Liesa konnte ihren Blick nicht abwenden. Etwas an dem Teil war seltsam.

»Das mit dem Bergbau, also die Zeiten sind doch vorbei. Wir sind schon längst am Ende des Strukturwandels angekommen.«

»Ist das so? Die Geschichte kann man doch nicht einfach wegwischen. Ohne den Bergbau wäre die Region noch immer ein Haufen von Dörfern und...

mehr