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TEXT + KRITIK 241 - Hans-Ulrich Treichel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
102 Seiten
Deutsch
edition text + kritikerschienen am09.02.20241. Auflage
Einfühlungsvermögen und historische Genauigkeit - im melancholischen Ton kreisen Treichels Erzähler um Alltag, Sorgen und Verstörung im Nachkriegsdeutschland. Hans-Ulrich Treichel (geb. 1952) gehört zu den wichtigsten Autoren der deutschen Literaturgeschichte nach 1989; sein Roman 'Der Verlorene' (1998), Welterfolg, Bestseller und (Schul-)Klassiker, übersetzt in über 25 Sprachen, gilt als einzigartige Erzählung über die psychosozialen Verwerfungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mittlerweile ergeben Treichels Romane eine Art Psychogramm der bundesdeutschen Gesellschafts- und Intellektuellengeschichte; sein literarischer Stil changiert zwischen Sprachvirtuosität, Melancholie und Heiterkeit, insbesondere die ironische Selbstreflexion seiner Figuren hat den 'Treichel-Sound' berühmt gemacht. Als Professor am Leipziger Literaturinstitut hat Treichel zahlreichen Autorinnen und Autoren das literarische Schreiben gelehrt, als Literaturwissenschaftler sich um das Werk Wolfgang Koeppens verdient gemacht. Das eigene Werk umfasst neben Prosa zahlreiche Gedichtbände, Reisebeschreibungen, autobiografische Skizzen, Essays zum literarischen Schreiben und zur modernen Literatur.

Walter Erhart ist Professor für germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind deutsche Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Literaturtheorie, Wissenschaftsgeschichte, Reiseliteratur sowie Gender Studies.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
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E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR27,99

Produkt

KlappentextEinfühlungsvermögen und historische Genauigkeit - im melancholischen Ton kreisen Treichels Erzähler um Alltag, Sorgen und Verstörung im Nachkriegsdeutschland. Hans-Ulrich Treichel (geb. 1952) gehört zu den wichtigsten Autoren der deutschen Literaturgeschichte nach 1989; sein Roman 'Der Verlorene' (1998), Welterfolg, Bestseller und (Schul-)Klassiker, übersetzt in über 25 Sprachen, gilt als einzigartige Erzählung über die psychosozialen Verwerfungen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mittlerweile ergeben Treichels Romane eine Art Psychogramm der bundesdeutschen Gesellschafts- und Intellektuellengeschichte; sein literarischer Stil changiert zwischen Sprachvirtuosität, Melancholie und Heiterkeit, insbesondere die ironische Selbstreflexion seiner Figuren hat den 'Treichel-Sound' berühmt gemacht. Als Professor am Leipziger Literaturinstitut hat Treichel zahlreichen Autorinnen und Autoren das literarische Schreiben gelehrt, als Literaturwissenschaftler sich um das Werk Wolfgang Koeppens verdient gemacht. Das eigene Werk umfasst neben Prosa zahlreiche Gedichtbände, Reisebeschreibungen, autobiografische Skizzen, Essays zum literarischen Schreiben und zur modernen Literatur.

