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Kains Opfer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Atlantis Literaturerschienen am30.08.2024
Warum die Torah nicht mit dem ersten, sondern mit dem zweiten Buchstaben beginnt? Weil der zweite Kaffee immer der beste ist. Mit so weltlichen Bonmots beginnt Gabriel Klein gern seine Schabbatpredigt; die jüdischen Texte haben viel mit dem Alltag der Menschen zu tun, davon ist der Zürcher Rabbi überzeugt. Dass allerdings Bibelexegese auch bei Mordermittlungen helfen kann, wird Klein erst bewusst, als sein Gemeindemitglied Nachum Berger tot aufgefunden wird, vermutlich ermordet. Weil Klein die letzte Person war, mit der Berger in Kontakt stand, bestellt Karin Ba?nziger, Kommissarin der Stadtpolizei Zürich, den Rabbi zu sich ein. Wenige Tage erst ist es her, dass der Tote, ein beliebter Lehrer, bei den Kleins zu Besuch war. Verständlich, dass der Rabbi sich berufen fühlt, selbst ein wenig nachzuforschen. Das Nachdenken über den Brudermord Kains und die Prüfung Hiobs bringen ihn auf die entscheidende Spur ...

Alfred Bodenheimer, geboren 1965 in Basel, muss das literarische Schreiben wegen seiner Arbeit als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel auf wenige Wochen im Jahr beschränken. Dann aber fühlt er sich, als würde sich ein Ventil ungebremster Kreativität öffnen. Oft unterwegs zwischen der Schweiz und Israel, wo seine Familie lebt, sieht er sich als Pendler zwischen zwei Welten, was seinen Blick für beide Länder und Gesellschaften schärfe.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,90
BuchKartoniert, Paperback
EUR19,90
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextWarum die Torah nicht mit dem ersten, sondern mit dem zweiten Buchstaben beginnt? Weil der zweite Kaffee immer der beste ist. Mit so weltlichen Bonmots beginnt Gabriel Klein gern seine Schabbatpredigt; die jüdischen Texte haben viel mit dem Alltag der Menschen zu tun, davon ist der Zürcher Rabbi überzeugt. Dass allerdings Bibelexegese auch bei Mordermittlungen helfen kann, wird Klein erst bewusst, als sein Gemeindemitglied Nachum Berger tot aufgefunden wird, vermutlich ermordet. Weil Klein die letzte Person war, mit der Berger in Kontakt stand, bestellt Karin Ba?nziger, Kommissarin der Stadtpolizei Zürich, den Rabbi zu sich ein. Wenige Tage erst ist es her, dass der Tote, ein beliebter Lehrer, bei den Kleins zu Besuch war. Verständlich, dass der Rabbi sich berufen fühlt, selbst ein wenig nachzuforschen. Das Nachdenken über den Brudermord Kains und die Prüfung Hiobs bringen ihn auf die entscheidende Spur ...

Alfred Bodenheimer, geboren 1965 in Basel, muss das literarische Schreiben wegen seiner Arbeit als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel auf wenige Wochen im Jahr beschränken. Dann aber fühlt er sich, als würde sich ein Ventil ungebremster Kreativität öffnen. Oft unterwegs zwischen der Schweiz und Israel, wo seine Familie lebt, sieht er sich als Pendler zwischen zwei Welten, was seinen Blick für beide Länder und Gesellschaften schärfe.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783715275505
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum30.08.2024
Reihen-Nr.1
SpracheDeutsch
Dateigrösse1137 Kbytes
Artikel-Nr.15239933
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

»Rabbiner? Das ist doch kein Beruf für einen anständigen jüdischen Jungen.« Mit diesem Urteil seines Vaters im Ohr war Klein aufgewachsen. Auch als er nach der Matur für ein Jahr die Jeschiwa in Israel besucht und einmal erwogen hatte, seine Talmudstudien fortzusetzen, ein Rabbinerdiplom zu erlangen und eine Laufbahn als Rabbiner in Deutschland oder in der Schweiz anzustreben, hatte er die Idee bald verworfen. Ein Grund war, dass er nicht jeden Morgen von Amtes wegen schon um sechs Uhr aufstehen wollte, um pünktlich beim Morgengebet zu sein. Außerdem wollte er seine Privatsphäre wahren. Wenn er Rabbiner wäre, würde jeder Schritt und jedes Wort von den Mitgliedern und dem Vorstand der Gemeinde beobachtet und kommentiert.

Deshalb war er am Ende an die Universität gegangen und hatte Geschichte studiert.

