Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Nacht der Schildkröten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am17.09.2024
Ein kraftvolles Buch über ein Mädchen, das lernen muss, in einer Welt zurechtzukommen, die um sie herum verschwindet: «Einen besseren Debütroman kann man sich kaum vorstellen.» (Paolo Giordano)  Livia hat liebevolle Eltern, eine beste Freundin, und sie rennt schneller als der Wind: Sie ist die Schnellste. Eines Tages erfährt sie, dass ihr Leben bald von Dunkelheit umgeben sein wird. Bei Livia wird eine Augenkrankheit diagnostiziert, die zum Verlust des Sehvermögens führt. Sie erfährt davon in einem Alter, in dem sie nur so sein will wie die anderen, Sportwettkämpfe gewinnen, auf Partys gehen, gesehen werden.  Wenn Erwachsenwerden heißt, Schwächen zu akzeptieren, dann ist das Spiel für Livia ein wenig härter als für die anderen. Was bedeutet es, die Kontrolle zu verlieren und sich mit der eigenen Beeinträchtigung abzufinden? Ist es möglich, die eigenen Grenzen zu akzeptieren, wenn alles in einem danach drängt, sie zu überschreiten? Livia wird diese neue Zukunft akzeptieren müssen. Sie wird lernen, zu leben, ohne die Welt um sich herum zu sehen, sich im Dunkeln zu bewegen und auf Geräusche zu vertrauen. Vor allem wird sie sich ihren Ängsten stellen müssen. Ein flirrender Roman, eine intensive Lektüre, die davon erzählt, dass nichts jemals verloren ist.

Greta Olivo wurde 1993 in Rom geboren. Sie studierte kreatives Schreiben an der berühmten Scuola Holden in Turin. «Die Nacht der Schildkröten» ist ihr erster Roman. Er wurde mit dem Premio Flaiano ausgezeichnet. Greta Olivo lebt in Rom.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextEin kraftvolles Buch über ein Mädchen, das lernen muss, in einer Welt zurechtzukommen, die um sie herum verschwindet: «Einen besseren Debütroman kann man sich kaum vorstellen.» (Paolo Giordano)  Livia hat liebevolle Eltern, eine beste Freundin, und sie rennt schneller als der Wind: Sie ist die Schnellste. Eines Tages erfährt sie, dass ihr Leben bald von Dunkelheit umgeben sein wird. Bei Livia wird eine Augenkrankheit diagnostiziert, die zum Verlust des Sehvermögens führt. Sie erfährt davon in einem Alter, in dem sie nur so sein will wie die anderen, Sportwettkämpfe gewinnen, auf Partys gehen, gesehen werden.  Wenn Erwachsenwerden heißt, Schwächen zu akzeptieren, dann ist das Spiel für Livia ein wenig härter als für die anderen. Was bedeutet es, die Kontrolle zu verlieren und sich mit der eigenen Beeinträchtigung abzufinden? Ist es möglich, die eigenen Grenzen zu akzeptieren, wenn alles in einem danach drängt, sie zu überschreiten? Livia wird diese neue Zukunft akzeptieren müssen. Sie wird lernen, zu leben, ohne die Welt um sich herum zu sehen, sich im Dunkeln zu bewegen und auf Geräusche zu vertrauen. Vor allem wird sie sich ihren Ängsten stellen müssen. Ein flirrender Roman, eine intensive Lektüre, die davon erzählt, dass nichts jemals verloren ist.

Greta Olivo wurde 1993 in Rom geboren. Sie studierte kreatives Schreiben an der berühmten Scuola Holden in Turin. «Die Nacht der Schildkröten» ist ihr erster Roman. Er wurde mit dem Premio Flaiano ausgezeichnet. Greta Olivo lebt in Rom.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644020740
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum17.09.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse8469 Kbytes
Artikel-Nr.14237935
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1.

