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Ein Tag länger als ein Leben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
504 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am11.11.20151. Auflage
In einer kleinen Bahnstation in der Steppe ist ein Arbeiter gestorben, und der greise Edige will ihm nach alter Sitte die letzte Ehre erweisen. Während sich die Trauerkarawane auf den Weg macht, starten in der Nähe mehrere Raketen. Ein interplanetarischer Zwischenfall droht beide Supermächte in den alten Konflikt zu treiben, der in der globalen Zerstörung endet. Seit einigen Jahren trug sich Tschingis Aitmatow mit dem Plan, diesen Roman, eines seiner Hauptwerke, zu erweitern. Hinzugekommen ist u. a. die Legende Die weiße Wolke des Tschinggis Chan. Sie steht neben der kasachischen Legende von den Mankurts, den willenlos gemachten Sklaven, und handelt von der schrecklichen Anziehungskraft der Idee einer Weltherrschaft, die in der Hybris und im Verhängnis endet.

Tschingis Aitmatow, 1928 in Kirgisien geboren, arbeitete nach der Ausbildung an einem landwirtschaftlichen Institut zunächst in einer Kolchose. Nach ersten Veröffentlichungen zu Beginn der Fünfzigerjahre besuchte er das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und wurde Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift, später der Zeitschrift Novyj Mir. Mit der Erzählung Dshamilja erlangte er Weltruhm. Tschingis Aitmatow verstarb am 10. Juni 2008 im Alter von 79 Jahren.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextIn einer kleinen Bahnstation in der Steppe ist ein Arbeiter gestorben, und der greise Edige will ihm nach alter Sitte die letzte Ehre erweisen. Während sich die Trauerkarawane auf den Weg macht, starten in der Nähe mehrere Raketen. Ein interplanetarischer Zwischenfall droht beide Supermächte in den alten Konflikt zu treiben, der in der globalen Zerstörung endet. Seit einigen Jahren trug sich Tschingis Aitmatow mit dem Plan, diesen Roman, eines seiner Hauptwerke, zu erweitern. Hinzugekommen ist u. a. die Legende Die weiße Wolke des Tschinggis Chan. Sie steht neben der kasachischen Legende von den Mankurts, den willenlos gemachten Sklaven, und handelt von der schrecklichen Anziehungskraft der Idee einer Weltherrschaft, die in der Hybris und im Verhängnis endet.

Tschingis Aitmatow, 1928 in Kirgisien geboren, arbeitete nach der Ausbildung an einem landwirtschaftlichen Institut zunächst in einer Kolchose. Nach ersten Veröffentlichungen zu Beginn der Fünfzigerjahre besuchte er das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und wurde Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift, später der Zeitschrift Novyj Mir. Mit der Erzählung Dshamilja erlangte er Weltruhm. Tschingis Aitmatow verstarb am 10. Juni 2008 im Alter von 79 Jahren.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293307568
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum11.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten504 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3080 Kbytes
Artikel-Nr.13418102
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1


Die Beutesuche in den ausgetrockneten Mulden und verkahlten Schluchten forderte große Geduld. Während der hungrige Fuchs auf seiner Mäusejagd dem geradezu schwindelerregend wirren Hin und Her der kleinen Wühler nachspürte, bald fieberhaft einen Zieselbau aufscharrte, bald abwartete, ob nicht eine unter dem Überhang einer alten Wasserrinne verborgene Springmaus endlich herausschoss und er sie augenblicks hätte schlagen können, näherte er sich von fern langsam und unbeirrt den Bahngleisen, dem dunkel sich abhebenden, geradlinig aufgeschütteten Damm in der Steppe, der ihn lockte und zugleich abschreckte, auf dem, mal in die eine, mal in die andere Richtung, das Land schwer erschütternd, ratternde Züge rasten und brandigen Qualm zurückließen, dessen beizende Gerüche der Wind übers Land trieb.

Gegen Abend lagerte sich der Fuchs seitlich der Telegrafenlinie auf dem Grund einer kleinen Schlucht, in einer dichten und hohen Insel aus dürrem Pferdesauerampfer, und harrte, neben den dicht mit Samen besetzten dunkelroten Stängeln zu einem rotbraun-strohgelben Knäuel zusammengerollt, geduldig der Nacht; nervös ließ er die Ohren spielen und lauschte ständig auf das dünne Pfeifen des Bodenwindes in den hart raschelnden toten Gräsern. Auch die Telegrafenmasten summten ermüdend. Der Fuchs fürchtete sie jedoch nicht. Die Masten blieben immer an ihrem Platz, sie konnten ihn nicht verfolgen.

