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Jacques d'Adelswärd-Fersen. Dandy und Poet

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Männerschwarm Verlagerschienen am13.11.2023vollständige, jedoch abweichend angeordnete Ausgabe der Printversion
Jacques d'Adelswärd (1880-1923), der sich nach einem entfernten Ahnen Jacques Fersen nannte, ist als Autor von Romanen und vor allem Gedichten heute weitgehend vergessen; in Bibliotheken sind seine Bücher kaum zu finden, ebenso wenig seine Zeitschrift 'Akademos', mit der er 1909 auch für die 'Andere Liebe' eine Lanze brechen wollte. Wegen der Veranstaltung erotischer Tableaux vivants (die Presse sprach von Schwarzen Messen) wurde Fersen 1903 zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt. Aufgrund dieses Skandals verlies er kurz darauf Paris. Auf Capri errichtete er auf einsamer Bergspitze eine klassizistische Villa, in der er mit seinem Sekretär und Geliebten Nino Cesarini lebte, den er durch viele Künstler verewigen ließ. Als Pariser Dandy und als markante Figur der 'homosexuellen Kolonie' auf Capri ist auch er selbst zu einer literarischen Figur geworden (z. B. bei Jean Lorrain und Compton Mackenzie). Die Beiträge in dem mit zahlreichen Abbildungen geschmückten Band sichern die biographischen Fakten (in kritischer Auseinandersetzung mit Roger Peyrefittes Roman-Biographie 'Exil in Capri'), bewerten Fersens literarisches Werk und stellen seine Zeitschrift 'Akademos' vor: Thomas Steinfeld: Jacques d'Adelswärd-Fersen und seine Villa Lysis Will H. L. Ogrinc: Jacques d'Adelswärd-Fersen - Stationen seines Lebens Paul Snijders: Jacques d'Adelswärd-Fersen und seine Zeitschrift 'Akademos' Patricia Marcoz: Jacques d'Adelswärd-Fersen als Autor Wolfram Setz: Jacques d'Adelswärd-Fersen, Roger Peyrefitte und anderemehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextJacques d'Adelswärd (1880-1923), der sich nach einem entfernten Ahnen Jacques Fersen nannte, ist als Autor von Romanen und vor allem Gedichten heute weitgehend vergessen; in Bibliotheken sind seine Bücher kaum zu finden, ebenso wenig seine Zeitschrift 'Akademos', mit der er 1909 auch für die 'Andere Liebe' eine Lanze brechen wollte. Wegen der Veranstaltung erotischer Tableaux vivants (die Presse sprach von Schwarzen Messen) wurde Fersen 1903 zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt. Aufgrund dieses Skandals verlies er kurz darauf Paris. Auf Capri errichtete er auf einsamer Bergspitze eine klassizistische Villa, in der er mit seinem Sekretär und Geliebten Nino Cesarini lebte, den er durch viele Künstler verewigen ließ. Als Pariser Dandy und als markante Figur der 'homosexuellen Kolonie' auf Capri ist auch er selbst zu einer literarischen Figur geworden (z. B. bei Jean Lorrain und Compton Mackenzie). Die Beiträge in dem mit zahlreichen Abbildungen geschmückten Band sichern die biographischen Fakten (in kritischer Auseinandersetzung mit Roger Peyrefittes Roman-Biographie 'Exil in Capri'), bewerten Fersens literarisches Werk und stellen seine Zeitschrift 'Akademos' vor: Thomas Steinfeld: Jacques d'Adelswärd-Fersen und seine Villa Lysis Will H. L. Ogrinc: Jacques d'Adelswärd-Fersen - Stationen seines Lebens Paul Snijders: Jacques d'Adelswärd-Fersen und seine Zeitschrift 'Akademos' Patricia Marcoz: Jacques d'Adelswärd-Fersen als Autor Wolfram Setz: Jacques d'Adelswärd-Fersen, Roger Peyrefitte und andere
Details
Weitere ISBN/GTIN9783863000974
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.11.2023
Auflagevollständige, jedoch abweichend angeordnete Ausgabe der Printversion
Reihen-Nr.38
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse11551 Kbytes
Illustrationenmit zahlreiche Abbildungen
Artikel-Nr.12812008
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

THOMAS STEINFELD
Jacques d Adelswärd-Fersen und seine Villa Lysis1

Wer so wohnen könnte, mit einem solchen Blick, müßte dem nicht tiefe Zufriedenheit, ja Glück beschieden sein? Auf einem Felsen hoch über dem Golf von Neapel, ganz allein auf einer Klippe zu leben, in einem kleinen Schloß im Stil des französischen Klassizismus, die Zitronenplantagen und Olivenhaine im Rücken. Vor sich nichts als das helle Blau des Himmels, im Hintergrund die grauen Schatten des Vesuvs, der Stadt Neapel, der Insel Ischia. Und das dunkle Blau des Mittelmeers. Schwerelos schien schon dem Anreisenden die Insel Capri im Wasser zu liegen, die beiden Bergrücken, das schmale Tal dazwischen, der Blick über die Weite des Meers vom Dunst gemildert. Gänzlich von allen irdischen Fesseln befreit aber kommt sich vor, wer von einer der Veranden hinausblickt. Ein Springer auf dem Hundertmeterturm könnte so stehen, hell erleuchtet, souverän und ungefährdet, ein Bewohner des ultimativen Ferienhauses.