(-4 Dioptrien)

Ohne die Augen von der Windschutzscheibe zu lösen, sagte mein Vater: «Hör mal.»

Er räusperte sich und kramte in seiner Jeans nach einem Taschentuch, die andere Hand fest am Lenkrad unseres alten grünen Citroëns. Morgens hatte er immer Halsweh und glasige Augen, gegen Mittag legte sich das. Meine Mutter sagte, das sei bei ihm schon immer so gewesen, schon als Kind.

«Lass es am Anfang lieber langsam angehen, versuch einfach, ein mittleres Tempo zu halten.» Er schnäuzte in das Taschentuch und öffnete das Fenster einen Spalt. «Kümmere dich nicht um die anderen, lass dich überholen.»

Von der Straße wehte ein miefiger Luftschwall herein, der mir auf den Magen schlug. Zum Frühstück hatte ich einen halben Keks gegessen und eine Tasse Tee getrunken, auf Druck meiner Mutter. Wo nimmst du sonst die Energie her. Jedes Mal, wenn das Auto bremste und wieder anfuhr, schwappte die Flüssigkeit in meiner Bauchhöhle vor und zurück. Ich schloss die Augen und presste den Kopf gegen das Fenster.

«Wenn du so weit wegrückst, fällt er raus», beschwerte sich Morena und stöpselte mir den Kopfhörer wieder ins rechte Ohr. Ich hätte gern neben ihr gesessen, um gemeinsam Walkman zu hören, aber als ich die hintere Tür aufgemacht hatte, hatte mein Vater gesagt, «ich bin doch kein Taxifahrer». Also klemmte sie ganz dicht an meiner Rückenlehne, und wir hörten das Album von Blue, das sie wahnsinnig toll fand, und ich fand es auch ganz gut.

«Spar dir deinen Atem gut auf», fuhr mein Vater fort. «Dann, wenn du siehst, dass die anderen nachlassen, beschleunigst du.»

«Bei welcher Runde?», fragte ich.

«Bei welcher Runde was?»

«Wann soll ich beschleunigen?»

«Na ja, sagen wir ... bei der dritten. Bei der dritten ziehst du das Tempo an und hältst es bis zum Schluss.»

Mein Vater kannte etliche Lauftricks, weil mein Onkel Paolo als junger Mann Leichtathletik-Meister von Latium gewesen war. Irgendwann hatte er die Lust verloren und bei den Carabinieri angefangen, aber mein Vater hatte genug Wettläufe miterlebt, um zu wissen, worauf es ankam.

An jenem Morgen fuhren wir zu einem Wettlauf in Formello. Über Formello wusste ich, dass die Fußballmannschaft Lazio dort trainierte. Für uns, die weitab vom Stadtzentrum wohnten, lag es nur eine halbe Autostunde entfernt.

Ein paar Tage vorher waren wir extra zu dem Anlass in einem zweigeschossigen Sportgeschäft gewesen. Ich hatte mir ein Paar neue Turnschuhe ausgesucht, weiß und gelb, weil die alten ein Loch in der Spitze hatten. Ich hatte sie zusammen mit dem Trainingsanzug, dem Trikot und einem dünnen Sweatshirt in die Sporttasche gesteckt, die jetzt zu meinen Füßen lag.

Eine weitere von Onkel Paolo übernommene Regel lautete, sich nicht zu Hause, sondern erst kurz vor dem Start umzuziehen.

«Aus den Augenwinkeln», fuhr mein Vater fort, «behältst du deine Gegnerinnen im Blick. Du musst sie auf dem Schirm haben, aber dreh dich nicht zu ihnen um. Beweg nur die Augen, nicht den Kopf.»

Nach einer Rechtskurve und einer holperigen Straße, die an Golfplätzen vorbeiführte, hielten wir auf einer staubigen Freifläche. Dort standen bereits mehrere Autos und eine Gruppe Mädchen mit Schirmmützen, darunter Marzia und Ludovica. Wieder einmal hatte der Trainer nur uns ausgewählt.

