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Die Stunde des Elefanten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am22.02.2024
Sommer 1909: Maxim, Bürgermeister der Nordseeinsel Texel, wird von seiner Vergangenheit verfolgt. Seine Zeit auf Sumatra als Offizier in der Königlichen Niederländisch­ Indischen Armee und die Gräuel, die er damals gesehen - und möglicherweise verursacht - hat, lassen ihn nicht los. Sein Freund W. A. wiederum verfasst unter dem sprechenden Pseudonym »Wekker« kritische Artikel über die Machenschaften der Kolonialherren in Niederländisch-Ostindien und erinnert sich noch genau, wie insbesondere Tjoet Nja Dinh, die legendäre Unabhängigkeitskämpferin, in die Falle gelockt wurde. Kann W. A. Maxim helfen, sich seiner Vergangenheit endlich zu stellen? Und wie ist es möglich, dass sich die beiden derart nach einem Ort sehnen, an dem sich so viel Schreckliches zugetragen hat? In seinem neuen Roman über Sehnsucht und Schuld beleuchtet Otto de Kat ein dunkles Kapitel der Kolonialgeschichte und stellt die Frage, ob man dem Gewicht der Vergangenheit jemals entkommen kann.

Otto de Kat, 1946 geboren in Rotterdam, studierte niederla?ndische Literatur an der Universita?t Leiden. Er arbeitete als Kritiker, Herausgeber und Verleger. Seine Bu?cher, die sich um schmerzliche historische Themen drehen, werden seit seinem Erfolg mit dem Bestseller Julia in sechs Sprachen u?bersetzt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR25,00

Produkt

KlappentextSommer 1909: Maxim, Bürgermeister der Nordseeinsel Texel, wird von seiner Vergangenheit verfolgt. Seine Zeit auf Sumatra als Offizier in der Königlichen Niederländisch­ Indischen Armee und die Gräuel, die er damals gesehen - und möglicherweise verursacht - hat, lassen ihn nicht los. Sein Freund W. A. wiederum verfasst unter dem sprechenden Pseudonym »Wekker« kritische Artikel über die Machenschaften der Kolonialherren in Niederländisch-Ostindien und erinnert sich noch genau, wie insbesondere Tjoet Nja Dinh, die legendäre Unabhängigkeitskämpferin, in die Falle gelockt wurde. Kann W. A. Maxim helfen, sich seiner Vergangenheit endlich zu stellen? Und wie ist es möglich, dass sich die beiden derart nach einem Ort sehnen, an dem sich so viel Schreckliches zugetragen hat? In seinem neuen Roman über Sehnsucht und Schuld beleuchtet Otto de Kat ein dunkles Kapitel der Kolonialgeschichte und stellt die Frage, ob man dem Gewicht der Vergangenheit jemals entkommen kann.

Otto de Kat, 1946 geboren in Rotterdam, studierte niederla?ndische Literatur an der Universita?t Leiden. Er arbeitete als Kritiker, Herausgeber und Verleger. Seine Bu?cher, die sich um schmerzliche historische Themen drehen, werden seit seinem Erfolg mit dem Bestseller Julia in sechs Sprachen u?bersetzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731762614
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum22.02.2024
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1505 Kbytes
Artikel-Nr.14178023
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Tjoet Nja Dinh war zehn Jahre alt und hatte ihren Hof noch kein einziges Mal verlassen, als sie ­Ibrahim Lamgna heiratete. Man hatte sie von klein auf dazu erzogen, die Erste unter den Frauen zu sein, so wie sie später auch die Erste unter den Männern sein sollte. Verwebt in uralte Überlieferungen ihrer Fa­milie, verfügte sie über eine höchst ungewöhnliche ­eigene Stimme. Im Schatten des Schwertes liege das Paradies und im Trinken des Todesbechers das ewige Leben, so Dinh. Das hatte sie von ihrem Vater und ihrer Großmutter gelernt. Die beiden waren ihre Berater und prägten ihre Erziehung. Ihr Haus befand sich ganz in der Nähe der Moschee, und ihre Tage vergingen im Rhythmus des Singsangs betender Männer. Den Allgegenwärtigen nannten sie Ihn, und so empfand sie es auch. Vertrau nur ihm und keiner Menschenseele, hatte Ibrahim sie beschworen. Sie hörte auf ihn.

Fünfzehn Jahre lebten Ibrahim und sie in Lampadang, in Dinhs Dorf, wo sie ihren eigenen Pfahlbau besaß, geschützt von einer undurchdringlichen Mauer aus Dornbüschen. In Atjeh, dem sagenumwobenen Norden Sumatras. Fünfzehn Jahre ohne Krieg, bis die Kuffar kamen, die ungläubigen Niederländer und ihre Unterstützer, um die Zivilisation zu bringen. Zivili­sation - sie wussten, was das bedeutete: Krieg. So ­geschah, was früher oder später geschehen musste: ­Ibrahim wurde bei einem Angriff auf ein Feldlager erschossen, und sein Gefolge schleppte die Leiche ­tagelang auf einer Trage nach Mon Tassik, hoch in den Bergen, wohin sich kein Niederländer vorwagte.