Doch als dieses Schloß errichtet wurde, war die Freizeit noch kaum erfunden, und die großen Ferien wurden nur selten an den Stränden am Mittelmeer verbracht. Die Insel Capri, damals kahl wie ein gerupftes Huhn, war weniger Sommerfrische als vielmehr Kurort und Asyl vor den Zudringlichkeiten der technischen Moderne. Führende Nervenärzte in den europäischen Metropolen empfahlen einen Aufenthalt auf Capri zur Beruhigung der zerrütteten Geister, und so wurde die Insel nach und nach zu einer zweiten Heimat der internationalen Bohème. Sie baute sich Villen, kreuz und quer, mit Loggien, die eine heroische Landschaft umarmten, mit Terrassen, Gartenstühlen und Weinlauben, eine jede Villa einem Sanatorium ähnlicher als einem privaten Wohnhaus.

AMORI ET DOLORI SACRUM steht in den Stein auf dem Fries über der großen Freitreppe gemeißelt, die einst vom Schloß in den kleinen Park hinausführte. Eine heilige Stätte sollte dieses Gebäude sein für die Liebe und den Schmerz . Der Spruch ist Programm, kitschig bis zum Gänsehautkriegen, und heftig übertrieben: Denn die Schmerzen, die hier gemeint waren, waren nicht von physischer Art. Längst hatte diese Bohème die Tuberkulose vergessen, an der Mimi auf einem eiskalten Pariser Dachboden gestorben war, und hatte sich den nervösen Gebrechen hingegeben: die Damen der Hysterie, die Herren den schwachen Nerven und beide der Schlaflosigkeit.

In einer Villa, die eigentlich ein Sanatorium ist, steckt immer etwas von einem Kloster, allein schon, weil jedes Kloster eine Antwort auf die Schwäche des Menschen sein soll, eine Erlösung von allem, was das Hirn belagert und quälend im Kopf herumgeht. Streng muß ein solches Haus sein, sanft und rein. Und es hat allein zu liegen, damit sich der wimmernde Haufen von widersprüchlicher Moderne in den Schoß der Geschichte zurückjagen läßt. Wer ein solches Haus errichtet, der will die Ewigkeit nicht außerhalb, sondern in der Zeit besitzen.

Gebaut wurde das Haus auf der Klippe von Capri in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von einem jungen französischen Adligen schwedischer Abstammung namens Jacques d Adelswärd. Und zwar genau gegenüber der Villa des Arztes Axel Munthe, des Vertrauten der schwedischen Königin und gesellschaftlich erfolgreichsten Nervenarztes seiner Generation, der später, im Jahr 1929, einen der großen Bestseller des zwanzigsten Jahrhunderts schrieb: Das Buch von San Michele, eine Huldigung an den nordischen Traum vom Leben im Süden.

Die Freitreppe vor dem Haus von Jacques d Adelswärd führt ins Nichts, darunter stürzt der Fels mehrere hundert Meter tief ab.

Aber drüben, auf der anderen Seite der Marina Grande, genau gegenüber, steht die Kapelle von San Michele mitsamt der Sphinx, die als Sinnbild des unauflöslichen Lebensrätsels zum Vesuv hinüberschaut. So konnten sich der Schmerz und die Kur, der nervöse Patient und der Diagnostiker der Nervosität, von einer Seite der Bucht von Capri zur anderen grüßen.

Inspiriert von einem Lustschloß, das Marie Antoinette für sich hatte errichten lassen, ist die Villa Lysis des französischen Barons mit ihrem Vestibül, der großen Freitreppe, dem prächtigen Saal, den Loggien und den von korinthischen Säulen gesäumten Terrassen ein Haus wider den Sündenfall der Moderne, wider das Ausfransen der Seele, ein Reservat gegen das von allen Seiten herbeistürmende Neue und dessen Häßlichkeit. Wie unverjährt seit zweitausend Jahren sollte die Architektur dieses Gebäudes sein. Denn es stand einiges auf dem Spiel: die Kunst als letztes und größtes Experiment des Lebens. Und dieses Unternehmen setzte, schon aus praktischen Gründen, eine gewisse Großzügigkeit der Anlage voraus.

Baron Jacques d Adelswärd, einer der vielen jungen Männer aus dem großen Bekanntenkreis von Marcel Proust, war ein Dandy, der als schlechter Schüler debütiert hatte, sich für keine Berufslaufbahn entscheiden konnte, aber ein königsblaues Automobil der Marke Darracq mitsamt Chauffeur besaß. Er veröffentlichte Gedichte, die mit Versen von wahrhaft erschütterndem Pathos beginnen konnten: »Treize ans, blondin aux yeux précoces, / Qui disent le désir et l emoi, / Lèvres, ayant je ne sais quoi / De mutin, de vicieux, de gosse.« ( Dreizehn Jahre, blond, mit frühreifen Augen / Die von Begehren sprechen und von Erregung, / Lippen, die ich weiß nicht was haben / Von Meuterer, von Lüstling, von einem Kind. ) In seinen kleinen Romanen erzählte er kaum verhüllte Geschichten aus dem eigenen Leben, und ein Jahr lang gab er eine eigene Zeitschrift namens Akademos heraus. Das Vermögen hatte er vor allem vom Großvater geerbt, dem Besitzer der großen Stahlwerke von Longwy-Briey in Lothringen.