Walter Erhart ist Professor für germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind deutsche Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Literaturtheorie, Wissenschaftsgeschichte, Reiseliteratur sowie Gender Studies.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783967079357
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum09.02.2024
Auflage1. Auflage
Seiten102 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4846 Kbytes
Artikel-Nr.13844463
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
- Hans-Ulrich Treichel: Gesänge vom Guadalquivir - Kerstin Preiwuß: Und plötzlich wird ein Autor sichtbar - Thorsten Jantschek: Der Ton macht den Roman - Eine sonische Anmerkung - Klaus-Michael Bogdal: "Unauffindbar und unbetretbar". Von der Unmöglichkeit, Geschichte zu schreiben - Dorothee Kimmich: Familienähnlichkeiten. Vom Zauber ostwestfälischer Fleischereien - Christian Dawidowski: "Der Verlorene" im Schulkanon - Walter Erhart: "Ich musste mir davon erzählen". Zur Poetik und Kritik des Autobiografischen - Achim Geisenhanslüke: Scham. Zur Präsenz einer starken Empfindung bei Hans-UlrichTreichel und Philippe Grimbert - Ulrike Vedder: Genus mediocre. Interpassives Erzählen in Hans-Ulrich Treichels Roman "Schöner denn je" - Eckhard Schumacher: "Und wo, wenn ich fragen darf, ist der große Roman?" Über Hans-Ulrich Treichel und Wolfgang Koeppen - Frieder von Ammon: Offene Räume. Treichel als Librettist - Jan Andres: Dichten vom Dichter. Zu Hans-Ulrich Treichels Lyrik - Hans-Ulrich Treichel: Vier Gedichte - Auswahlbibliografie- Notizenmehr
Leseprobe



Kerstin Preiwuß
Und plötzlich wird ein Autor sichtbar

Es geht um Hans-Ulrich Treichel, doch um welchen Treichel geht es mir? Um den Treichel, der der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft ihre Wurzeln vor Augen hielt, etwa anhand der Erbgutuntersuchung der Eltern im »Verlorenen«? Um den Treichel, der den Mehltau einer solchen Kindheit und Jugend zu schildern wusste wie auch den Mangel darunter? Um den Treichel, der sich Identität vom Leibe hält, indem er sie erfindet? Um den Treichel der frühen Prosa, der es mithilfe seiner Figur auf der Couch der Westberliner Psychoanalyse liegend verstand, nicht nur der Psychoanalyse die Gesellschaft vorzuhalten, sondern auch der Gesellschaft die Psychoanalyse, in tragikomischer Vollendung? Drei bis vier Generationen währt das Familiengedächtnis, und auch, wenn man es nach Westberlin geschafft hat, ist der Weg zurück zu den Wurzeln kurz und die BRD möglicherweise noir. Dann doch lieber jener Treichel, der einem lakonisch vorführt, dass auch der Weg zurück zu den Wurzeln nicht unbedingt zu Näheerlebnissen verhilft. Das Dorf der Vorfahren ist nicht erreichbar, weil es falsch geschrieben worden ist. Und selbst, als der Protagonist »Anatolin« endlich erreicht, bleiben seine paar Häuser für den Westeuropäer ohne Resonanz. Ernüchterung ist nicht der schlechteste Umgang angesichts der kulturellen Hypothek, die die deutsche Perspektive auf die bloodlands bis heute belastet. Oder doch der Treichel, mit dem ich ab und an über Raumgeografie sprach, der meine Begeisterung für Karl Schlögels bahnbrechendes Werk »Im Raume lesen wir die Zeit«1 teilte, und der dann meinte, dass Lemberg eine Reise wert sei?

Das allein wäre schon einen Text wert, aber darum soll es hier nicht gehen. Stattdessen möchte ich einen Vorschlag aufgreifen, den der Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel einmal in einem Artikel äußerte. »Und plötzlich wird ein Autor sichtbar« heißt dieser Text, den er 2016 veröffentlichte, fast am Ende seiner Professur am Literaturinstitut in Leipzig.2

Sofort denke ich an Gespräche über Autorschaft und autobiografisches Schreiben und die Aufgabe zeitgrammatischer Tempora, die Ge- und Entspanntheit von Sprache abzubilden, und ob ein Prosatext nun im Präsens oder im Präteritum zu schreiben sei. An die fortwährende Beobachtung der Welt mit den Mitteln der Selbstwahrnehmung aus dem Blickwinkel eines an Montaigne geschulten homme de lettres. Autor, denke ich, und wie Hans-Ulrich Treichel einmal erzählt hat über seinen Aufenthalt in der Villa Massimo, als der Lyriker vorerst nur wusste, dass er erzählen wollte, und was das für die eigene Autorschaft bedeuten kann, wenn diese schon allein im Schreibimpuls begreifbar wird, sich, wie es in Roland Barthes Vorbereitung des Romans heißt, im intransitiven Schreiben äußert, einer »Schreibsubjektivität«, die sich unabhängig vom » etwas schreiben [â¦] um einer SACHE willen« macht: »Ich schreibe, indem ich im Schreibvorgang selbst auf mich einwirke.«3 Das wusste einen zu beruhigen, weil es der Autorschaft auch in ihrem Puppenstadium schon die Selbstverständlichkeit mitgab, nicht nahm.

