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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Kampa Verlagerschienen am25.04.2024
Das Einzige, was Stephens Probleme lösen kann, ist Tanzen. Tanzen in der Kirche, wenn die schimmernden Schwarzen Hände zum Lobpreis erhoben werden. Tanzen mit seinen Freunden irgendwo in einem Keller, während der Bass wummert. Tanzen mit seiner besten Freundin Del, die ihn kennt wie niemand sonst, so eng, dass sich fast ihre Köpfe berühren.  Stephen mag seinen Glauben verloren haben, aber er glaubt an den Rhythmus. Aber was passiert, wenn die Musik verklingt? Wie geht es mit ihnen allen weiter, nach ihrem Abschluss, wenn sich alles verändert? Was kann ihnen Halt geben außerhalb ihrer kleinen Welt in Peckham, London, die ihnen vertraut ist?  Als sein Vater so alt war wie Stephen, war er schon aus Ghana nach London gezogen. »Ich bin nicht in dieses Land gekommen, damit meine Kinder ihre Zeit verschwenden«, sagt er. Wie viel von der Geschichte seiner Eltern gehört zu Stephen? Kann er sich etwas aufbauen, das ihm allein gehört? Anhand von drei Sommern, in denen Stephen von London nach Ghana reist und wieder zurück, erzählt der gefeierte Autor Caleb Azumah Nelson von den Welten, die wir uns selbst erschaffen, den Welten, in denen wir leben, tanzen und lieben.  

Caleb Azumah Nelson, 1993 in South East London geboren, ist Sohn ghanaischer Eltern, die bereits als Teenager nach Großbritannien kamen. Und in South East London lebt der Schriftsteller und Fotograf noch heute. Wenn er schreibe, fühle er sich wie ein improvisierender Jazzmusiker, sagt Nelson, und das Ergebnis sei »die ehrlichste, ja vielleicht die beste Version meiner selbst.« Seine Erzählungen erschienen in Literaturzeitschriften wie Granta und Litro. 2019 schmiss er seinen Job in einem Apple Store, um sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Sein Debütroman Frei Schwimmen wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Costa Book Award in der Kategorie Debüt und dem Somerset Maugham Award.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextDas Einzige, was Stephens Probleme lösen kann, ist Tanzen. Tanzen in der Kirche, wenn die schimmernden Schwarzen Hände zum Lobpreis erhoben werden. Tanzen mit seinen Freunden irgendwo in einem Keller, während der Bass wummert. Tanzen mit seiner besten Freundin Del, die ihn kennt wie niemand sonst, so eng, dass sich fast ihre Köpfe berühren.  Stephen mag seinen Glauben verloren haben, aber er glaubt an den Rhythmus. Aber was passiert, wenn die Musik verklingt? Wie geht es mit ihnen allen weiter, nach ihrem Abschluss, wenn sich alles verändert? Was kann ihnen Halt geben außerhalb ihrer kleinen Welt in Peckham, London, die ihnen vertraut ist?  Als sein Vater so alt war wie Stephen, war er schon aus Ghana nach London gezogen. »Ich bin nicht in dieses Land gekommen, damit meine Kinder ihre Zeit verschwenden«, sagt er. Wie viel von der Geschichte seiner Eltern gehört zu Stephen? Kann er sich etwas aufbauen, das ihm allein gehört? Anhand von drei Sommern, in denen Stephen von London nach Ghana reist und wieder zurück, erzählt der gefeierte Autor Caleb Azumah Nelson von den Welten, die wir uns selbst erschaffen, den Welten, in denen wir leben, tanzen und lieben.  