Dort beweinte ihn Dinh und begrub ihn.

Dann meldete sich Oemar, ihr Cousin, der berühmteste Mann der Westküste. »Dinh, wo bist du, heirate mich, Dinh.« Das wiederholte er so lange, bis sie schließlich Ja sagte: Ja, zu Oemar und vor allem Nein zu den Niederländern. Oemar hatte schon sechs Frauen und sie sollte die siebte, aber bei Weitem die Mächtigste sein. Mächtig und unnahbar in ihrer Glaubensrüstung, in ihrem Glauben an Allah, an Atjeh, über das ihre Vorfahren einst geherrscht hatten. In ­ihrem Glauben an den Kampf gegen die Eindringlinge, Weiße aus einem fernen Land, das so dreist war, sich einzubilden, Atjeh erobern zu können.

Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren, ja, seit sie denken konnte, gab es diese Bedrohung, hemmungslose Gewalt, Tausende Tote und Verwundete in endlosen Schlachten. Mann gegen Mann, Mann gegen Frau, denn unzählige Frauen schlüpften in Männerkleidung und kämpften bis zum bitteren Ende. »Die Unversöhnlichen«, wie sie von den Niederländern ­genannt wurden. Wie konnten sie es wagen, woher nahmen sie die Frechheit, ihre Untertanen als »unversöhnlich« zu bezeichnen. Das war doch eine vollkommene Verkehrung der Verhältnisse, eine Lüge, so wie alles von ihnen verdreht wurde, verfügt, verspielt und verdorben. Unversöhnlich? Wie soll man sich denn mit dem Erschießen von Kindern, dem Vergewaltigen von Frauen und dem Enthaupten von Männern versöhnen können?

Manchmal, wenn wieder ein Dorf niedergebrannt und eine Moschee verwüstet worden war, verzweifelte sie, glaubte, Allah hätte sich von ihr abgewandt. Allah, der Einzige. Hatte er Atjeh etwa verlassen? Aber in solchen Momenten, wenn sie weder ein noch aus wusste und an allem zweifelte, hörte sie wieder die Stimme ihrer Großmutter, die ihr als Kind von Atjeh erzählt hatte. Von den Sultanen in ihrer Familie, die das Land regiert hatten, von Mahoedan Sati, Nanta Tjih, Nanta Setia, von Fürsten eines unsichtbaren Reichs, das noch überall existierte und eines Tages wiederauferstehen würde. Von Kota Radja, der Hauptstadt unweit der Küste, in der die Sultane von Atjeh schon seit Menschengedenken lebten und herrschten. Vom prächtigen Kota mit seinen Fürstengräbern, ­Moscheen, Märkten und seiner wachsenden Bevölkerung. Geraune von einer magischen Welt, in der jeder seinen Platz hatte und in der man im Schutz der ­Moschee lebte. Das Lied von einem Gottesreich, von ­einem Leben, das bis ins Detail ausgestaltet und ge­regelt war. Atjeh war eine Faust, eine Faust gegen die Ungläubigen, die Kuffar, die verfluchten Händler »mit ihren langen Schiffen, mit ihren Lügen mit den langen Beinen«.

Die Stimme ihrer Großmutter gab ihr Halt. Niemand war Allah so nah wie sie. Als sie starb, wollte auch Dinh nicht mehr leben. Aber das Atjeh ihrer Großmutter gab es schon damals nicht mehr, es war ein Mythos, ein aus Sehnsucht gespeistes Märchen, ein Wiegenlied. Atjeh war längst keine Einheit mehr, der Sultan ein bloßes Symbol ohne jede Macht. Das Land war in miteinander verfeindete Familien zerfallen, in endlose Fehden, in ein Chaos aus unterschiedlichen Interessen und Machtspielchen. Wer in Mekka gewesen war, hatte den größten Einfluss ... und wurde reich. Verrat war nicht nur ein Wort, das auf die Ungläubigen zutraf, sie kannten es selbst zur Genüge. Verrat, Abtrünnigkeit, Spionage, Gewalt - all das war ­ihnen nicht fremd, Allah hin oder her.

Tjoet Nja Dinh versuchte sich da rauszuhalten. Sie war überparteilich, und dort, wo sie auftauchte, verschwand jede Rivalität. Sie besaß die seltene Gabe, Menschen Hoffnung zu schenken. Sie wurde zu ­Oemars Ratgeberin, er hörte auf sie, und sie gab die Richtung vor.

Damit begann ihre Odyssee, unablässig verfolgt von General Van der Heijden und seinen Truppen, die sich stolz Koninklijk Nederlandsch-Indisch Leger, KNIL, nannten - Königliche Niederländisch-Indische Armee. Eine aus dem Boden gestampfte Truppe, gegründet, um Niederländisch-Ostindien zu unterwerfen, Insel für Insel, Stadt für Stadt, Kampong für Kampong. Es folgten mehrere kleinere und größere Kriege, Straf­expeditionen, Disziplinarmaßnahmen, Plün­derungen auf Java, Lombok, Borneo, Bali und so weiter.