Auch Rivka hatte immer abgewinkt, wenn er erzählte, dass ihn das Rabbineramt eigentlich interessiert hätte. Als Rebbezen sah sie sich nicht. Sie war in der kleinen jüdischen Gemeinde von Bern aufgewachsen, sie hatten sich an einem der legendären jährlichen Fußballturniere der Schweizer Juden kennengelernt. Sie spielte im gegnerischen Team, und er hatte ihr einen Schuss ins Gesicht platziert. Er hatte sich danach um sie gekümmert - ihr Nasenbein war zum Glück nicht gebrochen, und aus der ersten, schmerzvollen Begegnung wurde rasch eine Liebesgeschichte. Rivka hatte die Beziehung zwar auch einmal für eine Weile beendet; sie hatte sich noch für andere Jungen interessiert. Damals hatte Klein um Claudette Weiss geworben - rückblickend war es wohl eher eine Pflichtübung. Das schönste jüdische Mädchen von Zürich durfte man nicht unbeachtet lassen, wenn man schon wider Willen frei war. Doch am Ende hatte nichts an Rivka vorbeigeführt. Auch wenn er, anders als chassidische Juden, den Begriff des »Beschertseins«, der himmlischen Bestimmung eines Mannes und einer Frau füreinander, belächelte - besonders angesichts dessen, was er als Rabbiner so mitbekam -, in seinem und Rivkas Fall traf er zu.

Klein hatte sich schon mit seiner Diplomarbeit auf die jüdische Geschichte der Frühen Neuzeit spezialisiert, eine schöne (keine überragende) Doktorarbeit geschrieben und schließlich eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer kleinen Universität gefunden, zu der er von Zürich aus bequem pendeln konnte.

Doch diese Stelle hatte sich als Sackgasse erwiesen, in jeder Hinsicht. Zum einen hatte er sich verleiten lassen, statt eine Habilitation zu schreiben, eine Edition unveröffentlichter Regesten zu übernehmen. Das Projekt war zweifellos sehr renommiert, und er erhoffte sich davon einige Beachtung in der Fachwelt. Doch es wurde ihm bald klar, dass die akribische Arbeit an Editionen nichts für ihn war. In wachsendem Rückstand zum vorgesehenen Zeitplan saß er zwischen seinen Dokumentkopien und langweilte sich zu Tode, zerfressen vom Gefühl, dabei seine Zeit zu vergeuden, während die ersten gleichaltrigen Forscher auf Professuren berufen wurden.

Hinzu kam, dass der Ort seines Wirkens ihm zunehmend zuwider war. Die Erkenntnis ließ sich nicht länger verdrängen, dass in dem katholisch inspirierten Institut, für das er arbeitete und das sich dem christlich-jüdischen Dialog verschrieben hatte, immer ein Christ der Chef und ein Jude der untergeordnete Mitarbeiter sein würde. Er hatte, als ihm das klar wurde, um einen Termin beim Rektor der Universität gebeten und ihm erklärt, dass das nicht zeitgemäß sei, dass ein Dialog nicht von oben nach unten geführt werden könne. Der Rektor hatte freundlich, aber unverbindlich reagiert, die Institutschefin hingegen hatte Klein am folgenden Tag regelrecht zusammengestaucht. Hinter ihrem Rücken! Zu intrigieren! Er könne froh sein! Bei seinem wissenschaftlichen Output!

Da war es ihm wie eine Erlösung erschienen, dass wenige Tage später der Anruf von der jüdischen Gemeinde kam. Der Präsident lud ihn zu einem Lunch ein und fragte ihn, ob er an der Nachfolge des scheidenden Rabbinatsassistenten interessiert sei. Er deutete an, dass eine Weiterbildung Kleins zum Rabbiner on the job für die Gemeinde ein durchaus denkbares, sogar erwünschtes Modell sein könnte. Rivka, die begriffen hatte, dass ihn die Tätigkeit an der Universität ins Elend führte, gab ihr Einverständnis. »Dann werde ich halt in Gottes Namen eine Rebbezen«, hatte sie nur gesagt, doch ihr Blick signalisierte Zustimmung und sogar eine gewisse Freude auf die Herausforderung.

Klein hatte pro forma um drei Tage Bedenkzeit gebeten. Am zweiten Tag hielt er es nicht mehr aus, fürchtete plötzlich panisch, es könnte ihm noch jemand zuvorkommen und er würde auf ewig hinter seinen Regesten sitzen, blockiert und zum interreligiösen Dialog mit einer Chefin verdammt, die ihn verachtete und niemals weiterkommen lassen würde. Er rief die Gemeinde an, räumte am nächsten Tag alle Ordner aus seinem Büro und schickte sie zum Editionsleiter nach Frankfurt zurück. Zwar behauptete Rivka noch lange, der eine Tag, an dem er vor Ablauf der Bedenkzeit zusagte, habe ihn zehn Prozent seines Gehalts gekostet. Aber solche Spekulationen waren ihm gleichgültig. Er fühlte sich befreit, ging wochenlang wie auf Wolken. Die drei Monate bis zum Amtsantritt in der Gemeinde saß er in seinem Institut am leer geräumten Tisch und begann sich auf das vorzubereiten, was er als rabbinische Karriere erachtete.

Nach drei Jahren Assistenz hatte die Gemeinde ihn schließlich auf der Basis einer Teilzeitstelle nach Jerusalem geschickt, um das Diplom zu erwerben. Von dem halben Schweizer Gehalt hatten sie mit damals einem Kind dort gut leben können, und Esthi, seine fast zehn Jahre ältere Schwester, die schon lange in Israel lebte, hatte ihnen in den tausend kleinen Dingen geholfen, die man wissen und kennen muss, um sich in diesem Land zurechtzufinden.