Ich nahm den Ohrstöpsel heraus, ließ ihn ins Leere baumeln und stieg aus dem Auto.

Ludovica winkte mir zu: «Ich bin total aufgeregt, ihr nicht?»

«Beruhig dich mal, Ludoví», antwortete Marzia und band sich das Haar zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen.

«Ja, ein bisschen aufgeregt bin ich schon.» Ich spürte, wie sich die Wogen in meinem Magen legten.

«Mir wird gleich schlecht», sagte Ludovica. Sie knabberte an den Fingernägeln, bis fast nichts mehr davon übrig war, und fing an, sich die Nagelhäutchen abzuzupfen.

«Da bist du ja, noch gar nicht fertig?» Marco drückte mir eine gelbe Kappe auf den Kopf. Darauf stand: «Mittelstreckenlauf Formello, 2006». «Zieh dir den Trainingsanzug an, mach flott.»

«Ich habe meine Sachen im Auto vergessen.» Ich wollte gerade kehrtmachen, als mein Vater schon auf uns zukam, den Bauchbeutel um die Taille, und mir mit verlegenem Lächeln die Sporttasche hinhielt. Er hatte weder Marco noch Marzia und Ludovica je getroffen. Wenn er mich zum Stadio dei Marmi brachte, blieb er im Auto und las, und wenn ich nach dem Training zurückkam, saß er noch genauso da, die Zeitung auf dem Lenkrad und mit gerunzelter Stirn.

«Die brauchst du wohl», sagte er und hängte mir die Tasche über die Schulter.

«Sie sind der Vater? Freut mich.» Marco drückte ihm die Hand, und sie fingen an, über die Hitze zu reden und darüber, in welch miserablem Zustand die Laufbahn von Formello sei, eine wahre Schande.

«Denen geht es nur um Lazio, außer Fußball juckt die nichts.»

Marcos Hand war braun gebrannt, genau wie sein ganzer Körper, denn er wohnte in Ostia und war ständig am Meer.

«Oh, Laura De Sanctis ist auch da», sagte Ludovica und spähte über ihre Schulter.

«Wo denn?» Marzia drehte sich zu den anderen Mädchen um, die miteinander plauderten und Gatorade tranken.

«Was meint ihr, wie viele sind wir insgesamt?»

«Pff, mit uns laufen vielleicht noch sechs», antwortete ich.

«Du gewinnst eh», sagte Marzia und drückte meinen Arm.

«Livia!» Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich um. Morena rannte auf uns zu, den Walkman noch in der Hand, die Ohrstöpsel schlugen gegen ihre Beine. Sie humpelte leicht, denn die Mutter hatte ihr weiße Sandalen mit geflochtenen Riemen angezogen, die an ihrer Ferse scheuerten. Sie trug ein giftgrünes Tüllkleid. Der kräuselige Stoff spannte über ihrer Brust, die sich zu wölben begann. Als sie bei uns war, sah ich, dass ihr Schweiß auf der Oberlippe stand.

«Ciao», sagte sie lächelnd zu Marzia und Ludovica. «Ich wollte euch viel Glück wünschen», sie beugte sich zu mir, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. «Vergiss nicht, das Band dranzumachen», flüsterte sie mir ins Ohr. Das kommt von meiner Mutter, dachte ich. Sie mussten sich hinter meinem Rücken abgesprochen haben. Ich rückte von ihr ab und tat so, als hätte ich nichts gehört.

Der Sportplatz war räudig, mit gelben Rasenflecken hier und da. Es gab keine Ränge aus weißem, porösem Marmor wie im Stadion, sondern von der Sonne ausgebleichte Sitze, auf denen sich bereits die ersten Zuschauer eingefunden hatten.

