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Banm yon ti limyè: Vergemeinschaftung und Zusammenleben in haitianischen Romanen nach 1986

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
349 Seiten
Deutsch
Narr Francke Attempto Verlagerschienen am12.02.20241. Auflage
Haiti ist der Ort, an dem 1804 zum ersten Mal die Sklaverei dauerhaft abgeschafft und damit die Ideale der Französischen Revolution auf radikale Weise weitergedacht wurden. Dieses weltbedeutende Ereignis taucht im öffentlichen Diskurs über Haiti heute nur wenig auf, stattdessen dominieren Superlative der Misere, die dem Land, seiner Literatur und seiner Geschichte nicht gerecht werden. Angesichts dessen möchte diese Studie aus einer post-kolonialen Perspektive einen Beitrag dazu leisten, Haiti als literarischen und Denkraum für ein globales und gerechteres Zusammenleben sichtbar zu machen. Im Fokus stehen dabei vier französischsprachige, haitianische Romane, die nach dem Ende der gewaltvollen Duvalierära (1957-1986) erschienen sind, und die sich auf unterschiedliche Weise Fragen von Vergemeinschaftung und Zusammenleben widmen. Es wird gezeigt, wie die Texte Schlüsselbegriffe der französischen Aufklärung aufgreifen, kommentieren und transformieren, historische Erfahrungen diskutieren und dabei über die Grenzen Haitis hinaus mögliche (neue) Formen des Zusammenlebens entwerfen.

Lisa Brunke studierte Germanistik, Politikwissenschaften und Transnationale Literatur- wissenschaften in Hannover, Bremen und auf Martinique. Sie promovierte in dem DFG-Projekt . Transatlantische Ideenzirkulation und -transformation: Die Wirkung der Auf-klärung in den neueren frankokaribischen Literaturen an der Martin-Luther- Universität Halle Wittenberg. Gegenwärtig hat sie eine Stelle als DAAD-Lektorin am Germanistischen Institut an der Université Aix-Marseille inne. Brunke arbeitet vor allem zur Literatur Haitis und zu feministischen und postkolonialen Fragestellungen in der Literatur und ist Mitglied des Redaktionskollektives Under Currents - Forum für linke Literaturwissenschaft.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR78,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR62,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR62,99

Produkt

KlappentextHaiti ist der Ort, an dem 1804 zum ersten Mal die Sklaverei dauerhaft abgeschafft und damit die Ideale der Französischen Revolution auf radikale Weise weitergedacht wurden. Dieses weltbedeutende Ereignis taucht im öffentlichen Diskurs über Haiti heute nur wenig auf, stattdessen dominieren Superlative der Misere, die dem Land, seiner Literatur und seiner Geschichte nicht gerecht werden. Angesichts dessen möchte diese Studie aus einer post-kolonialen Perspektive einen Beitrag dazu leisten, Haiti als literarischen und Denkraum für ein globales und gerechteres Zusammenleben sichtbar zu machen. Im Fokus stehen dabei vier französischsprachige, haitianische Romane, die nach dem Ende der gewaltvollen Duvalierära (1957-1986) erschienen sind, und die sich auf unterschiedliche Weise Fragen von Vergemeinschaftung und Zusammenleben widmen. Es wird gezeigt, wie die Texte Schlüsselbegriffe der französischen Aufklärung aufgreifen, kommentieren und transformieren, historische Erfahrungen diskutieren und dabei über die Grenzen Haitis hinaus mögliche (neue) Formen des Zusammenlebens entwerfen.

Lisa Brunke studierte Germanistik, Politikwissenschaften und Transnationale Literatur- wissenschaften in Hannover, Bremen und auf Martinique. Sie promovierte in dem DFG-Projekt . Transatlantische Ideenzirkulation und -transformation: Die Wirkung der Auf-klärung in den neueren frankokaribischen Literaturen an der Martin-Luther- Universität Halle Wittenberg. Gegenwärtig hat sie eine Stelle als DAAD-Lektorin am Germanistischen Institut an der Université Aix-Marseille inne. Brunke arbeitet vor allem zur Literatur Haitis und zu feministischen und postkolonialen Fragestellungen in der Literatur und ist Mitglied des Redaktionskollektives Under Currents - Forum für linke Literaturwissenschaft.

