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Kindesentzug

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
180 Seiten
Deutsch
treditionerschienen am04.01.2023
'Zwangsadoptionen' in der DDR werden emotional-kontrovers diskutiert. Analysierte Einzelfälle und der Blick in ehemalige 'Vertrauliche Verschlußsachen' werden aufzeigen, dass Familien bewusst zerstört wurden, wenn das politisch nützlich war. Aufgezwungene familiäre Auseinandersetzungen, erpresste Adoptionen, ein unverschämter Besitzanspruch auf die Kinder und Indizien für vorgetäuschte Säuglingssterbefälle entlarven das geheim gehaltene 'Doppelgesicht' des SED-Staates. Dieses Buch will den Opfern des DDR-Unrechts helfen und zugleich eine Diskussionsgrundlage für weitere Nachforschungen anbieten.

Dr. Heidrun Budde, geb. 1954 in der DDR, Studium der Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg. Danach Tätigkeit als Justitiarin in der Wirtschaft. Promotion zum Seevölkerrecht. Von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
BuchGebunden
EUR29,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext'Zwangsadoptionen' in der DDR werden emotional-kontrovers diskutiert. Analysierte Einzelfälle und der Blick in ehemalige 'Vertrauliche Verschlußsachen' werden aufzeigen, dass Familien bewusst zerstört wurden, wenn das politisch nützlich war. Aufgezwungene familiäre Auseinandersetzungen, erpresste Adoptionen, ein unverschämter Besitzanspruch auf die Kinder und Indizien für vorgetäuschte Säuglingssterbefälle entlarven das geheim gehaltene 'Doppelgesicht' des SED-Staates. Dieses Buch will den Opfern des DDR-Unrechts helfen und zugleich eine Diskussionsgrundlage für weitere Nachforschungen anbieten.

Dr. Heidrun Budde, geb. 1954 in der DDR, Studium der Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg. Danach Tätigkeit als Justitiarin in der Wirtschaft. Promotion zum Seevölkerrecht. Von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783347783874
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum04.01.2023
Seiten180 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse9363 Kbytes
Artikel-Nr.12574420
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Einzelfälle

Bei der Betrachtung der Einzelfälle soll deutlich werden, dass jeder Aktenvorgang gründlich ausgewertet werden muss. Dabei tun sich Fragen auf, die nicht eindeutig be-antwortet werden können. Die Zerstörung der Familien-struktur erfolgte auf ganz unterschiedliche Art und Weise und der öffentlich zugängliche Teil sagt dazu oftmals nur wenig aus.

Kritisch ist anzumerken, dass der Wahrheitsgehalt dieser nachfolgend ausgewerteten Akten nicht überprüft werden kann. Ob etwas politisch zweckmäßig beschönigt, weg-gelassen oder hervorgehoben wurde, muss unbeantwortet bleiben. Dennoch sind diese Akten, die ich während mei-ner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock finden und auswerten konnte, meiner Meinung nach geeignet, die Vielschichtigkeit der Probleme beim Kindesentzug aufzuzeigen

Vor der Auswertung der Einzelfälle soll zunächst die Rechtslage genauer betrachtet werden, um zu prüfen, ob der Entzug des Sorgerechts juristisch gedeckt war oder politisch willkürlich erfolgte.

Rechtslage zum Kindesentzug

Gemäß § 51 Familiengesetzbuch war ein Entzug des Erziehungsrechts bei schwerer schuldhafter Verletzung der elterlichen Pflichten möglich. Voraussetzung war, dass das Organ der Jugendhilfe eine begründete Klage beim Kreisgericht einreichte. In dieser Klage mussten die schweren schuldhaften Pflichtverletzungen belegt wer-den. Die Kammer für Familienrechtssachen führte danach eine Verhandlung durch, prüfte den Sachverhalt, hörte die Angeklagten/Zeugen an und verkündete am Schluss ein Urteil im Namen des Volkes .