Caleb Azumah Nelson, 1993 in South East London geboren, ist Sohn ghanaischer Eltern, die bereits als Teenager nach Großbritannien kamen. Und in South East London lebt der Schriftsteller und Fotograf noch heute. Wenn er schreibe, fühle er sich wie ein improvisierender Jazzmusiker, sagt Nelson, und das Ergebnis sei »die ehrlichste, ja vielleicht die beste Version meiner selbst.« Seine Erzählungen erschienen in Literaturzeitschriften wie Granta und Litro. 2019 schmiss er seinen Job in einem Apple Store, um sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Sein Debütroman Frei Schwimmen wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Costa Book Award in der Kategorie Debüt und dem Somerset Maugham Award.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783311704690
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum25.04.2024
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1213 Kbytes
Artikel-Nr.14507448
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


3


Weil Sommer ist und wir bis September jung sind, bin ich nicht der Einzige, der spät aufsteht. Während ich durch die Siedlung laufe, sehe ich einen Mann, der mein Spiegelbild sein könnte, vorsichtig die Tür schließen und zusammenzucken, als sie mit einem Klacken zugeht. Er sieht, dass ich ihn sehe, und zuckt mit den Schultern, bevor er den Kragen seiner Hemdjacke zurechtrückt und leicht nach vorn geneigt davonschwingt. Ich folge ihm, vorbei an ein paar Jungs, die in einer Unterführung an der Wand lehnen und laut überlegen, was sie heute Abend anstellen sollen. Einer will unbedingt auf eine Party in Deptford. Sie sticheln ihn, bis er mit der Sprache rausrückt: Sein Schwarm wird da sein, und er hofft, sie endlich anzusprechen. Rufe aus dem Chor: »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Weil Sommer ist und wir bis September jung sind, tun sie alles für ihre Brüder, ob blutsverwandt oder nicht. Weiter, vorbei am Sportplatz, wo die Fußballer schon früh das kleine Spielfeld eingenommen haben und ein junger Mann den Ball so vollkommen beherrscht, als gehöre er ihm und nur ihm. Vorbei an Uncle T, wo, weil Sommer ist, Dub an den Scheiben rüttelt und ein Pfiff durch das geöffnete Fenster dringt. Ich sehe seine weichen Dreadlocks, zum Dutt hochgesteckt, darunter ein freundliches Gesicht und ein Mund voller Gold. Er singt Bob Marleys »Waiting in Vain« wie für eine Geliebte in der Abenddämmerung, aber ich weiß, dass er allein ist. Ich hebe die Hand zum Gruß, er grüßt zurück, und in dem Moment schieben sich Erinnerung, Bild und Möglichkeit übereinander: Uncle T, der für eine ferne Geliebte singt; mein Vater in seinen Zwanzigern, der überlegt, in welcher Ecke von London er feiern gehen soll, um sich frei zu fühlen; ich in ein paar Jahren, wie ich versuche, nicht an die Tür einer Fremden zu klopfen, mit der ich durch die Nacht gezogen bin. Was wird aus der Zeit, wenn der Sommer da ist?

*

Auntie Yaa hat mit Sicherheit den größten afrokaribischen Laden in Peckham, vielleicht in ganz Südlondon. An der Ecke Rye Lane und Peckham High Street, gleich neben der Bücherhalle, gibt es alles, was die Menschen brauchen, die sich hier, weit weg von der Heimat, eine Existenz aufbauen wollen. Süßkartoffeln, Kochbananen, Kenkey und Fufu-Brei, Auberginen, Okra und Scotch Bonnets, kistenweise getrockneten Fisch und Supermalt. Für Auntie, wie für die meisten von uns, sind Lebensmittel nicht nur Nahrung, sondern Erinnerung, Nostalgie, eine Möglichkeit, die Sehnsucht zu stillen. Sie kümmert sich auch darum, wenn man ein Stück vom neuen Leben nach Hause schicken will. Dorcas, eine Stammkundin, schickt ihrer Schwester in Ghana jeden Monat eine Packung Weetabix, Ingwerplätzchen und Tetley Tea. Dorcas sagt, sie sei immer verantwortlich für die Einkäufe gewesen und hoffe, es fühle sich an, als wäre sie nie weggegangen. Bevor sie das Paket zuklebt, legt sie noch ein Foto von sich auf das Essen, damit ihre Schwester von ihrem Lächeln begrüßt wird.