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Preface


1988 erscheint das Album Organizasyon Mondyal des haitianischen Sängers und Aktivisten Manno Charlemagne, auf dem sich ein Stück mit dem Titel Banm yon ti limyè findet. In diesem Lied, dessen Veröffentlichung in die Zeit unmittelbar nach Ende der Diktatur fällt, klagt Charlemagne miserable Lebensbedingungen und soziale Ungleichheit an. Als einziger Ausweg, so der Text, verbleibt der gemeinsame Kampf der Armen, um zu erwirken, dass die Sonne für alle scheinen wird und alle von der gleichen Wärme profitieren werden . Licht und Sonne fungieren in dem Song sowohl als ein Symbol für Erkenntnis, vergleichbar mit der Motivik der Lumières, als auch als Bild einer besseren Zukunft, ähnlich ihrer metaphorischen Verwendung in Jacques Stephen Alexis Roman Compère Général Soleil (1955) oder in L Internationale (Pottier 1871). Damit vereint dieses Stück Charlemagnes die Frage nach neuen Formen des Zusammenlebens und die Kritik an bestehenden Ungleichsverhältnissen nach 1986, mit der Bildsprache der Lumières und dem haitianischen kreyòl, weshalb das Musikstück als Auftakt ausgewählt wurde.

Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojektes Transatlantische Ideenzirkulation und - transformation: Die Wirkung der Aufklärung in den neueren frankokaribischen Literaturen von Ende 2017 bis Mitte 2022. Ebenso wie der Titel des Gesamtprojektes evoziert auch die Thematik dieser Studie unter dem Begriff der Zirkulation die Präsenz mehrerer Orte, Epochen und kultureller Kontexte. Das Frankreich der Aufklärung und das revolutionäre Haiti des 18. und 19. Jahrhunderts sowie der post-koloniale Karibikstaat der Gegenwart spielen dabei ebenso eine Rolle wie philosophisch-politische Konzepte und literarische Entwürfe. Damit vollziehen sich unter dem Begriff der Wissenszirkulation nicht nur Zirkulations-, Transformations- und Austauschprozesse zwischen verschiedenen Räumen der Welt und Übertragungen aus vergangenen Epochen, sondern auch Wechselwirkungen zwischen Ideengeschichte, politisch-philosophischen Texten und literarischen Werken. In diesem Sinne verbindet das Projekt unterschiedliche geisteswissenschaftliche Disziplinen und Forschungsbereiche, darunter die politische Ideengeschichte und kulturtheoretische, post- koloniale Ansätze aus der Karibik sowie die aktuelle Literatur Haitis, und bewegt sich somit an der Schnittstelle zwischen politischer Philosophie, frankoromanistischer Literaturwissenschaft und post-kolonialen Caribbean und Haitian Studies.