Das Familiengericht hatte in solchen Fällen gründlich zu prüfen, ob die juristischen Voraussetzungen für den Kin-desentzug vorlagen. In einer Richtlinie Nr. 25 des Plenums des Obersten Gerichts zu Erziehungsrechtsentscheidun-gen vom 25. September 1968 wird dazu ausgeführt:

29. Als äußerste Maßnahme kann der Entzug des Erziehungsrechts dann ausgesprochen werden, wenn er zur Gewährleistung einer gesunden, körperlichen, geistigen und moralischen Entwicklung der Kinder unerläßlich ist. Seine Voraussetzungen, schwere schuldhafte Verletzung der elterlichen Pflichten durch den Erziehungsberechtigten und hierdurch eingetretene Gefährdung der Entwicklung der Kinder, sind sorgfältig zu prüfen, da er für die Kinder und die Eltern zu weitreichenden Folgen führt, die in der Regel endgültigen Charakter haben. Eine Begrenzung des Entzuges auf Zeit ist nicht zulässig.

30. Schwere Versäumnisse sind gegeben, wenn die Erziehungsberechtigten den Mindestanforderungen für eine ausreichende körperliche, geistige und moralische Ent-wicklung der Kinder nicht gerecht werden und hierdurch die Vorzüge der Familienerziehung nicht mehr bestehen. Oft werden Maßnahmen des Organs der Jugendhilfe nach § 50 FGB vorangegangen sein, die zu keiner Veränderung im Verhalten der Eltern zu ihren Erziehungs- und Betreuungspflichten geführt haben. Das schließt nicht aus, daß bei besonders schwerwiegenden Versäumnissen, die auch in einer Handlung gesehen werden können (z. B. Straftat gegenüber den Kindern), auch ohne vorherige Maßnahme nach § 50 FGB der Entzug ausgesprochen werden kann.

31. Die schweren Versäumnisse müssen auf einem Ver-schulden des Elternteils beruhen. Er muß nach seinen gei-stigen Fähigkeiten in der Lage sein, seine Pflichten gegen-über den Kindern zu erkennen und gemäß diesen Pflichten zu entscheiden. 8

Unter diesem Blickwinkel werden besonders die Klage-begründungen vor Gericht, die einen Kindesentzug recht-fertigen sollten, von Interesse sein. Wie gründlich wurde hinterfragt, ob die Eltern-Kind Trennung gerechtfertigt und notwendig war?

Ein Brief aus Hamburg

Bei meinen Nachforschungen fiel mir diese Kopie eines Briefes vom 12. August 1976 auf, den eine Frau aus Hamburg an das Büro Office Nations der Vereinten Nationen nach Genf geschickt hatte:

Sehr geehrte Herren,

ich wurde am 1.7.1975 wie viele andere nach 10-monatiger Haft (wegen Arbeitsverweigerung und Staatsverleumdung) aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und durfte mit Identity-Card in die Bundesrepublik ausreisen.

Das Erziehungsrecht für meine beiden Kinder hatte man mir während der Haftzeit entzogen, so daß ich sie nicht mitnehmen konnte. 10,- DM wurden mir für die Reise gelassen.

Von 1961 bis 1973 habe ich in der DDR gelebt und ge-arbeitet und ich sehe nicht ein, daß der Staat einfach alles vereinnahmt. Die DDR schuldet mir ca. 32.000, - Valuta-mark (belegbar durch meinen Arbeits- und Versicherungs-ausweis) und woher nimmt die DDR das Recht, meine Kinder, die ich geboren und für die ich gearbeitet habe, wie Volkseigentum zu behandeln und ihnen Erziehung zu bewußten Staatsbürgern zu verordnen (Urteil des Kreis-gerichts Rostock F 625/74 vom 27.9.74).

Außerdem hat meine Gesundheit durch die Haft und die medizinische Behandlung (wahrscheinlich wurde ich mit Beruhigungsmitteln überdosiert) sehr gelitten und ich bringe in meinem gelernten Beruf als Verkehrskaufmann nicht mehr die gewohnte Arbeitsleistung.

Von der Bundesrepublik habe ich einen Personalausweis und eine befugte Aufenthaltserlaubnis bekommen und darf hier als freier Bürger leben. Das ist alles. Die Bundes-regierung hat mit der Anerkennung der DDR auch deren willkürliche Justiz anerkannt und ich kann niemanden fin-den, der meine Forderungen an die DDR unterstützt.