Halb Atjeh wurde von Van der Heijden in Brand gesteckt, ein Dorf nach dem anderen verwüstet, Moscheen wurden zerstört, der General versetzte das ganze Land in Angst und Schrecken. Irgendwann ging der Krieg zu Ende, weil die Niederländer be­gannen, die Menschen zu bestechen - auch eine Art Kriegsführung. Guerillakämpfer bekamen Geld und Häuser, einstige Feinde wurden wieder Nachbarn, und für eine Weile schien Ruhe einzukehren. Vorüber­gehend keine mordenden Patrouillen, vorüber­gehend keine Verwüstungen. Die KNIL zog sich nach Kota Radja zurück, und Oemar, Dinh und seine an­deren Frauen verließen ihr Versteck in den Bergen und lebten wieder im Gebiet ihrer Vorfahren. Aber das Haus auf den hohen Pfählen in Lampadang, in dem Dinh ihre Kindheit verbracht hatte, stand nicht mehr. Es war niedergebrannt und vollkommen zerstört worden.

Die Reisfelder dampften in der Sonne, die Kampongs erlebten in diesen wenigen Jahren erneut so ­etwas wie Frieden, der jedoch keiner war. Denn inzwischen formierte sich Widerstand. Oemar und Dinh ergänzten einander perfekt. Es dauerte nicht lange, und Oemar bewaffnete eine kleine Armee mit Gewehren und Munition, die er sich mit Lug und Trug von diesen dämlichen Holländern in ihrem sicheren Kota Radja beschafft hatte. Es war Dinh gewesen, die ihn dazu bewegt hatte, unbeirrbar in ihrem Glauben, unbeugsam in ihrem Hass und tief in den Mythos des Atjeh-Reiches eingebunden. Sie war diejenige, die keinen Millimeter zurückweichen wollte, die Oemar aufwiegelte. Sie einte diejenigen, die sich einst überworfen hatten, verschaffte sich Gehör bei denen, die einst nicht hatten hören wollen, rüttelte diejenigen wach, die noch schliefen, und sie war die treibende Kraft hinter Oemars bis dahin ungekannter Popularität. Sein ­Mythos reichte weit. In Amsterdam sangen die Straßenjungen »Aan een touw, aan een touw, Teukoe ­Oemar en zijn vrouw«, wollten ihn und seine Gemahlin hängen sehen.

Aber in Atjeh sang die Armee nicht. Sie hatte keine Zeit zum Singen, denn es hieß Alarm, Alarm.

Oemar wurde in einen Hinterhalt gelockt und mit einem Schuss und einem Hieb umgebracht. Dinh hatte alles mit ansehen müssen. Sie hatte seinen Leichnam befreit und an sich gepresst. Aber irgendwann wurde sie von ihren eigenen Leuten fortgerissen, sie konnte nicht bei ihm bleiben, durfte ihn nicht begraben und nicht an seinem Grab trauern, weinend rief sie nach Rache. Oemar, für den sie alles aufgegeben und den sie unterstützt hatte, als er den Niederländern den Krieg erklärte, Oemar war allgegenwärtig. Sie lief mit seinen Füßen, sprach mit seinem Mund, kämpfte mit seinem Klewang, betete mit seinen Gebeten, trat in seine Fußstapfen. Stets fragte sie sich, was er wohl ­gesagt oder getan hätte. »Wir haben Allah, doch sie haben niemanden«, hatte er sie beschworen.

»Tjoet Nja Dinh, Tjoet Nja Dinh!« Sie riefen es, sie sangen es, sie stampften mit den Füßen im Takt ihres Schlachtrufs. Tjoet Na Dinh führte den Widerstand gegen die compenie an, gegen diese hochmütigen Niederländer mit ihren Karabinern und ihrem Gerede von Zivilisation und Fortschritt. Tjoet Nja Dinh würde sie in ihr einstiges Land zurückführen, zurück zu ihren Tempeln und Kampongs, zu den Gesetzen des Propheten.

Die Niederländer hassten und fürchteten sie, sie wurden einfach nicht schlau aus ihr. Patrouillen machten Jagd auf sie, und im gesamten Archipel ertönte der Befehl: »Findet Dinh!«

Sie zog quer durch ihr Atjeh. An allen Ecken und Enden tauchte sie auf. Sie brachte Hoffnung und Rebellion, verfluchte ihre Gegner und deren Helfershelfer, die Amboneser, Sundaneser und Javaner. Sie führte ihre Truppen durch Urwald und Berge, plante Hinterhalt um Hinterhalt, tötete so viele Ungläubige, wie sie konnte und entkam unzählige Male.

»La ilaha illa...

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Autor

Otto de Kat, 1946 geboren in Rotterdam, studierte niederländische Literatur an der Universität Leiden. Er arbeitete als Kritiker, Herausgeber und Verleger. Seine Bu¿cher, die sich um schmerzliche historische Themen drehen, werden seit seinem Erfolg mit dem Bestseller Julia in sechs Sprachen u¿bersetzt.