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Die natürliche Ordnung der Dinge

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am11.05.2024
Ein tollkühnes Stück Literatur über ein Land, in dem Fliegenlernen leichter zu sein scheint als Überleben.
Ein älterer Mann erzählt seiner jungen Geliebten nachts von seiner Kindheit. Für sie ist er eher lästig und nur »der, der bei mir schläft«. Aus seiner Geschichte, die von anderen Erzählern ergänzt wird, entwickelt sich ein grotesk-surreales Familienepos, das mehrere Generationen umspannt und die gar nicht natürliche Geschichte Portugals seit den Fünfzigern einfängt.

Einer der wichtigsten europäischen Autoren der Gegenwart erzählt von einem Leben voll Düsternis und Verzweiflung, aber auch voll Komik und Zärtlichkeit.

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin tollkühnes Stück Literatur über ein Land, in dem Fliegenlernen leichter zu sein scheint als Überleben.
Ein älterer Mann erzählt seiner jungen Geliebten nachts von seiner Kindheit. Für sie ist er eher lästig und nur »der, der bei mir schläft«. Aus seiner Geschichte, die von anderen Erzählern ergänzt wird, entwickelt sich ein grotesk-surreales Familienepos, das mehrere Generationen umspannt und die gar nicht natürliche Geschichte Portugals seit den Fünfzigern einfängt.

Einer der wichtigsten europäischen Autoren der Gegenwart erzählt von einem Leben voll Düsternis und Verzweiflung, aber auch voll Komik und Zärtlichkeit.

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641321802
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum11.05.2024
Reihebtb
Reihen-Nr.73389
SpracheDeutsch
Dateigrösse1091 Kbytes
Artikel-Nr.14702479
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Bis ich sechs Jahre alt war, Iolanda, kannte ich weder die Familie meiner Mutter noch den Duft der Kastanienbäume, den der Septemberwind von Buraca herüberwehte mit dem Geruch der Schafe und Ziegen, die, von einem Alten mit Schirmmütze und den Stimmen der Toten vorwärts getrieben, über die Calçada zum aufgelassenen Friedhof hinaufsprangen. Heute noch, meine Liebste, wenn ich, im Bett ausgestreckt, warte, daß das Valium wirkt, geht es mir wie einst an den Sommernachmittagen, wenn ich mich auf der Suche nach Kühle in einer Siedlung zerborstener Grabmäler niederlegte: Ich spüre das Ornament eines Grabes schmerzhaft am Bein, ich höre auf dem Bettuch das Gras der Grabstätten, sehe die Engel und Christusse aus Gips mich mit zerbrochenen Händen bedrohen; eine Frau mit Hut pflanzte Kohl und Rüben in die Wurzeln der Zypressen; das Meckern der Zicklein läutete in der Kapelle ohne Heiligenbilder, von der nur noch drei verkohlte Wände und ein von Rankgewächsen überwucherter Altar mit einem Tüchlein darauf übrig war; und ich beobachtete die Nacht, wie sie von Grabstein zu Grabstein weiter vorrückte und die Segnungen der Heiligen zu düsteren Flecken gerinnen ließ.

Doch gestern zum Beispiel, als ich deinen Körper umschlungen hielt, während ich darauf wartete, daß mich die Barmherzigkeit der Arznei vom Überfall der Erinnerungen befreite, kam mir eine vergangene Dämmerung in den Sinn, aus dem Jahr fünfzig oder einundfünfzig, die Beete im Garten waren frisch gegossen, Senhor Fernando, im Unterhemd, machte auf der Veranda Gymnastik, im Hof vor der Küche wuselten Katzen herum, und ich saß oben auf der Mauer, schnupperte die Brise von Monsanto und hörte die Pferde der besiegten Monarchisten vom Gebirge herunterkommen (wie mir Dona Anita erzählt hatte, die damals ein Mädchen war) auf dem Weg in die Gefängniszellen.

