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Der Himmel, unter dem wir Kinder waren

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am24.04.2024
»Ich weiß nur, dass wir eine Hoffnung hatten. Wir glaubten an die Zukunft, an eine bessere Zukunft, eine gerechtere Welt. Wir hatten ein Warum zum Leben.«
Sanft geschwungene Hügel bis zum Horizont und immer wieder der weite Himmel: Behütet und geborgen wächst Clara in den 1930er Jahren in einer kleinen Hofschaft im Bergischen Land auf. Ihr Vater ist Redakteur bei einer kommunistischen Tageszeitung, ihre Mutter arbeitet für einen jüdischen Buchhändler. Auch wenn die Familie einen freigeistigen, kulturell interessierten Lebenswandel pflegt, so ist das Mädchen trotzdem integriert in die Dorfgemeinschaft. Mit der Machtergreifung Hitlers ändert sich Claras idyllische Kindheit jedoch schlagartig. Der Vater wird inhaftiert, die Mutter verliert ihre Anstellung und hat Mühe, ihre Tochter und sich über Wasser zu halten, während sie unermüdlich für die Freilassung ihres Mannes kämpft. Bald bemerkt Clara auch, dass sich ihre Nachbarn und Freunde ihr gegenüber anders verhalten. Mehr und mehr fühlt sie sich ausgeschlossen und zerrissen. Einzig ihr Patenonkel Artur erscheint Clara wie ein Fixstern am Himmel - auch wenn er als Mitglied der KPD bald fliehen muss.
Mit feinfühliger Beobachtungsgabe und inspiriert von ihrer eigenen Familiengeschichte erzählt Marion Lagoda von einer Kindheit auf dem Land, einer Kindheit unter Hitler, einer Kindheit, in der Heimat und Widerstand untrennbar miteinander verbunden sind.

Marion Lagoda ist im Bergischen Land aufgewachsen und studierte Kunstgeschichte, bevor sie ein Volontariat bei der Rheinischen Post begann. Sie arbeitete als Journalistin u.a. für die Frankfurter Rundschau und spezialisierte sich später auf die Themen Natur und Garten. Sie ist Autorin zahlreicher Gartenbücher und schreibt Gartenreportagen für verschiedene Magazine. Marion Lagoda hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Hamburg.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

Klappentext»Ich weiß nur, dass wir eine Hoffnung hatten. Wir glaubten an die Zukunft, an eine bessere Zukunft, eine gerechtere Welt. Wir hatten ein Warum zum Leben.«
Sanft geschwungene Hügel bis zum Horizont und immer wieder der weite Himmel: Behütet und geborgen wächst Clara in den 1930er Jahren in einer kleinen Hofschaft im Bergischen Land auf. Ihr Vater ist Redakteur bei einer kommunistischen Tageszeitung, ihre Mutter arbeitet für einen jüdischen Buchhändler. Auch wenn die Familie einen freigeistigen, kulturell interessierten Lebenswandel pflegt, so ist das Mädchen trotzdem integriert in die Dorfgemeinschaft. Mit der Machtergreifung Hitlers ändert sich Claras idyllische Kindheit jedoch schlagartig. Der Vater wird inhaftiert, die Mutter verliert ihre Anstellung und hat Mühe, ihre Tochter und sich über Wasser zu halten, während sie unermüdlich für die Freilassung ihres Mannes kämpft. Bald bemerkt Clara auch, dass sich ihre Nachbarn und Freunde ihr gegenüber anders verhalten. Mehr und mehr fühlt sie sich ausgeschlossen und zerrissen. Einzig ihr Patenonkel Artur erscheint Clara wie ein Fixstern am Himmel - auch wenn er als Mitglied der KPD bald fliehen muss.
Mit feinfühliger Beobachtungsgabe und inspiriert von ihrer eigenen Familiengeschichte erzählt Marion Lagoda von einer Kindheit auf dem Land, einer Kindheit unter Hitler, einer Kindheit, in der Heimat und Widerstand untrennbar miteinander verbunden sind.

