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Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
348 Seiten
Deutsch
Athena Verlagerschienen am27.03.20141., Aufl
Eigentlich wollte Motiejus, ein Lebenskünstler in den Vierzigern, nur mit dem Bus von Zverynas nach Uzupis fahren - zwei Stadtteile der litauischen Hauptstadt Vilnius, die durch die Linie 11 miteinander verbunden sind. Während Zverynas eher kleinbürgerlich-spießig ist, entwickelt sich das ärmliche Uzupis seit der Wende immer mehr zum Magneten für Künstler und Bohemiens. Auch Motiejus' Freundin Nabe, von ihm liebevoll 'Schlafmaus' genannt, träumt davon, in Uzupis einen Literatursalon zu eröffnen. Hervorragend geeignet wäre die 'Blanchisserie', eine ehemalige Wäscherei am Flussufer, die inzwischen jedoch hoffnungslos heruntergekommen ist. Und was eigentlich eine Wohnungssuche werden sollte, entwickelt sich für Motiejus und seine Freunde zu einer abenteuerlichen Fahrt durch das im Aufbruch befindliche Litauen, zu einer Reise durch die Zeit und zu einem bunten Karneval skurriler Ereignisse ...

Jurgis Kuncinas (geboren 1947 in Aly­tus, gestorben im Dezember 2002 in Vilnius), Lyriker, Prosaschriftsteller, Essa­yist und Übersetzer. Er studierte Germanistik an der Universität Vilnius, wurde aber zwangsexmatrikuliert. Nach seinem Wehrdienst arbeitete er als Übersetzer und schlug sich mit Gelegen­heitsjobs durch. Seit 1983 war er freischaffend als Schriftsteller und Übersetzer (u. a. Dürrenmatt, Borchert, Böll, Bachmann, Brussig, Grass) tätig. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 1993 für seinen Roman 'Tula' den Preis des litauischen Schriftstellerverbandes für das beste Buch des Jahres.
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Verfügbare Formate
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Produkt

KlappentextEigentlich wollte Motiejus, ein Lebenskünstler in den Vierzigern, nur mit dem Bus von Zverynas nach Uzupis fahren - zwei Stadtteile der litauischen Hauptstadt Vilnius, die durch die Linie 11 miteinander verbunden sind. Während Zverynas eher kleinbürgerlich-spießig ist, entwickelt sich das ärmliche Uzupis seit der Wende immer mehr zum Magneten für Künstler und Bohemiens. Auch Motiejus' Freundin Nabe, von ihm liebevoll 'Schlafmaus' genannt, träumt davon, in Uzupis einen Literatursalon zu eröffnen. Hervorragend geeignet wäre die 'Blanchisserie', eine ehemalige Wäscherei am Flussufer, die inzwischen jedoch hoffnungslos heruntergekommen ist. Und was eigentlich eine Wohnungssuche werden sollte, entwickelt sich für Motiejus und seine Freunde zu einer abenteuerlichen Fahrt durch das im Aufbruch befindliche Litauen, zu einer Reise durch die Zeit und zu einem bunten Karneval skurriler Ereignisse ...

Jurgis Kuncinas (geboren 1947 in Aly­tus, gestorben im Dezember 2002 in Vilnius), Lyriker, Prosaschriftsteller, Essa­yist und Übersetzer. Er studierte Germanistik an der Universität Vilnius, wurde aber zwangsexmatrikuliert. Nach seinem Wehrdienst arbeitete er als Übersetzer und schlug sich mit Gelegen­heitsjobs durch. Seit 1983 war er freischaffend als Schriftsteller und Übersetzer (u. a. Dürrenmatt, Borchert, Böll, Bachmann, Brussig, Grass) tätig. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 1993 für seinen Roman 'Tula' den Preis des litauischen Schriftstellerverbandes für das beste Buch des Jahres.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783898968560
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum27.03.2014
Auflage1., Aufl
Reihen-Nr.12
Seiten348 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1538 Kbytes
Artikel-Nr.12565208
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
1;Erster Teil: Glis, Glis;5
2;1;6
3;2;32
4;3;56
5;4;100
6;5;130
7;6;132
8;Zweiter Teil: Grand Trix;151
9;1/10;152
10;2/10;164
11;3/10;177
12;4/10;191
13;5/10;204
14;6/10;213
15;7/10;226
16;8/10;239
17;9/10;250
18;10/10;254
19;Dritter Teil: Blanchisserie;258
20;1;259
21;2;275
22;3;292
23;4;315
24;5;336
25;Zur Aussprache des Litauischen;358
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Leseprobe
1