Grundlegend für diese Studie sind mehrere Annahmen: erstens die Prämisse, dass mit dem Komplex Aufklärung/Kolonialismus bzw. Frankreich/Haiti Zirkulationsbewegungen in Gang gesetzt wurden, welche die Universalisierung aufklärerischer Ideen durch die Haitianische Revolution ermöglichte; zweitens die Annahme, dass Formen des Zusammenlebens und der Vergemeinschaftung sich in starkem Maße über narrative und imaginäre Formen vermitteln, weshalb Literatur ein prädestiniertes Medium für ihre Auseinandersetzung und Untersuchung ist, und abschließend, dass mit dem Ende der Duvalier-Diktatur 1986 Fragen des Zusammenlebens in Haiti an Relevanz gewinnen, und dass die Literatur den Entwicklungen dieser Zeit Rechnung trägt. Diese Auseinandersetzung mit dem konvivialen Potential der haitianischen Literatur nach 1986 ist zentral für das dargestellte Forschungsvorhaben. Konkret wird gefragt: Welche Bilder der Vergemeinschaftung und Entwürfe von Zusammenleben werden in den haitianischen frankophonen Romanen ab 1986 verhandelt und auf welche Weise reflektieren diese die Übergangsphase nach der Diktatur? Inwiefern greifen diese Texte Konzepte bzw. Denktraditionen der Aufklärung wie citoyenneté und contrat social, Freiheit, Humanismus und Kosmopolitismus auf? Welche Antworten auf aktuelle Herausforderungen in der haitianischen Gesellschaft, aber auch welche Entwürfe für ein globalisiertes Zusammenleben in einer post-kolonialen Gegenwart lassen sich in der Literatur finden? Damit untersucht diese Arbeit die Wirkung der Aufklärung und die Entwürfe von Zusammenleben und Vergemeinschaftung in haitianischen Romanen nach 1986 und stellt die Frage, welche Tendenzen sich daraus für den spezifischen haitianischen Kontext, aber mitunter auch für globale Zusammenhänge, ableiten lassen. Es lässt sich kritisch fragen, ob tatsächlich die Aufklärung, als eine von Europa her gedachte Annäherung, die beste bzw. einzige Wahl für die Auseinandersetzung mit der Literatur Haiti sein kann und sollte. So birgt dieser Zugriff die Gefahr eurozentrische Denkweisen zu reproduzieren, die literarischen Erzeugnisse in bestimmte Konzepte einzupassen oder andere mögliche (afrodeszendente) Interpretationen zu vernachlässigen. Trotz dieses berechtigen Einwandes kann eine eindeutige Austauschbeziehung zwischen Konzepten der Aufklärung und Haiti zur Zeit der Revolution nachgezeichnet und auch eine verstärkte Präsenz dieser Konzepte ab 1986 festgestellt werden. Es ist das Ziel dieser Studie, dieser Tendenz in literarischen und gesellschaftlichen Diskursen in Haiti nach Duvalier nachzugehen und dabei den Versuch zu unternehmen, die Aufklärung konsequent aus der Perspektive der Haitianischen Revolution und damit von der Unterseite her post-kolonial und nicht hegemonial zu lesen. Aufgrund der Zielrichtung dieser Studie kann die Auseinandersetzung mit der Genese philosophischer Schlüsselbegriffe nicht erschöpfend erfolgen. Gleichsam knüpft der Zugriff über reaktualisierte Konzepte der Aufklärung, nicht nur an Fragen an, die Natascha Ueckmann und Gisela Febel in ihrer Einleitung zu Pluraler Humanismus. Négritude und Negrismo weitergedacht (2018) aufwerfen, sondern diese Perspektivierung erweist sich als hochgradig produktiv für die Lektüre der ausgewählten Romane und erfährt durch aktuelle Stellungnahmen haitianischer Autor:innen Bestätigung (vgl. u. a. Lahens 2019, 2021; Trouillot 2017; Le Nouvelliste 2019; Peck 2021). Febel und Ueckmann verweisen auf die Karibik als Ort der Kritik an universalisierten Menschheits- und Vergemeinschaftungskonzepten und als einer der prädestinierten und produktivsten Orte für Kulturtheorien der Gegenwart zugleich. Angesichts der Beobachtung ausgeprägter kollektiver Tendenzen in der Karibik, die sich im aufgeklärten Europa längst verindividualisiert haben, werfen sie die Frage auf, ob die Karibik nicht heute sogar als besserer Erbe des humanistischen Denkens betrachtet werden könnte und fragen dabei ebenso nach den humanistischen Ideen, der Präsenz und Form von citoyenneté und volonté générale, wie auch nach dem Transzendieren der Aufklärung. Als erste anti-koloniale Republik und freier, frankokaribischer Staat kommt Haiti hierbei eine besondere Position zu, die die Insel zusätzlich für post-koloniale Perspektiven auf Fragen des Zusammenlebens auszeichnen.