Marion Lagoda ist im Bergischen Land aufgewachsen und studierte Kunstgeschichte, bevor sie ein Volontariat bei der Rheinischen Post begann. Sie arbeitete als Journalistin u.a. für die Frankfurter Rundschau und spezialisierte sich später auf die Themen Natur und Garten. Sie ist Autorin zahlreicher Gartenbücher und schreibt Gartenreportagen für verschiedene Magazine. Marion Lagoda hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Hamburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641313944
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum24.04.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse4202 Kbytes
Artikel-Nr.12747820
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Prolog

Später, als das Land in Trümmern lag und die Unrechtherrscher zwar nicht unschädlich gemacht waren, aber immerhin nicht mehr regierten, habe ich meinen Vater gefragt, ob es das alles wert gewesen sei.

»All die Jahre der Unsicherheit und Angst, die Zeit der Verfolgung, der Verzweiflung, deine Haft, Mutters und Arturs Tod. Hat sich das alles gelohnt? War es das wirklich wert?«

Mein Vater, an Leib und Seele versehrt und schon vom Tode gezeichnet, hatte gelächelt. Ein weiser Ausdruck lag in seinem Gesicht, ein Anflug von Mitleid ebenfalls und auch Nachsicht, Nachsicht mit meiner augenscheinlichen Verbitterung.

»Wenn du mich so fragst, kann ich nur sagen, dass ich es nicht weiß«, sagte mein Vater langsam. »Ich weiß nur, dass wir eine Hoffnung hatten. Wir glaubten an die Zukunft, an eine bessere Zukunft, eine gerechtere Welt. Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie. Das hat Nietzsche geschrieben, und du weißt, dass ich ihn nie besonders mochte. Aber manchmal lag er eben auch nicht so ganz falsch. Wir hatten ein Warum zu leben.«

Ich war damals neunzehn Jahre alt, hatte ein Kind und meinen Vater zu versorgen. Wir hatten gerade erst einen Weltkrieg und eine mörderische Diktatur überlebt, und ich war mit seiner Antwort alles andere als zufrieden. Mir wäre es damals lieber gewesen, wir wären ebenso geschmeidig durch diese elenden zwölf Jahre geglitten wie die Buschmanns und Landaus, wie die Kochs und dieser schreckliche Fabrikant Kampmann; unsere Nachbarn, die zum Teil den Mund gehalten hatten, zum Teil glühende Nazis gewesen waren - und auch nach dem Krieg als angeblich waschechte Demokraten weiterhin gut im Geschäft. Für meine Begriffe zahlte es sich letztlich aus, sein Fähnlein nach dem Wind zu hängen und ansonsten die Klappe zu halten. Ich hatte die Nase gestrichen voll von irgendwelchen wie auch immer gearteten Idealen. Ich fand, dass keine Zukunft es wert war, dass dafür in der Gegenwart gemordet wurde. Und dass auch keine Zukunft es wert war, dass dafür in der Gegenwart gelitten wurde.

Aber angesichts von Vaters angegriffener Gesundheit, seiner diversen Verletzungen, die ihm im Lager zugefügt worden waren, sagte ich nichts. Behutsam legte ich ihm eine Decke über die zerschundenen Knie und ging in den Garten Kartoffeln ernten.

Das alles ist lange her. Und doch erinnere ich mich an diese Zeit, als wäre es gestern gewesen. Dafür erinnere ich mich oft genug nicht mehr an Dinge, die tatsächlich gestern stattgefunden haben. Aber meine Enkelin Gesa, die regelmäßig nach mir schaut, findet, dass das egal sei. In meinem Alter dürfe ich mir kleine Aussetzer und Absonderlichkeiten erlauben. Schließlich könne ich noch gut für mich selbst sorgen, und mein Kopf funktioniere immerhin noch tadellos. So gesehen hat sie recht. Auch wenn meine arthritischen Knie mir Kummer bereiten und ich den Garten schon lange nicht mehr allein bewirtschaften kann. Doch ich will nicht klagen. Wie schrieb Goethe in seinen Zahmen Xenien: »Keine Kunst ist´s, alt zu werden. Es ist Kunst, es zu ertragen.«

Es war an einem Freitag im vergangenen Juli, als Gesa mir einen Vorschlag machte. Ich war mit ihr im Garten Johannisbeeren ernten. Es war einer dieser Sommertage, die wir jetzt häufiger haben, selbst bei uns im Bergischen Land, von dessen Bewohnern es gemeinhin heißt, sie kämen schon mit einem Regenschirm in der Hand zur Welt. Unsere Körbe waren gut gefüllt, und da es sehr heiß war, schlug ich vor, für diesen Tag Schluss zu machen.

