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Aprikosenzeit, dunkel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
360 Seiten
Deutsch
Orlanda Verlag GmbHerschienen am29.09.20231. Auflage
Karine Hansen ist Deutsch-Armenierin, aufgewachsen in einer Familie, in der die armenische Tradition liebevoll gelebt wird. Während des Studiums lernt sie Frederick Behrens kennen und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Seine konservative Art und seine Selbstsicherheit ziehen sie an. Doch als Frederick während eines Familienessens nicht für Karine einsteht, als der Genozid an den Armenier*innen geleugnet wird, kommt es zum Bruch. Die fehlende Unterstützung bei der Bewältigung von Alltagsrassismus, der ihr immer wieder begegnet, eine gewisse Orientierungslosigkeit nach dem Studium und ein Gespräch mit ihrer armenischen Großmutter, sind Auslöser für Karines Entscheidung kurzerhand nach Armenien zu ziehen und einen Job bei einer kleinen NGO anzunehmen. Sie findet sich in einem ihr völlig fremden Land wieder, das postsowjetisch, korrupt und patriarchalisch geprägt ist. In ihrer NGO-Kollegin Gohar Manoukian findet Karine eine Seelenverwandte. Durch ihre Freundschaft wird Karine politisiert und hineingezogen in die »Junge Bewegung« gegen Korruption. Doch dann wird die Bewegung von einem mächtigen Oligarchen bedroht ... »Aprikosenzeit, dunkel« bietet einen wichtigen Einblick in die armenische Geschichte, die vom Genozid und dessen Verleugnung in der Türkei geprägt ist, und nimmt uns mit in ein von der Geschichte gebeuteltes und korruptes Land, dem die Jugend davonläuft. Nur wenige setzen sich gegen die Umstände zur Wehr und zahlen dafür einen hohen Preis.

Corinna Kulenkamp, 1987 in Düsseldorf geboren, wuchs zweisprachig als Tochter einer Armenierin und eines Deutschen in der Pfalz auf. Sie studierte in München und Harvard Politikwissenschaft und Völkerrecht und wurde anschließend in München zur Dr. phil. promoviert. Sie erhielt zahlreiche Stipendien. Aprikosenzeit, dunkel ist ihr Romandebüt. Sie lebt und arbeitet in München.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR23,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextKarine Hansen ist Deutsch-Armenierin, aufgewachsen in einer Familie, in der die armenische Tradition liebevoll gelebt wird. Während des Studiums lernt sie Frederick Behrens kennen und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Seine konservative Art und seine Selbstsicherheit ziehen sie an. Doch als Frederick während eines Familienessens nicht für Karine einsteht, als der Genozid an den Armenier*innen geleugnet wird, kommt es zum Bruch. Die fehlende Unterstützung bei der Bewältigung von Alltagsrassismus, der ihr immer wieder begegnet, eine gewisse Orientierungslosigkeit nach dem Studium und ein Gespräch mit ihrer armenischen Großmutter, sind Auslöser für Karines Entscheidung kurzerhand nach Armenien zu ziehen und einen Job bei einer kleinen NGO anzunehmen. Sie findet sich in einem ihr völlig fremden Land wieder, das postsowjetisch, korrupt und patriarchalisch geprägt ist. In ihrer NGO-Kollegin Gohar Manoukian findet Karine eine Seelenverwandte. Durch ihre Freundschaft wird Karine politisiert und hineingezogen in die »Junge Bewegung« gegen Korruption. Doch dann wird die Bewegung von einem mächtigen Oligarchen bedroht ... »Aprikosenzeit, dunkel« bietet einen wichtigen Einblick in die armenische Geschichte, die vom Genozid und dessen Verleugnung in der Türkei geprägt ist, und nimmt uns mit in ein von der Geschichte gebeuteltes und korruptes Land, dem die Jugend davonläuft. Nur wenige setzen sich gegen die Umstände zur Wehr und zahlen dafür einen hohen Preis.

Corinna Kulenkamp, 1987 in Düsseldorf geboren, wuchs zweisprachig als Tochter einer Armenierin und eines Deutschen in der Pfalz auf. Sie studierte in München und Harvard Politikwissenschaft und Völkerrecht und wurde anschließend in München zur Dr. phil. promoviert. Sie erhielt zahlreiche Stipendien. Aprikosenzeit, dunkel ist ihr Romandebüt. Sie lebt und arbeitet in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783949545429
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum29.09.2023
Auflage1. Auflage
Seiten360 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.14248782
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Es war eine trockene Hitze. Sonnenstrahlen brannten auf ihrer Haut. Karine fuhr mit den Augen den Umriss ihres Schattens entlang, der sich in den Gräsern der Baustelle zu ihrer Linken verlor. Sie saß auf den Stufen der Kaskade mit Blick über die Stadt. Über das Opernhaus und das Wasserbecken davor, das man liebevoll den Schwanensee nannte. Fremden wie ihr erklärten Einheimische stets:

»Zu Sowjetzeiten war der Schwanensee wirklich noch ein Schwanensee. Heute ist er leer. Es ist schwer geworden.«

Hinter der Oper lockten die vielen Cafés, wo zu kunstvollen Bergen aufgetürmte Früchte serviert und zu den Getränken Shishas gereicht wurden, während sich schmale Frauen mit langen dunklen Haaren und auf dünnen Stiften staksend unter den Sonnenschirmen niederließen und die Männer mit ihren Leinenhemden, zwei, drei Knöpfe geöffnet, damit der laue Wind durch das Brusthaar streichen konnte, großzügig Nachschub bestellten.

