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Die Tote aus der Emscher

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
320 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am19.10.2023
Der neue Roman des Ruhrgebiet-Chronisten Peter Kersken - authentisch, düster und glänzend recherchiert. September 1816: An Ruhr und Emscher scheint die Sonne seit Monaten nicht mehr, die Ernte verfault, es droht eine Hungersnot. Die Menschen haben Angst. Als eine kräuterkundige Bauersfrau tot aus dem Fluss gezogen wird, begibt sich der Untersuchungsrichter Anton Demuth an den Ort des Geschehens. Dort trifft er auf Menschen, die überzeugt davon sind, dass die Tote eine Hexe war, und die verzweifelt nach einem Schuldigen für ihr eigenes Schicksal suchen.

Peter Kersken, geboren 1952 in Oberhausen im Ruhrgebiet, studierte Philosophie und Literaturwissenschaften in Freiburg und Köln und arbeitete als Redakteur bei einer Kölner Tageszeitung. Er lebt als freiberuflicher Autor in der Eifel. www.peterkersken.de
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextDer neue Roman des Ruhrgebiet-Chronisten Peter Kersken - authentisch, düster und glänzend recherchiert. September 1816: An Ruhr und Emscher scheint die Sonne seit Monaten nicht mehr, die Ernte verfault, es droht eine Hungersnot. Die Menschen haben Angst. Als eine kräuterkundige Bauersfrau tot aus dem Fluss gezogen wird, begibt sich der Untersuchungsrichter Anton Demuth an den Ort des Geschehens. Dort trifft er auf Menschen, die überzeugt davon sind, dass die Tote eine Hexe war, und die verzweifelt nach einem Schuldigen für ihr eigenes Schicksal suchen.

Peter Kersken, geboren 1952 in Oberhausen im Ruhrgebiet, studierte Philosophie und Literaturwissenschaften in Freiburg und Köln und arbeitete als Redakteur bei einer Kölner Tageszeitung. Er lebt als freiberuflicher Autor in der Eifel. www.peterkersken.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783987070792
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum19.10.2023
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3823 Kbytes
Artikel-Nr.12577992
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Donnerstag, 12. September 1816

Der Fährmann Theodor Schimmel, der von allen Dores genannt wurde, stieß den flachen Kahn vom Werdener Ruhrufer ab. Er beäugte seinen Fahrgast, den einzigen, der heute hinüberwollte zur Essener Landstraße, mit unverhohlener Verständnislosigkeit.

Dass der Justizrat Anton Demuth jetzt der Stadt Werden den Rücken kehrte, ausgerechnet zu dieser Stunde, da von überall her hunderte und aberhunderte Menschen hineinströmten in das Städtchen an der Ruhr, das machte Theodor Schimmel sprachlos. Er fragte seinen Passagier nicht einmal nach seinem Reiseziel. Und als der Herr Justizrat mitten auf dem Fluss sagte: »Es regnet gar nicht, Dores, ist das nicht erstaunlich?«, nickte er nur stumm.

Anton Demuth war es recht, dass der Fährmann nicht fragte, wohin er unterwegs sei. Was hätte er schon sagen können? Zu einer Wasserleiche in der Emscher, irgendwo in der Nähe des Herrensitzes Oberhausen? Ja, vermutlich hätte er das dem alten Dores geantwortet. Viel mehr wusste er selbst nicht über das Ziel seiner unerwarteten Dienstreise, die er gerade ziemlich überhastet, aber keineswegs ungern angetreten hatte. Immerhin war er so im letzten Augenblick der Hinrichtung entkommen.

Noch vor einer knappen Stunde hatte er im Salon seiner Wohnung am Fenster gestanden und hinuntergeschaut auf den Marktplatz, hatte auf den massiven Eichenklotz gestarrt, der mitten auf dem rot gestrichenen Holzgerüst stand, das tags zuvor errichtet worden war. Er hatte zugesehen, wie ein paar Kerle einen schwarzen Sarg herangeschleppt und ihn auf das Gerüst gewuchtet hatten, und er hatte mit Grausen beobachtet, wie ein Knecht des Scharfrichters, nachdem er die Standfestigkeit des Hackklotzes geprüft hatte, das Henkersbeil geschärft und auf den Sarg gelegt hatte.

Die Bühne für die Hinrichtung war bereitet, und der königlich preußische Justizrat Anton Demuth, Kriminalrichter am Inquisitorialgericht zu Werden, hatte schaudernd an das Schauspiel gedacht, das dort zur Aufführung kommen sollte, und an die Rolle, die ihm darin zugedacht war.