Der betäubende Lärm der Züge hingegen, die in regelmäßigen Abständen vorüberfuhren, schreckte ihn jedes Mal auf und ließ ihn sich noch fester zusammenkrümmen. Durch den dröhnenden Boden spürte sein zarter Körper, spürten seine Rippen die ungeheuerliche Kraft der erddurchdringenden Wucht und Schwerlastigkeit, mit der die Züge dahinsausten, und doch blieb er in der Schlucht, überwand er die Furcht und den Widerwillen vor fremden Gerüchen und wartete auf seine Stunde, da es mit Anbruch der Nacht auf den Eisenbahngleisen ruhiger würde.

Er kam äußerst selten hierher, nur wenn der Hunger ihn allzu sehr plagte ...

Sowie keine Züge fuhren, trat in der Steppe jähe Stille ein wie nach einem Erdrutsch, und in dieser tiefen Stille nahm der Fuchs einen beunruhigenden Laut hoch droben über der dämmerigen Steppe wahr, kaum zu hören, unbestimmbar. Das war ein Spiel von Luftströmungen, es verhieß baldigen Wetterwechsel. Instinktiv spürte es das kleine Tier und erstarrte bitter, am liebsten hätte es laut aufgeheult, gekläfft im vagen Vorgefühl eines allumfassenden Unglücks. Der Hunger war jedoch stärker als selbst dieses Warnzeichen der Natur.

Der Fuchs winselte nur leise, während er sich die vom Laufen zerschundenen Pfotenkissen leckte.

In jenen Tagen wurden die Abende bereits kalt, es ging auf den Herbst zu. Nachts kühlte der Boden schnell aus, und bei Tagesanbruch überzog sich die Steppe wie Salzboden mit einem weißlichen Anflug kurzlebigen Reifs. Eine karge, unfrohe Zeit lag vor dem Steppentier. Das seltene Wild, das sich sommers in diesen Landstrichen aufhielt, war verschwunden - teils in warme Gegenden, teils in Höhlen, teils war es über Winter in die Wüste gewechselt. Jetzt beschafften sich die Füchse Nahrung, indem sie einzeln durch die Steppe streiften, als wäre die Gattung Fuchs ausgestorben. Die Jungtiere des Jahres waren bereits herangewachsen und auseinandergelaufen; die Zeit der Liebe aber stand noch bevor, da sich die Füchse im Winter von überall her zu neuen Begegnungen zusammenfinden und die Rüden in ihren Kämpfen mit der Kraft aufeinanderprallen, die dem Leben eignet seit Erschaffung der Welt.

Bei Anbruch der Nacht verließ der Fuchs die Schlucht. Lauschend verharrte er kurz und schnürte dann zum Eisenbahndamm, wechselte lautlos bald auf die eine, bald auf die andere Seite der Gleise. Er spähte nach Speiseresten, die Reisende aus den Wagenfenstern warfen. Lange musste er die Böschung entlanglaufen und allerlei Dinge beschnuppern, die widerlich rochen und ihn reizten, ehe er auf etwas halbwegs Brauchbares stieß. Die ganze Bahnstrecke war verschmutzt von Papierfetzen und zerknüllten Zeitungen, zerschlagenen Flaschen, Zigarettenstummeln, verbeulten Konservendosen und anderem Abfall. Besonders ekelhaft war der Gestank aus den Hälsen von heil gebliebenen Flaschen - geradezu betäubend. Nachdem ihm bereits zweimal davon taumlig geworden war, vermied er es, den Spritdunst einzuatmen. Fauchend sprang er jedes Mal rasch beiseite.

Das, wonach ihn verlangte, worauf er sich so lange vorbereitet und weswegen er seine Furcht bezwungen hatte, begegnete ihm nicht - wie zum Trotz. In der Hoffnung, doch noch Essbares zu finden, lief er unermüdlich weiter die Bahngleise entlang, huschte unentwegt von einer Seite des Damms auf die andere.

Plötzlich erstarrte der Fuchs mitten im Lauf mit angehobener Vorderpfote, als hätte ihn etwas überrascht. Im fahlen Licht des hohen, dunstigen Mondes stand er zwischen den Schienen wie ein Gespenst, ohne sich zu rühren. Das ferne Grollen, das ihn aufhorchen ließ, war nicht verschwunden. Noch war es weit entfernt. Die Lunte nach wie vor ausgestreckt, trat er unentschlossen von einer Pfote auf die andere, schon im Begriff, die Bahnstrecke zu verlassen. Doch unversehens begann er, noch hastiger die Böschung abzulaufen, immer noch in der Hoffnung, etwas zu entdecken, womit er sich stärken könnte. Er witterte es - gleich würde er auf einen Fund stoßen, obwohl von fern, wie ein unabwendbarer anschwellender Sturmangriff, Eisenrasseln und vielhundertfaches Räderklopfen näher kamen. Der Fuchs zögerte nur den Bruchteil einer Minute, aber das genügte - wie ein närrischer Schmetterling schreckte er auf und überschlug sich, als ihn von einer Gleiskrümmung her jäh die Nah- und Fernlichter voreinander gekuppelter Lokomotiven erfassten, als die mächtigen Scheinwerfer den vor ihnen liegenden Raum ausleuchteten und blendeten, die Steppe für einen Moment in weißes Licht tauchten und erbarmungslos ihre leblose Dürre bloßlegten. Der Zug aber ratterte todbringend über die Schienen. Die Luft roch auf einmal brandig und staubig, es kam auch ein Windstoß.