Im Jahr 1903 wurde Jacques d Adelswärd-Fersen wegen Verleitung von Minderjährigen zu unzüchtigen Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet. Er hatte mit Knaben und jungen Männern tableaux vivants und poses plastiques inszeniert, meist Huldigungen an die Dichtkunst in mehr oder minder antiken Verkleidungen. Zu sechs Monaten Gefängnis, fünf Jahren Aberkennung der Bürgerrechte und einer Buße von fünfzig Francs verurteilt, wollte er sich erschießen, und als ihm das nicht gelang, ersuchte er um Aufnahme in die Fremdenlegion.

Als ihm auch das mißlang, vermutlich wegen seiner schwächlichen Konstitution, gab er Paris auf und ließ sich zusammen mit Nino Cesarini, einem fünfzehnjährigen Bauarbeiter aus Rom, den er als Sekretär angeheuert hatte, auf Capri nieder. Er wird das kaum nur getan haben, um auf dieser Insel einen nicht endenden Urlaub zu verbringen. Sondern auch, weil sich mit der kargen Schönheit dieser Insel auch eine Vorstellung von freiwilliger Verbannung verband. Dies sollte ein Ort der Bewährung sein, denn Capri ist eigentlich nicht lieblich, sondern steil und schroff und den Säulen des Herakles ähnlicher als den elysischen Gefilden. Dafür haben wir heute keine Vorstellung mehr, denn die Verbannung ist verschwunden - sie gehört als Strafe der Vergangenheit an, weil sie ein unstrukturiertes Draußen voraussetzt. Der französische Romancier Roger Peyrefitte hat dieser Geschichte in dem Roman L Exilé de Capri aus dem Jahr 1959 ein schlüpfriges Denkmal errichtet.

Wie apart diese Steigerung ist: vom Selbstmord über die Fremdenlegion zur Künstlerkolonie nach Capri. Für 15.000 Lire erwarb Jaques d Adelswärd ein Grundstück am äußersten nordöstlichen Zipfel der Insel, eine halbe Stunde Fußmarsch von der Piazzetta entfernt, unmittelbar unter den Ruinen eines Palastes, der von Kaiser Tiberius, einem anderen freiwilligen Exilanten, errichtet worden war. Hier sollte das neue Leben geführt werden, ein Ort war zu prägen, es galt, mit gebieterischer Kraft eine Bühne zu errichten, mit dem gesamten Golf von Neapel als Parkett. Wie von einem kindlichen Trotz getrieben wirkt dieser Rückzug, und doch auf eine Weise frei, die heute gar nicht mehr erreichbar zu sein scheint. Tatsächlich hat dieses Haus etwas von der wie selbstverständlich gewährten Erfüllung eines großen Wunsches: Da hat sich einer etwas ausgemalt, und die Welt hat diesem Wunsch Platz gemacht, sich gleichsam von selber dargeboten, zur Musik von Claude Debussy.

Heute würde man ein solches Unternehmen erstaunlich finden und mit Mißtrauen und Zweifel reagieren, und zwar nicht nur, weil ein solcher Bau gegen alle Prinzipien des Landschafts- und Naturschutzes verstieße, sondern vor allem, weil diese so herrisch auftrumpfende Geste, dieser Versuch, das Leben durch die Kunst zu prägen, ganz einer vergangenen Zeit zugehörig zu sein scheint. Allein schon ein solcher Plan erschiene heute als Größenwahn, unwirtschaftlich, rücksichtslos, egomanisch.

Dabei ist das Muster, nach dem hier einer im ersten Zeitalter der Nervosität zu leben versuchte, nicht vergangen. Im Gegenteil: es hat sich allgemein durchgesetzt, nicht auf dem breiten Sockel eines großen Reichtums, über den nur wenige verfügen, sondern auf den schmaleren Stellflächen der gewöhnlichen Taschengeldempfänger, in der Werbung, im Musikvideo. Es ist zum Gemeingut geworden. Die tableaux vivants , die lebenden Bilder, die Jacques d Adelswärd in Paris veranstaltet hatte, waren nicht nur eine moderne, erotisch aufgeladene Reminiszenz an ein Gesellschaftsspiel aus dem 18. Jahrhundert. Sie sind das Grundmuster seiner Existenz - und nicht nur dieses Lebens. Sie sind das Grundmuster aller Reklame, aller Begeisterung für den Stil und aller Hoffnung auf den erfüllten Augenblick.

Denn im tableau vivant wird, so legt es der Begriff nahe, die Kunst zum Leben erweckt. Aus dem...
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