Ich saß in einem schäbigen Straßencafé in v?rynas. Die Pfützen reflektierten den fahlen Himmel, und in meiner Kaffeetasse spiegelte sich mein heiteres, jedoch von niemandem geliebtes Gesicht. Die Meise, die sich auf dem Plastiktisch niedergelassen hatte, wollte mir etwas vortragen, rutschte aber in einer Kaffeelache aus, stibitzte noch rasch ein Bröcklein Käse und schwirrte auf und davon.

Ich hatte vor, mich heute auf den Weg hinüber nach Uupis zu begeben, um dort für Nab? eine Höhle zum Überwintern aufzutreiben, das hatte ich ihr nämlich versprochen. Sie wollte eine billige, aber separate Wohnung, um dort ihre Gäste empfangen zu können, darunter manchmal auch mich. Ihr großer Traum war, einen legalen Literatursalon aufzuziehen - jetzt war ja alles legal! -, mit künstlerischen Darbietungen, echten Klageliedern, Blut und Tränen. Es würde verrückt, aber interessant werden, hatte sie gesagt. Ich hatte ihr kein Wort geglaubt, ihr jedoch versprochen, nach Uupis zu fahren. Dazu hatte ich alle Zeit der Welt, und natürlich würde ich nicht zu Fuß gehen. Ich hätte jetzt zwar mit der Obuslinie 3 bis zur Kathedrale fahren können, aber die Busse waren um diese Zeit noch brechend voll.

Tecka, der Bürgermeister von v?rynas, setzte sich zu mir an den Tisch, stürzte in zwei Zügen seinen Kaffee hinunter und eilte wieder davon, schaffte es aber in der kurzen Zeit noch, mir mitzuteilen, dass am Tag zuvor Ogoniokas hungers gestorben sei. Ich glaubte ihm: Vor nicht allzu langer Zeit war dieser noch an meinem Fenster erschienen und hatte mich gebeten, ein Buch von Gercen zu kaufen: »Das wird dir nützen!« Er war aufgedunsen und gelblich wie der Mond im Nebel gewesen, arbeiten konnte er nicht, stehlen kam auch nicht in Frage, und so war er gestorben, obwohl ich ihm ein halbes Brot und ein Stück gekochtes Rindfleisch gegeben hatte.

Aber nun war es höchste Zeit zu verschwinden: ?igonas war im Anmarsch, bestimmt würde er mich um einen halben Litas anpumpen. Und auf der anderen Straßenseite hing Golosa?ius herum, garantiert würde er mich fragen: »Wie wär's mit 'nem Bier?« Ich musste noch nach Hause laufen und mir andere Schuhe anziehen, bei den vielen Pfützen! Und dann würde es wohl am einfachsten sein, gegenüber vom Zeitungskiosk auf den Bus der Linie 11 zu warten und an zahlreichen idiotischen Ampeln erst am Fluss entlang und dann an der St.-Anna-Kirche und an der Bernhardinerkirche vorbeizufahren, bis zu meinem Ziel, nach Uupis, dem Paradies des gepantschten »Royal« und des »Ameisenspiritus«, das Lieblingsgetränk der so genannten Kunstmenschen.