Von den Vereinten Nationen wurden jedem Menschen Grundrechte zugesichert, gleichgültig in welchem Staat er lebt. Die DDR hat diese Grundrechte schwer verletzt. Ich bitte um ihre Unterstützung. 9

Ich wollte mehr über diesen offensichtlich politisch motivierten Kindesentzug wissen. Es musste eine Akte des Familiengerichts geben, wenn in diesem Fall die juristischen Formalien eingehalten wurden. Die Suche war im Archiv des Amtsgerichts erfolgreich.

Am 17. Juli 1974 hatte das Jugendamt Klage vorm Kreis-gericht eingereicht und beantragt, der Mutter das Sorge-recht für beide Kinder zu entziehen. Der erste Verhand-lungstermin war für den 11. September 1974 angesetzt, aber da die Angeklagte Regina (Name geändert) erklärte, dass sie die Klageschrift nicht kannte, wurde die Ver-handlung auf den 25. September 1974 vertagt. Die öffentliche Sitzung der Kammer für Familienrechtssachen des Kreisgerichts Rostock fand wie neu angesetzt statt. Teilnehmer waren der Vertreter des Jugendamtes als Kläger, Regina als Verklagte (zugeführt aus dem Strafvollzug) und drei Zeugen.

Gemäß der archivierten Klageschrift war dieses Vor-kommnis der Auslöser für den Kindesentzug: Am 27.9.1973 erschien Frau Regina mit ihrer Tochter im Re-ferat Jugendhilfe und sie forderte für Marlis (Name geändert) die sofortige Heimeinweisung, weil sie völlig mittellos war und das Kind nicht mehr ernähren konnte.

Die Mutter des Kindes war alleinstehend. Sie wurde in der DDR geboren, erreichte 1955 den Abschluss der 10. Klas-se der Polytechnische Oberschule und erlernte danach den Beruf eines Speditionskaufmanns. Von 1959 bis 1961 hielt sie sich in der Bundesrepublik und in England auf. Seit dem Mauerbau lebte die Frau offensichtlich wieder in der DDR, kam aber mit den gesellschaftlichen Zwängen nicht zurecht. Anfang der siebziger Jahre wurde bekannt, dass sie in die Bundesrepublik übersiedeln wollte.

Der Mitarbeiter der Abteilung Inneres vom örtlichen Rat, zuständig für die Einreichung von Übersiedlungsanträgen, sagte bei der Gerichtsverhandlung als Zeuge aus: Ich kenne Frau Regina bereits seit 1971, dann auch 1972. Es kamen von diesem Zeitpunkt an schon laufend Eingaben von ihr, daß sie in der DDR keine Entwicklung sehe und daß bei einem Wechsel ihrer Arbeitsstellen immer die Ab-teilungsleiter schuld seien.

Der genaue Zeitpunkt, wann sie einen formellen Über-siedlungsantrag stellte, war der Akte nicht zu entnehmen. Es ist lediglich in der Klageschrift des Jugendamtes vom 17. Juli 1974 vermerkt: Diese Verhaltensweise ist in er-ster Linie auch ein Ausdruck ihrer negativen Einstellung zu unseren gesellschaftlichen Verhältnissen. Dies kommt ständig in ihren Äußerungen zum Ausdruck. Seit 2 ½ Jahren drängt Frau Regina auf eine Übersiedlung in die BRD.

Die Tatsache, dass die Frau die DDR verlassen wollte, wurde in den Gerichtsunterlagen allerdings nur am Rande erwähnt, so als wäre dieser Wunsch nebensächlich. In der Akte wird vom Jugendamt aufgezeigt, dass Regina schon vor ihrer Ausreiseantragstellung ständig den Arbeitsplatz wechselte: Ihren eigenen Einlassungen zufolge war der häufige Betriebswechsel darauf zurückzuführen, daß es zu Unstimmigkeiten im Arbeitskollektiv kam. Sie ging dann immer aus eigenen Erwägungen. Zuletzt arbeitete sie als Sekretärin im VEB Schiffswerft `Neptun` Rostock im festen...

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Autor

Dr. Heidrun Budde, geb. 1954 in der DDR, Studium der Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg. Danach Tätigkeit als Justitiarin in der Wirtschaft. Promotion zum Seevölkerrecht. Von 1992 bis März 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.