Heute, da Esthi viel durchmachte - ihr Mann litt an fortgeschrittener Multipler Sklerose -, wäre der Moment gewesen, ihr etwas zurückzugeben. Es erfüllte Klein mit Schuldbewusstsein, dass er sie seit über zwei Jahren nicht besucht hatte. Nicht einmal bei den beiden kurzen Aufenthalten in Israel, die in seinen vollen Kalender gepresst werden mussten und bei denen jede Minute verplant gewesen war.

 

Als er damals, vor elf Jahren, als ordinierter Rabbiner aus Israel zurückgekommen war und das Amt übernahm, breitete sich vor ihm wie eine riesige grüne Wiese das Rabbinat in der größten jüdischen Gemeinde der Schweiz aus. Er wurde ohne größere Widerstände gewählt - »eine vo eus«, wie sie in Zürich sagten, einer von uns, der weiß, wie wir ticken. Was sie nicht sagten, aber womöglich dachten: Wir wissen auch, wie er tickt.

Seither hatte Klein nicht nur gelernt, morgens früh aufzustehen (wobei halb sieben in der Regel reichte, und dann mussten die Kinder ohnehin geweckt werden), er war nun, als Endvierziger, mit diesem Amt regelrecht verschmolzen. Es gab lästige Dinge, gewiss, er konnte sich über vieles aufregen. Doch wenn er sah, was andere Leute bei ihren Arbeitsstellen erlebten, wenn er an seine Universitätszeit zurückdachte, dann dankte er Gott, mit dem er in einer komplizierten, insgesamt aber einträchtigen On-and-off-Beziehung lebte.

Kleins Mutter war schon während seines Doktorats gestorben. Sein Vater empfand über Gabriels neues Amt einen uneingestandenen Stolz, den er wie üblich mit einem träfen Spruch zu überspielen versuchte. Irgendwann war ihm das Bonmot eingefallen, Gabriel sei jetzt von Beruf Gläubiger, und weil er älter wurde, wiederholte er diesen Spruch, der tief in seine Kaufmannsseele blicken ließ, bei unzähligen Gelegenheiten, was ihm vor allem Rivka ein wenig übel nahm. Klein selbst konnte damit leben.

Es gab Aufgaben, an denen er besonders hing. Eine davon hatte ihn anfangs viel Überwindung gekostet: die wöchentlichen Besuche bei den Kranken und Alten der Gemeinde, jeweils am Freitagvormittag. Weil es ihm schwerfiel, hatte er Fortbildungen für Seelsorger besucht, und die hatten ihm sehr geholfen. So hatte er gelernt, wie mit Demenzkranken am besten umzugehen sei, um die er am Anfang einen großen Bogen gemacht hatte. Ein schwuler Kursleiter namens Ruedi mit Ostschweizer Dialekt und Raucherstimme hatte ihnen erklärt, man wisse aufgrund von elektronischen Messungen, dass das Gespräch mit einem Demenzkranken deutliche Impulse in dessen Hirn auslöste. »Vielleicht verstehen diese Menschen nicht mehr, was ihr sagt«, hatte Ruedi erklärt. »Aber der Umstand, dass ihr mit ihnen sprecht, löst bei ihnen etwas aus. Erzählt eurem Gegenüber irgendetwas, aber am besten etwas, was euch wichtig ist, etwas Ernsthaftes. Es geht nicht spurlos an ihm vorbei. Du redest nicht an eine Wand, wenn du mit einem Demenzkranken sprichst.«

Klein hatte sich das zu Herzen genommen. Er begann bei seinen Besuchen in den beiden jüdischen Altersheimen gerade mit jenen Bewohnern, die, meist sorgfältig gekleidet und zurechtgemacht, aber mit leerem Blick vor sich hin dämmernd, in ihren Zimmern saßen, intensive Gespräche zu führen. Ernsthafte Themen - das waren etwa die Sitzungen mit der Jugendkommission, die wieder einmal ihr Budget für sinnlose Großveranstaltungen verschleuderte, statt die Jungen im Alltag abzuholen. Das war die absurde Idee des Vorstands, die Bibliothek der Gemeinde aufzulösen, um ein paar Tausend Franken im Jahr zu sparen. Eine jüdische Bibliothek, unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg gegründet, die fast als einzige im deutschsprachigen Raum den Holocaust überstanden hatte! In der das Erbe des Judentums, für das die Gemeinde doch angeblich einstand, aufbewahrt war. »Und wissen Sie, Frau Tannenbaum, was mir der Vorstand dazu sagt? Ja, wänn du uf...
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Alfred Bodenheimer, geboren 1965 in Basel, muss das literarische Schreiben wegen seiner Arbeit als Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel auf wenige Wochen im Jahr beschränken. Dann aber fühlt er sich, als würde sich ein Ventil ungebremster Kreativität öffnen. Oft unterwegs zwischen der Schweiz und Israel, wo seine Familie lebt, sieht er sich als Pendler zwischen zwei Welten, was seinen Blick für beide Länder und Gesellschaften schärfe.