Wir saßen auf der Bank hinter meinem Haus, tranken Zitronentee und schauten müde und erhitzt in den Garten, als Gesa fragte, ob ich nicht Lust hätte, Geschehnisse von früher aufzuschreiben.

»Geschehnisse?«, fragte ich stirnrunzelnd.

»Ja, Geschehnisse halt, was du so in deiner Kindheit und Jugend erlebt hast«, erklärte sie. »Ich habe mich entschlossen, meine Doktorarbeit über politische Verfolgung und Widerstand im Bergischen Land während des Dritten Reichs zu schreiben. Da dachte ich, du kannst mir etwas darüber erzählen oder darüber schreiben; die Wahrheit, so wie es wirklich war und in keinem Geschichtsbuch steht. Du bist schließlich die Tochter eines Widerstandskämpfers und zählst zu den letzten Zeugen, die noch Friedrich Wolf, Otto Braß und Artur Becker gekannt haben.«

Ich dachte zunächst, sie mache einen Scherz. Den Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf kannte ich schließlich nur aus den Erzählungen meines Vaters, und Otto Braß, den »legendären Arbeiterführer«, den »König des Bergischen Landes«, wie er hier früher genannt wurde, und von Lenin höchstselbst empfangen, der war nur einmal bei uns zu Hause. Das war im November 1937, kurz vor seiner Verhaftung. Ich konnte ihn nicht leiden. Mein Vater war noch immer im KZ. Uns war nicht ganz klar, was Braß bei uns wollte. Meine Mutter war alles andere als begeistert und empfing den Gast betont kühl. Braß war in unserer Hofschaft groß geworden und kannte die Gegend gut. Doch in jenen Tagen arbeitete er längst im Untergrund, hatte schon 1934 in Berlin die Widerstandsgruppe »Deutsche Volksfront« gegründet. Zwar hatte er spätabends auf dem Umweg über die Gärten an unser Fenster geklopft. Dennoch war es stets ein Risiko, einen Kommunistenführer seines Kalibers im Haus zu haben. Wir hatten es ohnehin schwer genug.

Letztlich brachte er uns eine Nachricht von Artur Becker, der in Sorge um uns war, und versprach, für uns zu tun, was er konnte. Auf diese Nachricht hätten wir gut verzichten können, und das sagte meine Mutter Braß auch auf den Kopf zu. Er schien irgendwie beleidigt, hatte wohl gehofft, wir würden ihn, den berühmten Genossen, mit mehr Ehrerbietung empfangen. Doch da kannte er meine Mutter schlecht. Zum Schluss steckte er uns einen Umschlag mit Geld zu.

»Von Artur«, sagte er. »Er ist jetzt in Spanien.«

Doch das wussten wir bereits. Meine Mutter nahm den Umschlag entgegen und brachte Braß zur Hintertür. Er verabschiedete sich und verschwand in der Dunkelheit.

Aber, wie gesagt, er war nur einmal da und dann wieder weg. Für lange Zeit, um später in der DDR wiederaufzutauchen und Karriere zu machen. Ebenso wie Friedrich Wolf übrigens, aber das nur am Rande. Artur Becker hingegen ...

