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Erzähl's nicht deinem Bruder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am26.07.2023
Itamar, ein äußerst gutaussehender Mann, lebt in den USA und kommt jedes Jahr zurück nach Israel, um seinen Bruder Boas zu sehen. Wie es ihre Tradition ist, verbringen die Brüder einen Abend zusammen, trinken und erinnern sich an die Eltern. Doch diesmal erzählt Itamar Boas von seiner Nacht mit einer Frau, die ihn in ihr Haus zwischen Olivenhainen gelockt und in ein vertracktes erotisches Spiel verwickelt hat. Eine überraschende Geschichte über Familie und Verstrickung, Liebe und Sehnsucht, Schönheit und Einsamkeit, Begehren und Widerstreit.

Meir Shalev (1948-2023) wuchs im Moschaw Nahalal in der Jesreel-Ebene auf, studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator, ehe er mit vierzig Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Er wurde mit Büchern wie ?Judiths Liebe? oder ?Der Junge und die Taube? zu einem der bekanntesten und beliebtesten israelischen Romanciers und erhielt 2006 den Brenner Prize, die höchste literarische Auszeichnung in Israel.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextItamar, ein äußerst gutaussehender Mann, lebt in den USA und kommt jedes Jahr zurück nach Israel, um seinen Bruder Boas zu sehen. Wie es ihre Tradition ist, verbringen die Brüder einen Abend zusammen, trinken und erinnern sich an die Eltern. Doch diesmal erzählt Itamar Boas von seiner Nacht mit einer Frau, die ihn in ihr Haus zwischen Olivenhainen gelockt und in ein vertracktes erotisches Spiel verwickelt hat. Eine überraschende Geschichte über Familie und Verstrickung, Liebe und Sehnsucht, Schönheit und Einsamkeit, Begehren und Widerstreit.

Meir Shalev (1948-2023) wuchs im Moschaw Nahalal in der Jesreel-Ebene auf, studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator, ehe er mit vierzig Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Er wurde mit Büchern wie ?Judiths Liebe? oder ?Der Junge und die Taube? zu einem der bekanntesten und beliebtesten israelischen Romanciers und erhielt 2006 den Brenner Prize, die höchste literarische Auszeichnung in Israel.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257614060
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum26.07.2023
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse963 Kbytes
Artikel-Nr.11774590
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Mein Name ist Itamar Diskin. Ich bin 1945 in Jerusalem geboren und lebe schon seit fünfunddreißig Jahren in den Vereinigten Staaten. Jedes Jahr komme ich für einige Wochen auf Besuch nach Israel, immer im Frühherbst, miete ein Auto und übernachte in einem Hotel am Meer. Nicht in Tel Aviv, wo Boas und Maya wohnen, sondern in Herzliya oder Netanya.

Maya grummelt: »Warum nimmst du unsere Einladung nicht an und wohnst bei uns? Wir sind deine ganze Familie.« Aber ich beharre darauf. Ich möchte die beiden nicht mit den nächtlichen Gewohnheiten des alten Junggesellen stören, der ich über die Jahre geworden bin: Schlafengehen »mit den Hennen« und Aufwachen »mit den Hähnen«, zumal nach einem Flug aus den USA, Musikhören zu den verrücktesten Nachtstunden, mitternächtliches Eiswürfelklirren im Shaker und im Glas, nächtliche Betätigung der Klospülung, Rausgehen zum Morgenlauf und schnaufende Rückkehr.

Auch in Amerika jogge ich jeden Morgen, und wenn ich in Israel bin, schwimme ich gegen Abend noch im Meer. So auch dieses Mal. Bei meiner Rückkehr vom Strand strömten drei junge Frauen und zwei junge Männer in knappen, tropfenden Badesachen zu mir in den Hotelfahrstuhl, drängten sich lärmend rein wie bei euch hier üblich, Boas. Ich drückte meine Badetasche an die Brust, aber ein Tropfen, der an der Nasenspitze eines der Kerle hing - Wasser? Schweiß? -, schwoll an, schwankte, und wie in Zeitlupe - die ich auch im Kino zum Kotzen finde - fiel er runter, prallte auf meinen Fuß, lief über meine Haut und verschwand wie davon aufgesaugt.

Eine der jungen Frauen fixierte mich und fragte: »Sag mal, bist du nicht ein Filmschauspieler? Kann es sein, dass ich dich mal im Kino gesehen habe?«

Ich setzte das beste Hollywood-Lächeln auf, das ich zuwege brachte, und antwortete in meinem amerikanischsten Englisch, dass ich nicht Hebräisch spräche. Ich hörte sie gerade noch darüber rätseln, wer ich sein könnte, da hielt der Fahrstuhl schon auf meiner Etage. Ich schlängelte mich raus, steuerte geradewegs mein Zimmer an und ging unter die Dusche.