Der Platz hatte sich allmählich mit Menschen gefüllt, durch alle Gassen waren sie herbeigeströmt, honorige Bürger und ärmliches Bauernvolk, Kinder und Alte, Frauen und Männer. Demuth hatte auf seine Taschenuhr geschaut und seufzend festgestellt, dass es allmählich Zeit wurde, hinüberzugehen zum Zuchthaus. Von dort sollte eine Abteilung Husaren den zum Tode durch das Henkersbeil verurteilten Delinquenten zum Blutgerüst führen, und der Kriminalrichter Demuth, zwei Gerichtssekretäre, ein Priester sowie der Scharfrichter und seine Knechte sollten die grausige Prozession begleiten. Auf dem Marktplatz sollte es dann Anton Demuths Aufgabe sein, als Vertreter der preußischen Justiz dem Delinquenten noch einmal das Todesurteil und die Bestätigung desselben durch König Friedrich Wilhelm vorzulesen.

Gerade hatte Demuth sich vom Fenster abwenden wollen, um seinen Zylinderhut aufzusetzen und seinen Gehrock überzuziehen, da hatte er unten vor dem Haus den Justizdirektor Hugo von Broich entdeckt, der sich durch die herbeiströmende Menschenmenge drängte. Nur Augenblicke später hatte seine Dienstmagd Klärchen Stüber den Herrn Direktor gemeldet.

Noch bevor Demuth seinen Vorgesetzten hereinbitten konnte, war der grußlos an Klärchen vorbei in den Salon gestürmt und hatte atemlos hervorgestoßen: »Wir müssen umdisponieren, Herr Kriminalrat, wir müssen umdisponieren.«

Dann hatte er sich eine Weile, nach Luft schnappend, an der Lehne des großen Sessels festgehalten und an dem verblüfften Anton Demuth vorbei aus dem Fenster geschaut. Hugo von Broich war mit einunddreißig Jahren halb so alt wie Demuth, aber schon von einer enormen Leibesfülle. Erst nachdem er ein paar Minuten schnaufend das Treiben auf dem Marktplatz betrachtet hatte, hatte Demuth erfahren, warum der Justizdirektor die Strapaze auf sich genommen hatte, sein Bureau im Gericht zu verlassen und ihn aufzusuchen.

Ein berittener Bote des Grafen Maximilian von und zu Westerholt-Gysenberg hatte im Gericht vorgesprochen und einen Leichenfund gemeldet. In den Morgenstunden war eine tote Bauersfrau mit einer höchst verdächtigen Kopfverletzung in der Emscher, nahe dem gräflichen Herrenhaus, entdeckt worden.

»Das müssen wir ernst nehmen, lieber Demuth, das müssen wir sehr ernst nehmen, und deshalb hätte ich gern, dass Sie sich um die Sache kümmern«, hatte von Broich gesagt und seinen Justizrat fragend angesehen. »Wissen Sie, wo das ist, das neue Schloss Oberhausen? Wenn Sie von Essen die Chaussee in Richtung Wesel befahren, dann überqueren Sie nach etwa anderthalb Meilen die Emscher, und genau da, linker Hand hinter der Brücke, liegt der Herrensitz mit der Poststation.«

»Ich weiß, wo das ist«, hatte Demuth gesagt, »Schloss und Posthaus gehören zu Sterkrade in der Bürgermeisterei Holten, also zum Kreis Dinslaken.«

»Ach ja, natürlich kennen Sie sich da aus, Sie waren ja viele Jahre Richter am Landgericht in Dinslaken«, hatte Hugo von Broich eifrig gesagt.

»Und ich bin in Sterkrade aufgewachsen«, hatte Demuth hinzugefügt.

»Umso besser, lieber Kriminalrat. Also, was halten Sie von meinem Vorschlag?«

Demuth war sich durchaus im Klaren darüber, dass von Broich ihn auch kurz und bündig hätte anweisen können, sich umgehend auf den Weg zu machen. Aber in den anderthalb Jahren, in denen sie beide jetzt am Kriminalgericht zusammenarbeiteten, hatte der Justizdirektor es stets vermieden, ihm gegenüber den Vorgesetzten herauszukehren. Anton Demuth nahm an, dass der junge Hugo von Broich sich so verhielt, weil ihn Gewissensbisse plagten, seitdem man ihn, den gerade dreißigjährigen Spross aus einem adligen Hause, im März 1815 zum Direktor des neu eingerichteten Inquisitorialgerichtes in Werden ernannt und den altgedienten Justizrat Demuth einmal mehr übergangen hatte. Die anderen Gerichtsangehörigen, zwei jüngere Kriminalräte, ein Justizassessor, ein Aktuar und vier Gerichtssekretäre, wussten ein Lied davon zu singen, dass der Herr Direktor auch anders konnte, dass er sehr wohl in der Lage war, unmissverständliche Anweisungen zu geben und sich jeden Widerspruch zu verbitten.