Hals über Kopf stürzte der Fuchs von dannen, immerfort sich umsehend, sich ängstlich zur Erde duckend. Das Ungeheuer mit den laufenden Lichtern polterte jedoch noch lange vorbei, klopfte noch lange mit den Rädern. Wieder sprang der Fuchs auf und suchte sein Heil in der Flucht.

Als er dann verschnauft hatte, zog es ihn erneut zur Eisenbahn, wo er seinen Hunger stillen könnte. Doch schon wieder sah er auf der Strecke Lichter, wieder schleppte ein Lokomotivenpaar einen langen Güterzug.

Da entschloss sich der Fuchs, einen weiten Bogen durch die Steppe zu machen; vielleicht käme er bei der Eisenbahn an einer Stelle heraus, wo keine Züge fuhren.

Die Züge in dieser Gegend fuhren von Ost nach West und von West nach Ost.

Zu beiden Seiten der Eisenbahn aber erstreckten sich in dieser Gegend große öde Landstriche - Sary-Ösek, das Zentralgebiet der gelben Steppe.

In dieser Gegend bestimmte man alle Entfernungen nach der Eisenbahn, wie nach dem Greenwicher Nullmeridian.

Die Züge aber fuhren von Ost nach West und von West nach Ost ...

Um Mitternacht stapfte jemand lange und beharrlich zu seinem Weichenstellerhäuschen, zunächst direkt über die Bahnschwellen; als aber dann vorn ein Zug auftauchte, ließ er sich die Böschung hinabgleiten und arbeitete sich weiter vor wie im Schneegestöber, mit den Händen Wind und Staub abwehrend, die der Güterschnellzug aufwirbelte (das war ein Sonderzug, der überall freie Fahrt hatte und dann zur Sperrzone Sary-Ösek-1 abzweigte, dort hatten sie ihren eigenen Bahndienst, kurz, er fuhr zum Kosmodrom, daher war er auch durchgängig mit Zelttuchplanen abgedeckt, und auf den Flachwagen standen Militärposten). Edige begriff sofort, dass seine Frau zu ihm eilte, und zwar aus einem ernsten Grund. Aber die Dienstpflicht erlaubte ihm nicht, sich von seinem Platz zu entfernen, ehe der letzte Wagen mit dem Zugbegleiter auf der offenen Plattform vorübergerollt war. Sie signalisierten einander mit Laternen, dass auf der Strecke alles in Ordnung war, erst dann wandte sich der von dem ununterbrochenen Lärm halb ertaubte Edige der Frau zu.

»Was gibt es?«

Erregt sah sie ihn an und bewegte die Lippen. Edige hörte nicht, was sie sagte, verstand jedoch - hatte es gleich vermutet.

»Komm hierher, aus dem Wind.« Er führte sie ins Haus.

Doch bevor er aus ihrem Mund vernahm, was er ohnedies ahnte, machte ihn etwas anderes betroffen. Zwar hatte er auch früher schon bemerkt, dass es aufs Alter zuging, doch als sie nach dem schnellen Lauf so heftig keuchte, aus ihrer Brust ein so qualvolles Röcheln drang und ihre abgemagerten Schultern sich dabei so unnatürlich hoben, ergriff ihn Mitleid. Das grelle elektrische Licht in dem geweißten Eisenbahnerhäuschen zeigte mit einem Mal schroff die nun schon unausmerzbaren Falten auf Ükübalas bläulich angelaufenen Wangen (dabei war sie einmal eine stattliche Brünette gewesen, die dunkle Haut mit einem Anflug ins Weizenfarbene, die strahlenden Augen voll schwarzem Glanz), dazu dieser eingefallene Mund, der ein übriges Mal daran erinnerte, dass auch eine Frau, deren Zeit abgelaufen ist, nicht zahnlos sein muss (längst hätte er sie zur Bahnstation bringen und ihr Metallzähne einsetzen lassen sollen, mit denen heutzutage Alt und Jung rumläuft), und nicht zuletzt die grauen,...


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Autor

Tschingis Aitmatow, 1928 in Kirgisien geboren, arbeitete nach der Ausbildung an einem landwirtschaftlichen Institut zunächst in einer Kolchose. Nach ersten Veröffentlichungen zu Beginn der Fünfzigerjahre besuchte er das Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und wurde Redakteur einer kirgisischen Literaturzeitschrift, später der Zeitschrift Novyj Mir. Mit der Erzählung Dshamilja erlangte er Weltruhm. Tschingis Aitmatow verstarb am 10. Juni 2008 im Alter von 79 Jahren.

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