Lange stand ich unter dem Wasserstrahl. Reinigte mich von dem Lärm der Worte und dem Schmutz des Tropfens, wusch Sand und Salz des Meeres ab. Beim Anziehen überlegte ich, ob ich mich zum Abendessen bei Boas und Maya einladen oder mir einfach nur etwas aufs Zimmer bestellen sollte, und nickte schließlich - verwirrt vom Zeitunterschied zwischen meinem Wohn- und meinem Heimatland - bekleidet auf dem Bett ein.

Ich schlief kurz und schlecht, und als ich aufwachte, war es bereits dunkel im Zimmer. Im ersten Moment begriff ich nicht, wo ich war. Ich kam hoch, setzte die Brille auf, blickte aus dem Fenster und sah in der Nähe Männer und Frauen vor einer Bar stehen, trinken, reden, aus und ein gehen. Lachen schallte von dort, nicht zu laut, sondern entspannt und freundlich, wie die Stimmen alter Bekannter.

Meine Kleider waren von dem kurzen Schlaf ganz zerknittert. Ich zog mich um, musterte mich im Spiegel, fuhr mit demselben Fahrstuhl wieder runter - erleichtertes Aufatmen: Jemand hatte bereits den Boden aufgewischt - und ging dorthin.

 

Die Bar war klein und angenehm, eine richtige Kiez-Kneipe. Durch den Zigarettenqualm, die süßlichen Parfüms und penetranten Rasierwasser, die Frauen und Männer gern auf ihre Mitmenschen loslassen, drangen liebliche Düfte nach gutem Essen. Sie hingen so in der Luft, wie Essensdüfte es tun sollen: wie die Farben einer Flickendecke, einander berührend, aber nicht verfließend.

»Bist du sicher, dass dort geraucht wurde?«, hakte Boas nach. »Bei uns in Israel ist Rauchen in Restaurants verboten.«

Boas hat viele Jahre in der Marine gedient. War ein Chief, ein Maschinenraumofâfizier in der U-Boot-Flotte. Der Dienst dort, hat er mir mal erzählt, erforderte von ihm, auf alle Einzelheiten zu achten, genau hinzuhören und hinzusehen. Unter dem Meeresspiegel verhindert diese Eigenschaft Unfälle und rettet Leben. Doch über dem Wasser, auf einem Hotelbalkon, bei Delikatessen und der zweiten Flasche Boukha-Schnaps, wirkt sie lächerlich.

»Boas, du bist jetzt nicht auf deinem U-Boot«, sagte ich. »Such nicht auch in meiner Geschichte nach Lecks und Defekten.«

»Reg dich nicht auf«, beschwichtigte er.

»Ich habe dir ja gesagt, die Geschichte ist vor zwanzig Jahren passiert. Damals durfâte man in Bars und Restaurants noch rauchen.«

»Zwanzig Jahre? Das ist ein Jahr nach Mutters Tod«, stellte er fest.

»Stimmt. In dem Jahr bin ich zweimal hergekommen, im Herbst wie immer und dann nochmals im Frühling, zu ihrem ersten Todestag.«

 

Die Tische waren alle schon besetzt, aber an der Bar saßen nur zwei Paare. Ich setzte mich in einigem Abstand zu ihnen an die Wand und sah mich um. Mit behutsamen Blicken, die nirgends hängen blieben, gewiss nicht starrten, Blicke, mit denen ein fremder Mann in einem Territorium, das nicht seines ist, die Einheimischen betrachtet. Besonders, wenn er ein aufâfallender Mann ist und weiß, dass auch sie ihn anschauen, ihre Vermutungen anstellen und Geschichten daraus spinnen.

Bald traf mich ein spezifischer Blick aus den Augen einer Frau, die älter war als ich. Ich schätzte sie auf sechzig.

»Wie alt warst du da noch mal?«

»Ich hab dir doch gesagt, es war vor zwanzig Jahren, 1990, also war ich fünfundvierzig.«

Sie saß an einem Ecktisch in Gesellschaft einer jungen Frau. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit hielt ich sie für Mutter und Tochter, ein Gespann, wie man es manchmal sieht: eine strahlende, ältere Mutter und ihre blasse jüngere Ausgabe.

Sie nahm mich immer wieder ins Visier. Oft schon hatte ich diesen prüfenden Blick gesehen. Und obwohl ich ihn kannte, erschauerte ich und nahm die Brille ab. Nicht, um mein Äußeres zu verändern, sondern weil bei so kurzsichtigen Augen wie meinen das Absetzen der Brille die Gesichter der Mitmenschen kontur- und ausdruckslos macht und sie verstummen lässt. Sie schweigen nicht völlig, aber ihr Lärm verebbt, wird zum fernen Rauschen unsichtbarer Wellen.