An der Tür steht meistens Uncle T, der mit niemandem blutsverwandt ist, aber doch mit allen verbunden. Er ist ein fröhlicher Mann mittleren Alters und trägt eine Pilotenbrille mit Fensterglas. Mir war nie klar, ob er offiziell dort arbeitet, jedenfalls ist er nachmittags immer mit irgendwas zugange, zeigt den Kunden die Ware, lacht. Gegen Abend sieht man ihn dann mit einem Guinness in der Hand. Ich würde sagen, er ist so was wie der Security-Mann, aber das eine Mal, als er einschreiten wollte, als Rays Freund Koby atemlos in den Laden gerannt kam, um sich zu verstecken, und ein paar Minuten später mehrere Jungs reinkamen und wollten, dass wir Koby auslieferten, baute Uncle sich zwar vor ihnen auf, wurde aber von Auntie weggeschickt. Als Erstes fragte sie die Jungen, wer ihre Eltern waren. Dann wollte sie wissen, wer was in der Schule machte und wer beim Fußball am Wochenende das entscheidende Tor geschossen hatte. Auntie fand, Wut sei ein berechtigtes Gefühl, aber oft fehlgeleitet, und diese Fehlleitung sei schuld daran, dass der Tod, den wir in all seinen Facetten kannten, sich weiterverbreitete, und diese Fehlleitung hatte vor allem damit zu tun, dass es keinen Raum gab. Sie hielt also kurz Hof und schickte sie dann nach Hause, mit Sheabutter für die Haare und Fleischpasteten gegen den Hunger.

 

Ich stehe hinterm Tresen, als Del hereingewankt kommt. Sie lehnt ihren Kontrabass an eine freie Stelle an der Wand und bahnt sich ihren Weg durch das Labyrinth aus Tischen in Richtung Tresen. Eine Kette mit einem kleinen Anhänger - der ihrem Vater gehört hat - baumelt an ihrem Hals. Das Licht hat ihre Augen geweitet, ein leises Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. Sie ist wunderschön. Ich will ihr das sagen, habe es aber außer in Liedern und Filmen noch nie ausgesprochen gehört. Trotzdem fühle ich mich ihr gerade näher, vielleicht weil ich mich mir selbst näher fühle und mir bewusster ist, was ich für sie empfinde.

Offenbar starre ich sie an, denn sie sagt: »Was?«

»Nichts.«

Sie hakt nicht nach und setzt sich an den Tresen. Ich öffne eine Flasche Fanta, gieße die Hälfte in ein Glas mit Eis. Sie nimmt einen großen Schluck, dreht sich dann auf ihrem Sitz um und sieht den Laden jetzt so, wie ich ihn sehe. Ein Pärchen, das nur Augen füreinander hat, verschränkt die Hände ineinander auf dem Tisch, ein anderes Paar spielt Karten, eine Frau schreibt etwas in ein Notizbuch. Im Hintergrund läuft »Peace On Earth« von Ebo Taylor.

»Was glaubst du, was da los ist?«, frage ich leise.

»Er hat Scheiße gebaut, und sie hat ihm endlich verziehen.«

»Woher weißt du, dass er es war?«

»Weil es immer er ist. Nimm´s nicht persönlich. Ist einfach so.«

»Wenn du meinst. Und die anderen?«

»Das sind Freunde. Ziehen wahrscheinlich gerade zusammen. Wer gewinnt, kriegt das größere Zimmer. Und die Frau ... schreibt eine Geschichte.«

»Worüber?«

»Zwei junge Menschen im Sommer.«

»Könnten wir sein.«

»Vielleicht. Aber im Sommer sind alle Menschen jünger.« Sie dreht sich zu mir um. Im selben Augenblick kommt Auntie Yaa von hinten, und ich bin kurz vergessen. Sie begrüßen sich wie Schwestern, halten einander das Gesicht in ihren weichen Händen. Auntie Yaa hat ihre Eltern auf ähnliche Weise verloren wie Del, eine Mutter, die die Geburt nicht überlebt hatte, ein Vater, der so lange durchhielt, wie er konnte, aber irgendwann den Kampf gegen den Spiegel verlor. Auntie Yaa und Del verbindet etwas, das ich nie wirklich begreifen werde.