»Wer geht da schon hin«, sagte Anahit, Karines Vermieterin, bei der sie fürs Erste in einem winzigen Zimmer untergekommen war. »Wir können uns das nicht leisten. Die Russen und die Exilarmenier aus Amerika oder aus Frankreich, die sitzen dort und erfreuen sich an alldem.« Dabei rieb sie Zeigefinger und Daumenkuppe aneinander: »Geld, alles nur für Geld. In den Sommermonaten erfüllen sie die Straßen mit Leben, aber sobald sie weg sind, schließen die Cafés. Und wir? Wir können hier nur flanieren, auf und ab, und uns von außen laben an dem, was sie Freiheit nennen.« Anahit kniff die Nasenflügel zusammen und atmete hörbar aus.

»Aber allein die Möglichkeit ...«, setzte Karine an, als Anahit sie unterbrach.

»Früher gab es solche Cafés hier nicht, das stimmt. Doch was soll das für eine Freiheit sein, in der es alles gibt, wir aber trotzdem nichts davon bekommen.«

Karine wunderte sich, dass Anahit Freiheit ausschließlich für etwas Materielles hielt. Freiheit war so viel mehr. Es war die Möglichkeit, Dinge zu tun. Oder sie nicht zu tun, aus eigenen Stücken. Nichts leichter, als Anahit aus dem Stegreif eine Palette überzeugender Argumente zu bieten, die allesamt die fehlenden Schwäne des Sees gegen den Sumpf des untergegangenen Kommunismus aufwiegen würden. Dann sah sie Anahit genauer an und verschluckte ihre Worte. Worte vom Ende der Repression, von den Vorteilen einer funktionstüchtigen Demokratie, Worte, an denen es in diesem Land offenbar nicht mangelte, während es an allem anderen fehlte, und die Anahit gerade darum so leer vorkommen mussten, wenn jemand wie Karine sie aussprach.

»Und dann, Karine jan, sind da noch die Oligarchen«, fuhr Anahit unbeirrt fort. Wieder rieb sie Zeigefinger und Daumen aneinander. »Sie wirtschaften in ihre eigenen Taschen, sacken das Geld einfach ein. Auch das, das ihnen nicht zusteht. Verstehst du?«

Anahit beulte die Taschen ihres Rockes demonstrativ aus, zog die Hände dann wieder hervor und ließ sie fallen, als fühlte sie sich ertappt. Sie sah um sich, nahm Karines Arm und hakte sie unter. So gingen sie ein paar Meter. Ihr Gespräch verebbte. Die Fältchen in Anahits Mundwinkeln waren tief. Wie resigniert sie wirkt, auch verbittert, dachte Karine und folgte Anahits Blick zu den freien Besuchern des Landes, die Seite an Seite mit den Oligarchen schwarzen Kaffee tranken. Fremde, wie sie eine war. Anahit schnaubte verächtlich. Dann sah sie auf ihre Armbanduhr, verabschiedete sich und eilte davon. Karine blieb. Erleichtert, den ersten Augenblick seit ihrer Ankunft in Armenien für sich zu haben.

Hinter diesen Cafés erstreckte sich die graue Stadt, ihre Eintönigkeit nur hier und dort von den wenigen verbliebenen traditionellen tuffstein- und sandfarbenen Gebäuden unterbrochen, die sie abhob von anderen Sowjetgräbern.

Erst durch den Blick in die Ferne erhielt sie ihr wahres Gesicht. Über den Dächern schwebte am Horizont der Ararat, dessen schneebedeckte Gipfel über die türkische Landesgrenze hinweg zum Himmel der Armenier schrien: Seht her, vergesst nur nicht. Klar erhob seine Silhouette in den Wintermonaten die Stimmen der Vergangenheit. Sie schallten nach Jerewan hinein. Im Frühsommer, wenn die Sonne immer heißer auf die Stadt hinunterstrahlte, wurde das Bild verschwommener und diesiger, bis es in den unerbittlich brennenden Monaten der Aprikosenzeit hinter dem Dunst vollends verschwand. Es hatte etwas Unwirkliches, dass sie hier stand, den Ararat vor Augen, der ihr sonst bei jedem Besuch im Haus ihrer Großeltern von einem verblichenen Kunstdruck entgegensah, gefasst von einem schmalen Goldrahmen, der an der Wand hing und sich bei jedem Luftzug, der durch das Öffnen und Schließen der Tür entstand, unmerklich verschob, bis er irgendwann schief hing und Großvater ihn mit einer sanften, fast andächtigen Bewegung wieder gerade rückte.