Vor meinem inneren Auge sehe ich mich schon auf diesem gewundenen Pfad: Auf der einen Seite steht die Akademiebibliothek, und durchs Busfenster fällt der Blick nicht nur auf ein Chinarestaurant, sondern auch auf das »Ei des Philosophen«, eine meisterhafte Plastik aus glatt poliertem Stein; der Künstler hat irgendwann zugegeben, dass nur die Rüstungsindustrie in der Lage sei, einen Labrador so abzuschleifen. Vielleicht sollte ich mich leicht davor verneigen, aber der Bus klappert und wackelt ständig, während er über die Kreuzungen im Herzen von Vilnius fährt, der Stadt des Gediminas. Auf dem Ungetüm von Fahrzeug steht, wo es herkommt: Es ist ein Geschenk der Stadt Oslo an unsere heruntergekommene Metropole. Man entsinne sich der vergleichenden Sprachwissenschaft, die Beschriftungen machen die Zugehörigkeit des Norwegischen zur germanischen Sprachgruppe deutlich: »Udgang« bedeutet das Gleiche wie deutsch »Ausgang«. Übrigens kann man in den Bussen, die uns die Deutschen geschenkt haben, gleich auch noch Griechisch und Türkisch lernen, die dortigen Gastarbeiter sollen schließlich wissen, wie hoch die Bußgelder in Deutschland sind! So viel zum Thema Sprachen und Sprachwissenschaft.

Indessen brennt es nirgends, und ich habe wirklich genug Zeit. Literatursalons können über Jahrzehnte hinweg schöpferisch tätig sein, aber man redet erst über sie, wenn definitiv der letzte ihrer Dichter das Zeitliche gesegnet hat. Ich werde das nicht mehr erleben, sie sind alle noch jung, und es besteht keine Veranlassung zur Eile. Also kümmere ich mich lieber um mein Hemd, das ich wieder in die Hose gestopft habe, und überlege, ob ich Triks?, genannt Grand Trix, anrufen soll und sie frage, was Mäusespeck auf Dänisch oder auf Norwegisch heißt, so etwas weiß sie bestimmt. Außerdem muss ich meine Hose zumachen, den Fensterladen fest schließen, die nicht vorhandenen Gänse füttern und frisches Wasser aus dem Brunnen holen. Da sind lebende Salamander drin, die die ergraute Pania »Jaszczericy« nennt, obwohl unter dem Grundwasserspiegel von v?rynas vermutlich eher irgendwelche Blutegel leben. Ich glaube, dass sie gesundem Denken nicht abträglich sind und vielleicht ganz nebenbei sogar helfen, den Blutdruck zu senken. Wie sie sich wohl vermehren?

Das kalte Wasser tut gut, besonders wenn man ein bisschen verkatert ist, und so wird es hoffentlich auch diesmal seine Wirkung tun. In dieser Hinsicht ist der Bus wirklich ein sicherer Ort, es gibt dort nicht einmal ein Büfett, allerdings bietet einem dort ab und zu jemand etwas an. Neulich war es die sympathische Dozentin Onega Magirdas; sie trinkt selbst nichts, schleppt aber immer eine Flasche Kräuterschnaps »Trejos devynerios« oder »Bittnerio balzamas« mit sich herum, und wer ganz lieb »bittebitte« sagt, bekommt einen Schluck, sogar Hoffnungsträger unter den Studenten wie Nab? oder Bul Bul.

Dann schiebe ich mich auch schon mit dem Bus Nr. 11 über die Brücke von Uupis, gleich beim »T?vo kapas«, und da sehe ich mit eigenen Augen das Schild, das durch einige Schichten Putz fragmentarisch wieder zum Vorschein gekommen ist und mir noch zum Verhängnis werden soll. Man erkennt Bruchstücke älterer Inschriften: »Blanchisserie« * »Waschanstalt« * »Uin« * »Obed«[1], und da weiß man, dass man wirklich in Uupis ist.

Grau ist dieses Uupis und ärmlich, aber Kunstmenschen sind sensibel und haben eine lebhafte Phantasie, und so stellen sie sich vor, dass keine hundert Jahre mehr vergehen werden, bis … Lass gut sein, alter Knabe! Farbe gibt es in Uupis immer weniger, das Haus von Tula hat man in eine ungemütliche Werkstatt umgewandelt, die Leichenhalle ist in die Nordstadt verlegt worden, und die onkologischen Schlachthöfe heißen jetzt »Klinik zur Krebsvorsorge«. Trotzdem zieht es alle hierher, ich verstehe nicht ganz warum. Mir wird dieser Stadtteil immer fremder, und ich finde es ziemlich verlogen, wenn man um übel riechende Buden, um ödes, brachliegendes Gelände, das nur noch als Flohmarkt genutzt wird, oder um bankrotte Tante-Emma-Läden, Kaschemmen und nach Mäusen riechende Keller und Dachböden trauert. Alle Neuerungen wirken in diesem Uupis wie unheimliche Fremdkörper oder Prothesen, mehr als anderswo. Und umso heftiger jammern die Kunstmenschen, werden wütend und lutschen an dem süßlichen, feuchten Wort »Melancholie« wie an einer weichen Pflaume. Ach, immer dieser Dürer: Diesmal ähnelt er dem lockigen Künstler aus Bulgakovs Stück über Molière …