»Und wie machen wir es hier?«, hatte Anton Demuth gefragt und durchs Fenster hinausgeschaut auf den Marktplatz, auf dem sich immer mehr Menschen um das Blutgerüst gedrängt hatten.

»Wenn es Ihnen recht ist, dann vertrete ich persönlich bei der Hinrichtung das Gericht«, hatte von Broich gesagt.

Das war Anton Demuth überaus recht gewesen.

»Wollen Sie einen der Gerichtssekretäre mitnehmen? Den jungen Rüter vielleicht?«

»Ich schau mir gern erst mal allein an, was da passiert ist. Außerdem ist Hubertus Rüter als Protokollant bei der Hinrichtung vorgesehen.«

»Ach ja, das war mir entfallen«, hatte von Broich gesagt, und dann hatte er seinem Kriminalrat empfohlen, bei dem derzeit äußerst schlechten Zustand der Straßen nicht im Dunkeln zurückzukehren. »Wenn es Ihnen zu spät wird, da an der Emscher, dann übernachten Sie lieber im Posthaus.«

Der Gedanke, den Abend nicht lesend in seinem bequemen Lehnsessel zu verbringen, in der Nacht nicht in seinem weichen Bett zu schlafen und am nächsten Morgen nicht von den Geräuschen, die Klärchen Stüber in der Küche machte, und vom Duft frisch aufgebrühten Bohnenkaffees geweckt zu werden, behagte Anton Demuth zwar grundsätzlich nicht, aber er hatte dem Justizdirektor versprochen, eine Übernachtung im Posthaus gegebenenfalls in Erwägung zu ziehen.

»Wenn das hier unten auf dem Markt vorbei ist«, hatte er vorgeschlagen, »dann könnten Sie den Rüter nach Duisburg schicken, um den Professor Günther zu benachrichtigen. Eine Obduktion der Toten wird unumgänglich sein.«

Weil von Broich darauf nicht reagiert hatte, vermutlich hatte er an die erheblichen Kosten einer sachverständigen Leichensektion gedacht, hatte Demuth hinzugefügt: »Entsteht bei der äußeren Untersuchung eines Leichnams auch nur der geringste Verdacht, dass der Tod auf irgendeine Art gewaltsam erfolgt oder durch fremdes Verschulden verursacht sein könnte, so muss die Sektion durch einen Sachverständigen geschehen.«

»Ich weiß, Demuth. Paragraph 157 der Kriminalordnung. Na ja, der Verdacht auf ein Tötungsdelikt liegt zweifellos vor, also werden wir um eine Obduktion nicht herumkommen. Aber warum wollen Sie ausgerechnet Professor Günther?«

»Er ist ein vereidigter Arzt, zugelassen für gerichtlich veranlasste medizinische Untersuchungen, eine Autorität auf dem Gebiet der menschlichen Anatomie, und Duisburg ist nicht weit vom Schloss Oberhausen entfernt.«

»Na gut, dann machen Sie sich bitte auf den Weg. Nach der Exekution werde ich Hubertus Rüter nach Duisburg schicken«, hatte von Broich gesagt, und bereits eine gute Stunde später verließ Anton Demuth am jenseitigen Ruhrufer die Fähre, nickte dem alten Dores noch einmal zu und führte den Rappen, den einer der Gerichtssekretäre vor das zweirädrige Cabriolet gespannt hatte, die Uferböschung hinauf zur alten Landstraße nach Essen.

Dabei hatte er Mühe, das junge Pferd ruhig zu halten, denn eine aufgeregte Menschenmenge drängte ihm und dem kleinen Gespann entgegen. Jeder versuchte, einen Platz auf der Ruhrfähre zu ergattern, um rechtzeitig zur Hinrichtung auf dem Marktplatz in Werden zu sein.

Anton Demuth hielt nichts von öffentlichen Hinrichtungen. »Wenn die braven Leute sehen, wie Mörder und Räuber ihre Köpfe verlieren, dann werden sie es vorziehen, brave Leute zu bleiben«, hatten seine Professoren damals während des Studiums in Duisburg gern gesagt, aber er war in den vierzig Jahren, die er seitdem im Dienst der Justiz verbracht hatte, zu der Überzeugung...
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