»Wie geht es dir?«

»Gut, danke, Auntie.«

»Hast du schon was gehört?«

»Noch nicht.«

»Kommt schon noch.«

Del und ich lassen den Kopf sinken. Wir haben uns beide an der Musikhochschule beworben. Selbst bei einem Studiendarlehen geht das nur mit einem Stipendium, was mit jedem Tag, der vergeht, unwahrscheinlicher wird. Es gibt gerade mal eine Handvoll. Außerdem hat es etwas Willkürliches, ein paar Leute darüber entscheiden zu lassen, ob wir gut genug sind, wenn wir bislang doch ganz auf unser Gefühl vertraut haben.

Del und ich jammen meistens abends und am Wochenende mit ein paar anderen. Seit ein paar Jahren machen wir das jetzt. Angeblich spielen wir Jazz, aber wenn man uns fragt, was das bedeutet, würden wir wahrscheinlich aufeinander zeigen, mit den Schultern zucken und grinsen. Nicht dass wir es nicht wüssten, wir wissen nur nicht, wie wir es erklären sollen, diese seltsame Ausdrucksform der Improvisation, wenn wir uns ins Unbekannte legen. Meistens fängt Theo an, mit einem schnellen, bestimmten Beat, damit alle wissen, dass es losgeht. Dann kommt Del mit Basstönen so fett wie Mauern, sodass ein Raum entsteht, in dem wir uns bewegen können, und in dieses Haus schleiche ich mich dann mit meiner Trompete. Wir treffen uns, wo immer es gerade geht: in Proberäumen in der Schule, in Studios, für die uns jemand den Schlüssel zusteckt, oder, normalerweise, bei jemandem in der Küche oder Garage. Einmal haben wir uns in zwei Autos gequetscht und sind ein Stück weiter Richtung Süden zum Beckenham Place Park gefahren. Das Gelände schien sich endlos zu erstrecken. Es war Frühling, überall erblühte neues Leben. Alles war möglich. Wir schleppten unsere Instrumente in ein Waldstück, bildeten einen Kreis und schickten Sounds in die Bäume. Bevor wir anfingen, stellte jemand ein Aufnahmegerät in die Mitte, nicht weil wir dachten, wir würden uns später nicht daran erinnern, sondern weil wir es nicht vergessen wollten.

Irgendwann rutschte mein Finger weg und produzierte einen merkwürdigen Ton. Der Fehler blieb nicht unbemerkt, aber wir machten weiter. Ich war dankbar für die Freiheit, an diesem Ort sein und einen Fehler machen zu dürfen. Dafür, dass dieser Fehler im richtigen Ohr vielleicht sogar schön klang. Dass Del mit ihrem Bassspiel darauf reagierte. Dass die anderen folgten und sich auf das Neue, Unbekannte einließen. In dem Moment stellte ich fest, dass ich mich nur in der Musik wirklich erkannte. In der Stille, in der Freiheit, der Hingabe.

Als wir danach zu unseren Autos trotteten, verausgabt und doch so erfüllt, fielen Sätze wie »Ich wusste gar nicht, dass ich genau das brauchte« oder »Das war eine spirituelle Erfahrung«. Wir - Del und ich - versuchen seitdem, an dieses Spirituelle anzuknüpfen, optimistisch zu sein, zu glauben. Aber das Warten fällt uns schwer. Vor allem wenn wir am Ende womöglich getrennte Wege gehen, ein Thema, das wir nie angeschnitten haben, weil wir immer davon ausgingen, dass wir irgendwie zusammenbleiben. Keiner von uns will sich die Frage stellen,...
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Autor

Caleb Azumah Nelson, 1993 in South East London geboren, ist Sohn ghanaischer Eltern, die bereits als Teenager nach Großbritannien kamen. Und in South East London lebt der Schriftsteller und Fotograf noch heute. Wenn er schreibe, fühle er sich wie ein improvisierender Jazzmusiker, sagt Nelson, und das Ergebnis sei »die ehrlichste, ja vielleicht die beste Version meiner selbst.« Seine Erzählungen erschienen in Literaturzeitschriften wie Granta und Litro. 2019 schmiss er seinen Job in einem Apple Store, um sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Sein Debütroman Frei Schwimmen wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Costa Book Award in der Kategorie Debüt und dem Somerset Maugham Award.