Ich verstehe nicht, warum du dich nie für meine Kindheit interessiert hast, meine Liebste. Wenn ich von mir erzähle, zuckst du immer mit den Schultern, dein Mund verzieht sich, deine Augenlider dehnen sich verächtlich, spöttische Falten entstehen hinter dem Pony aus blondem Haar, so daß ich schließlich beschämt schweige, die Gläser, die Teller für das Mittagessen auf den Tisch stelle und das Besteck dazulege, während deine Tante in der Speisekammer hustet und dein Vater auf der Suche nach dem Gekreische der Telenovela an den Knöpfen des Fernsehers dreht. Und dennoch, Iolanda, sobald du eingeschlafen bist, erhält dein ins Kissen geknautschtes Gesicht wieder die Christkindkrippenunschuld von damals zurück, als ich dich zum erstenmal in der Konditorei an der Ecke des Gymnasiums gesehen habe, als deine tintenfleckigen Finger und deine Schulhefte mich mit sinnlos freudiger Rührung erfüllten,

sobald du eingeschlafen bist und die Fahlheit vogelbevölkerter Ulmen unser Zimmer durchquert, rede ich, über dir schwebend, ohne daß du mich verspottest, mit deinen reglosen Handflächen und deinen ausgelieferten Schenkeln, und das Haus, in dem ich früher mit der Familie meiner Mutter wohnte, tritt aus der Nacht heraus, einem Flecken im Spiegel oder der Schublade einer Kommode entsprungen, in der sich unsere Wäsche mit Mottennestern und Kupfergriffen vermischt, seit du mir vor Monaten befohlen hast, Komm, und ich kam, präsentierte mich mit Regenschirm und zwei abgewetzten Koffern in dieser kleinen Wohnung in der Quinta do Jacinto in Alcântara, um zu erklären, daß ich in der Tat einunddreißig Jahre älter sei als du, aber die Anstellung beim Staat, Senhor Oliveira, ist ganz ordentlich, und selbstverständlich würde ich den Strom, die Miete und die Rechnung beim Fleischer zahlen.

Meine Liebste, hör mir zu. Vielleicht verstehst du mich in deinem Schlaf, vielleicht befreit sich dein Körper von der Ironie mir gegenüber und liebt mich, vielleicht erzittern deine nunmehr sanften Augenlider, wenn ich sage, wie gern ich es hätte, wenn du mich berührtest und erlaubtest, daß ich dich berühre, vielleicht lehnst du das Haarbüschel an deinem Bauch an mich, und deine Knie öffnen sich langsam über der feuchten, glatten zarten Grottenweichheit, die meine Begierde in Perlmutterfestigkeit gefangenhält. Doch seit dem Sommer ignorierst du mich, bist in einen Klassenkameraden mit lodernder Akne und sprießendem Bart verliebt, der Unsicherheiten in Geographie oder Mathematik zum Vorwand nimmt, um uns zu besuchen, und mir in grausamer Begrüßung die Finger quetscht, bis die Knochen knacken. Ich bin nur noch ein nicht näher bezeichneter Verwandter, in Weste und Krawatte und mit grauem schütterem Haar, der unfähig ist, einen Handstand zu machen, unfähig, ohne Brille zu lesen, wegen Herzzauderns unfähig, zwanzig Meter zu laufen, kurz, unfähig, gegen diesen pickligen Knaben zu bestehen, der größer ist als ich, keinen Bauch, keine Glatze, keine Schuppen hat, dessen achtzehn Jahre mich vernichten, und ich warte reglos wie eine Tarantel auf die Nacht, wenn dein mit einer Vinaigrette aus Zahnpasta und billigem Parfüm gewürzter Körper sich zusammenrollt, um sich auf der Matratze einzukuscheln, das Auf und Ab deiner Brust verschwiegen wird wie das der Schiffe, wenn deine schmollend im Schlaf aufgeworfenen Lippen einen Kuß hauchen, der nicht mir gilt, ich warte auf die Nacht und messe die Dichte der Dunkelheit an der Schlaflosigkeit deines Vaters und der Bronchitis deiner Tante auf der anderen Seite der Holzwand und greife meine Geschichte bei der Stelle wieder auf, bei der ich stehengeblieben war, kehre wieder in das Haus zurück, Iolanda, in dem ich gelebt habe, bevor ich die Familie meiner Mutter kennenlernte, das Haus mit seinen tausend Korridoren, seinen tausend Schlupfwinkeln, seinen tausend Verstecken, das Haus, das Haus,

das Haus, mein Gott, das von Seeschwalben belagerte Haus über der Steilküste und dem Dunst des Ozeans, mit den Türen, die im Wind schlugen, und den zerschlissenen Vorhängen, mit dem Hinweis »Hotel Central« im Halbkreis an der Fassade und den drei Geheimpolizisten, die, immer in Schwarz, den Arm zum nationalen Gruß erhoben, im kleinen Wohnraum den morgendlichen Muckefuck tranken.