Doch darum geht es gar nicht. Es geht nicht um Autorschaft, sondern um Wissenschaft. Lakonisch setzt der Text mit einer Suche im Opac der Universität Bielefeld oder auch Leipzig ein und stellt anhand gefundener Schreibratgeber für Akademiker fest: »Offenbar besteht hier Beratungsbedarf.« Und weiter, im Stil einer beiläufigen Abstandsgeste, »dass es eigentlich keinen Grund gibt, diesen Büchern mehr zu misstrauen als anderen auch«.4 Diese freundliche wie vorsichtige Haltung lässt bereits den Autor erkennen. Zu den »favorisierten und unvergessenen Ratschlägen« aus solchen Ratgebern »zählt beispielsweise die Aufforderung: Schreibe jeden Satz so, dass der Leser auch den nächsten lesen will. Dagegen ist weder literarisch noch wissenschaftlich etwas zu sagen.«5 Schon fange ich an zu lächeln, aber Moment, wo befinde ich mich hier? In einem wissenschaftlichen Artikel? Darf man in einem wissenschaftlichen Artikel lächeln? Auch an diese mögliche Reaktion schließt der Text mit rhetorischen Fragen an, schließt also das Lächeln nicht aus: »Es fragt sich allerdings, wie dieser spezielle Satz jeweils aussehen soll. Subjekt-Prädikat-Objekt? Hypotaktisch oder parataktisch? Hegelianisch, nietzeanisch, adornitisch? Mit nachgestelltem Reflexivpronomen? Schreiben wie Luhmann? Wie Derrida? Oder wie der eigene Doktorvater? Aber wie schreibt der eigentlich?«6 Adornitisch? Echt jetzt? Gibt es das Wort überhaupt? Nein, aber es kann es geben. Und es kann für den Moment treffender als eine Definition formuliert sein, gerade weil es Sprache bildet und sie nicht nur beschreibt. Das Geäußerte geht nicht nur bei Hölderlins »Hälfte des Lebens« in die Äußerung über, warum sollte man das übergehen? Man darf, kann, soll sich auf die Suche nach einer »Poetik des wissenschaftlichen Textes«7 begeben, und ich möchte laut danken für diese Wortgruppenkombination von Poetik und Wissenschaft, die mir schon so häufig begegnet ist. Roman Jakobson etwa beendet seinen Text »Von einer Generation, die ihre Dichter vergeudet hat«, eine luzide Analyse der Poetik Wladimir Majakowskis, in zerbrochener Emphase: »Wenn die Sänger ermordet sind und man das Lied ins Museum schiebt und an das Gestern heftet, wird diese Generation noch verwüsteter, verwaist und ruhelos, ein Habenichts im wahrsten Sinn des Wortes.«8 Claude Lévi-Strauss beginnt seinen wegweisendsten Text mit »Ich hasse Reisen und Forscher«,9 was genauso gut für einen Romananfang gelten kann. Nicht zuletzt vergibt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung jedes Jahr den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. Und das soll nichts mit Poetik zu tun haben?