Vielleicht, dachte ich, sei es an der Zeit, sich Artur Beckers zu erinnern und mit ihm all der Toten, meiner Toten, die diese unsägliche Zeit gefordert hatte; diese Weimarer Jahre, Jahre der politischen Theorien und Phobien, ohne irgendeinen integrierenden Grundkonsens; und dann diese tausend Jahre, die folgen sollten und die dann doch nur zwölf Jahre gedauert haben, genau zwölf Jahre zu viel. Doch damals, Anfang der Dreißigerjahre, wussten selbst meine Eltern und Artur nicht, in welche Katastrophe die Zukunft münden würde. Søren Kierkegaard sagte: »Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.« So ist es auch mit der Geschichte. Blauäugigkeit kann man meiner Familie wirklich nicht vorwerfen, aber begriffen haben wir das, was uns widerfahren ist, erst hinterher, als alles vorbei war und ich nur noch auf die Friedhöfe gehen konnte, wo ich hilflos vor den Gräbern stand.

In den folgenden Tagen ging mir Gesas Vorschlag nicht mehr aus dem Sinn. Aber er kam mir zunehmend abwegig vor. Was hatte ich schließlich zu bieten, außer meinen Erinnerungen? Und Erinnerungen sind, wie man weiß, nicht sonderlich zuverlässig. Wer vermag mit Sicherheit zu sagen, was in der Vergangenheit wirklich passiert ist? Denn die Wahrheit, wie Gesa sie gern hören würde, die kenne ich nicht. Ich kenne nur das, was sich in meinem Gedächtnis festgesetzt hat. All diese Bilder, Gefühle, Stimmungen sind sicher eine Realität, doch vermutlich eine andere Art von Realität als die, die eine junge Geschichtsdoktorandin dokumentiert haben möchte. Diese Realität muss weder besser noch schlechter sein. Die Erinnerung sondert aus, sie ordnet und differenziert je nach Präferenz des Erinnernden.

Doch schließlich, so dachte ich, habe ich auch noch die Notizen und die Erzählungen meines Vaters. Ich habe die Tagebücher meiner Mutter, die ich erst Jahre nach ihrem Tod gelesen habe; zu einer Zeit, als ich dachte, den Schmerz über unser Zerwürfnis und ihren Tod verarbeitet zu haben. Ein Irrtum, wie ich jetzt weiß.

Ich habe Arturs Briefe und seine Aufzeichnungen, die nach seinem Tod auf verschlungenen Wegen zu uns gelangt sind. Und ich habe die Postkarte, diese alte Schwarz-Weiß-Fotografie von der Plaza de Cataluña in Barcelona mit ihren majestätischen Bauwerken und zig Palmen im Vordergrund. Die Karte war gleichfalls auf verborgenen Wegen, aber weitaus früher bei mir gelandet. Denn sie war an mich adressiert, seine Patentochter.

»Liebe Clara, ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen. Ob wir uns überhaupt je wiedersehen«, stand da auf der Rückseite in seiner kleinen makellosen Schrift zu lesen. »Die Zeiten sind konfus. Ich schreibe Dir aus Spanien. Ich habe hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Hier ist es viel wärmer als bei uns im Bergischen Land. Es gibt keine Wälder, dafür viel mehr Sonne. Und dann gibt es diesen Himmel, diesen endlosen, wunderbaren Sternenhimmel, Spaniens Himmel, der in einem unserer Lieder besungen wird. Ein Himmel, so funkelnd und so entrückt, dass man sich ganz klein und unbedeutend vorkommt. Es scheint mir, dass es hier viel mehr Sterne gibt als zu Hause. Natürlich auch den Polarstern, den ich Dir gezeigt habe, weißt Du noch? Großer Wagen, Strecke zwischen den beiden hinteren Kastensternen fünffach verlängern, dann triffst Du auf den Polarstern. Ich betrachte ihn oft, wenn mir die Zeit bleibt. Wenn Du also abends zum Polarstern emporblickst,...

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Autor

Marion Lagoda ist im Bergischen Land aufgewachsen und studierte Kunstgeschichte, bevor sie ein Volontariat bei der Rheinischen Post begann. Sie arbeitete als Journalistin u.a. für die Frankfurter Rundschau und spezialisierte sich später auf die Themen Natur und Garten. Sie ist Autorin zahlreicher Gartenbücher und schreibt Gartenreportagen für verschiedene Magazine. Marion Lagoda hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Hamburg.