In solchen Augenblicken erinnere ich mich an die Äquinoktialstürme, die die auf dem Gläserbord und auf den Verzierungen des Treppengeländers hockenden Bachstelzen in die Irre geweht hatten, und an die Benommenheit bei Stirnhöhlenentzündungen und an den Sturm, der den kleinen Platz vor der Pension fegte, an dem der Laden eines Antiquitätenhändlers im Dunkeln lag mit seinen spanischen Fächern und geflickten Buddhas, in solchen Augenblicken erinnere ich mich an die Werkstatt des Albinomechanikers, der im Sommer die Autos reparierte, wobei er rücklings zu den Motorenbäuchen robbte. Die Käuzchen, Iolanda, wurden an der Dachluke meines Kabuffs zerdrückt, das neben dem Verschlag der Köchin lag und in dessen WC neben dem Bett ständig die Ebbe gurgelte, und die Bewohner des Hotels waren wir zwei und dazu meine Patentante und die drei Geheimpolizisten, doch wenn der Juli kam, der Strand vom Unrat gereinigt wurde und eine bittere Hitze die Wellen besänftigte, wechselten sich die Köchin und die Alte einander sogleich in der Eingangshalle ab, die Häkelarbeit auf dem Schoß, in der falschen Hoffnung, einem Wundertaxi würde eine Gruppe matter, von der Niedergedrücktheit der Kiefern und den Sprungfedern der Sitze erschlagener Amerikanerinnen entsteigen.

Wenn ich an den kleinen Ort denke, meine Liebste, der über den Klippen und dem Geschrei der Vögel die Balance hielt mit seinem halben Dutzend zusammengestürzter Villen ohne Besitzer, in denen die Spinnen die Verlassenheit zu Fäden zogen, und ihn mit dieser Wohnung in Alcântara neben dem Bahnübergang und den Tejoschiffen, die unsere delphingekrönten Kopfkissen streifen, vergleiche, dann suchen meine Beine, ohne daß ich mir dessen bewußt werde, die Höhlung deiner Knie, und ich drücke meine Brust gegen deinen Rücken in einem Flehen um Schutz, das mich verwirrt, weil es mir lächerlich erscheint, daß ein Mann von neunundvierzig Jahren Hilfe bei einem achtzehnjährigen Mädchen sucht, das gerade von Erzengeln in Lederjacken auf Mofas träumt, die Gas geben, um sie vor einem harmlosen Alten wie mir zu retten, der vor Schüchternheit und Überraschung den Kopf verloren hat. Und dennoch, Iolanda, glaube nicht, daß mein Leben in einem kleinen Dorf in der Gegend von Ericeira, in dem die Eukalyptusbäume Tränen unheilbarer Enttäuschung tropften, nicht angenehm gewesen wäre: Es war angenehm. Wenn sie nicht gerade der Ischias plagte, der sie leidend auf der Matratze vom Fleische fallen ließ, spielte die Köchin mit mir Karten in dem Raum, in dem der kaputte Heizkessel stand, während die Geheimpolizisten Foltermethoden und Gefängnisse ausheckten und über unseren Köpfen den Dielenboden erzittern ließen. Im Herbst beruhigten sich an manchen Tagen früh am Morgen das Meer und der Wind, und eine Zunge aus Sand war dann zu erkennen, die bald von Umkleidezelten, Picknickkörben, Pantoffelpyramiden und Familien im Bademantel bevölkert wurde. Mimosen sprossen aus den Felsen, und durch die Villen segelten die Öllampen ihrer einstigen Bewohner, bis ein Linienbus die Herden von Sommerfrischlern wieder einsammelte, die scheppernd nach Lissabon fuhren, während die Wellen den Strand verschluckten, der Himmel sich mit Sturmwolken bedeckte, an deren Kanten zwischen den Felsen Möwen schrien, die Wipfel der Bäume Schwärme umnachteter Rotkehlchen freigaben und meine Patin, die der Sturm kaltließ, zu ihrer Häkelnadel griff und von extravaganten Amerikanerinnen träumte, die Sandalen und Panamahüte trugen wie zu einer Expedition in die Tropen.

Ein Zug zerteilte die Nacht lotrecht zu den Laternen der Avenida de Ceuta und parallel zum Fluß, gesäumt von Speichern, Pontons, Kränen, Winden,...
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Autor

António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkriegs 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als dreißig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den »Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes«, den »Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft« und den Camões-Preis.