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Landkrank

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
122 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am12.02.2024Deutsche Erstausgabe
»Bruno Latour riet mir: Es ist wichtig, Nikolaj Schultz zu lesen. Er hatte recht.« Hans Ulrich Obrist

Hitzewelle in Paris. Nachts liegen die Menschen schlaflos in verschwitzten T-Shirts unter ihren Zinkdächern. Soll man nicht besser die Klimaanlage anschalten? Oder macht das alles noch schlimmer? Und was ist eigentlich mit dem billigen T-Shirt, das über Tausende Kilometer nach Europa geschafft wurde? Der Autor bekommt Panik, will den Temperaturen und seinem schlechten Gewissen entfliehen. Er macht sich auf nach Porquerolles. Doch auch die Insel ist nicht länger unberührt, sondern ein überlaufenes Touristenziel. Im Sommer ist das Wasser knapp. Die ikonische Plage d'Argent wird von den Einheimischen nur noch »Bakterienstrand« genannt - wie in einem Prozess der umgekehrten Alchemie wird aus Schönheit Schmutz, aus Silber Dreck.

Nikolaj Schultz' Erlebnisse und Begegnungen werfen existenzielle Fragen auf: nach der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen, nach ethischer und ökologischer Orientierung im Anthropozän. Seine Antworten sind nicht immer tröstend, aber er findet Einsichten und einen Ton, der ihn zur Stimme einer Generation machen könnte.


Nikolaj Schultz, geboren 1990 in Aarhus, ist Soziologe. Er forscht an der Universität Kopenhagen und war bis zu dessen Tod einer der engsten Mitarbeiter Bruno Latours. Gemeinsam publizierten sie in der edition suhrkamp Zur Entstehung einer ökologischen Klasse. Ein Memorandum (2022).
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

Klappentext»Bruno Latour riet mir: Es ist wichtig, Nikolaj Schultz zu lesen. Er hatte recht.« Hans Ulrich Obrist

Hitzewelle in Paris. Nachts liegen die Menschen schlaflos in verschwitzten T-Shirts unter ihren Zinkdächern. Soll man nicht besser die Klimaanlage anschalten? Oder macht das alles noch schlimmer? Und was ist eigentlich mit dem billigen T-Shirt, das über Tausende Kilometer nach Europa geschafft wurde? Der Autor bekommt Panik, will den Temperaturen und seinem schlechten Gewissen entfliehen. Er macht sich auf nach Porquerolles. Doch auch die Insel ist nicht länger unberührt, sondern ein überlaufenes Touristenziel. Im Sommer ist das Wasser knapp. Die ikonische Plage d'Argent wird von den Einheimischen nur noch »Bakterienstrand« genannt - wie in einem Prozess der umgekehrten Alchemie wird aus Schönheit Schmutz, aus Silber Dreck.

Nikolaj Schultz' Erlebnisse und Begegnungen werfen existenzielle Fragen auf: nach der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen, nach ethischer und ökologischer Orientierung im Anthropozän. Seine Antworten sind nicht immer tröstend, aber er findet Einsichten und einen Ton, der ihn zur Stimme einer Generation machen könnte.


Nikolaj Schultz, geboren 1990 in Aarhus, ist Soziologe. Er forscht an der Universität Kopenhagen und war bis zu dessen Tod einer der engsten Mitarbeiter Bruno Latours. Gemeinsam publizierten sie in der edition suhrkamp Zur Entstehung einer ökologischen Klasse. Ein Memorandum (2022).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518779385
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum12.02.2024
AuflageDeutsche Erstausgabe
Seiten122 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1675 Kbytes
Artikel-Nr.12533215
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


7Vorwort

Von Luisa Neubauer


Als Klimaaktivistin beantworte ich viele Fragen, in gewisser Weise ist das Teil meines Jobs. Der Welt fehlen Antworten, und die Klimabewegung macht sich auf die Suche.

Keine Frage wird mir so oft gestellt wie die nach dem Klick.

Diese Frage wird nicht nur mir gestellt. Wer sich auch nur im Entferntesten mit Klimaschutz oder Umweltfragen beschäftigt, kennt sie. Alle wollen wissen, wann es klick gemacht hat.