Die Frauenumkleide, ein flacher Fertigbau, roch nach Deo und etwas anderem, das ich nicht zu benennen vermochte, vielleicht Eisen oder Blut. Als wir eintraten, drehte sich ein älteres Mädchen zu uns um, wandte sich wieder dem Spiegel zu und fuhr fort, sich Zöpfe zu flechten.

Ich stellte die Tasche auf eine Holzbank, zog die Sandalen aus und steckte sie in eine Tüte, die ich von zu Hause mitgebracht hatte. Ich fragte Marzia, wie viel Zeit wir noch hätten. «Fünf Minuten», antwortete sie mit einem Blick auf ihre Flik-Flak-Uhr.

Als ich mich umgezogen hatte, streckte ich die Beine aus und begutachtete meine Schuhe. Dann öffnete ich die kleine Außentasche des Sportsacks und zog das Band heraus. Es bestand aus einer schmalen Kordel, meine Mutter hatte sie aus dem Bund einer ihrer alten Hosen gezogen, die sie nur zu Hause trug.

Sie hatte an meinem Nacken Maß genommen, um zu wissen, wie viel Kordel sie abschneiden musste, und dann zwei Schlingen in die Enden geknotet. So sitzt sie genau richtig, hatte sie gesagt und die Brillenbügel hineingeschoben. Mit zunehmender Kurzsichtigkeit waren die Brillengläser von Monat zu Monat immer dicker geworden, hineingepresst in das Gestell, das sie kaum mehr zu fassen vermochte. Wenn ich sie trug, hatte mein Gesicht nichts Hübsches mehr.

«Das will ich nicht», hatte ich zu meiner Mutter gesagt, als sie mich das Band hatte ausprobieren lassen. «Aber du sollst es doch nur zum Laufen tragen», hatte sie gesagt. «Ich will es gar nicht.» Ich war weggegangen und hatte es auf dem Küchentisch liegen lassen. Niemand hatte mehr davon gesprochen, aber das Band war auf der Kommode im Eingangsflur wieder aufgetaucht, in der kleinen Schale, in der wir die Hausschlüssel aufbewahrten. Dieses Stück Kordel symbolisierte für meine Mutter den Versuch, einen irreparablen Riss zu flicken, ein Leck mit bloßen Händen zu stopfen. Lange Zeit dachte ich, sie sei blöd und mache sich etwas vor.

«Die ist gar nicht so schnell, die hat nur zwei Meter lange Beine.» Marzia kam aus dem Bad und wandte sich an Ludovica.

«Angeblich trainiert sie jeden Tag, also echt jeden Nachmittag oder so», entgegnete Ludovica. «Willst du?» Aus einem Fläschchen drückte sie mir einen Klecks Sonnencreme in die Handfläche. Ich verrieb die dicke, duftende Creme auf Stirn und Wangen, auch ein bisschen auf den Armen.

«Jedenfalls hasse ich sie, ich schwöre», fuhr Marzia fort und steckte sich den Pony mit einer schwarzen Haarklammer zurück.

Ludovica schnaubte. «Hast dich ganz schön eingeschossen auf diese Laura De Sanctis.»

«Wenn die uns auch immer schief anglotzt, stimmt´s, Livia?» Im Spiegel warf Marzia mir einen Zustimmung heischenden Blick zu.

«Ja ... stimmt, ab und zu scheint sie uns echt schief anzuglotzen», sagte ich.

Ich steckte das Band wieder in den Sportsack und schloss...
mehr

Autor

Greta Olivo wurde 1993 in Rom geboren. Sie studierte kreatives Schreiben an der berühmten Scuola Holden in Turin. «Die Nacht der Schildkröten» ist ihr erster Roman. Er wurde mit dem Premio Flaiano ausgezeichnet. Greta Olivo lebt in Rom.Verena von Koskull, Jahrgang 1970, studierte Italienisch und Englisch für Übersetzer sowie Kunstgeschichte. 2020 erhielt sie den Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis. 2022 war sie Stipendiatin der Casa di Goethe in Rom.