»Ist doch nur ein Berg«, hatte Karine als Siebenjährige gesagt und war sich weise vorgekommen.

Großvater blickte Großmutter an, die schloss die Augenlider einen Moment länger als sonst, und Großvater strich Karine über das Haar. Niemand kommentierte ihre Worte, doch Karine spürte, dass sie töricht gewesen sein mussten. Jäh stieg die Scham von damals aus der Magengrube empor und breitete sich in ihrem Oberkörper aus. Sie sah Großvaters schwielige Hände vor sich, seine kräftigen Finger, die sich an dem Bild zu schaffen machten.

Die Schneespitzen in der Ferne, rechts Masis, der große Bruder, links von ihm Sis, die kleine Spitze. Unerreichbar und doch zentral, und selbst im Dunst, wenn der Himmel seine Gipfel verbarg, war er da, der Berg. Seine Geschichte, seine Mahnung und seine Erinnerung blieben präsent hinter dem Unsichtbaren. Der Berg, der nicht mehr ihnen gehörte, weil Stalin ihn verschenkt hatte aus einer Laune heraus, er stand jetzt auf der anderen Seite der Grenze, war zu einem türkischen Berg geworden, vermeintlich. Und doch gehörte er zu ihnen wie zu niemandem sonst. Mit diesen Gedanken spazierte Karine durch die Stadt.

Die Regierung tat ein Übriges, die Menschen nicht vergessen zu lassen. Tief unter der Erde, 63 Meter unter dem Platz der Republik, entdeckte es Karine. Ein riesiges Stoffplakat, bestickt mit armenischen Lettern, ausgeleuchtet in dem von Marmorsäulen getragenen Gewölbe der kühlen U-Bahn-Station.

»Armenier, heiratet Armenier!«

Männer in Anzügen und mit kleinen Lederaktentaschen unter dem Arm, Offiziere, die mit geradem Rücken und stolzen Schritten die Ordnung wahrten, und vereinzelt Frauen mit ihren Kindern liefen darunter durch, ohne Notiz von dem Banner zu nehmen. Karines Halsschlagader pochte. Eine U-Bahn nach der anderen rauschte in die Station hinein und wieder hinaus, und sie hatte Mühe, deren Endhaltestellen in armenischer Schrift zu entziffern. Einer der Offiziere starrte sie an. Eine olivgrüne Schirmmütze krönte sein schmales Haupt.

Ob diese U-Bahn Richtung Komitas fahre, fragte Karine.

Der Offizier hob die Augenbrauen. Sie rief gegen den Lärm eines abfahrenden Zuges an. Der nächtliche Flug hatte sie angestrengt, ebenso wie die anschließende Stadtführung mit Anahit. Sie wollte nach Hause, wo immer das war, ein Bett nur, und schlafen.

»Nein, nein.« Der Offizier winkte ab und erklärte, wohin sie laufen solle, um dort in ein Sammeltaxi zu steigen. Woher sie komme, wollte er wissen.

»Aus Deutschland.«

»Wie ist denn das möglich?«, rief er aus. »Wo Sie doch so ein schönes armenisches Mädchen sind!«

»Halb-halb«, sagte sie. »Meine Mutter ist Armenierin, mein Vater Deutscher.«

»Ach, wie schade. So verlieren wir unsere Frauen.« Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. Karine runzelte die Stirn.

»Aber sie hat Ihnen ihre Sprache weitergegeben!« Der Offizier verbarg den Anflug eines Lächelns.

»Ach was, halb armenisch!« Eine ältere Frau mischte sich ein. »Was soll das schon sein. Entweder armenisch oder nicht. Halb, das gibt es doch gar nicht. Du bist Armenierin, ist doch klar!« Ihr resoluter Bariton hallte über den Bahnsteig. Die Stimme passte nicht zu ihrem gebrechlichen Körper. Weiße Härchen blitzten im grellen U-Bahn-Licht auf ihrer Oberlippe.

Inzwischen hatte sich eine kleine Menschentraube um Karine und die Frau versammelt.

»Was ist los?«, wisperte es hinter Karine.

»Die süße Deutsche spricht Armenisch!«, weihte eine andere Frauenstimme ungeniert ihren Nebenmann ein.

Die Alte betrachtete Karine mit leuchtenden Augen, reckte die Arme in die Höhe und fuhr ihr mit ihrer faltigen Hand über die Wange. Jäh fasste sie nach Karines dunkelbraunen Haarspitzen.

»Bist du verheiratet?«

Karine schüttelte den Kopf und befreite sich mit einem Schritt rückwärts.

»Oh. Dann wird es aber Zeit. Schau dich nur...
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Autor

Corinna Kulenkamp, 1987 in Düsseldorf geboren, wuchs zweisprachig als Tochter einer Armenierin und eines Deutschen in der Pfalz auf. Sie studierte in München und Harvard
Politikwissenschaft und Völkerrecht und wurde anschließend in München zur Dr. phil. promoviert. Sie erhielt zahlreiche Stipendien. Aprikosenzeit, dunkel ist ihr Romandebüt. Sie lebt und arbeitet in München.
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