Im Anschluss an diese Reflexionen und an meine eigenen Beobachtungen lautet die These dieser Studie, dass die in den Romanen verhandelten Vergemeinschaftungen und Entwürfe des Zusammenlebens die Rolle des Individuums auf eine Weise verhandeln, die einem bürgerlichen bzw. liberalistischen Individualismus westlicher Traditionen widerspricht. Dabei jedoch, so der zweite Teil der These, verfallen diese alternativen Entwürfe keinesfalls einem starren Kommunitarismus und abgeschlossenen, kollektiven Gebilde, sondern bringen innovative Formen hervor, die Vernetzung, Interdependenzen und Kollektivität privilegieren und so der post-kolonialen Vergangenheit, der Präsenz unterschiedlicher kultureller Einflüsse, aber auch der starken Verbreitung kollektiver Lebensformen in Haiti, Rechnung tragen.

Um diese These im Rahmen der vorliegenden Studie zu überprüfen und dabei neuen Vergemeinschaftungsentwürfen und Konzepten des Zusammenlebens für ein post-koloniales und egalitäreres 21. Jahrhunderts nachzugehen, beginnt diese Untersuchung mit dem Zeitalter der Aufklärung, d. h. in der Zeit zwischen 1650 und 1800. So wendet sich die Einleitung: Haïti et les Lumières - Zwischen Emanzipation und Unterdrückung dieser Epoche und einer Auswahl ihrer Vergemeinschaftungskonzepte zu und nimmt dabei eine universalisierenden Relektüre zentraler Schlüsselbegriffe (citoyenneté/contrat social, Freiheit, Humanismus und Kosmopolitismus) durch die Ereignisse und Ideen der Haitianischen Revolution vor.

Das darauffolgende Kapitel Zwischen Vergemeinschaftung und Konvivialität - Grundzüge des Gemeinsamen nähert sich dem Begriff der Vergemeinschaftung an und legt dabei u. a. dar, weshalb dieser in der vorliegenden Studie anstelle von Gemeinschaft gebraucht wird. Desweiteren setzt sich dieser Teil mit der Operationalisierung zentraler vergemeinschaftender Prozesse und Strukturen für die Erzähltextanalyse auseinander und stellt in diesem Zuge soziale Formen vor, die für den karibischen, post-plantation-Kontext und Haiti zentral und relevant sind. Eine Besonderheit der vorliegenden Studie stellt die Anwendung eines prozeduralen Gemeinschaftsbegriffes und dessen Anwendung auf narrative, literarische Texte dar. Bereits Celia Britton, Valérie Loichot, und Raphaël Lambert haben sich mit der Verhandlung von Gemeinschaft in (franko)karibischen Texten auseinandergesetzt, ihre Arbeiten legen jedoch keinen Fokus auf haitianische Texte und die von den Autor:innen verwendeten Begriffe von Gemeinschaft unterscheiden sich erheblich von dem in dieser Studie entwickelten...
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Autor

Lisa Brunke studierte Germanistik, Politikwissenschaften und Transnationale Literatur-
wissenschaften in Hannover, Bremen und auf Martinique. Sie promovierte in dem DFG-Projekt . Transatlantische Ideenzirkulation und -transformation: Die Wirkung der Auf-klärung in den neueren frankokaribischen Literaturen an der Martin-Luther- Universität Halle Wittenberg. Gegenwärtig hat sie eine Stelle als DAAD-Lektorin am Germanistischen Institut an der Université Aix-Marseille inne. Brunke arbeitet vor allem zur Literatur Haitis und zu feministischen und postkolonialen Fragestellungen in der Literatur und ist Mitglied des Redaktionskollektives Under Currents - Forum für linke Literaturwissenschaft.
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