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Erlebtes Europa

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Verlag Kremayr & Scheriauerschienen am15.02.2024
'Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten.' (Walter Benjamin) Unsere ganz persönlichen Hoffnungen und Visionen wachsen aus unseren Erlebnissen. Mitbestimmt werden diese auch von politischen Faktoren. Aus seinen Begegnungen mit beeindruckenden Persönlichkeiten setzt sich für Herausgeber Helmut Brandstätter ein vielgestaltiges Europa zu einem spannenden Mosaik zusammen. Eine Generation, die noch im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist, sieht Entwicklungspotenziale anders als eine Generation, die den Fall der Berliner Mauer hautnah miterlebt hat. Menschen, die in der Pandemie das erste Mal Grenzkontrollen begegnet sind, teilen eine wieder andere Zukunfts-Perspektive. Vierzehn Persönlichkeiten aus drei Generationen erzählen von ihren Bildern Europas: Hannes Androsch, Helmut Brandstätter, Christa Chorherr, Vedran D?ihi?, Koschka Hetzer-Molden, Othmar Karas, Judith Kohlenberger, Manfred Osten, Anna Pattermann, Fari Ramic, Anna Schor-Tschudnowskaja, Timothy Smolka, Anna Stürgkh, Martin Weiss

Helmut Brandstätter, 1955 geboren, studierte Jura an der Universität Wien. Von 1982 bis 1997 beim ORF in Wien, Bonn und Brüssel als Redakteur, Korrespondent und Hauptabteilungsleiter Politik und Zeitgeschehen tätig. Danach Chefredakteur und Geschäftsführer bei n-tv, Berlin. Mitgründer und Geschäftsführer von PulsTV. Von 2010 bis 2018 Chefredakteur und von 2013 bis 2019 Herausgeber des KURIER. Seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat für die NEOS. Autor zahlreicher Bücher bei Kremayr & Scheriau.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

Klappentext'Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten.' (Walter Benjamin) Unsere ganz persönlichen Hoffnungen und Visionen wachsen aus unseren Erlebnissen. Mitbestimmt werden diese auch von politischen Faktoren. Aus seinen Begegnungen mit beeindruckenden Persönlichkeiten setzt sich für Herausgeber Helmut Brandstätter ein vielgestaltiges Europa zu einem spannenden Mosaik zusammen. Eine Generation, die noch im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist, sieht Entwicklungspotenziale anders als eine Generation, die den Fall der Berliner Mauer hautnah miterlebt hat. Menschen, die in der Pandemie das erste Mal Grenzkontrollen begegnet sind, teilen eine wieder andere Zukunfts-Perspektive. Vierzehn Persönlichkeiten aus drei Generationen erzählen von ihren Bildern Europas: Hannes Androsch, Helmut Brandstätter, Christa Chorherr, Vedran D?ihi?, Koschka Hetzer-Molden, Othmar Karas, Judith Kohlenberger, Manfred Osten, Anna Pattermann, Fari Ramic, Anna Schor-Tschudnowskaja, Timothy Smolka, Anna Stürgkh, Martin Weiss

Helmut Brandstätter, 1955 geboren, studierte Jura an der Universität Wien. Von 1982 bis 1997 beim ORF in Wien, Bonn und Brüssel als Redakteur, Korrespondent und Hauptabteilungsleiter Politik und Zeitgeschehen tätig. Danach Chefredakteur und Geschäftsführer bei n-tv, Berlin. Mitgründer und Geschäftsführer von PulsTV. Von 2010 bis 2018 Chefredakteur und von 2013 bis 2019 Herausgeber des KURIER. Seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat für die NEOS. Autor zahlreicher Bücher bei Kremayr & Scheriau.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783218014199
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.02.2024
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1111 Kbytes
Artikel-Nr.13881023
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Hannes Androsch
IM GESPRÄCH MIT HELMUT BRANDSTÄTTER

Helmut Brandstätter - Herr Dr. Androsch, Sie haben als Kind noch den Zweiten Weltkrieg erlebt, dann den Wiederaufbau, an dem Sie als Finanzminister und Vizekanzler unter Bruno Kreisky auch stark beteiligt waren. Nicht zuletzt aufgrund der Aufbauarbeit Ihrer Generation nahm Österreich, nahm ganz Europa einen unerwarteten Aufstieg. Zudem war Europa für junge Menschen - bis vor kurzem jedenfalls - ein friedlicher Kontinent, ein Kontinent ohne Grenzen. Die europäischen Förderprogramme Erasmus und Erasmus Plus haben viele zum Studium und zur Lehre in andere europäische Länder gebracht. Junge Menschen kennen folglich nur ein offenes Europa. Wie können Sie jungen Leuten erklären, was Krieg für Sie als Kind damals bedeutet hat?