»Wie wenn Mutter ihr Hörgerät rausgenommen hat«, sagte Boas.

»Bei Mutter war das etwas komplizierter«, erwiderte ich.

Der Barmann kam zu mir. Ich bestellte einen Grappa.

»Die Bruschette gehen aufs Haus«, erklärte er und stellte einen Teller neben mein Glas.

Ich dankte ihm, trank einen Schluck und begann langsam zu essen. Ein paar Minuten später erhob sich die Nebelgestalt der älteren Frau und ging hinter den Tresen. Ihren Gesichtsausdruck konnte ich nicht erkennen, aber Gesten und Haltung verrieten mir, dass sie an der Kasse telefonierte.

Ein kurzes Gespräch, und schon kam sie auf mich zu, wurde immer klarer, löste sich aus den Nebelschleiern.

»Guten Abend«, sagte sie.

»Guten Abend«, gab ich den Gruß zurück. Ich setzte die Brille wieder auf und sagte: »Jetzt erkenne ich Sie auch. Sie sind die Dame, die an dem Tisch dort in der Ecke gesessen hat.«

»Ich bin auch die Wirtin, und Sie sind ein neuer Gast. Ich wollte wissen, ob es Ihnen hier gefällt.« Zu diesen Worten füllte sie mir Grappa nach.

»Ja, sehr«, sagte ich, »danke.«

»Es ist nicht wegen Ihrer schönen Augen. Wir haben noch Happy Hour, da steht Ihnen der zweite Drink zu, und ich hoffe, Sie sind zufrieden und kommen wieder.«

»Wohl leider nicht so bald. Ich lebe nicht in Israel.«

»Darf ich Sie um etwas bitten?«

»Gern«, erwiderte ich.

»Ich bitte Sie, nicht gleich wegzugehen, sondern noch ein Weilchen zu bleiben, denn bald wird eine Frau herkommen, die Sie gern treffen möchte.«

»Ich versteh nicht«, sagte ich. »Hat sie mich hier gesehen? Kenne ich sie?«

»Nein, was bist du naiv«, warf Boas ein. »Die Wirtin hat doch bei der angerufen und erzählt, dass ein gut aussehender Fremder allein an der Bar sitzt und sie sich beeilen soll, ehe eine andere ihn abschleppt. Du hast ja selbst gesagt, dass sie telefoniert hat, bevor sie dich ansprach.«

»Schade, dass du nicht dabei warst, um mir zu sagen, was ich tun soll«, gab ich zurück.

»Die Betreffende ist nicht hier und hat Sie nicht gesehen«, antwortete die Wirtin. »Ich habe Sie gesehen und ihr am Telefon geraten herzukommen.«

»Genau, was ich gesagt habe«, erklärte Boas. »Vielleicht solltest du doch auf deinen Bruder hören.«

»Nicht, weil du so klug bist, Boas«, sagte ich. »Jene Nacht war einfach sehr wirr für mich, wie du noch verstehen wirst, aber ich präsentiere sie dir als Geschichte, und Geschichten ordnen die Wirklichkeit.«

»Ist mir zu hoch«, sagte er. »Ich bin ein einfacher Mensch. Ein Ingenieur. Kein Mann der Geschichten, sondern einer der Planskizzen, der Materialstärken, der menschlichen Stärken vielleicht auch ein bisschen, aber vor allem der Druck-, Zug- und Antriebskräfte.«

 

»Ist das ein Dienst, den Sie allen Gästen anbieten?«, fragte ich sie.

»Gute Frage«, sagte Boas. »Und ich errate schon, worauf diese Geschichte hinausläuft. Vermutlich liege ich in ein paar Minuten bereits unter dem Bett von dir und von der, die dich kennenlernen wollte, und kriege ein paar Brosamen ab, die herunterfallen.«

»Nein«, antwortete die Wirtin, »wir kennen uns schon viele Jahre und stehen uns nahe. Früher war ich die jüngere Freundin ihrer Mutter, heute bin ich ihre ältere Freundin, und ich wollte ihr eine Freude machen. Ein fremder Mann, der sehr gut aussieht, sitzt allein bei mir in der Bar und trinkt Grappa. Du solltest kommen und ihn...
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Meir Shalev (1948-2023) wuchs im Moschaw Nahalal in der Jesreel-Ebene auf, studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator, ehe er mit vierzig Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Er wurde mit Büchern wie >Judiths LiebeDer Junge und die Taube