Dann kommen auch schon Haltestellen, Staub, Strumpfwirkereien und Friedhöfe, Dämmerungsimpressionen wie auf alten Fotografien von J?zus M. Auf der Straße rollt sein »Wagen der Intelligenten« entlang, mit bis zum Straßenpflaster herunterhängenden Stangen und einem flink rennenden Schwein; alle wirken so, als bewegten sie sich und als seien sie in Eile … Blendend weiße Möwenscheiße auf den buckligen Steinen in der Vilnia, hat nicht irgendjemand gesagt, dass Tenöre sie äßen … Ständige Attribute von heimlichem Herzeleid und vermeintlicher Nostalgie, süße Hoffnungslosigkeit und heiße Blasen auf schwieliger Haut, von jungen Nesseln und von fettem Ungeziefer …

Wo blieb bloß dieser Bus?

Ob Ogoniokas wohl jemals in Uupis gewesen ist? Golosa?ius hatte ich dort schon einmal mit eigenen Augen gesehen, Maler sind eben mobiler als verhungernde Obdachlose oder Vagabunden, und er war sogar schon einmal im nördlichen Vorort Jeruzal?.

Der Bus war tatsächlich ein Geschenk der Stadt Oslo, noch glänzend, würdig und mit ledernen Schlingen zum Festklammern für angetrunkene Fahrgäste; solche Schlingen waren fast die einzige Erinnerung, die mein Vater noch an die Straßenbahn aus seiner Zeit in Petrograd hatte, dann war er nach Litauen zurückgekehrt. Ich setzte mich auf einen Platz an der Tür und bemerkte sofort, dass ich einen meiner Baumwollsocken verkehrt herum trug. Ich ließ mich dadurch nicht aus der Ruhe bringen, aber weil ich die Zeit sinnvoll nutzen wollte, zog ich einen meiner noch ganz weißen italienischen Turnschuhe aus, legte ihn auf den freien Sitz neben mir und machte mich daran, den Socken richtig herum zu wenden.

Man sagt, dass verdrehte Kleider, also auch Socken, kein gutes Zeichen sind, es bedeutet nämlich, dass man sich betrinken wird! Ich verspürte zu diesem Zeitpunkt keinerlei Sehnsucht, mich voll laufen zu lassen, und neben mir waren weder Onega Magirdas mit ihrer Halbliterflasche Schnaps zu sehen noch ?ar?nas Dickas, der inoffizielle Bürgermeister von Uupis, der immer einen Flachmann mit reinem Bourbon bei sich hatte. Während ich also den Strumpf umstülpte, dachte ich voller Herzeleid an dich, Nab?: Wie viele meiner kaum abgetragenen Strümpfe hatte ich dir geschenkt, und du zogst sie kaum an! »Eine Bakkalaureatin der Künste mit blau gefrorenen Waden«, so...
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Jurgis Kuncinas (geboren 1947 in Aly­tus, gestorben im Dezember 2002 in Vilnius), Lyriker, Prosaschriftsteller, Essa­yist und Übersetzer. Er studierte Germanistik an der Universität Vilnius, wurde aber zwangsexmatrikuliert. Nach seinem Wehrdienst arbeitete er als Übersetzer und schlug sich mit Gelegen­heitsjobs durch. Seit 1983 war er freischaffend als Schriftsteller und Übersetzer (u. a. Dürrenmatt, Borchert, Böll, Bachmann, Brussig, Grass) tätig. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 1993 für seinen Roman "Tula" den Preis des litauischen Schriftstellerverbandes für das beste Buch des Jahres.