Hannes Androsch - Am 12. März 1938 marschierte auf äußerst unbeholfene Weise die Wehrmacht des nationalsozialistischen Deutschlands in Österreich ein, annektierte unser Land und bezeichnete den aggressiven Akt irreführenderweise als Anschluss . Diese Behauptung wurde allerdings durch die Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 widerlegt [Anm.: der Anschluss wurde darin für ungültig erklärt]. Als ich aber am 18. April 1938 zur Welt kam, wurde ich aufgrund der Annexion Österreichs im Deutschen Reich geboren. Allerdings erhielt ich nach dessen Untergang automatisch die österreichische Staatsbürgerschaft. Anders war es bei dem berühmten Maler Oskar Kokoschka, dem die österreichische Staatsbürgerschaft im Dritten Reich aberkannt worden war, was er jedoch nie akzeptiert hatte und weshalb er auch nicht bereit war, einen formellen Antrag auf Wiedererlangung zu stellen, worauf aber der damalige Innenminister Otto Rösch aus formalen Gründen bestand. Als Rösch dann eine seiner seltenen Auslandsreisen machte, nutzte Bruno Kreisky die Gelegenheit, um im Ministerrat für Oskar Kokoschka den Antrag zu stellen, der dann auch sofort bewilligt wurde. So hat Oskar Kokoschka seine aus seiner Sicht ohnehin nie verlorengegangene österreichische Staatsbürgerschaft wiedererlangt.

Das kurze 20. Jahrhundert - das Zeitalter der Extreme, wie es der berühmte britische Historiker mit Wiener Wurzeln, Eric Hobsbawm, genannt hat - bedeutete in seiner ersten Hälfte für Europa die Katastrophe von zwei Weltkriegen, einer verheerenden Zwischenkriegszeit, unter anderem weil sich Amerika nach 1918 wieder in Isolation begeben hatte, mit unvorstellbaren Zerstörungen, Millionen Opfern und der Vernichtung der europäischen Juden in der Shoa, sowie verbunden mit einem gewaltigen Bedeutungsverlust Europas, der nie mehr behoben wurde. Dies war die tragische erste Hälfte des Zeitalters der Extreme. In der zweiten Hälfte erlebte Europa einen ungeahnten wirtschaftlichen Wiederaufstieg, allerdings begleitet von politischer Bedeutungslosigkeit und getrennt aufgrund der Zweiteilung des Kontinents durch den Eisernen Vorhang. Der westliche Teil, zu dem trotz zehnjähriger Besatzung Österreich zählte, konnte sich mittels amerikanischer Unterstützung und US-Sicherheitsschirm wirtschaftlich erholen. Dies hat sich bis heute nicht geändert.

Den Krieg mit seinen Bomben, Zerstörungen und seinen Opfern und der kriegswirtschaftlichen Mangelwirtschaft mit Lebensmittelkarten habe ich als Kind schon bewusst erlebt. Unweit des Siedlungshauses meiner Großeltern und Eltern war eine Luftabwehrkaserne der deutschen Wehrmacht. Wenn die Sirenen heulten, mussten wir in den Keller gehen und hoffen, nicht getroffen zu werden. Nach dem Krieg wurde die Kaserne dann für die nächsten zehn Jahre der Besatzungszeit von der Sowjetarmee übernommen.

Aufgewachsen bin ich in einer schon seit dem 1.-Mai-Aufmarsch des Jahres 1890 sozialdemokratischen und antifaschistischen Familie. Sie musste ihre Erfahrungen in den Tagen des 12. Februar 1934 machen, als die Gemeindewohnung meiner Eltern in Floridsdorf von der Artillerie des Bundesheeres schwer getroffen, einer meiner Großväter eingesperrt und ein Freund von ihm wie Wallisch und Münichreiter justifiziert wurde [Anm.: Die Schutzbund-Widerstandskämpfer Koloman Wallisch und Karl Münichreiter wurden in den Tagen nach den Februarkämpfen wie sieben weitere Männer zum Tode verurteilt und hingerichtet]. Meine eigene diesbezügliche Prägung erfuhr ich im Frühsommer des Jahres 1944, als ich nahe unserer Siedlung am Rande eines Ackers auf zwei Hitlerjungen in entsprechender Uniform traf. Ich kannte einen von ihnen. Der andere zwang mich mit seinem Hitlerdolch in der Hand, Gras und Erde zu schlucken.

Kurz nach Beginn meiner Schulzeit, als meine Mutter schon hochschwanger war, zogen wir zu bäuerlichen Verwandten nach Piesling in Südmähren, um der Bombengefahr zu entgehen. Als Folge davon besuchte ich nach wenigen Wochen bereits die zweite Klasse Volksschule. Der Lehrer dort war ein strenger und brutaler SA-Angehöriger, der in Uniform unterrichtete. Er hatte in der Ecke immer jede Menge Weidenruten stehen, die er sich von Schülern bringen ließ und die von den Bäumen stammten, die entlang der durch den Ort fließenden Thaya standen. Mit diesen Ruten schlug er seine Schüler, um sie zu bestrafen. Darunter war ein Verwandter von mir besonders betroffen. Als ich nach Ende des Krieges hörte, dass dieser Lehrer selbst mit Hundepeitschen gepeinigt wurde, entsprach dies meinem jugendlichen Gerechtigkeitsgefühl, auch wenn ich später gelernt habe, dass Unrecht plus Unrecht nie Recht, sondern nur zwei Mal Unrecht ergibt.