Eine Weile lang habe ich diese Frage immer und immer wieder gewissenhaft beantwortet. Etwa so: Es war 2015, ich war neunzehn Jahre alt und durfte mit einer Jugendgruppe nach Tansania reisen. Das Ganze war ein Austauschprogramm der evangelischen Kirchengemeinde aus meinem Stadtteil, ich war endlos aufgeregt. Während unseres Aufenthaltes sollte etwas Bahnbrechendes passieren: Gemeinsam mit den Jugendlichen aus dem Dorf durften wir die bomba la maji einweihen, das ist Swahili und heißt »Wasserleitung«. Für diese Wasserleitung hatten wir in unserem Stadtteil jahrelang Spenden gesammelt, Waffeln verkauft, Flohmärkte veranstaltet. Erstmals würde das kleine Bergdorf Lupalilo einen Wasseranschluss bekommen. Die täglichen Wege zum 8Brunnen würden wegfallen, es würde die Frauen und Mädchen entlasten - die waren vorrangig für die Wasserbeschaffung verantwortlich -, es würde Krankheiten vorbeugen, die sonst durch verdrecktes Trinkwasser verbreitet würden. Bahnbrechend.

Das halbe Dorf begleitete uns, als wir unter der brennenden Sonne loszogen, ganz nach oben zur Wasserquelle. Auf einem kleinen Pfad stapften wir durch den Urwald einen Berg hinauf, kreuzten kleine Wasserfälle, kletterten über umgefallene Bäume und Gestrüpp. Für das Dorf würde sich mit der bomba la maji die Welt verändern, da waren wir uns sicher.

Heute reflektiert man solche Entwicklungsprojekte im postkolonialen Kontext, damals haben wir das nicht gemacht. Von der Idee bis zur Umsetzung lag alles in der Hand der Gemeinschaft vor Ort, wir steuerten lediglich das Geld bei. Mir kam das ziemlich fair vor.

Wir blinzelten gegen die Sonne, als wir aus dem Wald heraustraten.

Unsere Blicke suchten die Lichtung nach der Quelle ab, hier müsste sie sein. Als wir sie entdeckt hatten, versammelten wir uns in einem großen Kreis rund um das kleine Wasserbecken, das man dort gebaut hatte, wo das Wasser aus dem Berg sprudeln sollte.

Nur - es sprudelte nicht. Alles, was ich sah, war ein kleines Rinnsal. Vorne tröpfelte es in das Wasserbecken hinein, und am anderen Ende floss es kaum sichtbar in die Rinne Richtung Dorf. Ich verstand nicht. Dieses Wasser sollte ein ganzes Dorf versorgen? Ich blickte verwirrt in die Runde.

»Siehst du das?«, fragte mich eine junge Frau aus dem 9Dorf und zeigte auf ein Feld, etwas weiter unten am Hang vor uns. Ich nickte. »Das war mal unser größtes Weizenfeld.« Ich nickte noch einmal. »Seit ein paar Jahren regnet es nicht mehr, nicht mehr so wie früher. Und es ist wärmer geworden. Es kommt weniger Wasser aus der Quelle. Und von dem Wasser, das kommt, müssen wir immer mehr für die Felder nutzen. Sonst wächst der Weizen nicht.« Ich guckte die Frau an, ich guckte zur Quelle, ich guckte zum Feld.

Klick.

Ich konnte es nicht fassen. Da hatte man jahrelang alles gegeben, damit eine Wasserleitung die kleine Welt von Lupalilo verändern kann. Aber die große Welt war schneller gewesen. Klick. Ich dachte an all die ehrgeizigen Projekte, die man überall in der Welt umsetzen wollte, damit Mädchen zur Schule gehen können, damit der Hunger beendet wird, damit Menschen gesünder würden, ich dachte daran, dass so viele von diesen Vorhaben nicht mithalten würden können mit der Welt und dem Klima, das uns allen voraus war. Klick. Ich dachte daran, dass es nicht die Emissionen aus Lupalilo oder Tansania oder Afrika waren, die das Wetter und das Klima veränderten. Es waren unsere Emissionen, aus Industrienationen wie Deutschland. Klick, klick, klick.

Die Sonne brannte weiterhin auf unsere Gesichter, um mich herum war eine technische Diskussion rund um die Statik des Wasserbeckens entbrannt. Einige Leute lachten laut, sie machten jetzt Gruppenfotos neben dem Wasserbecken. Ich hätte heulen können.

Wenige Monate später würde die Weltgemeinschaft in Paris ein Klimaabkommen unterzeichnen. Das konnte 10ich nicht wissen. Dort oben auf dem großen Berg neben dem kleinen Dorf hatte ich das Gefühl, ein Ende der Welt gesehen zu haben.