Weiter im Treichel. Natürlich hängt es auch vom Stoff, von der Reflexionsdichte und dem Grad der Intertextualität ab, von welcher Sprechweise ein wissenschaftlicher Artikel ausgeht. Und natürlich gehen dem Schreibentscheidungen voraus. Ein eher persönlicher Essay mit weniger Verweisen auf Sekundärliteratur böte mehr Raum für die Fähigkeit, Ich zu sagen. Doch »Originalgenies unter Philologen sind selten und sehr persönlich schreibende Essayisten alles in allem auch«.10 Stattdessen gibt es die, die immer an irgendetwas sitzen. Ihre »beständig fortgesetzte Produktivität« wird hinterfragbar als »eine Form von blindem Drang oder gar schöpferischer Besessenheit«11 - Eigenschaften, die man eher der Kunst zuschreibt.

Ich erinnere mich, wie meine Doktormutter einmal zu mir sagte, sie hätte die nächsten Wochen wenig Zeit, sie müsse Aufsätze schreiben, und ich dieses »muss« so verstand, wie ich schreiben müssen immer verstehe: als Aufgabe, die einem niemand stellt, sondern die man sich selbst sucht und die einen von anderen Dingen abhält. Erneut drängt sich Barthes auf, diesmal mit seinen Kategorien der Prüfung, die dritte ist die der Absonderung, »die Prüfung der sozialen Isolierung«,12 »das Opfer an Zeit, die notwendige soziale Isolierung, die verdorbenen Familienfeiern«,13 was bei einem Autor von Aufsätzen ebenso dramatisch sein kann wie bei einem Autor von Romanen, man kann es aus den Danksagungen fertiggestellter Monografien herauslesen. Auch die Wissenschaft kennt laut Treichel schriftgewordenes Leben.

Warum quillt dann aber das Regal über vor poetologischen Selbstäußerungen literarischer Autoren, ob zu ihrem Schreiben oder zum Schreiben allgemein, und findet sich nichts dergleichen in der Selbstaussage wissenschaftlicher Autoren? Warum sagt hier niemand, wie man, wir, ich schreibt? Wissen sie denn nichts über das Scheitern, den Souveränitätsentzug, dass die Sprache einem angesichts der Aufgabe erst einmal zerfällt und man sie mühsam zusammensetzen muss?

Ich habe meine Doktorarbeit auch unter anderem deshalb zu Ende geschrieben, weil ich dadurch auch meine Romane schrieb. Ich weiß um die Strategien ihrer Gliederung, den einen Moment, in dem ich ein Ich platziert habe, den Komplexitätsgewinn, den ich durch die stete Wiederholung eines bestimmten Beispiels über sämtliche Kapitel hinweg zu erreichen wünschte, um eine sich allmählich vertiefende Lesart aus verschiedenen Perspektiven nicht nur zu bewirken, sondern auch zu verdeutlichen.

Warum schreiben dann gerade Philologinnen und Philologen nicht über ihr eigenes Schreiben? In einem Fachgebiet, in dem es so sehr um hochwertiges Schreiben geht, um dessen Methoden, Werkzeuge, Verzahnungen, Einschreibungen und Einsprengsel? Schreiben zu thematisieren bedeutet ja nicht zwangsläufig, sich selbst in Szene zu setzen, sondern all die Strategien, die der spezifische Schreibprozess für die Wissenschaft bereithält, nachzuverfolgen. Warum nur hat Barthes zwar über sein Unvermögen reflektiert, keinen Roman schreiben zu können, aber nicht über sein Vermögen, dieses Unvermögen zu reflektieren?

Treichel stellt nun die Antwort herausfordernde, das Denken anstoßende These in den Raum »dass ein brillanter Text oder auch einer, der zumindest mehr als gut genug ist, zugleich der wissenschaftlich wertvollere ist. Die Frage nach dem Verhältnis von Wissen und Poesie wäre auf unseren Kontext bezogen die nach dem Zusammenhang von Stil und Wissen auch im Sachtext.«14 Warum also nicht über meinetwegen science writing nachdenken, wenn es life writing oder nature writing bereits gibt, warum nicht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darum bitten, von ihrer Forschung zu...

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