Das Kriegsende, das in Piesling bereits Anfang April eintrat, bedeutete für mich insgesamt den Verlust meines ersten Schuljahres. Ich erlebte die Flucht der deutschen Wehrmacht vor der Roten Armee und den Einzug der Sowjetsoldaten in unseren Ort, wo sie ein Lager errichteten.

Mein Großonkel, der seinen Bauernhof schon übergeben hatte, hatte in seinem Ausgedinge-Haus das einzige Badezimmer des Ortes. Die Offiziere der Sowjetarmee erfuhren das sehr schnell und nutzten dies für sich. Meine Mutter, die nur wenige Monate zuvor im Dezember 1944 meine Schwester entbunden hatte, musste die Badedienste leisten.

Nur wenige Wochen nach Kriegsende verkündete um 10 Uhr vormittags der Dorftrommler, der üblicherweise die Gemeindenachrichten verbreitete, dass die deutschsprachige Bevölkerung bis zum Mittag Haus und Hof verlassen müsse. Ich erinnere mich, dass Großonkel und Großtante in Sonntagsgewand und Winterkleidung an einem heißen Tag die Türschwelle küssten und dann ihr Haus verließen. Zuvor hatte noch ein tschechischer Bürger meinen Großonkel besucht; die beiden hatten sich weinend umarmt und der Tscheche meinte: Wir haben uns doch immer so gut verstanden. Als eigentliche Österreicher durften wir zwei Tage länger bleiben. Daher konnten wir die lange Schlange der Dorfbewohner sehen, wie sie am Haus des Großonkels vorbeiziehend ihre Heimat verlassen mussten, die sie seit Generationen bewohnten. Wir selbst durften dann das Gefährt des Großonkels zur Ausreise benutzen. Ein tschechischer Gendarm meinte, dass der Hausrat meines Großonkels uns gehöre, und so konnten wir wenigstens dieses Hab und Gut über die nahegelegene Grenze in den ersten österreichischen Ort Weikertschlag mitnehmen. Dort fanden wir, wie viele andere Verwandte, in einem kleinen Häuschen Unterkunft; wir waren etwa 30 Personen. Da habe ich erstmals erlebt, was gelebte Solidarität unter bescheidenen und schwierigsten Umständen bedeutet.

Den Rückweg nach Wien zu finden, war unter den damaligen Umständen äußerst schwierig. Wir sind zuerst nach Drosendorf weitergezogen, um Anschluss an eine Bahnverbindung nach Wien zu finden. Dies aber war für eine vierköpfige Familie mit Kinderwagen ein hoffnungsloses Unterfangen. Selbst auf den Dächern der Zugwagons saßen viele Menschen. Wir mussten daher mit einem Pferdefuhrwerk zum Bahnhof Sieghartskirchen fahren. Dort konnten wir dann auf zwei Plattformen eines Öltankzuges die Rückreise nach Wien antreten, wo wir schließlich am Bahnhof Jedlersdorf in Floridsdorf ankamen. Selbst der Abstieg von den Bremsplattformen erwies sich als äußert schwierig. Wir blieben am schottergewölbten Bahnsteig zurück, während mein Vater fünf Kilometer zu unserem Siedlungshaus ging, um einen Leiterwagen zu holen. Bei seiner Rückkehr brachte er die frohe Botschaft, dass die Großeltern lebten und unser Haus unbeschädigt war. So sind wir also nach einer neun Monate dauernden, kriegsbedingten Odyssee mit vielfältigen und vor allem zwiespältigen Erfahrungen wieder in das nun schwer zerstörte Wien zurückgekehrt - zerstört vom Stephansdom über die Staatsoper bis zum Burgtheater und die am Boden liegende Floridsdorfer Brücke -, also in das Wien, wie es der Film Der Dritte Mann zeigt. Es war ein Wien der Opfer und Zerstörungen und der vermissten Soldaten, ein Österreich des Mangels und weiterhin mit Lebensmittelmarken. Aber es war eine Zeit ohne Jammer und Wehleidigkeit, da alle entschlossen waren, das Beste aus der schrecklichen Situation zu...
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Autor

Helmut Brandstätter, 1955 geboren, studierte Jura an der Universität Wien. Von 1982 bis 1997 beim ORF in Wien, Bonn und Brüssel als Redakteur, Korrespondent und Hauptabteilungsleiter Politik und Zeitgeschehen tätig. Danach Chefredakteur und Geschäftsführer bei n-tv, Berlin. Mitgründer und Geschäftsführer von PulsTV. Von 2010 bis 2018 Chefredakteur und von 2013 bis 2019 Herausgeber des KURIER. Seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat für die NEOS. Autor zahlreicher Bücher bei Kremayr & Scheriau.