Dutzende Male habe ich von diesem Moment berichtet, in Zeitungen und im Fernsehen, in Podcasts und Büchern. Die Fragenstellenden verlangten nach dem einen Moment der ökologischen Kehrtwende in meinem Leben. Meine Erfahrungen im tansanischen Hochland hatten alles, was es für eine Antwort brauchte: eine gute Geschichte, weite Ferne, einen bewegenden Augenblick, Symbolik. Natürlich wusste ich die ganze Zeit, dass das nicht der einzige Moment war, in dem ich dachte, dass da was mit dem Klima nicht stimmt. Es war einer der vielen Momente, der mir sinnbildlich vorkam und sich gut erzählen ließ, besser als die verschlungenen Gedanken, die man sich sonst so macht. Auf der Suche nach einer guten Antwort auf die Klick-Frage wurde dieser Ausflug zu meiner Geschichte.

Warum wird die Klick-Frage so wichtig genommen? Woher kommt der Wunsch, das eigene Verhältnis zum Planeten an einem einzelnen Moment festzumachen? Und: Was sagt das über ebendieses Verhältnis?

Machen wir einen kurzen Ausflug, diesmal nicht in die Höhen Ostafrikas, nein, das Kontrastprogramm. Wir spazieren zusammen zu einem See, einem Durchschnittssee, wie wir ihn alle kennen, zum Baden im Sommer, früher zum Schlittschuhlaufen, heute zum Spazierengehen am Sonntag oder zum Spielen mit dem Hund. Es ist ein banaler, ein maximal unauffälliger, gar irrelevanter Augenblick.

Die Seeoberfläche ist glatt, Bäume am Ufer werfen 11Schatten auf das Wasser. Ein paar Enten kreuzen den See, der Wind rauscht in den Blättern. Haben Sie den See vor Augen? Gut. Jetzt gucken Sie einmal hinunter, auf Ihre Füße, wir stehen auf nassem Gras am Ufer des Sees, die Schuhe sind ein bisschen dreckig von der feuchten Erde, mit den Zehen erfühlen wir den Boden unter uns. Von dort lassen wir den Blick einmal nach vorne zum See wandern und weiter nach oben in den Himmel, knallblau, die Luft ist winterklar. Jetzt atmen Sie einmal tief ein, die Stimmung, die Luft, das Wasser, halten den Atmen an ... - und atmen aus, hinein in den Moment, Richtung See, Richtung Enten, in die Ferne. Ruhe zieht ein, in den Moment, in unsere Körper.

Es gibt ein Sprichwort, ich glaube, es kommt aus dem Buddhismus. Es geht in etwa so: Deinen Atemzug teilst du mit dem Baum neben dir. Was du ausatmest, atmet er ein. Was du einatmest, hat er ausgeatmet.

Biochemisch ist das nichts anderes als Photosynthese. Lebensweltlich gesprochen ist es aber alles, was wir wissen müssen, um zu verstehen, dass die Suche nach dem Klick im Kern etwas ganz anderes ist: die Erkenntnis, wie weit wir uns schon entfernt haben von der Welt.

Kein Mensch würde auch nur einen Tag überleben, würden nicht Abermillionen Lebewesen auf der Welt dafür sorgen, dass Sauerstoff zum Atmen da ist, Wasser gefiltert wird, Boden fruchtbar wird, um Nahrung anzubauen. Und all das sehen wir vor uns, jeden Tag. Wir sehen es im Regen, der im Boden versiegt und an anderer Stelle an die Oberfläche tritt, damit wir ihn trinken können. Wir sehen es überall in den Blättern der Bäume, die unseren Sauerstoff bereitstellen. Wir sehen es jeden 12Tag auf unseren Tellern, wo nur das landet, was durch ein unvorstellbares Zusammenspiel an Lebewesen wachsen und gedeihen konnte. Und wir sehen diese Verbindung zur Welt in jedem Atemzug, mit jedem Blick, den wir schweifen lassen. Würde der See vor uns vermüllt sein, wir hätten Fragen. Würden die Enten, die Tiere fehlen, wir hätten Fragen. Würden die Bäume absterben, das Schilf vertrocknen, wir hätten Fragen.

Bei den meisten Veranstaltungen und Demonstrationen, zu denen ich gehe, kommen auch Kinder. Überhaupt scheinen Kinder, das zeigen auch Umfragen, bemerkenswert klar auf die Umwelt zu schauen. Sie sind es, die sich über Müll und Plastik beschweren, die nicht verstehen können, wenn immer mehr...
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Autor

Nikolaj Schultz, geboren 1990 in Aarhus, ist Soziologe. Er forscht an der Universität Kopenhagen und war bis zu dessen Tod einer der engsten Mitarbeiter Bruno Latours. Gemeinsam publizierten sie in der edition suhrkamp Zur Entstehung einer ökologischen Klasse. Ein Memorandum (2022).